Wenn ein internationaler Großkonzern wie Ford früher Einsparungen und Entlassungen plante, gingen die Experten von McKinsey mit der Stoppuhr durch die Werkshallen. Die Arbeiter ballten die Faust in der Tasche und schmiedeten Pläne zur Verteidigung der Arbeitsplätze.
Heute kann Ford auf teure Unternehmensberater verzichten. Die Entlassungs- und Kürzungspläne werden von den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten ausgearbeitet, die sich in bezahlte Büttel und Handlanger des Vorstands verwandelt haben. Sie bieten dem Konzern nicht nur umfangreiche Zugeständnisse bei Löhnen, Arbeitszeit, Urlaubsregelung und vielen anderen Sozialstandards an, sondern sorgen auch dafür, dass jeder Widerstand dagegen im Keim erstickt wird.
Seit der US-Autokonzern im September angekündigt hat, er werde die Effizienz seiner europäischen Standorte überprüfen und entweder das deutsche Werk in Saarlouis oder das spanische in Almussafes bei Valencia schließen, leisten die Betriebsräte beider Werke Überstunden. Sie überbieten sich gegenseitig mit Sparangeboten und versuchen dem Vorstand zu beweisen, dass ihr jeweiliger Standort profitabler produzieren könne als der andere.
Betriebsratschef Markus Thal und seine Kollegen, berichtet die Süddeutsche Zeitung aus Saarlouis, „sitzen deshalb jetzt ständig in Arbeitsgruppen und machen sich Gedanken darüber, welche Zugeständnisse die Belegschaft noch machen könnte. Bei den Lohnkosten, bei den Investitionskosten.“
Dasselbe geschieht in Valencia. Es findet ein Hauen und Stechen um Lohnsenkung und Sozialabbau statt. Beide Betriebsräte überschlagen sich, der Konzernleitung die besseren Ausbeutungsbedingungen anzubieten.
In Valencia, wo die Löhne fast ein Drittel niedriger sind als in Saarlouis, beharrt die Unternehmensleitung auf weiteren Lohnkürzungen und einer Verlängerung der Arbeitszeit. Der Betriebsrat sträubt sich bisher, weil er Widerstand fürchtet, betont aber: „Wir kennen keine roten Linien und sind bereit zu verhandeln.“ „Wenn wir bis Ende des Jahres keine Einigung erzielen, könnten wir den Elektrifizierungszug verpassen“, drängt Betriebsratschef José Luis Parra.
In Saarlouis arbeitet der Betriebsrat eng mit der Regierung zusammen, um den milliardenschweren Konzern mit Fördergeldern und Steuervergünstigungen zu locken. Seine Hoffnung setzt er aber in erster Linie auf die Opferbereitschaft der Arbeiter. „Sie hätten die Zugeständnisse in der Vergangenheit immer mitgetragen, und sie seien auch jetzt bereit, Zugeständnisse zu machen,“ zitiert die Süddeutsche Betriebsratschef Thal.
Beide Betriebsräte verfolgen misstrauisch, was der andere treibt, um dann das Sparangebot weiter in die Höhe zu treiben. So berichtete die Zeitung Valencia Plaza kurz vor Weihnachten unter Berufung auf gewerkschaftliche Quellen im Ford-Werk: „In Deutschland gehen die Sozialpartner, Arbeiter, Unternehmen und Regierung, zusammen.“ Sie seien sogar bereit, niedrigere Steuern zu überprüfen, damit die Fabrik erhalten bleibe. Der deutsche Betriebsrat gehe davon aus, dass Almussafes vor allem bei den Personalkosten „erhebliche Vorteile“ habe. Deshalb versuche er, die Überlegenheit des valencianischen Werks durch zusätzliche staatliche Unterstützung zu schwächen.
Während die Betriebsräte in Saarlouis und Valencia sich gegenseitig attackieren und immer weitergehende Zugeständnisse anbieten, warten die Konzernchefs in aller Ruhe ab. Sie nutzen die Zugeständnisse, um weitere zu erpressen. Diese Abwärtsspirale hat kein Ende.
