„Berliner Korrespondenzen“: Humboldt-Universität im Dienste des Militarismus

„Bleiben die Universitäten Zentren der Wissenschaft und der freien Auseinandersetzung? Oder werden sie wieder, wie schon früher in der deutschen Geschichte, zu staatlich gelenkten Kaderschmieden für rechte und militaristische Ideologien?“, heißt es im Vorwort des Buchs „Wissenschaft oder Kriegspropaganda“, das sich mit der Rolle der Berliner Humboldt-Universität (HU) bei der Wiederkehr des deutschen Militarismus beschäftigt.

Die Veranstaltungsreihe „Berliner Korrespondenzen“, die gegenwärtig im Berliner Gorki-Theater läuft, unterstreicht, wie berechtigt diese Frage ist und wie weit die Verwandlung der HU in einen Thinktank des deutschen Imperialismus bereits fortgeschritten ist.

Die „Berliner Korrespondenzen“ basieren auf einer direkten Kooperation zwischen dem deutschen Außenministerium und der Humboldt-Universität und verfolgen das Ziel, die außenpolitische Wende umzusetzen, die von Bundespräsident Gauck und der Bundesregierung Anfang 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet worden war.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der damals gefordert hatte, Deutschland müsse sich künftig „früher, entschiedener und substantieller“ in der Weltpolitik einbringen, bezeichnete die Veranstaltungsreihe in seiner Eröffnungsrede am 22. Mai als ein „Wagnis der Zusammenarbeit zwischen drei sehr unterschiedlichen Partnern, dem Gorki-Theater, der Humboldt-Universität und dem Auswärtigen Amt“, und auch als „ein Wagnis für uns in der Außenpolitik“.

Steinmeier ließ keinen Zweifel daran, was er unter einem „außenpolitischen Wagnis“ versteht: Die Ausarbeitung einer deutschen Strategie im Wettlauf der Großmächte um die Neuaufteilung der Welt. Er stellte fest: „Die Krisen und Konflikte überschlagen sich heute geradezu, und das ist kein Zufall. Sondern da entlädt sich das Ringen um Vorherrschaft, das Kräftemessen zwischen alten und neuen Mächten, zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, mit einer Vielzahl von Interessen, Ambitionen, Ideologien.“

Von Deutschland sei zwar „im 20. Jahrhundert die Zerstörung einer ganzen Ordnung ausgegangen“, und trotzdem sei es diesem Land „vergönnt gewesen, in den vergangenen 70 Jahren […] ein wichtiger Knotenpunkt zu werden im Netz der internationalen Beziehungen,“ führte Steinmeier weiter aus.

Dann stellte er die Frage: „Aber was heißt das für unser Engagement in der Welt?“ Und antwortete: „Ich glaube: Gerade weil wir heute so sehr von unserer Einbindung in die internationale Ordnung profitieren, müssen wir umso mehr tun für den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser Ordnung – gerade jetzt, wo die Welt aus den Fugen geraten scheint.“

Auf der zweiten Veranstaltung der Reihe am vergangenen Sonntag übernahm dann Humboldt-Professor Herfried Münkler die Aufgabe, die Ausführungen des Außenministers „wissenschaftlich“ zu begründen.

Der Politikwissenschaftler sprach dabei ganz offen über seine Rolle als Stichwortgeber für den deutschen Militarismus. Es sei „eine wirkliche Herausforderung“ gewesen, „als vor einigen Monaten der damalige HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz an einige von uns mit der Bitte herantrat, wir sollten uns Gedanken über ‘Ordnung’ machen und dabei den Begriff für die jüngsten politischen Herausforderungen einer, wie die Formel aus dem Außenministerium lautete, aus den Fugen geratenen Welt fruchtbar machen.“

Etwas später versicherte Münkler, es sei nicht seine Perspektive, „Weltordnungstheorien“ als „reiner Theoretiker“ zu entwerfen und sich von den politisch Handelnden „strikt fern“ zu halten. „Der Werdersche Markt in Berlin“ – der Sitz des Außenministeriums – sei „ein Kilometer von der Humboldt-Universität entfernt“, und er „versuche gewissermaßen, diesen Weg kurz und schnell zu machen und hin- und herzuwechseln“.

Münklers Arbeit ist seit langem eng mit der deutschen Außenpolitik verzahnt. Im Jahr 2014 veröffentlichte er mit finanzieller Unterstützung der Volkswagen- und Thyssen-Stiftung seinen Wälzer „Der Große Krieg“, in dessen Zentrum Attacken auf den renommierten Historiker Fritz Fischer und die Relativierung der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg stehen. Sein 2015 erschienener Essay „Macht in der Mitte“ tritt dafür ein, dass Deutschland die Rolle des Hegemons in Europa übernimmt und sich vom ‘Zahlmeister’ zum ‘Zuchtmeister’ aufschwingt. Es wurde vor allem im Zuge des deutschen Spardiktats gegen Griechenland zitiert.

