Perspektive

Der John-Deere-Streik am Scheideweg

Der fast einmonatige Streik von 10.100 Arbeitern des Landmaschinenherstellers John Deere in Iowa, Illinois und anderen US-Bundesstaaten steht an einem kritischen Wendepunkt. Nachdem die Arbeiter einen zweiten, von der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) ausgehandelten Tarifvertrag abgelehnt haben, geht die Konzernleitung in die Offensive.

Für die Arbeiter gibt es zwei Wege. Einerseits sind Deere und die UAW fest entschlossen, einen Vertrag durchzusetzen, der die Löhne drückt und die weiteren Rekordgewinne des Konzerns absichert. Sie werden ihre Verschwörung hinter dem Rücken der Arbeiter fortsetzen und alle Mittel und schmutzigen Tricks anwenden, um die Belegschaft zu spalten und ihren Widerstand zu brechen.

Streikende Deere-Arbeiter vor einem Werk in Ankeny, Iowa, 20. Oktober 2021 (AP Photo/Charlie Neibergall)

Andererseits gibt es einen Weg zum Sieg des Streiks. Die Arbeiter nehmen dabei die Initiative selbst in die Hand, gründen in allen Werken und Lagern Aktionskomitees und appellieren direkt an die Autoarbeiter und anderen Deere-Arbeiter in den USA und weltweit, um Unterstützung für ihren Kampf zu mobilisieren, der die Zukunft aller Arbeiter prägen könnte.

Die Unternehmensführung hat eine Medienkampagne gestartet, in der sie ihr angeblich großzügiges Angebot anpreist. Sie behauptet, dass die Ablehnung der Vereinbarung mit 55 Prozent (gegen 45 Prozent Ja-Stimmen) vor allem auf eine Minderheit unvernünftiger Arbeiter zurückgehe. Nachdem die UAW zweimal gescheitert war, ihre Forderungen durchzusetzen, hat Deere Textnachrichten direkt an die Beschäftigten verschickt, um sie zu spalten und eine erneute Abstimmung über das Angebot zu erzwingen, das die Unternehmensleitung als ihr „letztes, bestes und endgültiges“ Angebot bezeichnet.

Die Arbeitsniederlegungen haben zu erheblichen Verzögerungen bei der Lieferung von Ersatzteilen geführt, die die Landwirte benötigen, um ihre Deere-Maschinen in den letzten Wochen der Erntesaison in Betrieb zu halten. Nachdem der Vertrag abgelehnt wurde, kündigte die Unternehmensleitung an, ihren Streikbrecher-Plan „zur Aufrechterhaltung des Kundendienstes“ zu verstärken. Sie will Aufsichtspersonal, Ingenieure und andere Angestellte in die Werke entsenden und die Produktion an Standorten außerhalb der USA erhöhen.

Obwohl Deere-Vertreter öffentlich erklären, dass sie nach wie vor an einer Vereinbarung mit den streikenden Arbeitern interessiert sind, haben sie nicht ausgeschlossen, Streikbrecher einzustellen, um die Streikenden zu ersetzen. „Wenn wir das durchstehen und die Informationen, die den Leuten vorliegen, die Vereinbarung, die ihnen vorliegt, für sie nicht passt, müssen wir überlegen, wie wir unsere Kunden auch in Zukunft bedienen können“, sagte Cory Reed, Präsident der Internationalen Abteilung für Landwirtschaft und Rasen bei Deere, in einem am Montag veröffentlichten Artikel in der Lokalzeitung Des Moines Register. „Diese Planungen laufen immer“, fügte er hinzu.

Die UAW zwingt die Deere-Arbeiter, den multinationalen Riesen allein zu bekämpfen, statt ihre 400.000 Mitglieder zu mobilisieren und den Streikbrecher-Drohungen entgegenzutreten. Nachdem ihr zweites Abkommen mit dem Unternehmen abgelehnt worden war, gab die UAW International eine oberflächliche Erklärung von nur drei Sätzen heraus, in der sie ankündigte, die Treffen mit der Deere-Geschäftsführung – nicht mit den Arbeitern – wieder aufzunehmen, um „die nächsten Schritte zu besprechen“.

Die UAW hat eine vollständige Informationssperre über die Deere-Arbeiter verhängt und noch nicht einmal ihre Gespräche hinter geschlossenen Türen mit den Deere-Chefs zugegeben. Gleichzeitig werden die Deere-Beschäftigten weiterhin mit einem Streikgeld von 275 Dollar pro Woche ausgehungert, obwohl die Gewerkschaft über einen Streikfonds verfügt, der mit den Beiträgen der Arbeiter aufgebaut wurde und fast 800 Millionen Dollar umfasst.

Es besteht kein Zweifel, dass sich die UAW-Funktionäre mit der Unternehmensleitung verschwören, um den Widerstand der Arbeiter zu zermürben und eine erneute Abstimmung über denselben Tarifvertrag oder eine leicht abgeänderte Version zu erzwingen, die die Forderungen der Arbeiter immer noch nicht erfüllen würde.

Deere wird in diesem Jahr voraussichtlich fast 6 Milliarden Dollar Gewinn machen – mindestens 62 Prozent mehr als beim bisherigen Rekordjahr 2013. Deshalb sind die Streikenden entschlossen, eine Lohnerhöhung von 10 Dollar pro Stunde durchzusetzen, um die steigenden Kosten für Benzin, Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse zu decken und die Lohneinschnitte auszugleichen, die mehr als 25 Jahre lang von der UAW unterstützt wurden. Außerdem wollen sie die vollen Gesundheitsleistungen der Rentner für alle Generationen wiederherstellen, nachdem sie von der UAW 1997 preisgegeben worden waren.

