EU verschärft Krieg gegen Flüchtlinge: illegale Pushbacks in Kroatien und Griechenland

Die Videoaufnahmen von Polizisten einer kroatischen Spezialeinheit, die mit Schlagstöcken auf Flüchtlinge einschlagen und sie über den Grenzfluss nach Bosnien-Herzegowina treiben, zeigen die ganze Brutalität der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten führen einen regelrechten Krieg gegen Flüchtlinge.

Migranten im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien (AP Photo/Darko Bandic)

Die Aufnahmen, die in monatelanger Recherche des ARD-Studios in Wien zusammen mit dem WDR-Magazin Monitor, Lighthouse Reports, SRF-Rundschau, Spiegel, Novosti und RTL Kroatien entstanden sind, zeigen mit Sturmhauben maskierte, uniformierte Männer, die eine Gruppe von Flüchtlingen in den kroatisch-bosnischen Grenzfluss Korana treiben. Deutlich sind die schweren Schläge und Schmerzensschreie zu hören, die durch den Wald hallen. Offensichtlich müssen die Flüchtlinge durch ein ganzes Spalier von Grenzpolizisten laufen, die immer wieder auf sie einprügeln.

Auf der bosnischen Seite laufen die Flüchtlinge direkt dem Fernsehteam in die Arme, das sich hinter Büschen verschanzt hat. Ihre Körper sind übersät von den Wunden, die die Schlagstöcke hinterlassen haben.

Die Journalisten filmten zwischen Mai und September 2021 insgesamt elf solcher Pushback-Aktionen. Dabei wurden 148 Flüchtlinge mit brutaler Gewalt von 38 verschiedenen Polizisten illegal über die grüne Grenze nach Bosnien abgeschoben. Zusätzlich wurden Satelliten- und Drohnenaufnahmen sowie Social-Media-Accounts kroatischer Polizisten ausgewertet und ein Dutzend Polizisten befragt.

Obwohl die auf den Videoaufnahmen zu sehenden Männer keine Abzeichen auf ihren Uniformen tragen, kann kein Zweifel bestehen, dass es sich um Angehörige der so genannten Interventionspolizei handelt. Das ist eine Spezialtruppe der kroatischen Polizei mit 2000 Mitgliedern, die bei Demonstrationen und Razzien eingesetzt wird und direkt der Polizeidirektion in Zagreb unterstellt ist.

Die Interventionspolizisten durchlaufen eine Spezialausbildung. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel besteht die Führungsebene wesentlich aus Kriegsveteranen, die vor 25 Jahren gegen serbische Soldaten gekämpft haben. Die Mitglieder der Interventionspolizei zeigen sich gerne auf Facebook und Instagram mit faschistischen Symbolen und posieren mit Waffen und Schlagstöcken.

Den Einsatz an der Grenze führt die Interventionspolizei gemeinsam mit ortskundigen Grenzpolizisten durch. Die gesamte Aktion wird aber nach Informationen des Spiegels vom Innenministerium unter dem Namen „Operation Korridor“ geführt.

Gegenüber den Journalisten sprechen die Interventionspolizisten ganz offen über die systematische Gewaltanwendung bei der illegalen Abschiebung von Flüchtlingen. „Wenn wir Migranten im Wald oder anderswo finden, legen sie sich normalerweise aus Angst auf den Boden. Ein Polizist geht dann an ihnen entlang und schlägt sie mit einem Schlagstock auf die Beine.“

Die Zentrale in Zagreb entscheide dann, ob Pushbacks durchgeführt würden. Einer formuliert es so: „Man weiß, dass es illegal ist, aber wer kann schon nein zu einer Weisung von ganz oben sagen – von der Regierung und von Innenminister Božinović.“

Ana Ćuća vom Center for Peace Studies in Zagreb sagt: „Die Pushbacks sind keine Einzelfälle, sondern die Politik der kroatischen Regierung.“

Die kroatischen Behörden haben eine regelrechte Infrastruktur für die Pushbacks aufgebaut. Ausgewertete Satellitenbilder zeigen, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Schotterstraßen entstanden sind, die von kroatischem Boden aus direkt zur bosnischen Grenze führen. Dort enden sie abrupt.