Mit seinem jüngsten Werk „Kriegssplitter“ verfolgt Münkler das erklärte Ziel, eine „echte geopolitische Strategie“ für den deutschen Imperialismus im 21. Jahrhundert zu entwerfen, „um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen“. Sein Vortrag im Gorki-Theater zum Thema „Ordnung – ein politisch umkämpfter Begriff“ diente diesem Vorhaben. Und wie gewohnt nahm der Herr Professor trotz den aufgeblasenen Bezügen und falschen Verweisen auf Kant, Hegel und sogar Marx (!) kein Blatt vor den Mund.

Unter Bedingungen zunehmender geopolitischer „Unordnung“ – als Hauptursache identifizierte er den „Rückzug der USA als Weltpolizisten“, Staatszerfall und die Ausbreitung des Terrorismus – plädierte Münkler dafür, „den aus der Mode gekommenen Begriff der Ordnung zu rehabilitieren“. Deutschland müsse bereit sein, die Rolle einer Ordnungsmacht anzunehmen, die Ordnung nicht nur „konsumiert“, sondern auch „produziert“ und notfalls mit politischen und militärischen Mitteln durchsetzt.

Gegenwärtig gehe es dabei vor allem um die Stabilisierung der europäischen Peripherie. „Deutschland muss mehr, wie die politische Formel lautet, ‘Verantwortung’, vielleicht nicht in der Welt aber in der europäischen Peripherie, übernehmen“, so Münkler. An anderer Stelle sagte er: „Die zentrale Herausforderung der Europäer [ist] die Stabilisierung der gegenüberliegenden Mittelmeerküste und die Neuordnung des Nahen Ostens.“

Am Ende seines Vortrags schärfte Münkler seiner überschaubaren Zuhörerschaft ein: „Wir müssen uns entscheiden, ob und wie wir die bestehende Ordnung gegen den Einbruch von Unordnung verteidigen wollen oder ob wir uns zutrauen, eine praktikable und auch durchsetzbare neue Ordnung zu schaffen, von der viele so gerne reden. Das aber hängt von unserem Selbstvertrauen ab und der Kraft, die wir in uns verspüren.“

Die Frage, „die Olbertz ans uns gerichtet hat“, sei „nicht nur die richtige Frage, sondern auch eine bedrängende Frage“. Es gehe um nichts weniger als „um die Entscheidung zwischen der Verteidigung der alten Ordnung oder der Schaffung einer grundlegend neuen Ordnung und dem, was wir uns in einer alten, müde gewordenen, in meiner Sprache postheroischen Gesellschaft zutrauen. Je länger wir diese Antwort hinauszögern, desto größer wird die Unordnung.“

Auch die theoretischen Einflüsse, auf denen seine Großmachtphantasien beruhen, nannte der Humboldt-Professor. So verwies er auf die Vorstellungen des deutschen Geographen Ernst Kapp (1808 – 1896). Kapp selbst war ein überzeugter Liberaler, aber seine historische Lehre der „Reichsbildungen“ und seine Konzeption von „Raum und Zeit“ beeinflusste bereits die ihm nachfolgende Generation reaktionärer, imperialistischer Geostrategen.

In Kapps biographischem Eintrag auf Wikipedia heißt es, seine Überlegungen seien später von Friedrich Ratzel weiter ausgearbeitet worden und in ähnlicher Form in Carl Schmitts geopolitischen Überlegungen zu finden.

Ratzel (1844 – 1904) gilt als Wegbereiter der deutschen Geopolitik. Er prägte als Mitglied des antisemitisch und militaristisch ausgerichteten Alldeutschen Verbands bereits im Jahr 1901 den berüchtigten Begriff des „Lebensraums“.

Schmitt war nicht nur der Kronjurist des Dritten Reichs, sondern auch ein einflussreicher nationalsozialistischer Geopolitiker. Es spricht Bände, dass letzterer zu Münklers Haupteinflüssen zählt. In der Literaturliste von Kriegssplitter sind gleich vier seiner Werke gelistet, darunter das berüchtigte „Land und Meer“. Auch wenn es möglicherweise nicht allen Zuhörern im Gorki klar gewesen sein mag: die von der HU und dem Außenministerium bestellten Ausführungen Münklers standen in dieser Tradition.

Loading