Russland droht den USA mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen, Zerwürfnisse in der Oligarchie verschärfen sich

Am Montag bestellte das russische Außenministerium den amerikanischen Botschafter ein, gab eine Protestnote heraus und drohte mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu den USA, weil US-Präsident Joe Biden den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Kriegsverbrecher bezeichnet hatte.

US-Außenminister Antony Blinken (links) und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow vor ihrem Treffen am 21. Januar 2022 in Genf (AP Photo/Alex Brandon, Pool)

Das Außenministerium erklärte, Bidens Äußerung habe „die russisch-amerikanischen Beziehungen an den Rand des Zusammenbruchs gebracht“. Es warnte den Botschafter außerdem, Russland werde das „feindselige Vorgehen“ der USA mit scharfem Widerstand beantworten.

Diese Äußerungen sind eindeutig eine Reaktion auf die massive Intervention der Nato in den Ukrainekrieg. Das Militärbündnis hat das ukrainische Militär und Neonazi-Verbände mit Waffen im Wert von Milliarden Dollar ausgestattet und einen offenen Wirtschaftskrieg gegen Russland begonnen.

Die wirtschaftliche und militärische Kriegsführung geht einher mit verschärften Bestrebungen, in Moskau einen Regimewechsel herbeizuführen. Die USA stellen schon seit langem Personen aus der russischen Oligarchie und der oberen Mittelschicht in betrügerischer Absicht als „demokratische“ Gegner des Putin-Regimes dar, um den Sturz Putins durch eine Palastrevolte innerhalb der Oligarchie und des Staatsapparats vorzubereiten. Das jüngste Beispiel dafür ist der mittlerweile zu einer Haftstrafe verurteilte rechtsextreme Putin-Kritiker Alexei Nawalny.

Das Ziel der US-Regierung besteht darin, ein Regime an die Macht zu bringen, das dem Imperialismus direkten Zugang zu Russlands immensen Beständen von Rohstoffen und Arbeitskräften gewähren und den geopolitischen Ambitionen des Imperialismus in Europa und Asien nicht mehr im Wege würde.

Der Krieg hat in Russland zu einem raschen Zerfall der herrschenden Oligarchie und der oberen Mittelschichten geführt. Behauptungen des ukrainischen Geheimdienstes, laut denen ein „Putsch“ bevorsteht und der Chef des Geheimdienstes FSB Alexander Bortnikow als möglicher Nachfolger Putins im Gespräch ist, wurden noch nicht von unabhängigen Quellen bestätigt. Allerdings gibt es viele Anzeichen dafür, dass tief im Staatsapparat derartige Unstimmigkeiten bestehen.

Mehrere Oligarchen, die Putin traditionell nahestanden, darunter Oleg Deripaska (Nettovermögen 2,2 Milliarden Dollar), Michail Fridman (12,2 Milliarden Dollar) und Pjotr Awen (4,4 Milliarden Dollar), haben den Krieg öffentlich verurteilt und seine Beendigung gefordert. Auch Putins prominente Patentochter Xenia Sobtschak, eine ehemalige Präsidentschaftskandidatin, ist der Koalition der „Milliardäre und Millionäre für den Frieden“ beigetreten.

Hunderttausende von Angehörigen der oberen Mittelschicht haben Russland verlassen, die meisten begaben sich in die baltischen Staaten, den Kaukasus und nach Israel. Zu ihnen zählen auch der bekannteste russische Talkshowmoderator Iwan Urgant (Jahreseinkommen: etwa 5,6 Millionen Dollar) und viele Akademiker aus den prestigeträchtigsten Institutionen des Landes.

Auch in den staatlichen russischen Medien gab es eine Welle von Kündigungen, u.a. bei Russia Today und TV Channel 1. Bekannt wurde der öffentliche Protest der ehemaligen Redakteurin von Channel 1 Maria Owsiannikowa gegen den Krieg während einer Ausgabe der Hauptnachrichten.

Nach ihrer Protestaktion wurde Owsiannikowa vierzehn Stunden lang verhört und zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel verurteilt, was 275 Dollar entspricht und kaum mehr als eine Verwarnung darstellt. In einem Social-Media-Video rief sie die Menschen zur Teilnahme an Antikriegsprotesten auf und erklärte ihre Unterstützung für Alexei Nawalny.

Seither konnte sie vielen internationalen Medien Interviews geben, u.a. dem Spiegel und CNN. Die Behandlung Owsiannikowas durch den Kreml deutet darauf hin, dass sich die russische Regierung bewusst ist, dass beträchtliche Sektionen der herrschenden Klasse und der oberen Mittelschicht ihre Positionen teilen.

Die meisten Medien aus dem Umfeld der pro-amerikanischen liberalen Opposition, darunter Echo Moskwy und der Fernsehsender Doschd, wurden verboten. Zudem wurde eine strenge Zensur eingeführt. Doch die Wirtschaftszeitung Kommersant, das russische Äquivalent zum Wall Street Journal oder der Financial Times, hat in den sozialen Medien mehrere Artikel und Bilder veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass zumindest Teile der Redaktion den Krieg ablehnen.

Letzte Woche erschien auf dem Twitter-Account der Zeitung ein Interview mit dem Chef des russischen Militärgeheimdienstes Sergei Naryschkin. In einem Bild war Naryschkin vor einem Poster mit der Aufschrift „Nürnberg“ zu sehen – eine nicht gerade subtile Andeutung, er sei für Kriegsverbrechen verantwortlich.

