US-Außenminister Antony Blinken traf sich am Montag mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und anderen hochrangigen Vertretern. Thema ihrer Gespräche waren außer der politischen Krise in Israel auch ihre gemeinsamen militärischen Operationen gegen den Iran.
Netanjahu war offensichtlich bestrebt, das Hauptaugenmerk auf den zweiten Themenkomplex zu richten. Doch Blinken machte in seinen öffentlichen Äußerungen während des Treffens deutlich, dass in Washington die Besorgnis über die explosive politische Situation wächst, die sich sowohl in den besetzten Gebieten als auch innerhalb des jüdischen Staats selbst aufbaut.
Die Biden-Regierung treibt die Sorge um, dass die Ereignisse des vergangenen Monats das israelische Regime destabilisieren und seine Fähigkeit, als wichtigste Bastion des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten zu dienen, in Frage stellen könnten.
Der Grad der Besorgnis spiegelt sich in der außergewöhnlichen Reise hochrangiger US-Vertreter nach Jerusalem im Januar wider: Zuerst reiste der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, nach Israel, dann CIA-Direktor William Burns, und jetzt US-Außenminister Blinken.
Netanjahu hat eine rechtsradikale Regierung gebildet. Sie wird von seiner Likud-Partei, der traditionellen Partei der israelischen Rechten, angeführt, an ihr sind aber auch faschistische Parteien, die sich auf die Siedler im Westjordanland stützen, und ultrareligiöse Parteien beteiligt. Diese wollen nicht nur die Palästinenser, sondern auch die eher säkularen Teile der jüdischen Bevölkerung unterdrücken.
Teilweise um seine eigene weitere Strafverfolgung wegen Korruptionsvorwürfen (sowie ähnliche Vorwürfe gegen mehrere wichtige politische Verbündete) zu verhindern, strebt Netanjahu eine Reihe von Änderungen in der politischen Struktur Israels an. Die Bestrebungen zielen darauf ab, den Generalstaatsanwalt abzusetzen, und letztlich die Unabhängigkeit der Justiz aufzuheben.
Israel besitzt weder eine geschriebene Verfassung noch Garantien für grundlegende demokratische Rechte. Die vorherige Netanjahu-Regierung erklärte Israel offiziell zum „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ und degradierte die Palästinenser auf einen zweitklassigen, apartheidähnlichen Status.
Der jüngste Vorschlag, die Justiz, die gemeinhin als letzte unabhängige Verteidigungslinie für demokratische Rechte gilt, faktisch zu entmachten, hat massenhaften Widerstand hervorgerufen. In mehreren großen Demonstrationen in Tel Aviv nahmen bis zu 100.000 Menschen teil, und das in einem Land mit nur 7 Millionen Einwohnern.
Blinken bezog sich in seinen öffentlichen Äußerungen ausdrücklich auf diese Proteste, ein ungewöhnlicher Bruch mit der traditionellen diplomatischen Haltung, dass die inneren Angelegenheiten eines Landes dessen eigene Sache seien. Dies geschah eindeutig nicht aus Sorge um die demokratischen Rechte im Allgemeinen. Der US-Gesandte hatte gerade einen Tag in Ägypten verbracht, um sich mit dem bluttriefenden Militärdiktator Abd al-Fattah al-Sisi zu unterhalten.
Ein weiterer destabilisierender Faktor, dem Blinken den größten Teil seiner öffentlichen Äußerungen widmete, ist die Welle von Gewalt im Westjordanland und in Jerusalem. Ausgelöst wurde diese zuletzt durch eine israelische Razzia am Donnerstag in der westjordanischen Stadt Dschenin, bei der zehn Palästinenser getötet wurden.
Darauf folgte ein Selbstmordattentat eines einzelnen Palästinensers auf eine Jerusalemer Synagoge am Freitagabend, bei dem sieben Menschen getötet wurden. Am Samstag eröffnete ein 13-jähriger Palästinenser das Feuer auf einen israelischen Vater und seinen Sohn und verletzte beide. Am Sonntag kam es im gesamten Westjordanland zu zahlreichen Angriffen von Siedlern auf Palästinenser. Einigen Berichten zufolge wurden am Wochenende bis zu 150 gewalttätige Zwischenfälle verzeichnet.
