„Der Mauretanier“: 14 Jahre in Guantánamo. Die schreckliche Realität des amerikanischen „Kriegs gegen den Terror“

Regie: Kevin Macdonald; Drehbuch: M.B. Traven, Rory Haines und Sohrab Noshirvani; nach dem „Guantanamo-Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi

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Der Mauretanier
, unter der Regie von Kevin Macdonald gedreht, basiert auf den Erinnerungen von Mohamedou Ould Slahi, „Guantánamo Diary“ [dt. als „Das Guantanamo-Tagebuch“ im Jahr2018 erschienen]. Mohamedou wurde 14 Jahre lang ohne Anklage im US-amerikanischen Militärinternierungslager Guantánamo Bay auf Kuba gefangen gehalten.

Der Film, zu dem M.B. Traven, Rory Haines und Sohrab Noshirvani das Drehbuch verfassten, enthüllt auf beeindruckende Weise die Realität des amerikanischen „Kriegs gegen den Terror“. Er legt die systematische Kriminalität, einschließlich des Einsatzes illegaler Entführungen, Folter und Mord, der Regierungen von Bush und Obama, des US-Militärs, der CIA und weiterer Geheimdienste offen.

Vermittelt durch Slahis persönlichen Albtraum, seinen eineinhalb Jahrzehnten endloser Qual, beginnt man den „vulkanischen Ausbruch“ des US-Imperialismus, mit dem die Menschheit konfrontiert ist, tiefer und eindringlicher zu verstehen.

Tahar Rahim in Der Mauretanier

Die Ereignisse, die der Film aufzeichnet, wurden unmittelbar durch den Terrorangriff vom 11. September 2001 in Gang gesetzt. Heute ist es wohl klarer als vor zwanzig Jahren, dass die Bush-Regierung die Empörung, die 9/11 ausgelöst hatte, dazu nutzte, seit langem vorbereitete, langwährende Invasionen in Zentralasien und im Nahen Osten umzusetzen.

Die Ereignisse vom September 2001 dienten auch als Anlass für einen Frontalangriff auf demokratische Rechte in den Vereinigten Staaten selbst. Dazu zählen die Verabschiedung des Patriot Act im Jahr 2001, die Zunahme unkontrollierter Bespitzelung, „außerordentliche Überführungen“, d.h. illegale Entführungen, unbegrenzte Inhaftierung, Folter und Militärgerichte in Zusammenhang mit Guantánamo und Geheimgefängnissen der CIA, sowie die Militarisierung der Polizei und die Verfolgung von Muslimen und Immigranten.

Mohamedou Ould Slahi, ein unschuldiger junger Mann, wurde auf tragische Weise in diesen globalen Strudel hineingerissen.

Auf der Grundlage der gemeinsamen Kongressresolution zum 18. September 2001 autorisierte US-Präsident George W. Bush Gewaltanwendung gegen diejenigen, welche die Angriffe von 9/11 geplant und ausgeführt hatten. „Die US-Regierung“, schreibt Slahi in „Guantánamo Diary“, „begann eine geheime Operation mit dem Ziel, Terrorverdächtige zu entführen, zu inhaftieren und zu foltern, oder zu töten. Eine Operation, die keine legale Grundlage hatte. Ich war das Opfer einer solchen Operation, obwohl ich nichts dergleichen getan hatte und niemals in solche Verbrechen verwickelt war.“

Jodie Foster in Der Mauretanier

Slahi wurde 1970 im nordwestafrikanischen Mauretanien geboren. Im Jahr 1988 kam er dank eines Hochbegabtenstipendiums nach Deutschland, wo er in Duisburg Elektrotechnik studierte. Im Jahr 1991 reiste er von Deutschland nach Afghanistan, wo er sich der Mudschaheddin-Bewegung anschloss und Al-Qaida einen Treueschwur ablegte. In dieser Zeit wurden die Mudschaheddin noch von den USA und der CIA gefördert. Nach dem Fall der von der Sowjetunion unterstützten afghanischen Zentralregierung kehrte Slahi nach Deutschland zurück und erklärte, dass er keine Verbindungen zur Al-Qaida mehr habe. Später verbrachte er einige Zeit im kanadischen Montreal, wo er als Elektroingenieur arbeitete.

