Fünf Monate nach Tod eines jungen Leiharbeiters im Thyssenkrupp-Stahlwerk: Demonstration fordert Aufklärung

Am Sonntag haben rund hundert Menschen „für die lückenlose Aufklärung“ des Todes von Refat Süleyman vor dem Gebäude der Duisburger Staatsanwaltschaft demonstriert. Sie folgten dem Aufruf des Vereins „Stolipinovo in Europe“. Stolipinowo ist ein Stadtteil der bulgarischen Stadt Plowdiw, in dem Zehntausende Menschen leben, die sich zum Großteil selbst als Türken und Roma bezeichnen.

Kollegen, Angehörige und Freunde Refat Süleymans forden am 26. März die Aufklärung seines Todes

Der 26-jährige Bulgare kam von dort und suchte gemeinsam mit seiner Frau und zwei Kindern sein Glück in Duisburg. Hier war er dann als Leiharbeiter im Thyssenkrupp-Stahlwerk gelandet. Er war dort erst wenige Tage als Industriereinigungskraft eingesetzt, als er am 14. Oktober nach einer Pause zunächst spurlos verschwand. Erst drei Tage später fand man ihn tot in einem etwa ein Meter tiefen Schlamm- und Schlackebecken auf dem riesigen Industrieareal.

Das Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung Düsseldorf hatte die Untersuchungen zum Tod des jungen Bulgaren im Laufe der Woche für abgeschlossen erklärt. Demnächst werden auch die polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen eingestellt.

Laut Dagmar Groß, der Sprecherin der Bezirksregierung, waren die Befragung von Kollegen, die Besichtigung des Schlammbeckens sowie „die Einsichtnahme in vertragliche Regelungen, aus denen sich Verantwortlichkeiten im Arbeitsschutz ableiten“, Teil der Überprüfung. Das Ergebnis: Es gebe keine Hinweise auf die Ursache des Todes.

Für die Kriminalpolizei hatte ein Rechtsmediziner die Leiche Refats obduziert. Die Polizei geht von einem Unfall aus, Hinweise auf ein Fremdverschulden gebe es nicht.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg, die von Amts wegen Ermittlungen eingeleitet hatte, wartet „noch auf den Abschlussbericht der Bezirksregierung“, so ein Sprecher, dann wird auch dort der Tod des jungen Mannes zu den Akten gelegt.

Die Angehörigen und Freunde Refats haben also immer noch keine Antworten auf ihre vielen Fragen. „Gerechtigkeit für Refat Süleyman“ stand daher am Sonntag auf vielen selbst geschriebenen Plakaten. Wie schon auf einer Demonstration vor dem Stahlwerk im Oktober letzten Jahres riefen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder „Adalet“, das türkische Wort für Gerechtigkeit. Nach wie vor halten sich Gerüchte, dass Refat nicht, wie von den Verantwortlichen erklärt, bei einem tragischen Arbeitsunfall ums Leben kam.

Ein Sprecher appellierte auf der Kundgebung eindringlich an die Staatsanwaltschaft: „Bitte sorgen Sie dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Wir halten das nicht mehr durch. Lassen Sie uns nicht im Stich. Wir bezahlen genauso Steuern wie die Deutschen. Deshalb wollen wir Gerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass wir Bulgaren, die die gleichen Steuern zahlen, bei der Gerechtigkeit die Dritte Klasse sind.“

Dr. Philipp Lottholz sprach für „Stolipinovo in Europe“: „Was ist mit Refat Süleyman passiert? Wir haben damals keine Antworten bekommen, und bis heute gibt es keine richtigen Antworten.“

Die Arbeitsschutzbehörden und die IG Metall hätten ihre Ermittlungsergebnisse veröffentlicht. „Sie können nichts finden. Sie wissen nicht was passiert ist. Keiner weiß etwas, aber Refat ist trotzdem tot. Es gibt keine Informationen von der Polizei und der Staatsanwaltschaft Duisburg. Das kann einfach nicht sein. Wir haben genug. Wir wollen Informationen.“

Die konkreten Gründe für den Tod Refats bleiben offen. Aber eines ist klar: Refat Süleyman war Opfer der weitverbreiteten Ausbeutung insbesondere ausländischer Arbeiter, in Duisburg vor allem von Arbeitern aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien. Von undurchsichtig organisierten Leiharbeitsfirmen werden sie als billige Arbeitskräfte an Großunternehmen verliehen.

Die Pressemitteilung von „Stolipinovo in Europe“ bezeichnet die fünf Monate seit Refats Tod als „lange Monate, in denen das Schweigen der Ermittlungsbehörden und des Unternehmens seinen Freunden und seiner Familie sowie der gesamten bulgarisch-türkischen Gemeinschaft keine Ruhe ließ“.

Die fehlende Aufklärung über die genauen Umstände von Refats Tod sei angesichts der dunklen Bilanz von TKS bei Arbeitsunfällen und Todesfällen besonders beunruhigend. „Die massiven Gesundheits- und Sicherheitsrisiken in der Stahlindustrie werden durch die Beschäftigung von Subunternehmen und deren Praxis der massiven Ausbeutung und des Missbrauchs, noch verschärft.“

Der Verein fordert neben der lückenlosen Aufklärung des Todes von Refat auch „menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle Arbeitsmigrant:innen in der Industriereinigung“.

