Frankreich: Nach den Protesten gegen Rentenkürzungen brechen Streiks in der gesamten Wirtschaft aus

Nachdem am Dienstag Millionen von französischen Arbeitern und Jugendlichen zum sechsten Mal gegen die allgemein verhassten Rentenkürzungen von Präsident Macron protestiert haben, brechen in der gesamten französischen Wirtschaft Streiks aus. Durch die Streiks in Raffinerien, Energieanlagen und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln könnte die Treibstoffversorgung und damit die gesamte Wirtschaft vollständig zum Erliegen kommen.

Streikende Hafenarbeiter im südwestfranzösischen Tarnos besetzen am 8. März eine Straße zum Hafen von Bayonne. Auf dem Transparent steht: „Streikende Hafenarbeiter, toter Hafen“. (AP-Foto/Bob Edme) [AP Photo/Bob Edme]

In der Energiebranche hatten die Arbeiter bereits letzte Woche längerfristige Ausstände beschlossen. Drei der vier Flüssiggasterminals des Landes (zwei in Fos-sur-Mer und eins in Saint Nazaire) haben einwöchige Streiks angekündigt. Die Raffineriearbeiter, deren Streiks von der Gewerkschaftsbürokratie isoliert und die danach vom Staat zur Weiterarbeit gezwungen wurden, damit sie Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate akzeptieren, traten am Montag in den Streik. Da auch in allen Betrieben von TotalEnergies gestreikt wird, wird in Frankreich derzeit kein Treibstoff ausgeliefert.

Auch in anderen Teilen der Energiebranche mobilisierten die Arbeiter massenhaft. Seit letztem Freitag ist die Stromproduktion durch Streiks in Atom-, Wasser- und Heizkraftwerken um 5.000 Megawatt gesunken, was der Leistung von fünf Kernreaktoren entspricht. Aus Protest gegen die Unterstützung von Arbeitsminister Olivier Dussopt für die Kürzungen haben Streikende die Stromzufuhr zu dem Stadtteil von Annonay abgestellt, in dem Dussopt lebt.

Durch einen Streik der Fluglotsen wird der Flugverkehr bis Ende der Woche stark beeinträchtigt sein. Die Generaldirektion der zivilen Luftfahrt (DGCA) hat gewarnt, sie werde für den Rest der Woche 20 bis 30 Prozent der Flüge absagen. Am Dienstag wurden 20 Prozent der Flüge am Pariser Flughafen Charles de Gaulle und 30 Prozent an den Flughäfen Paris-Orly, Beauvais, Bordeaux, Lille, Lyon, Nantes, Marseille, Montpellier, Nizza und Toulouse gestrichen.

In Paris und weiteren Großstädten dauern die Streiks bei den öffentlichen Verkehrsmitteln an, unter anderem an den Bahnhöfen Paris-Gare du Nord, in Le Havre und Toulouse sowie am Flughafen Paris-Le Bourget.

Am Dienstag wurden die Verkehrsnetze in ganz Frankreich durch die streikenden Beschäftigten behindert und teilweise gänzlich lahmgelegt. Im ganzen Land traten 76 Prozent aller Zugführer und 55 Prozent der Kontrolleure in den Streik. Weitere Streiks von Lastwagenfahrern und die Blockade mehrerer Autobahnen in der Nacht von Montag auf Dienstag unterbrachen den Gütertransport im ganzen Land.

80 Prozent der TGVs (Hochgeschwindigkeitszüge) fielen aus, sodass der Zugverkehr von Frankreich nach Deutschland und Spanien beeinträchtigt war. In der Hauptstadtregion Île-de-France fielen mehr als 80 Prozent der Regionalzüge aus, auch der Betrieb der Pariser Metro wurde stark beeinträchtigt. In Lille fiel die Mehrheit der Busse aus. In Marseille standen beide U-Bahnlinien und eine der drei Straßenbahnlinien still, daneben waren 85 Prozent der Busse vom Streik betroffen. Auch in Nizza standen die Straßenbahnen still.

