Neues Infektionsschutzgesetz: Regierung setzt Durchseuchungspolitik fort

Am Dienstag beschloss das Bundeskabinett ein neues Infektionsschutzgesetz. Die Novelle, die dem Bund mehr Kompetenzen in der Corona-Pandemie verschaffen soll, wird von Politik und Medien als „Notbremse“ gegen die dritte Welle der Pandemie bezeichnet. Die Pandemiebekämpfung müsse „stringenter und konsequenter“ werden, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Pressestatement. „Dazu reichen die bisherigen Bund-Länder-Beratungen nicht mehr aus.“

Tatsächlich bedeutet das Gesetz keine Abkehr von der mörderischen Profite-vor-Leben-Politik, die allein in Deutschland bereits zu fast 80.000 Toten geführt hat. Zentralisiert wird nicht etwa eine konsequente Lockdown-Politik, sondern die fortschreitende Durchseuchung der Bevölkerung. Während die Zahl der Covid-19-Patienten in Intensivbehandlung exponentiell ansteigt und noch im April auf über 6000 zu steigen droht, sollen die Haupttreiber der Pandemie – Betriebe, Schulen und Kitas – im Interesse des Profits geöffnet bleiben.

Der Gesetzentwurf, der möglichst noch in dieser Woche „im Eilverfahren“ verabschiedet werden soll, erwähnt Betriebe mit keinem Wort und sieht auch bei weiter eskalierendem Infektionsgeschehen eine umfassende „Notbetreuung“ in Kitas vor. Der Präsenzunterricht an Schulen soll indes erst eingestellt werden, wenn die Wocheninzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Marke von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschreitet. Der bisherige Grenzwert von 100 – der von den Landesregierungen weitgehend ignoriert wurde und nun flächendeckend erreicht ist – wird damit kurzerhand verdoppelt.

Die exponentielle Virusausbreitung unter Kindern, die aufgrund der oft asymptomatisch verlaufenden Erkrankungen überwiegend unerkannt stattfindet und von den Gesundheitsämtern zum Großteil nicht erfasst wird, wird sich also weiter verschärfen. Obwohl das Durchschnittsalter der Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung kontinuierlich sinkt, benötigt nach wie vor jeder Zweite eine künstliche Beatmung. Auch die Zahl der Todesfälle steigt seit einer Woche wieder exponentiell und lag am Dienstag bei fast 300.

Die mörderische Entscheidung, den Inzidenzgrenzwert für Schulen zu verdoppeln, wird damit gerechtfertigt, dass Schülerinnen und Schüler zweimal pro Woche einen Corona-Schnelltest durchführen sollen. Die zentrale Rolle bei der Entwicklung dieses Kalküls spielte offenbar SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der am Freitag twitterte, Schulen könnten „bis zu einer Inzidenz von 200 offenbleiben“, wenn „man dazu zwei Mal pro Woche testen würde“.

In Wirklichkeit betonen Lehrer und Eltern, dass die Testungen in ihrer derzeitigen Form als „Alibi für Öffnungen“ dienen und unter den völlig unsicheren Bedingungen an den Schulen selbst zu einer Hochrisikosituation zu werden drohen (siehe Foto). Modellberechnungen von Forschern der Technischen Universität Berlin haben überdies ergeben, dass die Wocheninzidenz im Mai selbst dann noch auf 1200 ansteigen würde, wenn an allen Schulen und Kitas wöchentlich drei Tests unter Lehrbuch-Bedingungen stattfinden würden. Ein solches Szenario würde Zehntausende Tote pro Woche bedeuten.

Schnelltest einer sechsten Klasse in Mainz, in Anwesenheit von Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Bildungsministerin Stefanie Hubig (beide SPD): Die Schüler müssen für den Test gleichzeitig die Maske vom Gesicht nehmen und laut bis zwölf zählen (Screenshot Twitter, Landesregierung Rheinland-Pfalz)

Selbst bei einer etwaigen Beendigung des Präsenzunterrichts hält der Gesetzentwurf „Ausnahmen“ für „Abschlussklassen“ sowie die Möglichkeit der sogenannten „Notbetreuung“ in Schulen bereit, damit Arbeitshetze und Prüfungsstress aufrechterhalten werden können. Dazu sollen Unternehmen durch eine Änderung der Arbeitsschutzverordnung „zu Testangeboten verpflichtet“ werden, die allerdings frühestens in einer Woche in Kraft treten wird und keinerlei Nachweiserbringung verlangt.