Viele Arbeiter verfolgen diese Entwicklung mit wachsendem Unbehagen, mit Abscheu und Wut. Sie wissen, dass alle Rechte und sozialen Errungenschaften der Arbeiter – sei es der Achtstundentag, das geregelte Lohnsystem, der bezahlte Urlaub, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Arbeitssicherheit und vieles anders mehr – im gemeinsamen, solidarischen Kampf aller Arbeiter gegen die Kapitalisten erkämpft wurden. Die Begriffe „Arbeitersolidarität“ und „internationale Zusammenarbeit“ sind aufgrund heftiger und oft blutiger Klassenschlachten tief im kollektiven Bewusstsein der Arbeiter verankert.
Doch die Lakaien der Konzernherren in den Gewerkschaftshäusern und Betriebsratsbüros kennen nur die Argumente der Manager und handeln wie soziale Abbruchunternehmer. Sie spielen die verschiedenen Standorte gegeneinander aus und unterdrücken jeden gemeinsamen Kampf zur prinzipiellen Verteidigung der Arbeitsplätze, Löhne und Sozialstandards.
Dabei kennen sich die beiden Betriebsräte gut. Sowohl Markus Thal wie José Luís Parra sind Mitglied im Europa-Betriebsrat von Ford, der bisher vom deutschen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Martin Hennig geleitet wurde. Sie gehören der IG Metall, bzw. der sozialdemokratischen Mehrheitsgewerkschaft UGT an, die beide Mitglied im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und im internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) sind. Aber sie nutzen diese internationalen Verbindungen nicht, um die Arbeiter zu vereinen, sondern um sie im Interesse des Konzerns gegeneinander auszuspielen und zu spalten.
Der lange Hintergrundartikel der Süddeutschen Zeitung, aus dem wir bereits zitiert haben, bemüht sich, den saarländischen Betriebsrat aus der Schusslinie zu nehmen und zu unterstützen. Er stellt Betriebsratschef Thal als unermüdlichen Kämpfer für die Aufrechterhaltung von Ford-Saarlouis dar.
Der Betriebsrat bezeichnet sein Sparangebot – wie immer – als „Zukunftsprogramm“. Das war schon vor zwei Jahren so. Da stimmte der saarländische Betriebsrat dem Wegfall der Nachtschicht und damit dem Abbau von 1800 Arbeitsplätzen zu. Auch damals hieß es, nur so könne die Zukunft des Werkes gerettet werden. Weitere 600 Arbeitsplätze wurden dann in diesem Jahr abgebaut, so dass derzeit weniger als 5000 der vor kurzem noch 7000 Beschäftigten übrig sind. Diese fertigen ausschließlich den Ford Focus, dessen Produktion voraussichtlich Mitte 2025 ausläuft.
Seit 2019 hat Ford in Europa fünf Werke stillgelegt, in Russland, Osteuropa, Frankreich und Großbritannien. 12.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet, die Auswirkungen auf Zulieferer und andere mittelbar Betroffene nicht mitgerechnet. Überall haben die Gewerkschaften die Schlüsselrolle dabei gespielt, einen gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu verhindern.
Die Werke im Saarland und in Valencia weisen viele Parallelen auf. Beide wurden Anfang der 1970er Jahre gebaut und sind der größte Arbeitgeber in der Region. Ihre Schließung hätte verheerende Auswirkungen. Im Saarland hängt jeder zweite Industriearbeitsplatz von Ford ab. Insgesamt arbeiten 44.000 Menschen bei Zulieferern, Ausrüstern und Herstellern der Autoindustrie. In Valencia waren in den besten Jahren 10.000 Arbeiter bei Ford und 21.000 in der Zulieferindustrie beschäftigt.
Bereits in den vergangenen Jahren ging die Produktion in beiden Werken rasant zurück, ohne dass Gewerkschaften und Betriebsräte etwas zur Verteidigung der Arbeitsplätze unternommen hätten. In Saarlouis gab es 2020 und 2021 mehrere Monate Kurzarbeit wegen Corona. Wegen fehlender Halbleiter dauert die Kurzarbeit noch mindestens bis Ende Januar 2022. an In Valencia wird im kommenden Januar die Nachtschicht eingestellt, was weiteren Arbeitsplatzabbau bedeutet.
