Diskussion um Pflegebonus: Eine erneute Ohrfeige für die Beschäftigten

Die derzeitige Diskussion um den geplanten Pflegebonus ist ein abstoßendes Schauspiel. Während den Unternehmen seit Beginn der Pandemie zig Milliarden zugeflossen sind, erhalten diejenigen, die seit über zwei Jahren jeden Tag Leben und Gesundheit riskieren, um den Erkrankten zu helfen, nur Almosen. Und selbst die soll es nur für einen kleinen Teil der Beschäftigten im Pflegebereich geben.

Medizinisches Personal mit Schutzkleidung auf der Station 43 der Berliner Charité (Bild: DOCDAYS Production)

Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte beschlossen, den Beschäftigten im medizinischen Bereich aufgrund der Belastung durch die Corona-Pandemie eine Milliarde Euro als Bonus bereitzustellen, mit einer Steuerfreiheit von bis zu 3000 Euro.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläuterte nun erste Details dazu. Erhalten sollen den Pflegebonus „vor allem Pflegekräfte, die in der Corona-Pandemie besonders belastet waren“. Und er fügte hinzu: „Nur so kann die besondere Leistung von Pflegekräften wirklich gewürdigt werden.“

Mit anderen Worten: Der Großteil der Pflegebeschäftigten soll beim Pflegebonus mit der Begründung leer ausgehen, sie hätten keine „besondere Leistung“ erbracht und seien auch nicht „besonders belastet“ gewesen.

Lauterbach erklärte weiter, dass nur Pflegekräfte den Bonus erhalten sollen, die teilweise ein persönliches Risiko bei der Pflege der Patienten eingegangen seien. Nur durch diese Beschränkung könne der Bonus auch in nennenswerter Höhe angesetzt werden. Dabei liess Lauterbach sowohl offen, wer den Bonus erhalten solle, als auch was eine „nennenswerte Höhe“ ist.

Lauterbachs Aussagen riefen sofort scharfe Kritik von Patienten- und Pflegeverbänden, als auch von Vertretern anderer Berufsgruppen hervor. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch erklärte: „Es wäre ein schwerer Fehler, den Bonus allein Pflegekräften zu zahlen, die Covid-19-Patienten versorgt haben. Das spaltet die Belegschaften.“

Alexander Eichholtz, vom Personalrat der Berliner Charité, spricht sich gegenüber der taz ebenfalls gegen eine Auszahlung des Coronabonus nur für bestimmte Teile des Pflegepersonals aus. „Wir hatten Bereiche, die andere Patienten aufgenommen haben und entsprechend belastet wurden, um Kapazitäten für die Versorgung von Covid-Patienten zu schaffen,“ so Eichholtz. Man könne nicht sagen, es gebe Pflegemitarbeiter, die Herausragendes geleistet hätten, und die anderen nicht. „Alle haben das zusammen gewuppt.“

Tatsächlich zeigt der so genannte „Pflegebonus“ und die Diskussion darüber, dass die Regierung außer hohlen Phrasen und leeren Versprechungen nichts als Verachtung für diejenigen übrig hat, die seit zwei Jahren die katastrophalen Folgen ihrer Politik ausbaden.

Die Weigerung der Ampelkoalition und zuvor der großen Koalition, Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen, und ihre aktive Durchseuchung der Bevölkerung haben das gesamte Gesundheitssystem an den Rand des Kollapses gebracht. Ärzte, Pflegekräfte, aber auch Reinigungs- und Assistenzkräfte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen sind mit der hohen Zahl infizierter Patienten völlig überlastet. Unter dem Druck der Pandemie zeigen sich die Auswirkungen von jahrzehntelanger Kürzungspolitik und Profitmaximierung im Gesundheitswesen. Krasser Personalmangel und unhaltbare Arbeitsbedingungen bestimmen den Alltag in Kliniken und Pflegeeinrichtungen.

Bereits Anfang Dezember 2021 wurde im BARMER-Pflegereport von einem Pflegenotstand in Deutschland berichtet, der weitaus brisanter werden wird als bisher angenommen. In den nächsten Jahren fehlen nach konservativen Schätzungen mehr als 180.000 Pflegekräfte, weil es dann auch mehr als sechs Millionen Pflegebedürftige geben wird. Bisher ging man von etwa fünf Millionen Pflegebedürftigen aus. „Die Politik muss zügig gegensteuern, andernfalls bleibt die Pflege eine Großbaustelle auf schwachem Fundament“, so der Vorstandsvorsitzende der BARMER Prof. Dr. Christoph Straub.