Beträchtliche Teile der Industriearbeiter aus der Privatwirtschaft setzten die Streiks vom Dienstag auch am Donnerstag fort, darunter Autoarbeiter bei Stellantis und Renault, dem Zulieferer Valeo, dem Luftfahrtunternehmen Airbus, dem Motorenbauer Safran und der Marinewerft in Saint Nazaire.

Auch andere wichtige Teile der Arbeiterklasse legen die Arbeit nieder. Die Arbeiter in der Fleischindustrie, die sich ebenfalls mitten in Tarifverhandlungen befinden, streiken landesweit die ganze Woche über. Die Pariser Müllwerker und Kanalreiniger streiken ebenfalls seit Montag. In vier der 20 Pariser Distrikte ist die Müllabfuhr bereits beeinträchtigt, und in der Verbrennungsanlage in Ivry-sur-Seine vor den Toren von Paris haben 70 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt und verhindern die Müllverbrennung.

Im Vorfeld dieses Ansturms von Arbeiterkämpfen fanden am Dienstag die bisher größten Proteste gegen Macrons Kürzungen statt. Zu der eintägigen Aktion hatte ein Bündnis aller großen Gewerkschaften aufgerufen, darunter die stalinistische Confédération générale du travail (CGT), die sozialdemokratische Confédération française démocratique du travail (CFDT) und Force ouvrière (FO). Letztlich beteiligten sich 3,5 Millionen Menschen an den Protesten. Mehr als 400 Oberschulen und 40 Universitäten in allen größeren Städten des Landes wurden von den Studenten besetzt oder mussten schließen.

In Paris demonstrierten laut Zahlen der CGT 700.000 Menschen. In anderen Großstädten stiegen die Zahlen im Vergleich zu früheren Protesten am 31. Januar dramatisch an. In Marseille waren es laut den Gewerkschaften 245.000 Teilnehmer, gegenüber 150.000 am 31. Januar. In Nantes stieg die Zahl von 65.000 auf 100.000, in Bordeaux von 75.000 auf 100.000, in Toulouse von 80.000 auf 120.000.

Auch diesmal ging die Polizei mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. Laut dem Pariser Polizeichef Laurent Nuñez wurden in der Hauptstadt 43 Menschen verhaftet. In Rennes und Marseille setzte die Polizei Tränengas gegen die Demonstranten ein. Auch die Schüler, die aus Solidarität mit den Streiks gegen Macrons Reformen Schulen besetzt hatten, wurden Opfer von Gewalt. Drei Schüler, die das Thiers-Gymnasium in Marseille besetzten, wurden verhaftet. Später wurden bei Zusammenstößen im alten Hafen mehrere Polizeibeamte verletzt und eine Person verhaftet.

Die Demonstration am Dienstag und die anhaltende Streikwelle zeigen, dass die Arbeiterklasse stark genug für revolutionäre Maßnahmen ist: Macron zu stürzen, die Angriffe der herrschenden Klasse auf ihren Lebensstandard zu beenden und die skrupellose Eskalation des US/Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine zu stoppen.

Trotz der Versuche der Macron-Regierung und der kapitalistischen Presse, jeden Widerstand gegen die Kürzungen zu verteufeln, genießt der Streik überwältigenden Rückhalt in der Bevölkerung. Laut der letzten Umfrage von Elabe lehnen 74 Prozent Macrons Kürzungen ab, 64 Prozent unterstützen Streiks gegen sie, und 60 Prozent sind für eine „Blockade des Landes“, um sie aufzuhalten.

Die französischen Gewerkschaftsbürokratien haben auf diesen Ausbruch des Klassenkampfs reagiert, indem sie Macron wieder einmal ohnmächtig anflehen, seine Reform zurückzunehmen, um die Wut der Bevölkerung zu besänftigen. Der Sprecher des Gewerkschaftsbündnisses appellierte an Macron: „Das Schweigen des Präsidenten ist ein schwerwiegendes demokratisches Problem.“ Er bat Macron, „ihn dringend zu empfangen“.

