Kein Abrücken von der Ausrottungsstrategie! Die neuseeländische und die internationale Arbeiterklasse muss für die Ausrottung von Covid-19 kämpfen!

Die Ankündigung der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern, ihre Regierung unter Führung der Labour Party werde die Strategie der Ausrottung von Covid-19 aufgeben, hat für beträchtliche Erschütterung und Wut sowie große Verwirrung gesorgt.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern bei einer Pressekonferenz im September 2020 (Jacinda Ardern/Facebook)

Arbeiter und Gesundheitsexperten in aller Welt haben Neuseeland bisher als Vorbild für eine stärker auf Wissenschaft und Gesundheit basierende Herangehensweise an die Pandemie betrachtet. Bisher war Neuseeland eines der wenigen Länder (darunter auch China), das auf jeden Ausbruch von Covid-19 mit strengen Lockdowns und anderen öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen zur Senkung der Fallzahlen auf null reagiert hat.

Die Vorgehensweise der Regierungen in den USA, Europa, Lateinamerika und nahezu überall sonst bestand darin, die Ausbreitung des Virus hinzunehmen und auf Geheiß der Konzerne und ohne Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben der Arbeiter die Fabriken und Schulen wieder zu öffnen. Deshalb sind laut der Wirtschaftszeitung Economist zwischen 9,9 und 18,5 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben.

Im Jahr 2020 hat Neuseeland einen landesweiten Ausbruch unterdrückt und die Bevölkerung seither weitgehend vor Infektionen geschützt. Die Zahl der Toten durch Covid-19 ist mit nur 28 eine der niedrigsten der Welt. Doch die Labour-Regierung hat mehrfach versucht, den Interessen des Großkapitals entgegenzukommen, indem sie die Einschränkungen gelockert und Lockdowns aufgehoben hat, noch bevor das Risiko gebannt war. Zudem hat sie Milliarden Dollar in Form von Subventionen und Rettungspaketen verteilt.

Jetzt hat die Regierung dem immensen Druck der Wirtschaftselite nachgegeben und ist ausdrücklich von einer Strategie zur Ausrottung von Covid-19 abgerückt. Dieser Kurswechsel ereignet sich inmitten eines Ausbruchs in Auckland, der größten Stadt des Landes, der sich auf die benachbarte Region Waikato ausgebreitet hat. Es gibt dort 406 aktive Fälle und jeden Tag kommen Dutzende dazu.

Die Socialist Equality Group lehnt die Entscheidung der Regierung kategorisch ab. Wir fordern die Arbeiter dringend auf, die Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen, Aktionskomitees zu gründen, jeden Versuch zur Wiederöffnung von nicht systemrelevanten Arbeitsplätzen und Schulen zu bekämpfen, solange sich Covid-19 in der Bevölkerung ausbreitet, und für eine wissenschaftliche Strategie für die Ausrottung des Virus zu kämpfen.

Alle nicht systemrelevanten Arbeiter in Auckland und anderen Gebieten, in denen sich das Virus ausbreitet, müssen in häusliche Isolation gehen – mit garantierter voller Lohnfortzahlung – bis der Ausbruch vorbei ist. Diese Reaktion muss durch die Besteuerung der Milliardäre und Konzerne finanziert werden, die während der Pandemie weiterhin Profite angehäuft haben. Um Tausende von Menschenleben zu retten, dürfen keine Kosten gescheut werden.

Die Regierung ist sich der Tatsache sehr bewusst, dass ihr Abrücken von der Ausrottungsstrategie zutiefst unpopulär ist. Laut Umfragen unterstützen 80 Prozent der Bevölkerung die Ausrottungsstrategie und den Einsatz von Lockdowns.

Ardern versuchte auf der Pressekonferenz am Montag, die Bedeutung der Entscheidung herunterzuspielen und erklärte, der Lockdown in Auckland hätte „die Fallzahlen nicht auf null gesenkt. Aber das ist okay. Die Ausrottung war wichtig, weil wir keine Impfstoffe hatten. Jetzt haben wir sie, und jetzt können wir anfangen, unsere Herangehensweise zu ändern.“

Ein Reporter fragte: „Die Gesundheitsexperten halten eine Ausrottung noch immer für möglich, also warum geben Sie sie jetzt auf?“ Ardern antwortete: „Wir befinden uns im Übergang, deshalb halte ich es für etwas zu vereinfacht .... wenn man einfach sagt, wir geben unsere Herangehensweise auf.“

Niemand sollte auf diesen Versuch hereinfallen, mit dem vertuscht werden soll, was hier passiert. Es ist schlicht unmöglich, einerseits eine Ausrottungsstrategie zu verfolgen und gleichzeitig davon abzurücken.