Zurück bleiben oftmals nur kaputte Rucksäcke, Babykleidung und Schlafsäcke als Zeugen der realen Grenzschutzpolitik der Europäischen Union. Mehrere kroatische Polizeiquellen bestätigen zudem, dass Geld, Handys und Wertsachen der Flüchtlinge gestohlen oder beschlagnahmt und teilweise auf Mülldeponien verbrannt werden.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Danish Refugee Council registrierte seit Anfang 2020 mehr als 16.000 Pushback-Fälle von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina. Allein im August 2021 waren es danach mehr als 1200.

„Pushbacks sind schlicht und einfach illegal“, erklärt Gillian Triggs, stellvertretende UN-Flüchtlingshochkommissarin gegenüber dem Deutschlandfunk. Nach EU-Recht, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist es absolut verboten, Menschen gewaltsam abzuschieben und ihre Asylgesuche zu ignorieren, selbst wenn sie keine gültigen Papiere für einen Grenzübertritt haben.

Und die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina ist kein Einzelfall. Polen hat auf einem drei Kilometer langen Korridor an der Grenze zu Belarus den Ausnahmezustand und damit eine faktische Nachrichtensperre verhängt, um ungestört Pushback-Aktionen durchzuführen. Die Flüchtlinge auf polnischen Boden werden zudem regelrecht ausgehungert, indem ihnen jede Versorgung verweigert wird.

Berichte über systematische illegale Abschiebungen gibt es zudem von den EU-Außengrenzen zwischen Rumänien und Serbien, Bulgarien und der Türkei sowie Litauen und Belarus.

Die litauische Regierung will die Pushbacks sogar zur offiziellen EU-Politik erklären. Die litauische Innenministerin Agne Bilotaite hatte im August 2021 erklärt, die belarussisch-litauische Grenze geschlossen zu halten und Flüchtlinge gewaltsam zurückzudrängen.

Der stellvertretende Innenminister Arnoldas Abramavičius, verteidigte die Maßnahme mit zynischen Worten: „Die Migranten werden zurückgedrängt auf die belarussische Seite oder zu den Grenzübergängen umgeleitet. Diese können sie ja nutzen. Man weiß ja nicht, ob sie als belarussische Touristen bei uns Asyl wollen oder sich an der Grenze verirrt haben.“

Eine besonders perfide Art von Pushbacks praktiziert die Europäische Union im Mittelmeer. Auf der Fluchtroute zwischen Libyen und Italien, der tödlichsten der Welt mit mehr als 20.000 gestorbenen Flüchtlingen seit 2014, hat die EU praktisch jede eigene Seenotrettung eingestellt und informiert nur noch die so genannte libysche Küstenwache über Flüchtlingsboote, die in Seenot geraten sind.

Die von der EU ausgerüstete libysche Küstenwache, die sich aus lokalen Milizen rekrutiert, bringt die Boote auf und schafft die Flüchtlinge zurück nach Libyen, wo sie in den berüchtigten Internierungsgefängnissen verschwinden, in denen Folter, Misshandlungen und Versklavung an der Tagesordnung sind.

Und auch in der Ägäis, die die Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei bildet, ist die Europäische Union an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Die lebensgefährlichen Pushback-Aktionen auf hoher See finden nicht selten unter den Augen und auch unter der Beteiligung von Beamten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex statt.

Das Rechercheteam konnte auch hier illegale Abschiebungen durch griechische Grenzschutzbehörden belegen. Auf den griechischen Inseln werden systematisch Flüchtlinge aufgespürt, die dann zusammengetrieben und auf Rettungsflößen auf dem offenen Meer ausgesetzt werden. Ohne Antrieb und ohne Rettungswesten sind sie Wind und Wellen ausgesetzt und müssen hoffen, von der türkischen Küstenwache gerettet zu werden.

