Dresden: Razzia gegen rechtsextreme Impfgegner wegen Mordplänen

Am 15. Dezember führte die Polizei in Sachsen eine Großrazzia durch. Unter Leitung des Landeskriminalamts drangen 140 Beamte in die Wohnungen von sechs Verdächtigen ein und beschlagnahmten Beweismaterial. Den fünf Männern und einer Frau wird die Vorbereitung einer „schweren staatsgefährdenden Straftat“ vorgeworfen. Sie sollen geplant haben, den sächsischen Regierungschef Michael Kretschmer und weitere Landespolitiker zu ermorden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (Bild: Pawel Sosnowski / CC BY-SA 4.0)

Über die Mordpläne hatte eine Woche vorher das ZDF-Magazin „Frontal“ berichtet. Zwei seiner Reporter hatten sich verdeckt in eine Chatgruppe radikaler Impfgegner eingeklinkt, in der die Mordpläne diskutiert wurden, und heimlich reale Zusammenkünfte von Gruppenmitgliedern gefilmt.

Die über 100 Mitglieder starke Telegram-Gruppe „Dresden Offlinevernetzung“ ist Bestandteil der rechtsextremen „Querdenker“-Bewegung, die die Gefahr der Corona-Pandemie verharmlost und Eindämmungsmaßnahmen ebenso wie Impfungen aggressiv ablehnt. Sie steht in enger Verbindung zu antisemitischen, esoterischen und faschistischen Kreisen. In der Gruppe selbst wurden regelmäßig Zitate von Adolf Hitler und antisemitische Hassbeiträge geteilt.

Die sechs Beschuldigten, die in Dresden und Heidenau wohnen, sind zwischen 32 und 64 Jahre alt. In ihren Wohnungen wurden drei Armbrüste, Waffen und Waffenteile sowie Handys, Computer, Speichermedien und weitere „Substanzen“ beschlagnahmt. Haftbefehle wurden bisher keine erlassen. Nach Angaben des Landeskriminalamtes erfordern die gefundenen Waffen zum überwiegenden Teil keine Erlaubnis. Gegen einzelne Beschuldigte sind aber weitere Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, das Sprengstoffgesetz und das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden.

Unter den Beschuldigten befinden sich mehrere bekannte Rechte und Neonazis. Der Administrator und mutmaßliche Kopf der Gruppe, Daniel G., soll bereits in der Vergangenheit auf Demonstrationen durch Aggressivität gegen Pressevertreter und Gegendemonstranten aufgefallen sein. In Chat-Nachrichten hatte G. gedroht, Impfteams zu erschießen, falls sie vor seiner Tür erscheinen.

Sebastian Pierre A., der in der Chat-Gruppe unter seinem Klarnamen aktiv war, ist ein stadtbekannter Dresdener Neonazi. Und Jürgen S., dessen Wohnung ebenfalls durchsucht wurde, ist in Dresden als Pegida-Aktivist bekannt. A. und S. sollen auch Seite an Seite mit AfD-Abgeordneten Wahlkampf gemacht haben.

Unter den Gruppenmitgliedern sollen sich laut einem Bericht der Zeit auch eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, eine Mitarbeiterin der Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde sowie ein Mitglied der Querdenker-Gruppe „Eltern stehen auf“ befinden. Gegen sie wird aber nicht ermittelt.

„Frontal“ hat Chatverläufe der Telegram-Gruppe dokumentiert. Ein Teilnehmer erwähnt ein „Offline-Treffen“ und bemerkt, man habe ja schon dort gesagt, „dass wir den Ministerpräsidenten absägen“. Darauf erwidert ein anderer: „Man müsste eigentlich theoretisch bei dem Typen einmarschieren, den Typen dort raus ziehen, irgendwo aufhängen – und den nächsten, und so weiter.“

Ein Teilnehmer bedauert, dass es während einer Querdenker-Demonstration in Berlin im November 2020 nicht gelungen sei, den Bundestag zu stürmen: „…da hätte man eine Million gebraucht, aber welche, die wirklich entschlossen sind, auch in den Bundestag zu gehen.“ Ein anderer sagt, man sei auf der Suche nach Patrioten, „die bereit sind, zur Not mit Waffengewalt gegen diese dummen Spacken, die uns hier unterdrücken wollen und kaputt machen wollen, vorzugehen“.

