Thüringen: Die Wahl Ramelows und das All-Parteien-Komplott

Einen Monat, nachdem der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der rechtsextremen AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, ist sein Vorgänger, der Linken-Politiker Bodo Ramelow, wieder im Amt.

Ramelow wurde am Mittwoch vom thüringischen Landtag im dritten Wahlgang, bei dem eine einfache Mehrheit genügt, mit den Stimmen der Linken, der SPD und der Grünen zum Ministerpräsidenten gewählt. Die AfD-Abgeordneten stimmten gegen ihn, die CDU enthielt sich und die FDP boykottierte die Wahl.

Ramelow bei einer Rede als Ministerpräsident im Erfurter Landtag (AP-Foto/Jens Meyer)

Die neue Regierung ist faktisch eine Allparteienregierung, in der die AfD den Ton angibt. Die Regierungsparteien Die Linke, SPD und Grüne haben zwar am Morgen vor der Wahl in einem „Stabilitätspakt“ mit der CDU vereinbart, dass sie bei strittigen Abstimmungen nicht mit der AfD zusammenarbeiten, sondern in gemeinsamen Gesprächen eine Lösung zu finden.

Doch derselbe „Stabilitätspakt“ räumt der CDU praktisch ein Vetorecht über die Regierungspolitik ein. „Wir sind drei Parteien, die wir zusammen diese Regierung bilden. Wir sind aber vier Parteien mit der CDU, die sich gemeinsam aufmachen, Stabilität für dieses Land auf den Weg zu bringen und abzusichern“, erläuterte Ramelow.

Es handelt sich um dieselbe CDU, die noch vor vier Wochen mit der Höcke-AfD paktiert hat. Die Befürworter einer offenen Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen sind in ihr derart stark, dass es die Partei in den letzten vier Wochen beinahe zerrissen hätte.

In der Praxis bedeutet der „Stabilitätspakt“ deshalb, dass die rot-rot-grüne Minderheitsregierung nichts beschließen oder tun kann, das von der CDU abgelehnt wird. Und die CDU wird alles ablehnen, was auf den Widerspruch der AfD stößt, weil sonst die Konflikte in den eigenen Reihen wieder aufbrechen.

Als einzige Oppositionspartei im thüringischen Landtag ist die AfD so in der Lage, die Regierungspolitik zu diktieren. Und das nicht aufgrund widriger Umstände, sondern weil Ramelow und seine Koalitionspartner es so wollen!

Die Wahl von Kemmerich mit den Stimmen der AfD hatte im Februar einen bundesweiten Proteststurm ausgelöst, mit dem die CDU, die FDP – und auch Ramelow – nicht gerechnet hatten. Die Wut und Empörung steigerten sich noch, als ein Neonazi in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete.

Ramelow hat seither alles getan, um diese Empörung zu dämpfen und der CDU aus der Krise zu helfen, die ihre Zusammenarbeit mit der AfD bei der Ministerpräsidentenwahl ausgelöst hatte. Hätte er auf sofortige Neuwahlen gepocht, wäre Die Linke Umfragen zufolge auf 40 Prozent gekommen und die CDU kollabiert. Doch das wollte Ramelow auf keinen Fall.

Unter keinen Umständen wollte er an der Spitze einer wachsenden Radikalisierung gegen rechts Neuwahlen durchführen und für eine Regierungsmehrheit kämpfen. In der Tradition rechter Sozialdemoraten wie Ebert und Noske appellierte er an die staatspolitische Verantwortung der CDU. Er twitterte, die Verantwortung für den Staat müsse für jeden Politiker, egal welcher Partei, an erster Stelle stehen. „Erst das Land, dann die Partei und erst dann die Person.“

Ramelow bot der CDU sogar an, dass sie in Person der ehemaligen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht selbst die Führung einer Übergangsregierung übernimmt, die von der Linken, der SPD und den Grünen unterstützt wird. Als dieser Plan vom Konrad-Adenauer-Haus in Berlin boykottiert wurde und Lieberknecht ihre Bereitschaft zurückzog, schlug Ramelow einen neuen Plan vor.

Nun sollte die CDU mit mindestens vier Stimmen seine Widerwahl zum Ministerpräsidenten im ersten Wahlgang garantieren, und er würde als Gegenleistung der CDU ein Vetorecht einräumen und im Frühjahr 2021 – nachdem sich die CDU etwas erholt hat – Neuwahlen durchführen.

