US-Wirtschaftspolitik auf Kriegskurs

Zwei Reden hochrangiger Mitglieder der Biden-Administration haben erneut bewiesen, dass die US-Wirtschaftspolitik unter dem Banner der „nationalen Sicherheit“ unmittelbar mit der Konfrontation mit China verbunden ist.

Finanzministerin Janet Yellen und Verteidigungsminister Lloyd Austin vor dem Weißen Haus, 26. April 2023 [AP Photo/Andrew Harnik]

Finanzministerin Janet Yellen betonte in einer Rede zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und China am 20. April in der Johns Hopkins University, die USA strebten zwar keine „Abkopplung' von China an, doch ihre nationalen Sicherheitsinteressen hätten absoluten Vorrang.

Die von den USA verhängten Technologie-Exportverbote zielten nicht darauf ab, die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu „erdrosseln“, sondern seien gezielte Maßnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit.

Wie der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze als Reaktion auf Yellens Rede feststellte, „beinhalten diese gezielten Maßnahmen bisher massive Anstrengungen, den Weltmarktführer in der 5G-Technologie, Huawei, zu behindern, sowie Sanktionen gegen die gesamte Chipindustrie und die Aufnahme der meisten großen Forschungsuniversitäten in China auf die US-Liste der Unternehmen, mit denen der Handel streng begrenzt ist.“

Auf Yellens Rede folgte eine Woche später eine Ansprache des nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan vor der Brookings Institution zum Thema „Erneuerung der amerikanischen Wirtschaftsführerschaft“.

Yellen hatte versucht, die Triebkräfte hinter dem zunehmenden Militarismus gegen China mit der Bemerkung zu überspielen, die USA hätten von Wettbewerb nichts zu befürchten, da sie die stärkste Volkswirtschaft der Welt seien. Sullivan hingegen ließ erkennen, dass die Sorge um den Niedergang der USA im Vordergrund steht.

Er begann mit der Feststellung, dass viele arbeitende Menschen in Amerika durch die Veränderungen in der Weltwirtschaft Nachteile erlitten hätten, dass die Finanzkrise die Mittelschicht erschüttert habe, dass die Pandemie die Fragilität der globalen Versorgungsketten offengelegt habe, dass der Klimawandel Leben und Lebensgrundlagen bedrohe und dass die russische Invasion in der Ukraine die Risiken übermäßiger Abhängigkeiten verdeutlicht habe. (Letzteres bezog sich auf den Stopp russischer Lieferungen nach Europa.)

Der Niedergang sei das Ergebnis der von den USA geförderten „freien Marktwirtschaft“, die zuweilen als „Washingtoner Konsens“ bezeichnet wird. Diese Politik habe die Stellung der USA geschwächt, sodass die Gegenwart „einen neuen Konsens erfordert“.

Der „neue Washingtoner Konsens“ besteht nicht aus „Amerika allein“, sondern aus einer Allianz von Großmächten, die bereit sind, die amerikanische Vorherrschaft zu akzeptieren, und die sich im Wesentlichen gegen diejenigen richtet, die dazu nicht bereit sind, vor allem gegen China.

Ausführlich beschrieb Sullivan den Niedergang der amerikanischen Wirtschaftskraft.

„Die industrielle Basis Amerikas wurde ausgehöhlt“, sagte er. Er wolle die Märkte nicht schlechtmachen, doch „im Namen einer allzu simplen Markteffizienz wurden ganze Lieferketten strategischer Güter – mitsamt den dazugehörigen Arbeitsplätzen und Industrien – ins Ausland verlagert“.

Ohne es beim Namen zu nennen, spielte er auf das wachsende Finanzparasitentum an, das in der US-Wirtschaft mittlerweile eine dominierende Rolle spielt. Man sei von der Vorstellung ausgegangen, dass jedes Wirtschaftswachstum gut sei, egal welcher Art.

„So kamen verschiedene Reformen zusammen und haben dazu geführt, dass einige Branchen wie der Finanzsektor begünstigt wurden, während andere wichtige Sektoren wie die Halbleiterindustrie und die Infrastruktur verkümmerten. Die industrielle Kapazität, die für die Innovationsfähigkeit jedes Landes von entscheidender Bedeutung ist, hat bei uns schweren Schaden genommen.“

Die „Schocks“ der globalen Finanzkrise und der globalen Pandemie hätten die Begrenztheit der bisherigen Annahmen deutlich gemacht.

Gleichzeitig habe China in traditionellen Bereichen wie der Stahlindustrie, aber auch in den „Schlüsselindustrien der Zukunft, wie saubere Energie, digitale Infrastruktur und fortschrittliche Biotechnologien eine massive Expansion betrieben. Amerika hat nicht nur die verarbeitende Industrie verloren – wir haben auch unsere Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Technologien, die die Zukunft bestimmen werden, untergraben.“

Man habe gehofft, dass der frühere „Washingtoner Konsens“, indem er „Länder in die regelbasierte Ordnung einbezieht, diesen einen Anreiz bietet, sich an die Regeln zu halten“, sprich sich der US-Dominanz zu unterwerfen.

Doch im Fall Chinas habe das nicht geklappt, und als Biden die Regierung übernahm, „mussten wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass eine große Volkswirtschaft, die keine Marktwirtschaft ist, in einer Weise in die internationale Wirtschaftsordnung integriert wurde, die beträchtliche Herausforderungen birgt.“

Sullivan wies auf den beträchtlichen Rückstand der USA bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien und dem Zugang zu den dafür benötigten Rohstoffen hin.