Slahi wurde nacheinander von Behörden verschiedener Staaten – Kanada, Mauretanien, USA und Senegal – festgenommen und verhört, doch jedes Mal ließ man ihn aufgrund fehlender Beweise wieder frei. Im November 2001 schließlich forderte man ihn auf, sich freiwillig bei einer Polizeistation im mauretanischen Nouakchott zu melden, was er auch tat.

An dieser Stelle beginnt der Film, wie ein Untertitel erläutert, „zwei Monate nach 9/11“. Mohamedou (Tahar Rahim) wird von mauretanischen Beamten abgeholt, weil „die Amerikaner mit Ihnen sprechen wollen“. Er löscht schnell die Kontakte in seinem Handy und verabschiedet sich von seiner Mutter, die nach ihren muslimischen Gebetsperlen greift. Er wird sie nie wiedersehen.

Slahi schreibt in seinem Buch: „Was meine Verhaftung angeht, so war dies eine Art politischer Drogendeal: Das FBI bat den US-Präsidenten einzugreifen und mich verhaften zu lassen; George W. Bush seinerseits bat den scheidenden mauretanischen Präsidenten um einen Gefallen; als der mauretanische Präsident die Anfrage seines US-Kollegen erhalten hatte, wies er die Polizeikräfte an, mich zu verhaften.“ Was Slahi in den ersten Jahren seiner Haft zugestoßen ist, erfahren wir erst später.

Der Mauretanier

Im Jahr 2005 in Albuquerque (Bundesstaat New Mexico) wird Strafverteidigerin Nancy Hollander (Jodie Foster) gebeten, sich Mohamedous Situation anzuschauen. Er wird beschuldigt, einer der Ideengeber Al-Qaidas für 9/11 gewesen zu sein und angeblich einen Anruf von Osama bin Ladens Handy entgegengenommen zu haben. Seit mehreren Jahren in Haft, ist er noch immer nicht angeklagt worden.

Hollander erklärt ihrer Anwaltskanzlei: „Ich verteidige den Habeas Corpus Act (Recht auf unverzügliche Haftprüfung), welchen Bush und [Verteidigungsminister Donald] Rumsfeld gerade fröhlich auseinandernehmen … Die US-Regierung hält über 700 Gefangene in Guantánamo fest. Wir wissen nicht, wer sie sind, wessen sie angeklagt werden, und wann oder ob sie jemals einem Richter vorgeführt werden.“ Sie sichert sich Unterstützung durch die Junganwältin Teri Duncan (Shailene Woodley), und die beiden fliegen nach Kuba, um Mohamedou zu treffen.

Gleichzeitig wird Oberst Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), dessen enger Freund in den Angriffen von 9/11 starb, gebeten, die Anklage zu vertreten und sicherzustellen, dass Slahi die Todesstrafe erhält.

Als Nancy und Teri Mohamedou begegnen, erklärt er ihnen: „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Und deshalb haben sie mich von zu Hause entführt, mich erst fünf Monate lang in Jordanien, dann auf einem Militärstützpunkt in Afghanistan gefangen gehalten – was, nebenbei gesagt, so ist, als würde man in einer Toilette leben. Und dann brachten sie mich hierher, in Ketten und mit einem Sack über dem Kopf … Sie denken, sie können dies mit mir machen, weil ich Araber bin und mein Land schwach ist – und weil ich dumm sei.“

Der Mauretanier (Regie Kevin Macdonald)

„Das ist, als ob er auf einer verkorksten Weltreise wäre“, kommentiert Teri. Als die Rechtsanwältinnen Klage gegen die US-Regierung, Rumsfeld und Bush einreichen, erhalten sie 20.000 Seiten geschwärzte Akten. In einer Auseinandersetzung mit einem Journalisten des Wall Street Journal, der unterstellt, sie sei eine „Terroristen-Anwältin“, antwortet Nancy: „Wenn ich jemanden verteidige, der wegen Vergewaltigung angeklagt ist, denkt niemand, ich sei eine Vergewaltigerin … Doch wenn es jemand ist, dem Terrorismus vorgeworfen wird – nun, dann ist es für Leute wie Sie etwas anderes.“

In einer ergreifenden Szene rezitiert ein sichtlich bewegter Mohamedou in seiner Zelle ein muslimisches Gebet. Weitere Stimmen, aus einem entfernten düsteren, dunklen Korridor schließen sich ihm an.

