Ford Saarlouis: Betriebsrat stimmt Belegschaft auf heftige Angriffe ein

In der Auseinandersetzung um das Ford-Werk in Saarlouis stimmt der Gesamtbetriebsrat die Belegschaft darauf ein, extremen Verschlechterungen zuzustimmen, um den Erhalt des Werks zu sichern. Gleichzeitig versucht er die wachsende Wut der Belegschaft aufzufangen und einen wirklichen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu verhindern.

Anders kann man ein Brandschreiben von dieser Woche, mit dem sich der bisherige Vorsitzende des Gremiums, Martin Hennig, an die Belegschaften aller Standorte wendet, nicht deuten. Hennig wurde gestern als Betriebsrat des Werks in Köln abgelöst. Sein Nachfolger wird der langjährige IG Metall Vertrauenskörperleiter bei Ford Benjamin Gruschka.

Im Werk Saarlouis wird derzeit nur der Ford Focus produziert, die Konzernspitze hat angekündigt, erst im Frühjahr des kommenden Jahres bekanntzugeben, ob das Werk mit seinen knapp 5000 Beschäftigten überhaupt weitergeführt wird oder ob es geschlossen wird – wie viele Arbeiter befürchten.

In den letzten Wochen und Monaten hat der örtliche Betriebsrat mehrere Protestaktionen veranstaltet. Auf dem Aktionstag am 14. September kamen über 4000 Menschen von Ford, den Zulieferern und weiteren Saarländer Industriebetrieben zusammen, um für den Erhalt des traditionsreichen Ford-Werks zu demonstrieren.

1966 wurde der Grundstein für das Werk gelegt, 1970 lief das erste Fahrzeug vom Band – ein Ford Escort. Seitdem hat Ford in Saarlouis sieben verschiedene Modelle und mehr als 15 Millionen Autos produziert. Von einst knapp 7000 Beschäftigten sind heute noch etwas weniger als 5000 übrig. Sie produzieren gemeinsam mit 2000 Beschäftigten in Zulieferbetrieben noch voraussichtlich bis Mitte 2025 den Ford Focus.

Die Konzernspitze weigert sich schon jetzt eine Zusage zur Fortführung der Produktion eines anderen Modells zu geben. Dahinter steht der Versuch des Ford-Konzerns, die Arbeiter in Saarlouis mithilfe des Damoklesschwerts der Werksschließung gegen ihre Kollegen im spanischen Valencia auszuspielen und weitere Zugeständnisse zu erpressen.

Das ist das bekannte Prozedere. Wie in allen Auto-Konzernen konkurrieren die einzelnen Standorte um die Produktionszusagen für kommende Modelle. Anfang des Jahres hatte das Werk in Köln die Zusage erhalten, das erste Elektro-Auto Fords in Europa zu bauen. Dem Werk in Köln wurde erklärt, es stünde unter anderem in Konkurrenz zum Werk im rumänischen Craiova, das allein schon aufgrund der niedrigen Löhne günstiger produzieren kann. Dies diente vor allem dazu, die Bedingungen in Köln zu diktieren.

Die Ford-Spitze um Deutschland-Chef Gunnar Herrmann erklärte damals, die entscheidende Grundlage für diese Entscheidung sei mit dem vor etwa zwei Jahren gestarteten Sanierungsprogramm gelegt worden. 2019 hatte Ford angekündigt, weltweit 25.000 Arbeitsplätze abzubauen, davon 12.000 in Europa, über 5000 in Deutschland. Werke wurden bzw. werden in Brasilien, in Frankreich und Wales geschlossen, in Russland sogar vier Produktionsstätten. Erst kürzlich hat Ford bekanntgegeben die Produktion in Indien zu beenden.

Für die Umsetzung des Arbeitsplatzabbaus in den letzten beiden Jahren haben in allen Ländern die Gewerkschaften und ihre betrieblichen Vertreter gesorgt, in Deutschland und Europa Hennig, der auch Vorsitzender des Europa-Betriebsrats ist, und seine Kollegen.

Das ist im Falle des Werks in Saarlouis nicht anders. Für die dramatischen Auswirkungen des Sanierungsprogramms von 2019 ist der dortige Betriebsrat voll verantwortlich. Mit seiner Zustimmung für den Wegfall der Nachtschicht hat er dem Abbau von 1800 Arbeitsplätzen den Weg bereitet. Weitere 600 Arbeitsplätze werden in diesem Jahr abgebaut.

Um weitere Angriffe durchzusetzen, sollen nun offenbar die Belegschaften in Saarlouis und dem spanischen Valencia in Konkurrenz um die Produktion eines weiteren Elektroautos-Modells getrieben werden. In Valencia laufen die wichtigen SUVs wie der Ford Kuga vom Band. „Diese Fabrik dürfte der US-Konzern mit großer Wahrscheinlichkeit behalten“, schreibt das Handelsblatt.