Betriebsratschef Markus Thal ist ein typischer IGM-Funktionär. Vom Werkzeugmechaniker zum Betriebsratschef aufgestiegen, sitzt er im Ford-Aufsichtsrat, wo er zusätzlich zu seinem üppigen Betriebsratsgehalt Aufsichtsratstantiemen, Sitzungsgeld und Spesen kassiert. Wie das Management betrachtet er den Konzern vom Standpunkt der Wettbewerbsfähigkeit und der Profitrate, und nicht dem Interesse der Arbeiter. Hierin unterscheidet er sich nicht von seinem spanischen Gegenpart José Luís Parra.
Einen gemeinsamen Kampf der Ford-Arbeiter aller Standorte zur Verteidigung der Arbeitsplätze lehnt Thal ab. Stattdessen versucht er, den sozialen Kahlschlag auf Valencia abzuwälzen, indem er Zugeständnisse macht, die auch für die Beschäftigen im Saarland verheerende Folgen haben. Den Abbau von Arbeitsplätzen im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität hält er für unvermeidlich.
Doch die Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialstandards sind nicht das Ergebnis des technischen Wandels. Hätte die Arbeiterklasse Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen, könnte die Umstellung der Produktion zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zu mehr Wohlstand führen. Das wirkliche Problem ist die unersättliche Gier des Kapitals nach Profit.
Die vergangenen zwei Jahre der Corona-Pandemie haben das deutlich gezeigt. Während Arbeiter gezwungen wurden, trotz Ansteckungsgefahr weiterzuarbeiten und Leben und Gesundheit zu riskieren, nutzten die Konzerne die Pandemie für eine hemmungslose Bereicherung.
Die 16 größten Autohersteller der Welt haben im dritten Quartal 2021 trotz Chipmangel und Corona so viel Gewinn wie nie zuvor erwirtschaftet. Ford war mit dabei. Im dritten Quartal 2021 erzielte der Konzern einen Gewinn von 2,4 Milliarden US-Dollar, sechs Mal so viel wie im gleichen Vorjahreszeitraum.
Die Arbeiter von Ford machen derzeit dieselbe Erfahrung wie Arbeiter überall auf der Welt: Es ist nicht möglich die Arbeitsplätze zu verteidigen, ohne mit den Gewerkschaften, ihren Betriebsräten und ihrer nationalistischen Orientierung zu brechen.
Vor drei Jahrzehnten sagte der Betriebsratsvorsitzende von Opel-Bochum, Rolf Breuer: „Wir sind erpressbar bis zur Kinderarbeit!“ Heute ist es gar nicht mehr notwendig, die Betriebsräte zu erpressen. Sie sind Partner der Konzern-Vorstände, bezeichnen sich als Co-Manager und führen die Angriffe auf die Arbeiter durch.
Um sich der Erpressung durch Management und Betriebsrat zu widersetzen, ist eine neue politische Orientierung notwendig, die von den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter an allen Standorten ausgeht und sich der Logik des kapitalistischen Profitsystems widersetzt. Arbeiter müssen die Verteidigung ihrer Interessen und ihrer Rechte selbst in die Hand nehmen und sich völlig unabhängig von den pro-kapitalistischen Gewerkschaften und ihren Betriebsräten organisieren.
Nur wenn Arbeiter selbst eingreifen, kann das ständige Gegeneinander-Ausspielen der unterschiedlichen Standorte gestoppt werden. Nach diesem Sankt-Florian-Prinzip („Verschon mein Haus, zünd andre an“) wurde bereits die Produktion in Belgien, Frankreich und Wales eingestellt, in Russland sind mehrere Werke geschlossen worden. Erst kürzlich hat Ford bekanntgegeben, die Produktion in Indien und Brasilien zu beenden.
Die Ford-Arbeiter in Saarlouis haben in der Vergangenheit und in diesem Jahr gezeigt, dass sie zum Kämpfen bereit sind. Jetzt müssen alle, die es ernst meinen, die Initiative ergreifen und Verbindung zu den Kollegen in Köln, Valencia und allen anderen Werken aufbauen.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihr angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien haben im Mai die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees gegründet, um die weltweiten Kämpfe der Arbeiter gegen die Angriffe der Unternehmen zu koordinieren. Wir rufen Ford-Arbeiter in Saarlouis, Valencia, Köln und weltweit auf, sich in von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees zusammenzuschließen, um gemeinsame Streiks und Proteste an allen Standorten vorzubereiten. Nehmt noch heute mit uns Kontakt auf.
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