Der Minister zur Eindämmung der Corona-Pan­demie, Chris Hipkins, erklärte am Mittwoch: „Unsere Strategie, Covid-19 aus dem Land herauszuhalten, hat uns gute Dienste erwiesen, aber wir können das nicht ewig durchhalten. Wie die Premierministerin am Montag erklärte, ist es unwahrscheinlich, dass wir wieder auf null Fälle kommen. Wir müssen uns auf einen schrittweisen Übergang zur nächsten Phase unserer Reaktion auf Covid-19 vorbereiten.“

Im Vorfeld von Arderns Ankündigung hatten die neuseeländischen Medien die Regierung mit einer Kampagne aufgefordert „zuzugeben“, dass die Ausrottungsstrategie gescheitert sei und das Land lernen müsse „mit dem Virus zu leben“, d. h. eine große Zahl von Todesfällen und Hospitalisierungen zu akzeptieren. Ende September sprach sich der ehemalige Premierminister John Key von der National Party in einer in vielen Zeitungen erschienenen Kolumne gegen die Ausrottungsstrategie aus und warf der Regierung vor, das Land in ein „Einsiedlerkönigreich“ wie Nordkorea zu verwandeln.

Die internationalen Leitmedien reagierten mit Begeisterung auf Arderns Ankündigung. Der britische Daily Telegraph schrieb, sie habe „anerkannt, was die meisten Regierungschefs schon lange erkannt haben: dass ihre Regierung das Coronavirus nie vollständig loswerden wird“. Die New York Times äußerte sich ähnlich und erklärte, Ardern habe „nach sieben Wochen Lockdown, die den Ausbruch der Delta-Variante nicht aufhalten konnten, ein Ende der Ausrottungsstrategie ausgerufen“.

Die Times behauptete fälschlich, Ardern würde auf die „Unzufriedenheit der Öffentlichkeit“ reagieren. Als Beweis dafür erwähnte sie Proteste gegen den Lockdown, die zwei Tage vor Arderns Ankündigung stattfanden. Dabei erwähnten sie nicht, dass die Veranstaltung von der rechtsextremen Destiny Church organisiert worden war und dass die große Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt.

Tatsächlich ist die Regierung dabei, den Lockdown nicht nur schrittweise, sondern sehr schnell zu lockern, obwohl verschiedene Anzeichen darauf hindeuten, dass die Fallzahlen dadurch erfolgreich gesenkt werden konnten. Am 22. September, als die Alarmstufe in Auckland von 4 (strengster Lockdown) auf 3 verringert wurde, lag die Gesamtzahl der Fälle bei 272. Danach kehrten bis zu 300.000 Menschen an Arbeitsplätze und Schulen zurück, auch die Kinderbetreuungseinrichtungen wurden teilweise wieder geöffnet. Die Zahl der aktiven Fälle ist bis Samstag auf 406 angestiegen.

Diese Woche erlaubte die Regierung die Rückkehr von noch mehr Kindern in Betreuungseinrichtungen und hob für Auckland das Verbot von Versammlungen in kleinen Gruppen im Außenbereich sowie von Aktivitäten wie Schwimmen und Jagen auf. Die Schulen sollen am 18. Oktober wieder öffnen und für die kommenden Wochen ist die Wiederöffnung eines Großteils des Einzelhandels und der Gastronomie geplant.

Neuseeländische Wissenschaftler haben davor gewarnt, dass dieses Vorgehen zur landesweiten Ausbreitung von Covid-19 führen könnte. Der Epidemiologe Michael Baker erklärte auf Radio NZ: „Alle Neuseeländer sollten sich entsprechend darauf vorbereiten, in den nächsten Monaten mit diesem Virus in Kontakt zu kommen.“

Die Mikrobiologin Siouxsie Wiles schrieb in der Zeitschrift Spinoff, sie sei „erschüttert gewesen, als die Premierministerin am Montag ihren Fahrplan zur Abkehr von unseren derzeitigen Einschränkungen ankündigte“, da dieser „einen pragmatischen Übergang von der Ausrottungs- zur Unterdrückungsstrategie signalisiert“. Gegenüber dem Guardian erklärte Wiles, die Wiederöffnung werde unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Klassen haben: „Die Reichen und Privilegierten werden weiterhin ein reiches und privilegiertes Leben führen, in dem sie vielleicht nicht betroffen sind – andere Teile der Gesellschaft hingegen könnten davon durchaus schwer getroffen werden.“

Laut einer Modellstudie, die von der Regierung in Auftrag gegeben wurde, könnte es selbst bei einer Impfquote von 80 Prozent der impffähigen Bevölkerung (d. h. älter als 12 Jahre) innerhalb eines Jahres zu 7.000 Toten und 58.000 Hospitalisierungen kommen.