Doch selbst dieses Angebot scheiterte an der strikten Weigerung der CDU, ihren Grundsatzbeschluss zu lockern, der jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausschließt. De facto bedeutet dieser Beschluss, dass die CDU der Höcke-AfD genau so nahe steht, wie der völlig verbürgerlichten Ramelow-Linken. Um der CDU eine weitere Zerreißprobe zu ersparen, rückte Ramelow schließlich auch von dieser Bedingung ab und bot der CDU ein Vetorecht ohne Gegenleistung an.

Ramelow selbst begründete sein Verhalten mit seiner Sorge um die demokratischen Institutionen. Doch das ist schlichtweg gelogen. In Wirklichkeit stimmen Die Linke und ihre sozialdemokratischen und grünen Koalitionspartner in allen wesentlichen politischen Fragen mit der CDU, der FDP und der AfD überein.

Ramelows rot-rot-grüne Koalition hatte ihre Mehrheit am 27. Oktober 2019 verloren, weil sich ihre Politik nicht von derjenigen CDU- oder SPD-geführter Landesregierungen unterschied. Sie verfolgte ein drastisches Sparprogramm, schob rücksichtslos Flüchtlinge ab und rüstete den Staatsapparat auf. Auch den Verfassungsschutz, der in Thüringen eng mit der Neonazi-Szene vernetzt ist, schaffte sie entgegen ihrer Wahlversprechen nicht ab.

Im Mittelpunkt des „Stabilitätspakts“, auf den sich Rot-rot-grün und CDU geeinigt haben, steht die Fortsetzung dieser Politik: die Verabschiedung eines weiteren Sparhaushalts und die Aufstockung der Polizei. Er wurde diktiert vom Bemühen, angesichts wachsender sozialer Spannungen die Autorität des Staatsapparats zu stärken.

Nach seiner Vereidigung als erneuter Ministerpräsident dankte Ramelow überschwänglich der CDU und betonte, seine Hauptaufgabe werde darin bestehen die staatspolitische Ordnung „in diesem schönen und erfolgreichen Bundesland“ aufrecht zu erhalten. Es dürfe nie wieder vorkommen, dass mit „wichtigen Staatsämtern und Staatsorganen“ derart Schindluder getrieben werde, wie Anfang vergangenen Monats.

Die AfD wird gezielt benutzt und gestärkt, um diese Politik, die sich direkt gegen die Arbeiterklasse richtet, voranzutreiben. In seiner Landtagsrede nach der Wiederwahl machte Ramelow deutlich, dass auch er bereit ist, mit der AfD zusammenzuarbeiten.

Ramelow und Höcke (AP Photo/Jens Meyer)

Nach der Wahl hatte er sich geweigert, AfD-Fraktionschef Björn Höcke die Hand zu geben, als dieser ihm gratulieren wollte. Der Grund waren nicht Höckes rassistische und faschistische Äußerungen oder seine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen, sondern seine Schwächung von Staatsämtern und Staatsorganen.

Wörtlich sagte Ramelow: „Wenn ich deutlich vernehmen kann, dass die Demokratie im Vordergrund steht, dann bin ich bereit, auch Ihnen, Herr Höcke, die Hand zu geben. Aber erst dann, wenn Sie die Demokratie verteidigen und nicht die Demokratie mit Füßen treten und niemand mehr hier im Hohen Haus eigentlich weiß, wie Sie abstimmen, warum Sie überhaupt abstimmen, oder, ob Sie wieder Fallen bauen den Demokraten anderer Fraktionen.“

Ramelows Politik und sein Bündnis mit der CDU stärken die rechtsextreme AfD. Das All-Parteien-Bündnis von Erfurt richtet sich direkt gegen die Arbeiterklasse. Es zielt darauf ab, den breiten Widerstand gegen die AfD und die Wiederkehr von Faschismus zu desorientieren, zu demoralisieren und zu ersticken.

Die Ereignisse in Thüringen bestätigen die Einschätzung der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), dass die Linkspartei keine Alternative zum Aufstieg der Rechten, sondern ein wichtiges Element einer All-Parteien-Verschwörung ist.

Der Kampf gegen Faschismus und den Aufstieg der AfD erfordert einen politischen Kampf gegen alle bürgerlichen und pro-kapitalistischen Parteien, die ihr direkt oder indirekt den Weg bereiten. Nur die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kann die Wiederkehr von Faschismus und Krieg verhindern.

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