Berlin: Polizeigroßeinsatz gegen linkes Wohnprojekt

Der Berliner Senat hat über 2500 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet eingesetzt, um für einen der berüchtigtsten Immobilienspekulanten der Hauptstadt ein Wohnhaus freizuräumen.

Die gewaltsame Räumung des linken Wohnprojekts „Liebig 34“ am vergangenen Freitag zeigt, dass die Senatsparteien SPD, Grüne und Linke den anderen Parteien nicht nachstehen, wenn es um die Verteidigung von Kapitalinteressen geht, auch wenn sie sich in Wahlkämpfen gerne als Interessenvertreter von Mietern und Lohnabhängigen ausgeben.

Die AfD propagiert seit Jahren die Abkehr vom „links-rot-grün versifften 68er-Deutschland“, und meint damit die Rückkehr zu Autoritarismus und Polizeistaat. Der rot-rot-grüne Berliner Senat setzt das jetzt in die Tat um.

Das Polizeiaufgebot, mit dem der Senat das „anarcha-queer-feministische Wohnprojekt“ an der Liebigstraße 34 im Bezirk Friedrichshain räumen ließ, erinnerte an Szenen aus einem Bürgerkrieg. Selbst die Grünen-nahe taz schrieb, die Polizei sei ins Feld gezogen, „als gelte es, einen bewaffneten Aufstand niederzuschlagen“.

Der taz zufolge hielt die Polizei bis zu 5000 Beamten in Bereitschaft, darunter 19 Hundertschaften aus anderen Bundesländern, um die Räumung zu gewährleisten. Sie soll sogar gedroht haben, ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando (SEK) einzusetzen.

Schließlich rückten 2500 Polizisten in schwerer Montur, begleitet von einem Räumpanzer, einem Bagger, einem Leiterwagen und einem Hubschrauber an, um die rund 40 anwesenden Bewohnerinnen des Hauses abzuführen. Diese leisteten kaum Widerstand. Auch die 1500 Demonstranten, die laut Angaben der Polizei vor Ort gegen die Räumung protestierten, blieben weitgehend friedlich.

Unmittelbar nach der Räumung führte die Polizei dann Pressevertreter durch die Privaträume der Vertriebenen, um die rechte Propaganda über Dreck und Verwahrlosung zu bedienen – als hätten die Bewohnerinnen das Haus bei der gewaltsamen Zwangsräumung besenrein hinterlassen können.

Auch eine Protestdemonstration, die Stunden später weit ab vom geräumten Haus stattfand, wurde entsprechend ausgeschlachtet. Die Hauptstadtpresse ereiferte sich über eingeschlagene Fensterscheiben und brennende Autos, für die der von Spitzeln und Provokateuren durchsetzte autonome schwarze Block verantwortlich war. Die Polizei selbst ging mit drastischer Gewalt gegen die Demonstration vor. Im Laufe des Tages nahm sie insgesamt 132 Personen fest.

Das Haus an der Liebigstraße 34 war nicht nur ein alternatives Wohnprojekt, es war auch ein Symbol gegen Gentrifizierung und Immobilienspekulation, die das Leben in der Hauptstadt für Normalverdiener, Rentner und Studierende zunehmend unerschwinglich machen. Wohnungspreise und Mieten sind in den letzten Jahren explodiert. So stiegen die Wohnungsmieten in Neukölln, einem Nachbarbezirk von Friedrichshain, in den vergangenen zehn Jahren um fast 150 Prozent.

Große Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia, die zusammen über 10 Prozent der 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen besitzen, verdienen daran Milliarden. Sie hatten in den Nuller Jahren zehntausende städtische Wohnungen zu einem Spottpreis gekauft und kassieren seither ab, ohne groß zu investieren. Der Wowereit-Senat, ein Bündnis aus SPD und Linkspartei, hatte die Wohnungen an die Konzerne verschleudert, um die Schulden der Stadt und der bankrotten Berliner Bankgesellschaft abzutragen. Finanzsenator war damals Thilo Sarrazin (SPD), der später mit seinen rassistischen Büchern der AfD den Weg bereitete.

In der Berliner Bevölkerung wächst der Widerstand gegen hohe Mieten und Immobilienkonzerne. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die durch einen Volksentscheid etwa 240.000 Wohnungen von Immobilienkonzernen vergesellschaften will, hat in kurzer Zeit 77.000 Unterschriften dafür gesammelt. Diese Initiative ist allerdings ein Betrug. Die Initiatoren kommen aus dem Umfeld der Linkspartei, die mit der Räumung von Liebig 34 erneut bewiesen hat, wo sie in der Wohnungsfrage wirklich steht.

Gegen diesen Widerstand kommen kleinere Immobilienhaie wie Gijora Padovicz ins Spiel, der Besitzer des Hauses an der Liebigstraße 34. Während die großen Konzerne die Fäden hinter den Kulissen ziehen und ihre politischen Beziehungen spielen lassen, agiert Padovicz als Bulldogge vor Ort.

Sein kompliziert verschachteltes Familienimperium, dem in Berlin mindestens 200 Immobilien gehören, fällt immer wieder durch dubiose Machenschaften auf: Wuchermieten für Flüchtlinge, unbegründete Kündigungen, Zwangsräumungen, spekulativer Leerstand usw.. Betroffene Mieter haben deshalb den Padovicz WatchBlog gegründet, der das Firmengeflecht und seine Praktiken kritisch untersucht.