Die Mordpläne gegen Ministerpräsident Kretschmer und andere Regierungsmitglieder müssen ernst genommen werden. Das zeigt die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Neonazi vor zweieinhalb Jahren

Laut Landeskriminalamt kam es in Sachsen 2021 wegen der Pandemie und den Anti-Corona-Maßnahmen zu mehr als 200 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger. Am 3. Dezember waren 30 Rechtsextreme mit Fackeln vor dem Haus von Sachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) aufmarschiert und hatten lautstark Parolen gegen eine „Corona-Diktatur“ skandiert.

Wie Sachsen zum Zentrum des Rechtsextremismus wurde

Das Frankensteinmonster, das Kretschmer und andere Regierungspolitiker bedroht, ist von ihnen selbst geschaffen worden. Sachsen wurde seit der Einführung des Kapitalismus vor drei Jahrzehnten zu einem Anziehungspunkt für Neonazis und Rechtsextreme aus der ganzen Bundesrepublik, die von höchsten staatlichen Stellen geduldet und gefördert wurden.

Hauptziel des Hasses dieser Rechten sind nicht die Politiker von CDU und SPD, sondern die sozialistischen Traditionen der Arbeiterklasse, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, als August Bebel in Sachsen die SPD aufbaute. Sachsen war auch das Zentrum der Opposition gegen das SED-Regime der DDR, die anfangs oft linke Formen annahm.

Von der Einführung des Kapitalismus wurde das Bundesland dann besonders hart betroffen. Hier und in Ostberlin hatten sich die Industrie und die Industrieforschung der DDR konzentriert. In Sachsen standen viele große Kombinate mit mehreren tausend Beschäftigten, die von der Treuhand geschlossen wurden. Ganze Landstriche waren in kürzester Zeit arbeitslos. Auch 85 Prozent des Personals in der Industrieforschung verlor seinen Job.

Die gewaltige Frustration, die daraus resultierte, wurde gezielt in rechte Kanäle gelenkt. So sollte verhindert werden, dass sich die Opposition der Arbeiterklasse in militanten Kämpfen Bahn brach.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, alle Fälle aufzuzählen, in denen Regierung, Polizei, Verfassungsschutz und Justiz die Rechtsextremen gefördert haben. Deshalb erwähnen wir nur die wichtigsten.

Bereits 1990 sammelte der hochrangige CDU-Politiker Kurt Biedenkopf, der erste Ministerpräsident des neugeschaffenen „Freistaats Sachsen“, ein ultrarechtes Kabinett um sich. Sein erster Kanzleramtschef war Arnold Vaatz, der schon damals auf dem äußersten rechten Flügel der Partei stand und in jüngster Zeit immer wieder durch seine Nähe zur AfD auffiel. Erster Justizminister – und damit verantwortlich für die Auswahl von Richtern und Staatsanwälten – war der ultrakonservative Steffen Heitmann, der den Nationalsozialismus verharmloste und 2015 aus Protest gegen die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge aus der CDU austrat.

Biedenkopf selbst, der im vergangenen Sommer gestorben ist, hat stets geleugnet, dass es in Sachsen überhaupt Rechtsextreme gibt. Noch 2017 sagte er der Zeit: „Ich habe gesagt, dass die Sachsen immun sind gegenüber Rechtsradikalismus. Das ist auch heute noch meine Auffassung.“ Und das, nachdem die rechtsextreme NDP zwei Legislaturperioden lang im sächsischen Landtag gesessen hatte und die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen stärkste Partei geworden war!

Die sächsische Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz sind immer wieder durch ihre wütende Verfolgung von Linken und ihre Toleranz gegenüber den Rechten aufgefallen. Jens Maier, der als Vertreter des völkischen Flügels der AfD von 2017 bis 2021 im Bundestag saß, war vorher Richter am Landgericht Dresden, wo er auch Urteile zugunsten der NPD fällte. Die Terrorzelle NSU konnte im sächsischen Chemnitz unter den Augen des Verfassungsschutzes ungestört ihrem mörderischen Treiben nachgehen. Gordian Meyer-Plath, der spätere Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, betreute den V-Mann Carsten Szczepanski, der ihn über den NSU auf dem Laufenden hielt.