Die UAW ist entschlossen, den Streik nicht zu gewinnen, sondern ihn in eine Niederlage zu führen. Gewerkschaftsvorsitzender Ray Curry, Vizepräsident Chuck Browning und die anderen wohlhabenden Führungskräfte in der UAW-Zentrale „Solidarity House“ wissen, dass ein Sieg der Deere-Arbeiter eine noch viel größere Rebellion gegen die UAW auslösen würde. Arbeiter bei Caterpillar, Volvo und Mack Trucks, GM, Ford und Stellantis, bei den Autozulieferern Dana, Faurecia und Lear sowie in zahllosen anderen Konzernen arbeiten alle unter Verträgen mit verschiedenen Lohn- und Leistungssystemen und repressiven Bedingungen, die von denselben bestechlichen UAW-Funktionären durch Lügen, Entlassungsdrohungen und sogar offener Wahlmanipulationen durchgesetzt wurden.

Der Kampf bei Deere ist Teil einer historischen Streikwelle in den USA und international, die sich gerade entwickelt. Seit Anfang des Jahres fanden in den Vereinigten Staaten über 150 Streiks statt, an denen sich Arbeiter aus praktisch allen Berufszweigen beteiligten. Derzeit streiken Tausende Beschäftigte, darunter Arbeiter bei Deere und Kellogg’s, Pflegekräfte und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Kalifornien, West Virginia und Massachusetts, Bergarbeiter in Alabama, Lehrer in Scranton, Pennsylvania, und Doktoranden der Columbia University in New York. Weitere 30.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens von Kaiser Permanente in Kalifornien und Oregon werden am 15. November streiken. Und 60.000 Film- und Produktionsmitarbeiter, die letzten Monat streikbereit waren, stimmen an diesem Wochenende über einen verhassten Tarifvertrag ab, der einen Ausverkauf bedeuten würde.

Diese Streiks entwickeln sich inmitten einer wachsenden Welle internationaler Kämpfe – darunter Streiks von Lehrern, Pflegern und anderen Beschäftigten des öffentlichen Diensts in Kanada, Portugal, Sri Lanka, Mexiko und anderen Ländern. Arbeiter wehren sich weltweit gegen die Sparmaßnahmen, die die kapitalistischen Regierungen umsetzen, um die milliardenschwere Rettung der Unternehmen und Banken zu finanzieren.

Es entstehen die Bedingungen, unter denen diese Kämpfe zu einer mächtigen industriellen und politischen Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen den jahrzehntelangen Niedergang des Lebensstandards und die Explosion der sozialen Ungleichheit zusammengeschlossen werden können.

Diese militanten Kämpfe werden durch die Pandemie verschärft, weil sämtliche kapitalistischen Regierungen auf der ganzen Welt die Profite vor Leben stellen. Seit Beginn der Pandemie sind die Vermögen der Milliardäre allein in den USA um 70 Prozent gestiegen – von knapp 3 Billionen auf über 5 Billionen Dollar. Gleichzeitig haben 89 Millionen Arbeiter ihren Arbeitsplatz verloren, 47 Millionen Menschen haben sich mit Covid-19 angesteckt – mit unbekannten Langzeitfolgen – und mehr als 776.000 sind gestorben.

Arbeiter auf der ganzen Welt, die in der Pandemie gezwungen wurden, ihr Leben zu riskieren, weigern sich jetzt, Löhne zu akzeptieren, die nicht mit der Inflation Schritt halten, oder anstrengende Arbeitszeiten, die ihr Familienleben und ihre Gesundheit zerstören. Sie wehren sich gegen die Lügen der Manager und Gewerkschaftsbürokraten, die behaupten, es sei kein Geld da, um ihre berechtigten Forderungen zu erfüllen.

In jedem Kampf, der sich entwickelt oder bevorsteht, sind die korporatistischen Gewerkschaften das Haupthindernis für eine Vereinigung der Arbeiter. Sie fungieren als Betriebspolizei und Co-Manager bei der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Deshalb schließen sich immer mehr Arbeiter, darunter Lehrer, Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Amazon-Arbeiter und Arbeiter in der Auto- und Zulieferindustrie bei Volvo Trucks, Dana, Deere und den Detroiter Automobilherstellern dem wachsenden Netzwerk von Aktionskomitees in Betrieben und Arbeitsplätzen an, weil sie die Autorität der unternehmensfreundlichen Gewerkschaften ablehnen und für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse kämpfen.

Am Samstag stimmten die Arbeiter auf einem von der World Socialist Web Site organisierten Online-Treffen für die Gründung des Deere Strike Rank-and-File Solidarity Committee, um eine möglichst breite Unterstützung für die streikenden Arbeiter zu mobilisieren.

Im Kampf gegen transnationale Konzerne wie Deere brauchen Arbeiter eine globale Strategie. Ihr Streben nach internationaler Solidarität zeigte sich bei den deutschen Deere-Arbeitern in Mannheim, die wiederholt ihre Unterstützung für die Kollegen in den USA erklärt haben. Im Mai wurde die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) gegründet, um die zunehmenden Kämpfe der Arbeiterklasse über alle nationalen Grenzen hinweg zu koordinieren.

Der Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für die Eliminierung von Covid-19 und der Profite-vor-Leben-Politik. Die Welle von Streiks und Protesten in der ganzen Welt muss sich in einen bewussten politischen Kampf verwandeln, bei dem die Arbeiter die Macht erobern und die Wirtschaft auf der Grundlage sozialistischer Planung und einer Produktion im Interesse der menschlichen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits reorganisieren.

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