Aber auch die Beschäftigten in Arztpraxen, Behinderteneinrichtungen oder bei den Rettungs- und Fahrdiensten sind unterbezahlt und hoffnungslos überarbeitet. Ganz zu schweigen von dem enormen Risiko. Laut einer Studie der WHO (Weltgesundheitsorganisation) vom letzten Oktober starben bis dahin während der Pandemie weltweit etwa 180.000 Pflegebeschäftigte an Covid-19.

Mit der explosiven Ausbreitung der Omikron-Mutante droht sich die Situation in den kommenden Wochen weiter dramatisch zu verschärfen. Ohne harte Lockdown-Maßnahmen, die die Regierung vehement ablehnt, wird es zu einer immensen Welle von Neuinfektionen und Todesopfern kommen. In seiner aktuellen Stellungnahme warnt der Covid-19-Expertenrat der Bundesregierung vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems.

Dass die Regierung unter diesen Bedingungen gerade einmal eine Milliarde Euro als „Bonus“ ausgelobt hat und diesen nun nur einem Teil der Pflegekräfte zukommen lassen will, unterstreicht den Klassencharakter der offiziellen Politik. Während für diejenigen, die Leben retten, angeblich kaum Ressourcen da sind, gibt es für die Wirtschafts- und Finanzeliten Milliardengeschenke am laufenden Band.

Bereits zu Beginn der Pandemie 2020 sah die Regierung im Rahmen des sogenannten Corona-Notpakets alleine 600 Milliarden Euro zur Unterstützung von Großunternehmen vor. Vor wenigen Tagen versprach Wirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) weitere Steuererleichterungen für Unternehmen in Milliardenhöhe.

Bereits die vorherige Bundesregierung hatte die Pflegekräfte immer wieder vor den Kopf gestoßen. Mitte 2020 entschied sie, den damaligen „Coronabonus“ nur an die Beschäftigten in der Altenpflege auszuzahlen. Lauterbach kritisierte seinerzeit diese Entscheidung. „Die Betroffenen empfinden es zu Recht als ungerecht, dass der Pflegebonus nicht in der Krankenpflege ankommt“, heuchelte er. Am Ende erhielten dann nicht einmal alle Beschäftigten in der Altenpflege den lächerlich geringen „Bonus“.

Nun organisiert Lauterbach eine ähnlich üble Ohrfeige. Würde man die von der Regierung veranschlagte Summe auf die 1,7 Millionen Beschäftigten in der Pflege aufteilen, bekäme jeder die mickrige Summe von etwa 590 Euro. Dabei arbeiten nahezu alle Pflegekräfte seit zwei Jahren am Limit, um Leben zu retten.

Hinzu kommt, dass die Pflegekräfte in der Pandemie sogar Lohneinbußen hinnehmen mussten. Der von den Gewerkschaften ausgehandelte Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Länder Ende letzten Jahres, unter den zahlreiche Beschäftigte in öffentlichen Kliniken fallen, bedeutet auf Grund der hohen Inflation von aktuell über fünf Prozent eine Reallohnsenkung.

Auch die berechtigten Forderungen nach Verbesserungen der miserablen Arbeitsbedingungen werden von den Regierungen im Bündnis mit den Gewerkschaften sabotiert. So hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zusammen mit den Berliner Senatsparteien den 50-tägigen Streik an den Landeskliniken von Charité und Vivantes abgewürgt und die katastrophalen Arbeitsbedingungen und schlechten Löhne zementiert.

Die Beschäftigten in Pflege und Gesundheitswesen müssen aus dem jüngsten Affront die notwendigen politischen Schlussfolgerungen ziehen. Um ihre Interessen durchzusetzen, müssen sie sich unabhängig von den Gewerkschaften und den etablierten Parteien in Aktionskomitees organisieren. Aufgabe der Aktionskomitees ist die Vernetzung mit Beschäftigten aus anderen Betrieben und Branchen auch international. Nur so kann der Kampf gegen die Pandemie und für angemessene Bezahlung und sichere und gute bezahlte Arbeit geführt werden.

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