US-Zentralbank versucht Zins-Spagat

Die US-amerikanische Fed versucht sich gerade im Spagat. Einerseits hält sie an Zinserhöhungen fest, um die Konjunktur zu bremsen und dem „extrem angespannten“ Arbeitsmarkt, sprich den Lohnforderungen der Arbeiter entgegenzuwirken. Andererseits möchte sie die Sorgen der Finanzmärkte zerstreuen, dass die höheren Zinsen weitere Banken ins Trudeln bringen könnten.

Jerome Powell, Chef der US-Notenbank (Fed) [AP Photo/Susan Walsh]

Vergangene Woche hob die Fed ihren Leitzins um 25 Basispunkte (0,25 Prozentpunkte) an. Laut Fed-Chef Jerome Powell habe man aufgrund der Turbulenzen, die durch den Kollaps der Silicon Valley Bank ausgelöst wurden, kurzzeitig eine Zinspause in Betracht gezogen. Zudem wurde in der geldpolitischen Erklärung der Fed angedeutet, dass die Zinserhöhungen in Zukunft geringer ausfallen könnten.

So wurde die Aussage, wonach „kontinuierliche Erhöhungen“ erforderlich seien, um die Inflation zu drosseln, gestrichen und durch die Formulierung ersetzt, „eine gewisse zusätzliche Straffung der Geldpolitik könnte angemessen sein“.

Höchstwahrscheinlich wurde die Zinspause verworfen, weil sie insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen größere Besorgnis über den Zustand der Bankenfinanzen ausgelöst hätte. Außerdem hätte eine solche Pause die ständigen Zusicherungen der Regierung und der Finanzbehörden untergraben, dass das US-Bankensystem nach wie vor solide und widerstandsfähig sei.

Zur Eröffnung der Pressekonferenz der Fed sagte Powell, die Ereignisse der letzten zwei Wochen hätten gezeigt, dass „isolierte Bankenprobleme“, wenn sie nicht angegangen würden, das Vertrauen in gesunde Banken untergraben und das gesamte System bedrohen könnten.

Laut Powell haben die Fed, das US-Finanzministerium und die staatliche Einlagenversicherungsgesellschaft (FDIC) mit ihrer Entscheidung, entgegen der Gesetzeslage für Einlagen in unbegrenzter Höhe geradezustehen und den strauchelnden Banken Finanzmittel in großer Höhe zur Verfügung zu stellen, unter Beweis gestellt, dass „die Ersparnisse aller Einleger und das Bankensystem sicher sind.“

Die Fed werde das Bankensystem weiterhin beobachten. Man sei „vorbereitet, bei Bedarf alle Instrumente einzusetzen, um dessen Zuverlässigkeit und Solvenz zu gewährleisten. Wir sind außerdem entschlossen, die Lehren aus diesem Vorfall zu ziehen, und arbeiten daran, dass sich derartige Vorfälle nicht mehr wiederholen.“

Diese Aussage löste auf der Pressekonferenz Fragen darüber aus, wie die SVB-Krise scheinbar unbemerkt von der Fed ausbrechen konnte. Darauf erwiderte Powell, dass die Aufsichtsbehörden Bedenken geäußert und diese der Fed auch gemeldet hätten. Doch dann stellt sich die Frage, warum nichts unternommen wurde.

Derartig vorgeführt bediente sich Powell einer oft von Staats- und Regierungsvertretern verwendeten Masche. Er vertröstete die Presse auf die Untersuchung der Fed unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden Michael Barr. Er könne den offiziellen Ergebnissen nicht vorweggreifen.

Der SVB-Kollaps wurde bekanntlich durch einen Run auf 42 Milliarden Dollar ausgelöst, was ihn zu einem der gravierendsten dieser Art in der amerikanischen Finanzgeschichte macht. Doch für Powell war das lapidar ein „Ausreißer.“ Denn die Bank hatte ihre umfangreichen Investitionen in Staatsanleihen und anderen vermeintlich „sichere“ Finanzanlagen nicht entsprechend abgesichert.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Kollaps des Markts für Hypothekenkredite minderer Bonität im Jahr 2007 ebenfalls mit einem „Ausreißer“ begann. Bis sich herausstellte, dass diese Praktiken im gesamten Finanzsystem die Norm waren und 2008 zur Implosion führten.

Die Situation der SVB ist deswegen so kritisch, weil infolge der Zinserhöhungen der Marktwert ihrer Aktiva unter den Buchwert gesunken ist. Dadurch erleidet die Bank jedes Mal große Verluste, wenn sie Anlagen verkaufen muss, um beispielsweise Geldauszahlungen an ihre Kunden vorzunehmen.

Folglich werfen Powells Erklärungsversuche nur weitere Fragen auf. Wenn es sich bei der SVB lediglich um einen „Ausreißer“ handelte, warum bedurfte es dann umfangreicher Rettungsmaßnahmen? Und warum bezeichneten Fed und FDIC den Kollaps als „systemisches Risiko?“

Der Grund liegt darin, dass die SVB nur die Spitze des Eisbergs darstellt, der aus dem Einbruch des Kurswerts von vermeintlich „sicheren“ Finanzanlagen entsteht. Solche Anlagen werden von zahlreichen kleineren Banken gehalten und spielen folglich für das Funktionieren der US-Wirtschaft und ihres Finanzsystems eine entscheidende Rolle.