Auch die flüchtlingsfeindliche Pegida-Bewegung entstand 2015 in Dresden und genoss von Anfang an die Rückendeckung von Staat, Regierungsparteien und Medien. Der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) traf sich nur wenige Monate nach den ersten Demonstrationen mit den Pegida-Führern zu Gesprächen. Verfassungsschutzchef Meyer-Plath weigerte sich sechs Jahre lang, Pegida als rechtsextreme Bewegung zu bezeichnen.

Als 2018 bekannte Neonazis und AfD-Führer Seite an Seite durch Chemnitz marschierten und Rechtsextreme Hetzjagden auf Migranten und ein jüdisches Restaurant veranstalteten, verteidigte Ministerpräsident Kretschmer – zusammen mit Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, Arnold Vaatz und Steffen Heitmann – öffentlich den rechtsextremen Aufmarsch. Das war Wasser auf die Mühlen der Ultrarechten.

Auch Die Linke und ihre Vorgängerin PDS trugen dazu bei, die Rechtsextremen zu stärken. So traf sich Christine Ostrowski, viele Jahre die führende Figur der PDS in Dresden, bereits 1993 zu Gesprächen mit Neonazikadern. Später gründete sie einen PDS-Unternehmerverband und unterstützte den Verkauf von Sozialwohnungen an Miethaie. 2016 rief sie zur Wahl der AfD auf.

Querdenker und Rechtsextreme

Dasselbe abgekartete Spiel fand dann bundesweit bei den rechten „Querdenker“-Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen statt. Rechtsextreme Drahtzieher mit engen Verbindungen zu Verfassungsschutz, Polizei und AfD riefen zu Protesten auf und mobilisierten Verwirrte, Frustrierte und Esoteriker. Politik und Medien bliesen die Sache auf und berichteten endlos darüber. Die Rechtsextremen wurden gezielt eingesetzt, um das politische Klima für eine Corona-Politik zu schaffen, die die Gesundheit und das Leben der Menschen den Profiten der Wirtschaft unterordnet.

Gerichte, Behörden und Polizei ließen die rechten Demonstranten gewähren, selbst wenn klar war, dass die Hygieneauflagen nicht eingehalten wurden, und Polizisten mit Pyrotechnik und Böllern angriffen wurden, wie im November 2020 in Leipzig. Ministerpräsident Kretschmer setzte seine „Dialoge“ und „Bürgergespräche“ mit Rechtsextremen fort und traf sich im Mai 2020 in Dresden zur Diskussion mit „Querdenkern“.

Innenminister Wöller (CDU) verklärte die Proteste als „Spaziergänge“, die nicht gegen die Auflagen verstießen und daher auch nicht von der Polizei aufgelöst werden könnten. Auf der am 3. Dezember tagenden Innenministerkonferenz setzte er den Schwerpunkt auf „Strafverschärfung für Schleuserkriminalität“, „Einschleusung Asylsuchender aus Belarus“ und die „Entwicklung des Linksextremismus in Deutschland am Beispiel der Stadt Leipzig“. Über die gewaltbereiten Querdenker verlor er kein Wort.

Unter diesen Umständen ist es nicht überraschend, dass Sachsen mit 305 Corona-Toten je 100.000 Einwohnern eine Rate aufweist, die mehr als doppelt so hoch ist wie der Bundesdurchschnitt. Sowohl im Herbst letzten Jahres als auch dieses Jahr sah die Landesregierung tatenlos zu, wie die Welle sich ausbreitete. Sie reagierte erst, als in Krankenhäusern bereits Triage praktiziert wurde und die Krematorien überlastet waren. Der sächsische Kultusminister Christian Piwarz beschloss auch als einer der ersten die „inzidenzunabhängige“ Schul- und Kitaöffnung und ermöglichte damit eine ungehinderte Durchseuchung von Kindern.