Hollander, sonst knallhart und gelassen, verliert ihre Geduld mit Mohamedou, als er ihre Entschlossenheit in Frage stellt: „Die Direktoren von acht verschiedenen Justizvollzugsanstalten schicken mir Weihnachtskarten, klar? … Ich habe drei Ehen in den Sand gesetzt und dabei drei Mal den kürzeren gezogen. Ich war meinem einzigen Sohn eine schlechte Mutter … weil ich hier bin. Immer bin ich hier. Das hier ist mein Leben. Also stellen Sie mein Engagement für Ihren Fall nicht in Frage.“

Der Mauretanier enthält erschütternde Folter-Szenen – Folter, die der US-Militärgeheimdienst Mohamedou in den Jahren 2003 und 2004 in Guantánamo zufügte. Es sind Verbrechen, wegen derer jeder einzelne Beteiligte und diejenigen, die sie autorisiert haben, angeklagt und ins Gefängnis gesteckt werden sollten.

Mohamedous amerikanische Geiselnehmer folgen einem von Rumsfeld persönlich genehmigten „speziellen Verhörplan“, und sie gehen mit extremer Brutalität vor. Zu ihren Methoden gehören Dauerisolationshaft, Scheinexekutionen, Schlafentzug, unerträgliche Stresspositionen, kombiniert mit verschiedenen physischen, psychologischen und sexuellen Demütigungen. Seine Folterer drohen, seine Mutter zu vergewaltigen, stecken ihn in einen Kühlschrank und übergießen ihn mit kaltem Wasser. Sie beschallen seine Ohren mit Rockmusik, drohen ihn zu töten und schlagen ihn immer wieder.

„Demütigung, sexuelle Belästigung, Angst und Hunger waren bis etwa 22 Uhr an der Tagesordnung. Die Vernehmer sorgten dafür, dass ich keine Ahnung von der Uhrzeit hatte, doch niemand ist perfekt; ihre Uhren zeigten sie immer an. Diesen Fehler konnte ich später ausnutzen, als man mich in Dunkelisolation steckte.“ („Guantánamo Diary“)

In Macdonalds Film erhalten Hollander und Staatsanwalt Couch schließlich die Gelegenheit, die Beschreibungen und Mitschriften von Slahis brutalen Peinigungen zu lesen. Als ein Militärbeauftragter argumentiert, dass Mohamedou verschiedene Geständnisse unterzeichnet habe, antwortet Couch: „Er verbrachte siebzig Tage in Spezialprojekten und wurde gefoltert. Nichts, was er gesagt hat, ist zu verwenden ...“

Seine Folterer, sagt Couch weiter, „drohten damit, Slahis Mutter nach Gitmo zu bringen und von den anderen Gefangenen vergewaltigen zu lassen. Und dies alles ist dokumentiert, es gehört zum System, bestätigt durch das OSD. [OSD = Büro des Verteidigungsministeriums] Rumsfelds Unterschrift steht auf dem Deckblatt. Der ganze Brunnen ist vergiftet ... Was hier getan wurde, ist unter jeder Kritik.“

Couch erklärt unumwunden: „Ich werde das nicht tun. Es ist gegen die Verfassung. Es ist gegen meine christliche Überzeugung. Ich mache es nicht.“ Er wird als „Verräter“ bezeichnet und legt den Fall nieder.

Später, als Nancy Couch begegnet, bemerkt sie: „Ich glaube, ich weiß jetzt, warum man das Lager dort unten errichtet hat. Wir lagen beide falsch. Es sind nicht die Häftlinge, die sie aus den Gerichten fernhalten wollen, es sind die Gefängniswärter. Mein Mandant ist kein Verdächtiger, er ist ein Zeuge.“

Schließlich kommt der Tag, an dem Mohamedou vor Gericht steht.

Am 16. Oktober 2016, 5.445 Tage nachdem er freiwillig zu einer Befragung durch die mauretanische Polizei gefahren und gewaltsam entführt worden war, entließ man Mohamedou aus Guantánamo, und er wurde nach Nouakchott in Mauritanien geflogen.

Wie es im Nachspann des Films heißt, hatte Slahi am 22. März 2010 seinen Fall gewonnen. Dessen ungeachtet legte die Obama-Regierung Berufung ein, und Slahi kam für weitere sieben Jahre in Haft. Mohamedous Mutter starb im Jahr 2013, ohne ihren Sohn je wiedergesehen zu haben. Zu Nancy Hollanders Mandanten gehören ein weiterer Inhaftierter, der noch in Guantánamo festgehalten wird, sowie die Whistleblowerin Chelsea Manning.