Das System der Leiharbeit ist für viele Arbeiter in Deutschland tödlich. Es wurde 2003 von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) massiv ausgebaut. Im Auftrag der Konzerne werden über Subunternehmen und Sub-Subunternehmen die durch Generationen erkämpften Errungenschaften beim Arbeitsschutz sowie die Löhne ausgehebelt. Schwere Verletzungen und Todesfälle werden in Kauf genommen. Jedes Jahr sterben 400 bis 500 Menschen bei Arbeitsunfällen. Letztes Jahr waren es 427, im Jahr davor 510.

Die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte in den großen Konzernen spielen dabei ein doppeltes Spiel. In der Öffentlichkeit klagen sie dieses brutale Ausbeutungssystem an. Tatsächlich organisieren sie über den Tarifvertrag Leiharbeit die miesen Löhne und Arbeitsbedingungen. Einige Gewerkschaften sind selbst an Leiharbeitsfirmen beteiligt.

Refat Süleyman war über die Leiharbeitsfirma Eleman an die Firma Buchen Umweltservice verliehen worden, die wiederum Teil der Remondis Maintenance & Services GmbH & Co. KG ist. Buchen führt seit langem per Werkvertrag Reinigungsarbeiten im Duisburger Thyssenkrupp-Stahlwerk durch.

Nachdem der junge bulgarische Familienvater tot aufgefunden worden war, versteckte sich Thyssenkrupp, Polizei und Bezirksregierung hinter den laufenden Untersuchungen. Remondis hatte sich Anfragen der WSWS im Oktober letzten Jahres wegen des „laufenden Verfahrens“ verweigert. Thyssenkrupp hat erst jetzt, nach Abschluss der Untersuchungen, einige Worte des Bedauerns veröffentlicht.

Eine Anfrage der WSWS an den Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsrat beantwortete dessen Vorsitzender Tekin Nasikkol bereits im Oktober letzten Jahres mit dem Wortlaut, den nun auch der Konzern fast identisch aufgreift.

Man sei tief betroffen über den Tod des „Mitarbeiters eines auf unserem Werksgelände tätigen Dienstleisters“. Obwohl der Betriebsrat einen eigenen Ausschuss zur Fremdvergabe, kurz „Eigen und Fremd“, unterhält und acht konkrete Fragen gestellt wurden, heißt es ausweichend: „Nach aktuellem Stand der Ermittlungen durch die Polizei wird von einem tragischen Unglücksfall ausgegangen. Untersuchungen der Bezirksregierung zu dem Vorfall dauern aktuell noch an.“

Thyssenkrupp Steel unterstütze die „Ermittlungen und Untersuchungen vollumfänglich“, schreibt der Betriebsrat. „Zu weiteren Details können wir uns derzeit nicht äußern. Grundsätzlich gelten für alle auf unserem Werksgelände tätigen Personen einheitlich hohe Sicherheitsstandards. Wir differenzieren nicht zwischen eigenen Beschäftigten, Partnerfirmen oder Besuchern.“

Nasikkol verspricht jetzt zwar, „nicht zur Tagesordnung überzugehen“, das Thema Sicherheit „erneut in den Fokus zu rücken und Ideen zu entwickeln, was wir noch tun können“, bestreitet aber, dass es Thyssenkrupp mit dem Schutz der Beschäftigten von Fremdfirmen nicht so genau nehme. „Der Schutz des Menschen geht vor Produktion.“

Das ist Betriebsratssprech. Auch im größten Stahlwerk Deutschlands wird seit jeher die Belegschaft den Profitinteressen des Konzerns untergeordnet. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden dem Konzern in den vergangenen Jahrzehnten von den Belegschaften abgetrotzt. Auch jetzt sterben jedes Jahr Stahlarbeiter in Duisburg bei der Arbeit.

Die Leiharbeiter sind dabei die Kollegen mit dem geringsten Schutz. Das wissen die Belegschaft und auch die IG Metall. „Auf der Betriebsversammlung im Dezember und unter den Funktionären der IG Metall war der Unfall ein Thema“, sagt Karsten Kaus, 1. Bevollmächtigter der IG Metall, gegenüber der Lokalpresse. Thyssenkrupp habe vor, „Leiharbeit abzuschaffen“. Aber das heiße nicht, „dass beauftragte Fremdunternehmen darauf ebenfalls verzichten“. Es gebe nicht nur in der Stahlindustrie „einen Grauschleier über dieser Art von Arbeiten“.

Dass sich die IG Metall nicht für das Schicksal der Leiharbeiter verantwortlich fühlt, zeigt Kaus‘ Lösungsvorschlag. Darum müssten sich die Unternehmen selbst kümmern. „Es gibt da eine Gesamtverantwortung, gerade für die großen Player, die mit der Vergabe dieser Aufträge eine Marktmacht haben.“

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