Am Montag eröffneten israelische Streitkräfte in der besetzten Stadt Hebron das Feuer auf ein angeblich verdächtig fahrendes Auto und töteten den Fahrer, den 26-jährigen Nassim Abu Fouda, durch einen Kopfschuss.
In seiner Eröffnungsrede vor Netanjahu und in anschließenden öffentlichen Äußerungen forderte Blinken ein Ende der Gewalt, womit er sich auf Aktionen von Palästinensern und Siedlern und anderen jüdischen Personen bezog, die zur Selbstjustiz greifen. Er nahm keinen Bezug auf das israelische Massaker, das der Auslöser für die aktuellen Angriffe war, und äußerte sich nicht kritisch über den Staat Israel.
Nach seinen Gesprächen mit Netanjahu und anderen Kabinettsmitgliedern reiste Blinken in die Stadt Ramallah im Westjordanland wo die Palästinensische Autonomiebehörde ihren Sitz hat. Dort traf Blinken den 87-jährigen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas. Es wird erwartet, dass Blinken die Palästinensische Autonomiebehörde zur Wiederaufnahme der offiziellen Zusammenarbeit mit den israelischen Sicherheitskräften bei den Maßnahmen zur Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland zwingen wird. Diese Zusammenarbeit war nach dem blutigen Anschlag in Dschenin ausgesetzt worden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen zwischen Blinken und Netanjahu wurde die interne Krise wahrscheinlich kurz ausgeklammert und die zunehmende militärische Aggressivität Israels und der Vereinigten Staaten gegen den Iran in den Vordergrund geschoben.
Am Samstag hatte es einen Angriff auf die iranische Stadt Isfahan gegeben, bei dem militärische Ziele von kleinen Drohnen getroffen wurden, die offenbar von israelischen Agenten im Iran gestartet wurden. Zweifellos sind weitere Aktionen in Planung. Es gibt widersprüchliche Berichte über die Art der Ziele und das Ausmaß der Schäden, aber die Stadt Isfahan ist ein Zentrum der iranischen Luft- und Raumfahrtindustrie.
Das Pentagon erklärte am Sonntag, dass das amerikanische Militär keine Rolle bei dem Angriff gespielt habe. Die konservative Zeitung Jerusalem Post wies jedoch darauf hin, man könne „die Erklärung des Pentagons, dass die USA am Drohnenangriff militärisch nicht beteiligt waren, auf alle möglichen Arten interpretieren. Könnte es eine geheimdienstliche oder Cyber-Beteiligung gegeben haben?“
Netanjahu hat es zu seiner politischen Visitenkarte gemacht, mit Krieg zu drohen, um die vermeintliche Gefahr eines atomar bewaffneten Iran zu bannen. Er war ein entschiedener Gegner des Atomabkommens von 2015 zwischen dem Iran und sechs Großmächten, darunter den USA. Aus diesem Grund begrüßte Netanjahu den Schritt der Trump-Regierung, aus dem Abkommen auszusteigen und es damit praktisch zunichte zu machen.
Die Regierung Biden hat sich nach dem Ausbruch des Stellvertreterkriegs von USA und Nato gegen Russland in der Ukraine der israelischen Position angenähert. Berichten zufolge nutzt Russland Drohnen aus iranischer Produktion als wirksame Waffe gegen ukrainische Ziele, auch wenn der Iran behauptet, die Drohnen seien schon vor Ausbruch des Kriegs im Februar letzten Jahres geliefert worden.
Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stellte offen einen Zusammenhang zwischen dem israelischen Drohnenangriff auf Isfahan und dem Einsatz iranischer Drohnen in der Ukraine her. In den US-Medien wurde viel darüber spekuliert, dass die Regierung Biden nach Mitteln und Wegen suche, die iranische Drohnenproduktion zu stören oder anderweitig Vergeltung an Teheran für seine De-facto-Allianz mit Russland zu üben.
Anfang dieses Monats führten die USA und Israel ihre bisher größten gemeinsamen Militärübungen durch, an denen 7.500 Soldaten teilnahmen, und die Luft-, See- und Bodentruppen umfassten. In einem Interview mit CNN erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, am Montagabend, dass sich diese Übungen in erster Linie gegen den Iran richteten, den er als die größte Sicherheitsbedrohung für die Interessen der USA im Nahen Osten wie auch für den Staat Israel bezeichnete.