Wie das Wall Street Journal berichtet, zeigen Berechnungen von Goldman Sachs, dass Banken mit einer Bilanzsumme von weniger als 250 Milliarden Dollar für rund 50 Prozent der US-Gewerbe- und Industriekredite, 60 Prozent der Wohnimmobilienkredite, 80 Prozent der Gewerbeimmobilienkredite und 45 Prozent der Verbraucherkredite verantwortlich sind.

Alle diese Kredit-Bereiche haben eines gemeinsam: Sie reagieren äußerst empfindlich auf Zinserhöhungen. Denn hohe Zinsen drücken den Marktwert der Vermögenswerte, auf denen die Kredite basieren.

Zu möglichen Problemen auf dem Immobilienmarkt befragt, hielt sich Powell bedeckt. Gleichwohl gibt es Hinweise darauf, dass sich ernsthafte Probleme abzeichnen. Bereits Anfang dieser Woche warnte ein Manager von JPMorgan aus dem Bereich Vermögensverwaltung, dass Immobilien ein Risikobereich seien und „wenn die Federal Reserve heftig auf die Bremse tritt, alles durch die Windschutzscheibe fliegt.“

In einem Artikel des Wall Street Journal wurde gewarnt, dass „die Spannungen im Bankensektor zunehmen“. Der 8 Billionen Dollar schwere Markt für Hypothekenanleihen reagiere empfindlich auf Zinserhöhungen.

Powell räumte ein, dass die Turbulenzen im Bankensektor zu einer Kreditverknappung führen. Dies könne ganz ähnliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wie Zinserhöhungen.

Dann machte er ein wenig vertrauenserweckendes Eingeständnis: Ob und wie stark die Wirtschaft mit den Krisen zu kämpfen habe, lasse sich zu „diesem Zeitpunkt fast nur vermuten“.

Das Gefahrenpotential sei allerdings „ziemlich real“ und „deshalb müssen wir bei jedem weiteren Schritt extra wachsam sein“ – in Anbetracht der SVB-Bilanz mit Sicherheit keine beruhigende Aussage.

Während Powell seine Pressekonferenz abhielt, äußerte sich US-Finanzministerin Janet Yellen vor dem Senatsausschuss. Dabei ging es um die Frage, inwieweit die Rettungsaktion für die nicht versicherten vermögenden Einleger der SVB und der Signature Bank überhaupt ausreichen würde.

Bei einem Treffen von Bankern sagte Yellen am Dienstag, die Rettungsaktion sei notwendig, um das US-Bankensystem zu schützen. Vergleichbare Maßnahmen wären auch gerechtfertigt, wenn es in anderen Ländern zu einem Bankenansturm käme, der eine Ansteckungsgefahr mit sich brächte.

Ihre Ausführungen waren Gegenstand eines vernichtenden Leitartikels im Wall Street Journal. Demnach hätten die Finanzaufsichtsbehörden das Regelwerk für die Zeit nach 2008 zerrissen und Yellen habe eine „De-facto-Garantie für alle 17,6 Billionen Dollar an US-Bankeinlagen“ abgegeben.

Der Artikel wies auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen ihren Beteuerungen, dass das Bankensystem solide sei, und der Berufung auf das „systemische Risiko“ als Rechtfertigung für die Rettungsaktion hin. Die Zeitung merkte an, dass die Regierung die Intervention zwar als einmalig darstellte, aber die Regulierungsbehörden mit solchen Maßnahmen die Erwartung erzeugten, dass sie es wieder tun würden. „Und falls nicht, wird die darauf folgende Marktpanik sie unweigerlich dazu zwingen.“

Offenbar als Reaktion auf diese Kritik am „freien Markt“ schloss Yellen bei einer Anhörung im Senat eine breite Ausweitung der Einlagensicherung aus.

Sie sagte, dass es zwar „begründete Überlegungen“ über die Anhebung der derzeitigen Obergrenze von 250.000 Dollar gebe, sie aber „keine pauschalen Versicherungen oder Garantien für Einlagen in Betracht gezogen oder diskutiert“ habe.

Ihr Kommentar hatte eine unmittelbare Auswirkung. Ein Aktienindex, der kleine und mittlere Banken abbildet, fiel um 5 Prozent und machte damit alle Gewinne, die er nach ihren Äußerungen am Dienstag verzeichnet hatte, wieder zunichte. Dies trug zweifellos zu dem starken Rückgang an der Wall Street bei, als der Dow am Ende des Tages innerhalb einer halben Stunde um mehr als 500 Punkte fiel.

Die Kapriolen der Finanzaufsichtsbehörden, der Fed und der Regierungsbeamten sind nicht das Ergebnis persönlicher Fehler, sondern haben ihre Wurzeln in den unlösbaren Widersprüchen des Profitsystems, dem sie vorstehen.

Als Antwort auf die Krisen von 2008 und vom März 2020 versuchten sie, die Widersprüche mit Billionen Dollar schweren Finanzhilfen zu kitten. Doch diese Maßnahmen schafften nur scheinbare Ruhe. In Wirklichkeit säten sie gewaltige Finanzstürme, die wie Orkanböen eine Bank nach der anderen Bank erfassen und die Grundmauern des Großkapitals ins Wanken bringen.

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