Derzeit sind nur 42 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, d. h. weniger als in den USA und Großbritannien, die nach der Aufhebung der Einschränkungen aktuell eine Explosion der Fallzahlen und Todesfälle verzeichnen. Vor allem unter Arbeitern und unter den Maori, die mit höheren Armutsquoten und schlechterer Gesundheitsversorgung konfrontiert sind, liegen auch die Impfquoten sehr niedrig. Die Regierung hat die Auslieferung des Impfstoffs verzögert, weil sie nur Impfstoffe von Pfizer bestellt und erst Ende 2020 Verträge mit dem Unternehmen abgeschlossen hatte. Erst nach dem Lockdown im August begannen die Impfquoten zu steigen.

Die Medien hatten stets behauptet, dass die von der Labour Party geführte Regierung eine konsequente Ausrottungsstrategie verfolge. Doch war dies nie der Fall. Als am 19. März 2020 die erste Welle der Pandemie in Neuseeland begann und 28 Fälle im Land identifiziert wurden, erklärte die damalige Generaldirektorin für Gesundheit, Dr. Ashley Bloomfield, vor der Presse, dass die Regierung nicht über einen landesweiten Lockdown diskutiere. Einen Tag später erklärte auch Ardern in Newstalk ZB, es gebe keine Pläne zur Schließung der Schulen.

Nur aus der Angst heraus an, dass in der Arbeiterklasse eine Bewegung entstehen könnte, die sich der Kontrolle durch die korporatistischen Gewerkschaften entzieht, änderte die Regierung ihre Haltung und kündigte am 23. März einen Lockdown an. Zwei gesonderte Online-Petitionen von Ärzten, die die Forderung nach einem sofortigen Lockdown unterstützten, erhielten in kurzer Zeit insgesamt 150.000 Unterschriften. Die Lehrer- und Pflegekräftegewerkschaften lehnten die Forderung nach einem Lockdown solange ab, bis Ardern ihn verkündete.

Es war genau wie in allen anderen Ländern: Die Regierungen führten Lockdowns und andere Einschränkungen nur widerwillig und als Reaktion auf spontane Streiks, Arbeitsniederlegungen und andere Proteste ein, die außerhalb der Gewerkschaften organisiert wurden. In den USA und anderen Ländern spielen die Gewerkschaften jetzt eine zentrale Rolle dabei, die Öffnung der Schulen durchzusetzen, während die Delta-Variante weiterhin außer Kontrolle ist.

Die Socialist Equality Group warnt vor der falschen Hoffnung, Labour könnte durch Appelle zu einem Kurswechsel gedrängt werden. Labours Koalitionspartner, die Grüne Partei, schürt diese Illusion, indem sie in einer Erklärung an die Regierung appellieren, das Ziel der Ausrottung beizubehalten.

Die Ardern-Regierung setzt sich über die öffentliche Meinung hinweg und gehorcht stattdessen den Diktaten der Finanz- und Wirtschaftselite. Mächtige Interessen sind zu dem Schluss gekommen, dass Neuseeland nicht länger als Vorbild für eine mögliche Ausrottung des Virus dienen darf. Es schließt sich damit anderen Ländern wie Australien und Singapur an, die zuvor strenge Maßnahmen gegen die Pandemie eingeführt, diese Strategien aber einer nach dem anderen aufgegeben haben und die Ausbreitung des Virus dulden.

Der Kampf für die Ausrottung erfordert jetzt direkt die Gründung einer Bewegung der Arbeiterklasse, der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die kein Interesse an der Verteidigung der kapitalistischen Profite auf Kosten der Gesundheit und des Lebens von Massen von Menschen hat. Arbeiter – darunter Lehrer, Beschäftigte des Gesundheitswesens, Eltern und Jugendliche – müssen sich unabhängig vom gesamten politischen Establishment organisieren, um ihre Sicherheit und ihr Leben zu verteidigen.

Dies erfordert einen vollständigen Bruch mit den Gewerkschaften, die in allen Ländern, auch in Neuseeland, die Wiederöffnung unterstützen. Diese Organisationen vertreten nicht die arbeitende Bevölkerung, sondern sind eng mit dem politischen Establishment und dem Großkapital verbündet und haben in den letzten zwei Jahren als Vollstrecker der Austerität und der Massenentlassungen agiert.

Die Arbeiter müssen neue, von ihnen kontrollierte Organisationen aufbauen, um einen globalen Abwehrkampf gegen die mörderische Politik der herrschenden Elite zu organisieren. Beispielhaft für den Weg vorwärts war der Elternstreik in Großbritannien am 1. Oktober, der außerhalb von und gegen den Widerstand der Gewerkschaften und etablierten Parteien organisiert wurde und auf große internationale Unterstützung stieß.

Wir rufen unsere Leser auf, an der bevorstehenden Online-Veranstaltung „How to end the pandemic: The case for eradication“ teilzunehmen, die von der WSWS und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees organisiert wird. Die Teilnehmer werden dort über die Wissenschaft der Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Beendigung und zur Rettung von Millionen Menschenleben diskutieren.

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