Die Erhöhung der Kinderkrankentage pro Elternteil von derzeit 20 auf 30 Tage, die gleichzeitig mit der Gesetzesnovelle beschlossen wurde, wirft unterdessen ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass Eltern nach wie vor gezwungen werden, für Quarantäneanweisungen und Covid-Erkrankungen ihre privaten Krankheits- und Urlaubstage aufzubrauchen – selbst wenn sie sich nachweislich am Arbeitsplatz infiziert haben. Im Kabinettsbeschluss heißt es dazu, die Kinderkrankentage sollen Eltern „zur Betreuung der Kinder auch bei Schul- und Kitaschließungen in Anspruch nehmen“ – unter Verzicht auf 30 Prozent des Bruttolohns.

Neben der beschleunigten Durchseuchung der Kinder und der verschärften Ausbeutung der Eltern sieht das neue Infektionsschutzgesetz auch weitere private Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren in Landkreisen vor, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine Wocheninzidenz über 100 aufweisen. Laut Gesetzentwurf ist in diesem Fall zwischen 21 und 5 Uhr „der Aufenhalt außerhalb einer Wohnung untersagt“ – eine Formulierung, die gerade wohnungslose Menschen polizeilicher Schikane aussetzen dürfte.

Während allgemeine Ausgangsbeschränkungen je nach Pandemielage durchaus Teil eines rationalen Gesundheitsplans sein können, dient die „Maßnahme“ in ihrer jetzigen Form vor allem dazu, von der kriminellen Untätigkeit der Regierung abzulenken, die Polizeipräsenz nach Feierabend zu verstärken und Wasser auf die Mühlen rechtsradikaler Kräfte zu lenken, die eine Bekämpfung der Pandemie vollständig ablehnen. Zugleich könnte die Regelung gerade im Falle von Arbeitersiedlungen, Mehrfamilienhäusern, sowie Studenten- und Flüchtlingswohnheimen eine kontraproduktive Wirkung entfalten. All diese Umgebungen haben sich im Verlauf der Pandemie immer wieder als Hotspots für sogenannte Superspreading-Ereignisse herausgestellt.

Diese Tatsache wurde am vergangenen Sonntag von führenden Wissenschaftlern explizit festgestellt. So warnt ein von der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) verfasster offener Brief an die Bundesregierung eindringlich, dass Corona-Übertragungen „im Freien äußerst selten“ seien und vielmehr „DRINNEN die Gefahr lauert“. Aufgrund der „von der Politik getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung“, darunter „auch die aktuell diskutierten Ausgangssperren“ hätten „viele Bürgerinnen und Bürger… falsche Vorstellungen über das mit dem Virus verbundene Ansteckungspotential“.

Die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes folgt schließlich auf eine fast acht Wochen umfassende Periode krimineller Untätigkeit der Regierung, die in den letzten Wochen immer aggressivere Züge angenommen hatte. Während die Zahl der auf die Intensivstationen eingelieferten Covid-19-Patienten ab Anfang März begann, exponentiell anzusteigen, haben Bund und Länder den notwendigen Lockdown verweigert, die Hilferufe leitender Intensivmediziner und den Protest führender Virologen rundheraus ignoriert und stattdessen Schulen sowie Einzelhandel systematisch geöffnet.

Am 24. März beseitigte Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich die sogenannte „Osterruhe“, auf die sich das Bund-Länder-Treffen am Tag zuvor geeinigt hatte, bat Wirtschaftsbosse und Handelsverbände um „Verzeihung“ und verschwand anschließend für zwei Wochen nahezu vollständig von der politischen Bildfläche. Zuletzt wurde auch das für Montag angesetzte Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten wenige Tage vorher abgesagt.

Mittlerweile warnt die intensivmedizinische Ärztevereinigung DIVI davor, dass die Zahl der Corona-Intensivpatienten bei unveränderter Entwicklung noch im April auf 7000 anzusteigen droht. Diese Zahl liegt um 23 Prozent über dem bisherigen Höhepunkt zum Jahreswechsel, als die Intensivstationen mit 5700 Patienten vor dem flächendeckenden Kollaps gestanden hatten und es an vielen Tagen mehr als 1000 Coronatote gab. „Liebe Entscheidungsträger, wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen, bevor ihr reagieren wollt?“, twitterte der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, bereits am vergangenen Mittwoch.

Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) rief angesichts der drohenden Überwältigung der Krankenhäuser Medien und Politik am Freitag dazu auf, „jetzt nicht dumm rumzureden oder zu diskutieren“, sondern augenblicklich zu handeln. Ohne eine massive Reduktion der Mobilität „werden viele Menschen ihr Leben verlieren“, stellte er fest: „An jedem Tag, an dem wir später handeln, verlieren wir Menschen.“

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