Zu Padovicz‘ Spezialitäten zählt die Zerschlagung linker Wohnprojekte. Vor Liebig 34 hatten bereits solche Projekte an der Scharnweberstraße 29 und der Kreutzigerstraße 12 ein ähnliches Schicksal erlitten. Bezeichnenderweise sitzt der Landesverband der AfD, der große Mühe hatte, in Berlin einen Vermieter zu finden, in einem Bürohaus an der Kurfürstenstraße, das zum Padovicz-Firmengeflecht gehört.

Haus Liebigstraße 34 (Foto: St. Krug / CC-BY-SA 3.0)

Die Immobilie an der Liebigstraße 34 erwarb Padovicz 2007. Zu diesem Zeitpunkt war das Haus seit 27 Jahren ein alternatives Wohnprojekt. Es war, wie rund 130 weitere Häuser, im Jahr 1990 besetzt worden, als Spekulanten und ehemalige Eigentümer wie Heuschrecken über die in Auflösung befindliche DDR herfielen, um sich an lukrativen Immobilien zu bereichern. Nach kurzer Zeit wurden die Mietverhältnisse damals legalisiert.

Padovicz konnte das Haus billig kaufen, weil sich die bisherigen Besitzer zerstritten hatten und das Haus versteigert wurde. Angebote von Bewohnern des Hauses, die es selbst kaufen wollten, soll er durch Tricks ausmanövriert haben. 2008 schloss der neue Besitzer mit den Bewohnern über den Verein „Raduga“ einen zehnjährigen Gewerbemietvertrag ab, der im Gegensatz zu einem Wohnungsmietvertrag keinen Kündigungsschutz bietet. Zehn Tage, nachdem der Vertrag 2018 ausgelaufen war, kündigte Padovicz allen Bewohnerinnen des Hauses.

Dagegen erhob sich breiter Protest, der weit über die unmittelbar Betroffenen hinausging. So unterzeichneten 85 prominente Kulturschaffende einen Aufruf, in dem es heißt: Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin „sozial, politisch und kulturell um Vieles ärmer“.

Zu den Unterzeichnern zählen der Regisseur Leander Haußmann, die Intendanten von Berliner Ensemble, Berliner Festspielen und Volksbühne Oliver Reese, Thomas Oberender und René Pollesch, der künstlerischer Leiter der Schaubühne Thomas Ostermeier, die Leiterin des Berliner Staatsballetts Sasha Waltz, die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sowie die Autoren Cornelia Funke, Wladimir Kaminer, Marc-Uwe Kling, Günter Wallraff und Didier Eribon.

Ostermeier sagte der taz, dass „diese Orte der Gegenkultur die Identität Berlins als alternative Kunstmetropole ausmachen“. Margarita Tsomou vom HAU ergänzte, dass „die interessantesten und neuartigsten kulturellen Impulse von diesen Räumen ausgehen“. Ohne sie bestehe die Gefahr, „dass Berlin zu einer verödeten Kulturlandschaft wird, … weil sich die Räume nur Pseudokreative mit Geld leisten können“.

Auch Vertreter der Grünen und der Linken heuchelten Sympathie. Kultursenator Klaus Lederer sagte der taz, solche Projekte seien „fester Bestandteil dessen, was Berlin, seinen Ruf und seine Kulturszene ausmacht“. In Wirklichkeit ist Lederer als Mitglied des Senats uneingeschränkt für die martialische Zerschlagung des Projekts verantwortlich.

Auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft erhielt Liebig 34 Unterstützung. Viele Anwohner interpretieren die Zerschlagung des Projekts als großen Schritt zur weiteren Gentrifizierung des Stadtteils, die die Mieten für sie unbezahlbar machen wird.

Am Schluss erhielt Padovicz Schützenhilfe von der Justiz. Obwohl das Objekt überwiegend zum Wohnen genutzt worden war und das im Mietvertrag auch vorgesehen war, folgte das Landgericht Berlin der Argumentation des Immobilienspekulanten, dass gleichwohl das Gewerbemietrecht greife – und damit die Einwohner nicht als Menschen behandelt werden, die auf ein Obdach angewiesen sind, sondern wie eine x-beliebige Firma, die zeitweilig ein Büro oder eine Lagerhalle braucht. Am 2. Juni 2020 gab das Landgericht der Räumungsklage des Vermieters statt.

Der Berliner Senat, der angeblich kein Geld hat, um elementare Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln zu finanzieren, scheute keine Kosten, um einem zwielichtigen Spekulanten zu seinem „Recht“ zu verhelfen und 57 Frauen auf die Straße zu setzen.

Die Mobilisierung von tausenden Polizisten zur Räumung eines linken Wohnprojekts muss als ernste Warnung verstanden werden. Angesichts wachsender sozialer Spannungen und der katastrophalen Folgen der Corona-Pandemie bereitet sich die herrschende Klasse darauf vor, jeden Widerstand von unten gewaltsam zu unterdrücken. Alle in den Parlamenten vertretenen Parteien – von der AfD bis zur Linken – unterstützen diesen Kurs.

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