In diesem von oben geschaffenen Klima konnten gewaltbereite, rechtsextreme Netzwerke und Gruppen gedeihen, die oft selbst in enger Verbindung zur Polizei, zur Bundeswehr und zum Verfassungsschutz stehen und untereinander vernetzt sind.

Im Februar dieses Jahres wurde in Sachsen von bekannten Rechtsextremen aus dem Raum Chemnitz und Erzgebirge die Partei Freie Sachsen gegründet, die seit Monaten durch Proteste auf sich aufmerksam macht. Zu ihren bekanntesten Mitgliedern gehören Martin Kohlmann und Robert Andres von „Pro Chemnitz“ und Stefan Hartung von der NPD. Kohlmann zählte 2018 zu den Hauptinitiatoren des rechtsextremen Aufmarsches in Chemnitz.

Bei der Gründung der Freien Sachsen waren Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet anwesend. Die Partei ist mit neofaschistischen Parteien wie der NPD, „Die Rechte“ und „Dritter Weg“, mit der AfD, der Reichsbürgerszene, dem Compact Magazin und den „Ärzten für Aufklärung“ vernetzt. Letztere wiederum überschneiden sich mit dem Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“, der von Scharlatanen wie Bodo Schiffmann, Stefan Homburg und dem Beststellerautor Sucharit Bhakdi initiiert wurde.

Der MDR beschreibt die engen personellen Verbindungen: „Es sind Leute, die sich kennen, es ist eine Szene... Diese Vernetzung taucht jetzt wieder auf und ist jetzt wieder aktiv.“ Sie reicht bis in die Regierungsparteien hinein. So musste der langjährige Vize-Bürgermeister und CDU-Chef von Freiberg, Holger Reuter, zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass er regelmäßiger Teilnehmer der rechtsextremen Proteste war und in einem Interview das „Kesseltreiben gegen Ungeimpfte“ mit dem Völkermord an den Armeniern verglichen hatte.

Die Razzia gegen die Telegram-Gruppe „Dresden Offlinevernetzung“ sollte nicht falsch interpretiert werden. Sie erinnert an die Zustände in der Weimarer Republik, in der es von rechten, gewaltbereiten Gruppen wimmelte. Auch damals sahen sich Staat und Behörden manchmal gezwungen, ihnen auf die Finger zu klopfen, wenn sie zu weit gingen. Doch selbst wenn sie Morde verübten oder – wie Adolf Hitler 1923 – einen Putschversuch unternahmen, blieben sie auf freiem Fuß oder kamen mit einer geringen Strafe davon. Sie wurden gebraucht, um die Arbeiterklasse einzuschüchtern und zu terrorisieren.

Wie immer, wenn die braunen Netzwerke nicht mehr zu leugnen sind, beschwören Politiker auch jetzt mit gespielter Empörung die „wehrhafte Demokratie“, die „hart durchgreifen“ müsse. Während das wahre Ausmaß der rechten Netzwerke verschwiegen wird, dient der Vorfall als Rechtfertigung für mehr Staatsaufrüstung, die sich letztlich gegen Arbeiter und Linke richtet.

So kündigte Ministerpräsident Kretschmer zusätzliches Personal „für den Kampf gegen Extremisten“ an. Vertreter aller Parteien fordern eine staatliche Kontrolle des Telegram-Diensts, also Zensur. Sollten die Anbieter der Aufforderung zur Löschung von Inhalten nicht nachkommen, „dann gibt es auch Möglichkeiten zu blockieren“, drohte CSU-Chef Markus Söder. Renate Künast (Grüne) forderte eine „eindeutige Regelung“ und erklärte: „Die Zukunft der Demokratie wird offenbar im Netz entschieden, deshalb müssen wir endlich aufhören, hinterherzuhinken.“

Der Ausbau des „starken Staats“, sprich die Stärkung von Geheimdiensten und Polizei, fördert die Kräfte, die angeblich bekämpft werden sollen. Der Kampf gegen die faschistische Gefahr erfordert – wie der gegen die Profite-vor-Leben-Politik, gegen soziale Ungleichheit, gegen Militarismus und Staatsaufrüstung – eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse und ein sozialistisches Programm.

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