„Belmarsh-Tribunal“ in Washington D.C. fordert Biden auf, Anklage gegen Assange fallen zu lassen

Am 20. Januar trat in Washington D.C. das „Belmarsh-Tribunal“ zusammen (so genannt nach dem Hochsicherheitsgefängnis im Vereinigten Königreich, in dem der WikiLeaks-Gründer und Journalist Julian Assange seit drei Jahren einsitzt). Das Tribunal hat den US-Präsidenten Joe Biden aufgefordert, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen. Diesem drohen derzeit die Auslieferung an die USA und eine 175-jährige Haftstrafe.

Zwar hörte das Tribunal wichtige Zeugenaussagen von Whistleblowern wie Daniel Ellsberg und prinzipientreuen Journalisten und Bürgerrechtlern wie beispielsweise der Anwältin Margaret Kunstler. Leider wurde es durch die bankrotte politische Haltung der „Progressiven Internationalen“, die die Veranstaltung ausrichtete, stark beeinträchtigt. Deren gesamte Perspektive konzentriert sich in dieser Frage darauf, an die Regierung Biden und die Demokratische Partei zu appellieren.

Julian Assange (51) ist nach dem Spionagegesetz von 1917 angeklagt, weil WikiLeaks Kriegsverbrechen des US-Militärs in Afghanistan und im Irak aufgedeckt hat. Im Jahr 2010 veröffentlichte WikiLeaks die inzwischen weltbekannte Aufnahme „Collateral Murder“, die zeigt, wie ein US-Apache-Hubschrauber in Bagdad 18 unbewaffnete Zivilisten und Journalisten massakrierte. Die im Anschluss daran veröffentlichten Irak-Kriegsprotokolle, die aus Feldberichten der US-Armee bestehen, schildern systematische Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung des Irak.

Julian Assange [Photo by David G. Silvers, Cancillería del Ecuador / CC BY-SA 2.0]

Den Ton für das Tribunal gab der kroatische Philosoph Srecko Horvat an. In seiner Eröffnungsrede verglich er absurderweise den US-Präsidenten Joe Biden mit Thomas Jefferson, da beide Heuchler seien: Jefferson, weil er Sklaven besessen habe und gleichzeitig „offiziell“ für Gleichheit eingetreten sei, und Biden, weil er die Pressefreiheit nur dem Namen nach verteidige. Horvat schloss seine Ausführungen mit einem Appell an Biden, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen.

Darauf legte Jeffrey Sterling, ein Whistleblower und ehemaliger CIA-Beamter, ein wichtiges Zeugnis ab. Er verglich den Espionage Act mit den Anti-Alphabetisierungsgesetzen aus der Zeit der Sklaverei. Diese sollten die Sklaven von jeder Ausbildung fernhalten. Wie Sterling erklärte: „Ein gebildeter Sklave wird niemals lange Sklave bleiben.“

Auf ähnliche Weise sei der Espionage Act, ein zutiefst reaktionäres Gesetz aus dem Jahre 1917, dazu benutzt worden, den Widerstand gegen den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg zu unterdrücken. Sterling prangerte die juristische Travestie an, die darin besteht, dieses Gesetz heute gegen Assange zur Anwendung zu bringen.

Daraufhin sprach die Bürgerrechtsanwältin Margaret Kunstler, die den Guantanamo-Gefangenen Mohamedou Ould Slahi verteidigt und seine Freilassung erwirkt hatte. Zwar nahm sie eine im Wesentlichen prinzipielle Haltung ein, die zu begrüßen ist. Aber sie lieferte eine politische Begründung für einen Appell an die Demokratische Partei, indem sie den Beginn der Verfolgung von Assange auf das Jahr 2017 legte, als Donald Trump die Präsidentschaft übernahm. Dies impliziert, dass Biden und die Demokraten davon überzeugt werden könnten, ihren Kurs zu ändern und die Anklage fallen zu lassen. In Wirklichkeit war es die Obama-Regierung, die den ersten Angriff auf Assange anführte.

Als Jeremy Corbyn auf der Podiumsdiskussion auftrat, wurde er als das „reine Gegenstück“ von Labour-Parteichef Keir Starmer präsentiert. Allerdings war Corbyns Heuchelei beschämend. Er beklagte in einer demagogischen Rede die Komplizenschaft gewählter Amtsträger in den USA und anderswo bei der Verfolgung und rief aus: „Euer Schweigen macht es für die Demokratie im Ganzen umso schlimmer.“ Er endete mit einem faden Appell an die amerikanischen Politiker: „Machen Sie den Mund auf!“

Mit seinem Appell an Biden wiederholte er seinen früheren Appell an den britischen Premierminister Boris Johnson im Jahr 2021 im Rahmen der bankrotten Kampagne „Don't Extradite Assange“ (DEA), die prompt im Sande verlief. Als Reaktion darauf legte Corbyn die Hände in den Schoß und erklärte: „Was ich tun konnte, habe ich getan!“

Fast alle Redner griffen diesen Appell an die Demokraten auf und unterstützten ihn, wie auch Betty Medsger, die Journalistin derWashington Post, die 1971 über die durchgesickerten FBI-Akten berichtet hatte. Steven Donziger verwies in seinem Beitrag auf den „Korporatismus“ des US-Sicherheitsapparats und den Polizistenmord an einem Klimaaktivisten in Atlanta vor wenigen Tagen. Dennoch forderte auch er anschließend Biden auf, sich für Assanges Freilassung einzusetzen.