Weder die CIA noch das US-Verteidigungsministerium, noch irgendeine andere Regierungsbehörde hat ihre Verantwortlichkeit zugegeben oder eine Entschuldigung für die Missbräuche angeboten, die in Guantánamo stattgefunden haben. Von den 779 Inhaftierten, die in Guantánamo festgehalten worden sind, wurden acht wegen eines Verbrechens verurteilt, wobei drei dieser Urteile nach einem Einspruch wieder aufgehoben wurden.

Bei diesem außerordentlichen Film waren die Schauspieler „von Beginn an engagiert und haben die Story mit Leidenschaft erzählt“, erläuterte Regisseur Macdonald in einem Interview. Rahims Leistung ist herausragend. Er erweckt die Widerstandsfähigkeit, den Grundoptimismus, den feinen Sinn für (oftmals schwarzen) Humor und die tiefe Menschlichkeit von Mohamedou Slahi zum Leben.

Macdonald bemerkte: „Er [Rahim] gab alles, und er litt für die Sache. Er trug echte Ketten und seine Füße bluteten, und er bestand darauf, drei Wochen lang nichts zu essen. Er nahm nur ein Ei pro Tag zu sich, sodass ich mir ernsthaft Sorgen um ihn machte ...“

Der Filmemacher verweist auf den berührenden Videoclip am Schluss des Films, in dem der wirkliche Mohamedou ein Lied singt. Er singt Bob Dylans „The Man In Me“ aus der Filmkomödie „The Big Lebowski“, seinem Lieblingsfilm.

Jodie Foster und Benedict Cumberbatch bestechen durch schauspielerische Professionalität und Aufrichtigkeit, Kameramann Alwin H. Küchler fängt den Horror der Hölle von Guantánamo selbst dann ein, wenn Wachen oder Folterer in der nahen Karibik surfen.

In einem Interview mit Forbes sprach der Filmemacher über Barack Obamas nicht eingehaltenes Wahlversprechen, Guantánamo zu schließen. „Die Mehrzahl der Menschen in Guantánamo – die große Mehrheit – waren einfache Bauern. Meistens hatte sie jemand, den sie für ihren Freund hielten, beschuldigt, Al-Qaida anzugehören, und dafür 50.000 bis 100.000 Dollar kassiert. Ich glaube, etwa 80 Prozent der in Guantánamo Inhaftierten waren einfach Opfer dieser Machenschaften.“

Der Film erzählt diese furchtbare Geschichte mutig und ehrlich. Kevin Macdonald hatte schon zuvor eine interessante Filmographie aufzuweisen, doch mit Der Mauretanier hat er stark an Statur gewonnen. Sein Werk stellt sich auf die richtige Seite der Geschichte, und man muss alle Beteiligten beglückwünschen. Wenn dieser Film einem breiteren Publikum gezeigt wird, wird er großen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben. Er wird die allgemeine Verachtung und Empörung für Amerikas mörderische Politik in der Bevölkerung weltweit steigern. Der Mauretanier ist zugleich ein gesundes Gegengift gegen solche Machwerke wie Kathryn Bigelows Streifen Zero Dark Thirty (2012), die Folter beschönigen und Lügen verbreiten.

Letzten Endes ging es beim „Krieg gegen Terror“, der mit der Invasion Afghanistans und dem kriminellen Krieg gegen den Irak begann, nicht um Terrorismus, sondern eher um Washingtons Streben nach globaler Vorherrschaft. Insbesondere ging es um Dominanz über die beiden wichtigsten öl- und gasproduzierenden Regionen des Planeten, das Kaspische Meer und den Nahen Osten.

Was war das Ergebnis von fast zwanzig Jahren direkter US-Intervention in Afghanistan und im Irak? Millionen Tote und Millionen weitere Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Während die Pandemie wütet, steht die Menschheit vor der größten Flüchtlingskrise ihrer Geschichte.

Mohamedou Slahi verbrachte viele schlaflose Nächte in Guantánamo, „in meinen Fesseln zitternd, zahllose geschmacklose Fertiggerichte essend, und in ewiger Schleife der US-Nationalhymne lauschend“. Durch Der Mauretanier erzählt Slahi, der keine Kapuzen, keinen Stacheldraht oder Fesseln mehr trägt, der keiner Armee, keinen Folterknechten mehr ausgeliefert ist, nun seine Seite der Geschichte.

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