„Auf Amerika entfallen heute nur noch etwa 10 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion, und diese ist im Allgemeinen und insbesondere bei den modernsten Chips geografisch anderswo angesiedelt.“

Ähnlich schlecht wie im Hochtechnologiesektor sehe es bei den Mineralien aus, die für saubere Energie in der Zukunft unverzichtbar seien.

„Heute produzieren die Vereinigten Staaten nur 4 Prozent des Lithiums, 13 Prozent des Kobalts, 0 Prozent des Nickels und 0 Prozent des Graphits, die benötigt werden, um die aktuelle Nachfrage nach Elektrofahrzeugen zu decken. Inzwischen werden mehr als 80 Prozent der kritischen Mineralien von einem einzigen Land, nämlich China, verarbeitet.“

Sullivans Ausführungen unterstreichen ein wichtiges Thema, das in Lenins Werk „Der Imperialismus“ behandelt wird. Darin werden die objektiven Triebkräfte aufgezeigt, die zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten und auch heute am Werk sind.

„Je höher entwickelt der Kapitalismus“, schrieb Lenin, „je stärker fühlbar der Rohstoffmangel, je schärfer ausgeprägt die Konkurrenz und die Jagd nach Rohstoffquellen in der ganzen Welt sind, desto erbitterter ist der Kampf um die Erwerbung von Kolonien.“

Sullivan sagte, es sei weder möglich noch erstrebenswert, dass die USA versuchen, alles im eigenen Land herzustellen, und das Ziel sei nicht Autarkie, sondern die „Stabilität und Sicherheit in unseren Lieferketten“. Die USA würden sich für eine Industriestrategie im eigenen Land einsetzen, „während wir eindeutig dafür einstehen, unsere Freunde nicht im Stich zu lassen“.

Doch wer ein „Freund“ ist, hängt davon ab, ob er bereit ist, sich den geostrategischen und politischen Zielen des US-Imperialismus unterzuordnen. Das Ziel des neuen „Konsenses“ ist also ein Block, der auf der Vorherrschaft der USA und auf der Auffassung basiert, dass der wirtschaftliche und technologische Aufstieg Chinas eine Gefahr darstellt, die um jeden Preis niedergehalten werden muss.

Dieses Ziel zu formulieren ist eine Sache, es zu erreichen eine andere. Wie bekanntlich der britische Außenminister Lord Palmerston im 19. Jahrhundert feststellte, gibt es keine ewigen Verbündeten, nur ewige Interessen.

Und die USA haben gezeigt, dass sie sich bei der Verteidigung dieser Interessen gegen „Freund“ und Feind gleichermaßen rücksichtslos verhalten.

So drohten sie, gegen europäische Unternehmen vorzugehen, die entgegen den Sanktionen der USA mit dem Iran Geschäfte machen, und stemmten sich gegen die Nord-Stream-Gaspipeline von Russland nach Deutschland. Mitterweile mehren sich die Beweise dafür, dass deren Sprengung entweder direkt von den USA oder von Kräften unter ihrer Kontrolle durchgeführt wurde.

Derzeit sind die anderen imperialistischen Mächte der Ansicht, dass sie sich dem Diktat der USA fügen müssen. Sie sind noch nicht in der Lage, es in Frage zu stellen. Wie lange das so bleiben wird, ist eine andere Frage. Sie haben alle ihre eigenen imperialistischen Interessen und Begehrlichkeiten, die sich zum Teil auf China richten und sich nicht unbedingt mit denen der USA decken.

Die neue Industriestrategie der USA hat bereits zu Reibereien mit der Europäischen Union geführt. Die EU kritisierte das „Gesetz zur Verringerung der Inflation“ (Inflation Reduction Act), mit dem US-Unternehmen, die im Bereich der umweltfreundlichen Energie tätig sind, beträchtliche Vergünstigungen gewährt werden. Es gebe Anlass zu „ernsten Bedenken“ im Hinblick auf finanzielle Anreize, die zulasten der europäische Industrie gehen.

Sullivan erklärte, das Gesetz werde „als Hebel genutzt“ und werde sich aus einer Quelle für Streitigkeiten in eine Quelle der „Stärke und Zuverlässigkeit“ verwandeln. Es ist durchaus möglich, dass noch daran herumgeschustert wird. Aber der Tenor seiner Rede machte jede Vorstellung zunichte, dass der US-Imperialismus bereit sein könnte, eine „multipolare“, von den imperialistischen Mächten in friedlichem Einvernehmen geregelte Welt zu dulden.

Bei der Umsetzung dieses Programms stützt sich die Regierung direkt auf die Gewerkschaftsbürokratie, die es verkaufen und durchsetzen soll. Deshalb erwähnte Sullivan, dass die frühere Agenda die Reichen gestärkt und die Industriestädte ausgeblutet habe, während das neue Programm darauf abziele, Innovationen zu fördern und gute Arbeitsplätze zu schaffen.

Dies ist ebenso eine Fiktion wie die frühere „Trickle-down-Theorie“, wonach von einer Bereicherung der ohnehin schon märchenhaft Reichen auch die unteren Schichten profitieren würden.

Der „neue Washingtoner Konsens“ besagt, dass die industriellen und technologischen Grundlagen des Krieges gestärkt und gebündelt werden müssen. Dieser wirtschaftspolitische Kriegskurs bedeutet eine Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse im Inland. Widerstand gegen die Verschlechterung der sozialen Lage wird als Gefährdung der nationalen Sicherheit gebrandmarkt werden.

Loading