Auch der Whistleblower Daniel Ellsberg hielt einen wichtigen Beitrag. Zuletzt hatte er Dokumente veröffentlicht, die nachweisen, dass die USA während der Taiwan-Krise 1958 kurz vor einem Atomwaffeneinsatz gegen China standen. In seinen Ausführungen vor dem Tribunal sprach er über die absichtlich zweideutige Formulierung des Espionage Act: Er beschränkt die Strafverfolgung nicht auf diejenigen, die sensible Informationen durchsickern lassen, sondern erlaubt auch die Verfolgung derjenigen Personen, die diese Informationen besitzen. Damit setzt er den ersten Verfassungszusatz außer Kraft. In diesem Sinne forderte Ellsberg Biden auf: „Klagen Sie zusammen mit Julian Assange und anderen auch mich an oder lassen Sie diesen verfassungswidrigen Versuch, Julian auszuliefern, fallen.“

Schließlich gab es eine bewegende Ansprache von Assanges Vater, John Shipton. Er prangerte die Heuchelei der westlichen Demokratien an, die ihre „Freiheit“ preisen, während sie Journalisten verfolgen.

Horvat schloss das Tribunal mit den Worten, es habe „überzeugende Zeugenaussagen“ geliefert, die hoffentlich „Biden davon überzeugen werden, die Anklage fallen zu lassen“.

Das Tribunal bot keinerlei ernsthafte Analyse von Assanges Verfolgung oder der Zunahme autoritärer Herrschaftsformen auf der ganzen Welt. Diese Themen wurden zwar bisweilen angesprochen, aber nicht erklärt. Das Tribunal konnte das „Warum“ nicht beantworten. Tatsächlich verzichtete es darauf, diese Frage auch nur ernsthaft zu stellen.

Diese Herangehensweise ist für die Organisation „Progressive Internationale“ bezeichnend. Sie ist ursprünglich von US-Senator Bernie Sanders in Zusammenarbeit mit Persönlichkeiten wie dem griechischen Politiker Yanos Varoufakis gegründet worden. Letzterer fungierte 2015 als Finanzminister der Syriza-Regierung, als die EU der griechischen Arbeiterklasse extreme Sparmaßnahmen auferlegte.

Auch Sanders erwies sich als verlässlicher Diener der herrschenden Klasse, als er dazu beitrug, die Massenopposition in den USA gegen beide kapitalistischen Parteien aufzufangen und zurück ins Fahrwasser der Demokraten zu lenken. Dazu verbreitete er die Illusion, dass es möglich sei, diese Partei der imperialistischen Reaktion zu „reformieren“.

Die Redner hatten denn auch keine andere Lösung, als an die gleichen Kräfte zu appellieren, die für die Errichtung des Polizeistaatsapparats verantwortlich sind. US-Präsident Biden hat in seiner früheren Funktion als Vizepräsident der Obama-Regierung die Macht und Reichweite des US-Staatsapparats beispiellos ausgeweitet. Damals wurde auch Whistleblower Edward Snowden rücksichtslos verfolgt. Snowden hatte diese Ausweitung der zügellosen Macht aufgedeckt und zum Beispiel enthüllt, dass der US-Geheimdienst NSA heimlich Millionen von Amerikanern ausspionierte.

Die Obama-Regierung hatte einen neuen Rubikon überschritten, als sie mit Hilfe von Drohnen gezielte Tötungen praktizierte. Es waren außergerichtliche Hinrichtungen ohne ordentliches Gerichtsverfahren, denen auch amerikanische Staatsbürger zum Opfer fielen. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte an Biden zu appellieren und zu hoffen, dass er seinen Kurs ändern würde, kommt der sprichwörtlichen Aufforderung an den Teufel gleich, sich freiwillig die Krallen zu schneiden.

Die Verteidigung von Journalisten wie Julian Assange darf nicht einem Teil der herrschenden Klasse überlassen bleiben – genauso wenig, wie der Kampf für die elementaren demokratischen Rechte auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit. Prinzipientreue Journalisten müssen sich an die mächtigste gesellschaftliche Kraft der Erde wenden, die als einzige die demokratische Rechte verteidigen kann: die internationale Arbeiterklasse.

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