Das „demokratische Problem“ ist nicht, dass Macron nicht mit den Gewerkschaftsbürokratien spricht, die in Wirklichkeit ihr Vorgehen mit hohen Regierungsvertretern wie Premierministerin Elisabeth Borne absprechen. Vielmehr geht es darum, dass Macron und die Banken die Demokratie mit Füßen treten: Sie setzen eine konzertierte Politik der Verarmung der arbeitenden Bevölkerung um und reagieren auf den überwältigenden Widerstand der Arbeiter, indem sie die Polizei auf jeden hetzen, der dagegen protestiert.

Solange die Arbeiter den nationalen Gewerkschaftsbürokratien untergeordnet bleiben, werden ihre Kämpfe vom französischen Staat schrittweise isoliert und unterdrückt werden. Da die Gewerkschaftsbürokratie tatsächlich keine Streikgelder zahlt und ihre milliardenschweren Etats ausschließlich für sich selbst ausgibt, geraten die Arbeiter schnell unter enormen finanziellen Druck, wenn sie länger als eine Woche streiken. Zudem haben sich die Gewerkschaftsbürokratien systematisch geweigert, die Arbeiter auf breiter Basis zu mobilisieren, um die Streikenden zu verteidigen, die vom Staat zur Rückkehr an die Arbeit gezwungen werden.

Dies ist ein Ausdruck der reaktionären Politik der Gewerkschaftsbürokratien. Der CGT-Apparat hat nicht nur Erklärungen zur Unterstützung von Bankenrettungspaketen in Billionenhöhe unterzeichnet, die nach dem Finanzcrash von 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie beschlossen wurden, sondern auch den Nato-Krieg gegen Russland unterstützt. Gleichzeitig finanziert Macron eine Erhöhung des Militäretats um 90 Milliarden Euro durch die Rentenkürzungen. Die Bürokraten, die unbedingt einen Deal mit Macron aushandeln wollen, versuchen jedoch, den Widerstand der Arbeiterklasse gegen diese rechte Politik abzuwürgen.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die streikenden Arbeiter in ganz Frankreich ihre eigenen, von den Gewerkschaftsbürokratien unabhängigen Aktionskomitees aufbauen. Nur mit solchen Kampforganisationen können sie ihre Kämpfe mit denen der Arbeiter in ganz Europa und der Welt vereinen, die allesamt mit Inflation, Angriffen auf ihren Lebensstandard und dem eskalierenden US/Nato-Krieg gegen Russland konfrontiert sind, und ihre Kämpfe zu einer internationalen revolutionären Bewegung zusammenschließen.

Die Streiks in Frankreich sind Teil einer großen Welle von Kämpfen der Arbeiter, die Europa und die Welt erschüttern. In den letzten Wochen sind Millionen von Arbeitern in Großbritannien und Deutschland gegen die Inflation und zur Verteidigung ihrer Löhne in den Streik getreten. Diese Woche fanden Eisenbahnerstreiks in Italien, Belgien und Griechenland statt. In Spanien kam es zu Massendemonstrationen zur Verteidigung des staatlichen Krankenhaussystems. In Portugal werden Hunderttausende in den Streik treten, vor allem Lehrer und ihre Unterstützer.

Die entscheidende Aufgabe ist, dieser entstehenden Bewegung der europäischen und internationalen Arbeiterklasse ihre politischen Aufgaben bewusst zu machen: den US/Nato-Krieg in der Ukraine zu stoppen, die massive Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens zu den besitzenden Klassen zu beenden und die kapitalistischen Regierungen durch einen Kampf um die Staatsmacht und für den Aufbau des Sozialismus zu stürzen.

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