Dreißig Jahre Grüne - eine Bilanz

Heute vor dreißig Jahren, am 13. Januar 1980, wurde in der Karlsruher Stadthalle die Partei "Die Grünen" gegründet. Sie galt damals Vielen, einschließlich ihren Gründern, als Alternative zum bürgerlichen Politikbetrieb, ja gar als Vorkämpferin für eine neue Gesellschaft. Dreißig Jahre später sind die Grünen eine ganz normale bürgerliche Partei, die sich irgendwo zwischen der Sozialdemokratie und den Konservativen verortet. Zeit also, eine Bilanz zu ziehen.

Die Gründer der Grünen stammten aus der Generation, die 1968 auf die Straße gegangen war, um gegen Bildungsnotstand, Vietnamkrieg und den Mief der Adenauer-Ära zu protestieren. Anfang der siebziger Jahre waren sie dann unterschiedliche Wege gegangen: Einige hatten sich der SPD angeschlossen, andere ins Privatleben zurückgezogen und einen alternativen Lebensstil gepflegt, wieder andere hatten maoistische Gruppen gegründet und den Stalinismus chinesischer Prägung verherrlicht.

In den Grünen fanden sie sich alle wieder zusammen, ergänzt durch Atomkraftgegner, Umweltschützer, Feministinnen und ein paar versprengte Blut-und-Boden-Ideologen, die die Partei aber bald wieder verließen. Kleinster gemeinsamer Nenner dieser unterschiedlichen Strömungen war die Ablehnung des Klassenkampfs. Aus der 68er Bewegung hatten sie das Vorurteil mitgebracht, die Arbeiterklasse sei eine apathische, durch Konsum ins System integrierte, für rückständige Ideen anfällige Masse. Die Erneuerung der Gesellschaft sollte daher auf anderem Wege vor sich gehen: durch Veränderung der persönlichen Denk- und Lebensweise, Schutz der Umwelt, Pazifismus und Auffrischung der bürgerlichen Demokratie.

Die theoretischen Stichwortgeber der 68er Bewegung - Herbert Marcuse, Max Horkheimer und Theodor Adorno u.a. - standen so auch bei der Gründung der Grünen Pate, auch wenn dies nicht mehr so offensichtlich war. Sie lehnten die materialistische Geschichtsauffassung ab, laut der "die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess bedingt" (Marx), und vertraten eine idealistische Auffassung, die die Triebkraft gesellschaftlicher Veränderung ins Subjekt verlegt. Nicht der Klassenkampf, sondern die geistige, psychische oder sexuelle Befreiung des Individuums war ihrer Auffassung nach der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts.

Rudi Dutschke, der all diese Theorien in sich aufgesogen, zu einem ideologischen Amalgam vermischt und so zum Wortführer der 68er Bewegung geworden war, beteiligte sich intensiv an den Vorbereitungen zum Gründungskongress der Grünen, starb aber drei Wochen vorher an den Spätfolgen eines Mordanschlags.

Das radikale Auftreten der Grünen, das damals nicht wenige Konservative und Sozialdemokraten in Angst und Schrecken versetzte, beschränkte sich auf Äußerlichkeiten wie Haarwuchs, Kleidung und andere Lebensgewohnheiten. Im Grunde waren die Grünen rückwärtsgewandt und - im wörtlichen Sinne - konservativ.

Sie kritisierten die bestehende Gesellschaft nicht vom Standpunkt der Arbeiterklasse, deren Existenz untrennbar mit der modernen Industrie verbunden ist und die ihre sozialen Probleme nur lösen kann, indem sie die Produktivkräfte von den Fesseln des Privateigentums befreit. Sie kritisierten sie vom Standpunkt des Kleinbürgertums, das sich durch die moderne Industrie bedroht fühlt und versucht, einigen der offensichtlichsten Missständen durch die Rückkehr zu älteren Produktionsformen beizukommen. Am deutlichsten zeigte dies ihr Wirtschaftsprogramm, das für "eine Abkehr von der nationalen und internationalen Arbeitsteilung" und "eine verbrauchernahe Produktion in lokalen und regionalen Wirtschaftsräumen" eintrat.

Das hinderte einige selbsternannte Marxisten, wie die Pablisten Ernest Mandels, allerdings nicht daran, die Grünen enthusiastisch als "linke Alternative" zur SPD zu feiern.

Die Grünen selbst brauchten nicht lange, um Mandel zu wiederlegen. Ihre programmatischen Bekenntnisse gegen Umweltzerstörung, Krieg und andere gesellschaftliche Übel hinderten sie nicht daran, sich mit den herrschenden Mächten zu arrangieren. Ihre Entwicklung wurde durch ihr gesellschaftliches Sein bestimmt, und nicht durch die utopischen Vorstellungen, die während der Gründerjahre in den Reihen der Grünen kursierten. Und in der gesellschaftlichen Realität stützten sie sich auf die städtischen, gebildeten Mittelschichten, die in den achtziger und neunziger Jahren einen sozialen Aufstieg erlebten, während der Lebensstandard der Arbeiterklasse stagnierte und sank.

Schon Anfang der achtziger Jahre zogen die Grünen in mehrere Landesparlamente ein, 1983 schafften sie zum ersten Mal den Einzug in den Bundestag und 1985 wurde Joschka Fischer in Hessen zum ersten grünen Landesminister vereidigt. 1998 folgte dann der Eintritt in die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD).

Die Grünen bezahlten für die Regierungsbeteiligung, indem sie ihre pazifistischen Standpunkte endgültig aufgaben. Noch bevor die neue Regierung die Amtsgeschäfte übernahm, unterstützten sie in einer Sondersitzung des Bundestags die deutsche Teilnahme am Nato-Krieg gegen Jugoslawien. Der ehemalige Straßenkämpfer Joschka Fischer wurde mit dem prestigeträchtigen Amt des Außenministers betraut, um den in der Bevölkerung tief verwurzelten Widerstand gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr zu durchbrechen. Mittlerweile zählen die Grünen zu den konsequenten Befürwortern des deutschen Militarismus. Sie fordern den Aufbau einer Berufsarmee und unterstützen den Krieg in Afghanistan.

Auch auf sozialem Gebiet befinden sich die Grünen am rechten Rand des bürgerlichen Parteienspektrums. Gemeinsam mit der SPD haben sie die umfangreichsten Sozialkürzungen seit Bestehen der Bundesrepublik durchgesetzt. Während Schröders Agenda 2010 in der SPD zu Spannungen und zur Abspaltung der Linkspartei führte, standen die Grünen geschlossen hinter ihr. Sie haben Schröder ermutigt, dem Druck von unten nicht nachzugeben und noch weit drastischere Einschnitte in den öffentlichen Haushalten gefordert.

Mittlerweile sind die Grünen auch zur Regierungszusammenarbeit mit der CDU bereit. In Hamburg und im Saarland regieren bereits die ersten schwarz-grünen Koalitionen, im Saarland unter Einschluss der wirtschaftsliberalen FDP.

Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise seit siebzig Jahren muss gerade auch die jüngere Generation die Lehren aus der ununterbrochenen Rechtsentwicklung der Grünen ziehen. Die Übel der kapitalistischen Gesellschaft können nicht mit "grünen" Rezepten überwunden werden, die sich auf Korrekturen an oberflächlichen Symptomen beschränken. Der anwachsende Militarismus, soziale Angriffe und Demokratieabbau können nur von einer Partei zurückgewiesen werden, die sich auf den Klassenkampf stützt, die Arbeiterklasse international vereint und für ein sozialistisches Programm zur Abschaffung des Kapitalismus mobilisiert.

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