Die griechische Regierung unter Kyriakos Mitsotakis hat das Vorgehen gegen die Flüchtlinge enorm verschärft und Eliteeinheiten der Küstenwache entsendet. Mit Sturmhauben maskiert werden diese Elitepolizisten, die sonst gegen Drogenschmuggel vorgehen, nun dafür eingesetzt, auf Flüchtlingsboote einzustechen, Warnschüsse abzugeben und Flüchtlinge mit vorgehaltener Waffe auf Rettungsflößen aufs Meer zu ziehen. Insgesamt 15 Videoaufnahmen, angefertigt von Asylsuchenden und der türkischen Küstenwache, zeigen, wie die Gewalt gegen Flüchtlinge in der Ägäis zuletzt immer weiter eskaliert.

Ein hochrangiger ehemaliger Offizier der griechischen Küstenwache bestätigte dem Rechercheteam, dass die Anweisungen direkt aus Athen kommen. „Die Befehle werden nur mündlich weitergegeben“, schriftliche Dokumente gebe es nicht. Das Ziel sei, alles glaubhaft abstreiten zu können. „Die Anweisungen kommen aber von ganz oben, von Politikern. Das ist einfach kriminell“, berichtet er weiter.

Die EU selbst heuchelt angesichts der erschreckenden Bilder von den EU-Außengrenzen Bestürzung und verlangt eine Untersuchung der Vorfälle. „Ich denke, das ist ein schwerer Imageschaden für die Europäische Union. Und das ist ein Grund, warum ich sehr besorgt bin,“ sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Brüssel.

Johansson forderte am Rande des Treffens der EU-Innen- und Migrationsminister am vergangenen Freitag die kroatische und griechische Regierung auf, die Vorfälle zu untersuchen. Doch das bedeutet, den Bock zum Gärtner zu machen.

Die kroatische Regierung hat die eigene Untersuchung innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen und wäscht ihre Hände in Unschuld. Nach Sichtung der Bilder hätten die kroatischen Behörden ein Team aus Experten gebildet, das die Vorwürfe untersucht habe, sagte Innenminister Božinović.

Er sprach von „inakzeptablem Verhalten einzelner Polizisten“ der Interventionspolizei. Doch bei jeder Polizei der Welt könne es vorkommen, dass jemand die Befugnisse überschreite. Die Männer hätten „individuell gehandelt“, es habe keinen Befehl dafür gegeben, erklärte Polizeichef Nikola Milina bei einer Pressekonferenz in Zagreb.

Gleichzeitig rechtfertigt die kroatische Regierung das Vorgehen. Regierungschef Andrej Plenkovic erklärte, dass Kroatien zwar seine Gesetze und internationale Vorschriften respektiere, „wir jedoch wie jedes andere Land die Aufgabe haben, unsere Grenze zu schützen und illegale Migrationen zu stoppen“.

Die griechische Regierung verweigert provokativ jede Untersuchung der illegalen Pushbacks. Griechenlands Migrationsminister Notis Mitarachi protestierte gegen das Ansinnen von EU-Kommissarin Johannson. Er lehne es ab, sich für das andauernde Engagement Griechenlands zu entschuldigen. „Die griechischen Grenzen sind die Grenzen der EU und wir handeln im Rahmen des internationalen und europäischen Rechts, um sie zu schützen.“

Die Praxis der illegalen Pushbacks an den EU-Außengrenzen sind seit Jahren bekannt und hinreichend dokumentiert. Die EU deckt nicht nur diese schweren Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitgliedsstaaten, sondern stellt und finanziert diesen Staaten exakt die Ausrüstung, die für die brutalen Abschiebungen benutzt werden.

Die griechische Regierung erhielt in den vergangenen Jahren 422 Millionen Euro für die Küstenwache, darunter auch Posten für Rettungsflöße. Kroatiens Grenzpolizei wurde von der EU mit 177 Millionen Euro aus dem Asyl-/Migrations- und Integrationsfonds AMIF und dem Inneren Sicherheitsfonds ISF ausgerüstet. Dazu lieferte die deutsche Regierung Wärmebildkameras und Allradfahrzeuge nach Zagreb. Innenminister Horst Seehofer bemerkte schon vor Monaten, dass er an der Arbeit der kroatischen Behörden „überhaupt nichts zu kritisieren“ habe.

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