Hennig fragt in seinem Brief unschuldig: „Warum will man einen Bieterwettbewerb der beiden Standorte? Warum sollen die jeweils Angebote für einen Zuschlag für ein Zukunftsprojekt abgeben, was auch immer das dann sein soll?“ Hennig bezeichnet in seinem Brief an die Belegschaften dieses Vorgehen als „perfide“.

Hennig war 37 Jahre lang Betriebsrat in Köln, seit 2013 ist er Chef des Gesamtbetriebsrates der Ford-Werke und des europäischen Betriebsrates von Ford. Er kennt nicht nur das Vorgehen der Konzernspitze sehr gut, Standorte gegeneinander auszuspielen. Hennig ist auch Meister darin, genau dies gegen die Belegschaften durchzusetzen.

Das wird an seiner Kritik bei der Vergabe der Produktion von Antriebssträngen für Elektroautos deutlich. „Die Getriebewerke Halewood in Großbritannien und Köln mussten gegeneinander antreten. Angeblich ist das Ergebnis noch offen. Der Flurfunk sagt etwas anderes“, deutet Hennig an, der als Europäischer Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Ford-Aufsichtsratsmitglied nicht auf den „Flurfunk“ angewiesen ist. Sein Vorwurf lautet: „Es wurde weder fair noch transparent vorgegangen. Die Kölner Initiativen, Verbesserungen und Einsparungen wurden freudig angenommen, aber nicht für unser Getriebewerk abgerechnet.“

Mit anderen Worten: Wäre es „fair“ und „transparent“ zugegangen, hätten die Einsparungen in Köln dazu führen müssen, dass Köln den Zuschlag erhält und die Kollegen in Großbritannien das Nachsehen haben. Er betreibt also genauso die Spaltung der Belegschaften, die er dem Unternehmen vorwirft. Nur noch „perfider“, um bei seiner Wortwahl zu bleiben.

Bereits im Februar hat der Betriebsratsvorsitzende in Saarlouis Markus Thal – wie Hennig Mitglied im Ford-Aufsichtsrat – darauf verwiesen, dass bereits mehr Arbeitsplätze abgebaut worden seien, als von der Konzernleitung ursprünglich verlangt. Das dies jedoch „ohne jedes Standortsignal und ohne jede Antwort hinsichtlich einer möglichen Zukunftsperspektive“ erfolge, sei „kein fairer Umgang mit den Saarlouiser Beschäftigten.“

Auch das ist unmissverständlich. Für eine Produktionszusage für die Zeit nach 2024 sind Gewerkschaft und Betriebsrat bereit, weitere Angriffe auf die Belegschaft durchzusetzen. „Wir können es in Saarlouis, wir können auch Elektroautos bauen – auch mit einer entsprechenden Profitrate“, verkündete Thal am Aktionstag im September. Sechs Prozent Marge vom Umsatz hätten die Chefs in Detroit als Zielmarke ausgegeben. „Yes, we can“, bekräftigte Thal.

Was dies für die Arbeiter bedeutet, wissen die hochbezahlten Betriebsräte genau. Die Geschäftsleitung habe gegenwärtig „offensichtlich keine Tabus mehr, nicht bei Arbeitszeitregelungen, nicht bei Zulagen, nicht bei Ausgleichszahlungen. Die Belegschaft soll bluten, soll zahlen und gleichzeitig liefern“, so Hennig in seinem Schreiben.

Gleichzeitig signalisiert er seine Bereitschaft zur Kooperation. „Wir gehen immer noch davon aus, dass wir alle für das Wohl des Betriebes denken und arbeiten. Das Wohl der Belegschaften müssen wir aber offensichtlich wieder in Erinnerung bringen“, schreibt Hennig. Für wirklich ernsthafte und transparente Gespräche, so heißt es weiter, „sind wir immer zu haben, die wünschen wir uns vom Topmanagement.“

Es wird immer deutlicher, dass die Ford-Arbeiter in Saarlouis, die bereit sind zu kämpfen, genauso wie in Köln, Valencia, Craiova und allen anderen Werken, ihre Arbeitsplätze nur gegen die Co-Manager der Gewerkschaften und Betriebsräte verteidigen können. Sie sind es, die in den letzten Jahren alle Angriffe des Konzerns gegen die Belegschaften durchgesetzt haben und sich darauf vorbereiten, das auch dieses Mal wieder zu tun.

Der aktuelle Brief des Gesamtbetriebsrats an die Belegschaften ist ein durchsichtiger Versuch die eigenen Spuren zu verschleiern und die Arbeiter davon abzuhalten, einen wirklichen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze in allen Werken zu organisieren.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihr angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien haben im Mai die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees ausgerufen, um die weltweiten Kämpfe der Arbeiter gegen die Angriffe der Unternehmen zu koordinieren. Wir rufen Ford-Arbeiter in Saarlouis, Köln und weltweit auf, sich in von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees zusammenzuschließen, um gemeinsame Streiks und Proteste an allen Standorten vorzubereiten. Nehmt noch heute mit uns Kontakt auf.

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