Der Vizepräsident der Muttergesellschaft von Kommersant, Andrei Kolesnikow, hat mehrere Artikel über Putins Reden über den Krieg geschrieben, die zwar alle Vorgaben der Zensur erfüllten, aber in einem sardonischen und hämischen Ton geschrieben waren. Daraus wurde ersichtlich, dass Kolesnikow Putins Kurs ablehnt.

Doch trotz dieser Rhetorik ist das politische Ziel dieser Kräfte alles andere als „Frieden“. Sie treten nicht für ein „Ende des Krieges“ ein, sondern für eine Annäherung Russlands an die Nato. Dies würde mit einem Regimewechsel einhergehen, der nicht nur zu weiteren diktatorischen und Austeritätsmaßnahmen zu Lasten der Arbeiterklasse führen würde, sondern vermutlich auch zu einem Bürgerkrieg und der Zersplitterung des Landes nach regionalistischen, ethnischen und religiösen Linien.

Putins proimperialistische Kritiker sprechen nicht für die Millionen von Arbeitern, die kaum über die Runden kommen, den Krieg ablehnen und wegen der Sanktionen von Arbeitslosigkeit und möglicherweise Hunger bedroht sind. Vielmehr repräsentieren sie Teile einer sehr reichen oberen Mittelschicht und Oligarchie, die aus der Wiedereinführung des Kapitalismus und der Zerstörung der Sowjetunion hervorgegangen ist und der Arbeiterklasse mit erbitterter Feindschaft gegenübersteht.

Russland ist eine der Gesellschaften mit der höchsten Ungleichheit weltweit. Im Jahr 2020 besaßen die obersten zehn Prozent der Bevölkerung 87 Prozent des gesamten Reichtums, während der Pandemie hat sich dieser Wert zweifellos noch erhöht. Trotz der scharfen Spannungen in diesen Schichten über den rücksichtslosen Kriegskurs des Putin-Regimes repräsentieren sie im Wesentlichen die gleichen Klasseninteressen.

Es steht außer Frage, dass Washington eine hochgradig aktive Rolle dabei spielt, Konflikte in der herrschenden Elite und der oberen Mittelschicht zu schüren. Owsiannowka wurde von den gleichen Medien, die dreizehn Jahre lang die illegale Verfolgung und Folterung von Julian Assange unterstützt haben, als Heldin gefeiert.

Der ehemalige amerikanische Botschafter in Russland Michael McFaul, der heute als Gastdozent an der rechten Hoover Institution der Universität Stanford tätig ist, ruft in russischsprachigen Tweets regelmäßig Teile der Oligarchie und russische Generäle auf, sich gegen Putin zu stellen.

Das Putin-Regime reagiert auf die atemberaubende wirtschaftliche und politische Krise infolge des Kriegs, indem es die Propagierung von großrussischem Chauvinismus und Militarismus noch weiter forciert. Letzte Woche warnte Putin bei einem Treffen vor führenden Regionalpolitikern, dass jeder, der die „Militäroperation in der Ukraine“ (der Begriff „Krieg“ ist in Russland verboten) kritisiert, als „nationaler Verräter“ eingestuft würde. Diesen Personen droht eine Haftstrafe.

Am Freitag hielt er im Moskauer Luschniki-Stadion eine achtminütige Rede vor 80.000 Zuhörern. Vor Transparenten mit den Aufschriften „Für eine Welt ohne Nazismus“ und „Für Russland“ stellte er den Krieg als notwendigen Schritt dar, um einen „Völkermord“ an Russen zu verhindern und die „Einigkeit“ der Nation zu gewährleisten.

Unter Rückgriffen auf „Blut und Boden“-Rhetorik und die Bibel lobte er die russischen Soldaten, die „Schulter an Schulter“ kämpfen und sterben. Zum Schluss der Rede, die von lauten „Russland, Russland, Russland!“-Sprechchören unterbrochen wurde, zitierte er den zaristischen Marinekommandanten Fedor Uschakow aus dem achtzehnten Jahrhundert: „Er sagte einst, diese Gewitter [die Schlachten] würden Russland zur Ehre gereichen. So war es seinerzeit, so ist es heute, und so wird es immer sein!“

Weder Putin noch sonst jemand trug bei der Kundgebung Masken, sodass sie sich zum Superspreader-Event entwickeln wird. Die Zahlen gehen zwar nach der schrecklichen Omikron-Welle im Januar und Februar zurück, doch die Pandemie fordert weiterhin einen kolossalen Tribut. Die Zahl der Neuinfektionen liegt bei über 20.000 pro Tag, bei einer Bevölkerung von 140 Millionen gibt es mehr als eine Million Todesopfer. Doch genau wie die Regierungen überall sonst auf der Welt benutzt der Kreml den Krieg, um die Pandemie aus den Nachrichten zu drängen, selbst die begrenztesten Eindämmungsmaßnahmen aufzuheben und damit einen weiteren Anstieg von Fallzahlen und Todesfällen zu gewährleisten.

Die Arbeiter müssen sowohl die verlogene „Friedens“-Fraktion der russischen Oligarchie ablehnen, die eine direkte Angliederung an den US-Imperialismus anstrebt, als auch den reaktionären großrussischen Chauvinismus und Militarismus des Putin-Regimes. Sie können nur durch den Klassenkampf und den Aufbau einer sozialistischen Antikriegsbewegung Widerstand gegen den Krieg leisten und müssen mit ihren Klassenbrüdern- und Schwestern auf der ganzen Welt, vor allem in der Ukraine und den USA, gemeinsam kämpfen.

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