In der Tesla-Gigafactory in Grünheide östlich von Berlin ereignen sich fast täglich gravierende Arbeitsunfälle mit teilweise schweren Verletzungen. Hinzu kommen Umweltschäden, die besonders das Trinkwasser in der Umgebung belasten. Das geht aus umfangreichen Recherchen des Stern hervor. Das Nachrichtenmagazin hat mit zahlreichen Betroffenen gesprochen und zwei Journalistinnen zeitweise als Produktionshelferinnen in das Werk eingeschleust.
Laut Stern gibt es in Grünheide eine unnatürlich hohe Anzahl von Arbeitsunfällen. Die häufigsten Verletzungen sind Stürze, Schnittverletzungen, Nasenblutungen und Vergiftungen mit Chemikalien sowie Verbrennungen.
Elon Musk, Gründer von Tesla und laut aktueller Forbes-Liste das reichste Individuum weltweit mit einem geschätzten Vermögen von 248,7 Milliarden Dollar, ließ die Gigafactory in kürzester Zeit aufbauen und startete mit der Produktion in Grünheide Anfang 2022, nur knapp zwei Jahre nach Ankündigung des Baus.
Möglich war dies dank der intensiven Unterstützung der SPD-geführten Landesregierung, die Musk buchstäblich zu Füßen lag. Ministerpräsident Woidke, so der Stern, „hatte Tesla in einem vertraulichen Brief Steuervergünstigungen und eine schnelle Genehmigung versprochen“. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach richtete „einen wöchentlichen Jour fixe mit den Projektmanagern von Tesla ein. Die gaben ihm montags neue Aufgaben, die er bis Freitag abzuarbeiten hatte.“
Die Regierung und Behörden des Landes helfen Tesla auch, Arbeitsunfälle und Umweltverschmutzung zu vertuschen. Es sehe so aus, berichtet der Stern, „als hätte Musks Unternehmen mithilfe von Politikern und Brandenburgs Behörden ein System des Schweigens geschaffen“.
Gegenwärtig sind in Grünheide 10.000 Personen beschäftigt, langfristig soll diese Zahl vervierfacht werden. Aktuell laufen pro Woche 4000 Fahrzeuge vom Band.
Im vergangenen Jahr erzielte Tesla weltweit einen Umsatz von 65,5 Milliarden Euro und einen Gewinn von 12,6 Milliarden Euro. Nach Ansicht Musks muss dieser Gewinn auf Kosten der Arbeiter weiter gesteigert werden. Denn Arbeitshetze und die Vernachlässigung der Arbeitssicherheit sind bei Tesla an der Tagesordnung.
„Bei Tesla brechen die Leute einfach vor Erschöpfung zusammen“, zitiert der Stern Tayfur Karaboga, einen ehemaligen Techniker bei Tesla. Karaboga verlor seinen Job, nachdem er auf mehrere Missstände hingewiesen hatte. Zuvor hatte er 20 Jahre lang bei anderen großen Automobilunternehmen in Deutschland gearbeitet. Für die Anstellung bei Tesla hatte er seinen unbefristeten Vertrag bei VW aufgegeben.
Sein Traum von einem Hightech-Unternehmen zerplatzte schnell, als er im Oktober 2022 bei Tesla anfing. Oft verletzten sich Arbeiter, Krankenwagen oder Hubschrauber mussten angefordert werden und Maschinen funktionierten plötzlich nicht mehr. Um die Stückzahl von 5000 Elektroautos pro Woche zu schaffen, sollen Arbeiter auf Anweisung eines Vorarbeiters auch mal auf eine Schraube bei der Installation der Airbag-Halterung verzichtet haben. All dies mit dem Ziel, durch die Erhöhung der Produktionszahl den Wert der Tesla-Aktie nach oben zu treiben.
Ein ehemaliger Schichtleiter von Tesla, der ebenfalls 20 Jahre Berufserfahrung in der Automobilindustrie vorzuweisen hat, erklärte dem Stern: „Die Leute werden verheizt bei Tesla.“ In seinem Team habe es deshalb viele Krankschreibungen gegeben, zeitweilig sei jeder zweite Arbeiter krank gewesen. Die Arbeitsbedingungen würden durch Abgase der Maschinen und durch feinen Aluminiumstaub verschlechtert.
Der Aluminiumstaub kann besonders die Atemwege stark angreifen. „Von Husten, braunem Auswurf, Ausschlag, von Kopfschmerzen und Nasenbluten“ berichten Arbeiter. Normalerweise werden Abzugshauben bei der Autoproduktion verwendet, um gesundheitliche Folgen für Mitarbeiter zu minimieren. Der Schichtleiter stellt klar: „Bei Tesla gab es viel zu wenige Abzugsanlagen.“
In der Gigafactory kommt es, im Vergleich zu anderen Autowerken in Deutschland, zu einer höheren Anzahl von Arbeitsunfällen. In den sechs Monaten von Juni bis November 2022 ereigneten sich 190 meldepflichtige Unfälle, bei denen Arbeiter für mindestens drei Tage ausfielen. Die Rettungsstelle verzeichnete für das erste Jahr nach Produktionsstart 247 Notrufe, bei denen ein Rettungswagen bzw. Hubschrauber zum Werk musste. Das sind rund dreimal so viele Einsätze wie im Audi-Werk in Ingolstadt.
Das dies keine Besonderheit in Tesla-Werken ist, zeigt ein Blick in die USA. Dort werden Arbeitsunfälle systematisch kaschiert. Im Tesla-Werk in Fremont, Kalifornien, gab es dreimal häufiger Verstöße gegen Gesundheits- und Sicherheitsauflagen als in den zehn größten Autoproduktionsstätten in den USA.
Die Ursache für diese hohe Zahl von Arbeitsunfällen liegt nicht selten in fehlender Qualifikation und ungenügender bzw. fehlender Anleitung für Tätigkeiten. So wurden die beiden eingeschleusten Reporterinnen dem Stern zufolge nicht auf mögliche Gefahren am Arbeitsplatz aufmerksam gemacht. Eine Mitarbeiterin habe in ihrer zweiten Arbeitswoche die Aufgabe bekommen, die Qualitätsprüfung für Motorenteile zu übernehmen – obwohl sie dahingehend keinerlei Ausbildung vorweisen konnte.
Karaboga sollte im Januar 2023 auf Aufforderung seines Schichtleiters eine Steckdose versetzen. Als er diesen auf den Arbeitsschutz und seine fehlende Berechtigung zum Abstellen des Stroms hinwies, habe der Schichtleiter lapidar erwidert, er solle die Steckdose bei fließendem Strom verlagern. Beim Versetzen bekam Karaboga einen heftigen Stromschlag mit 230 Volt ab. Tesla hat sich bis heute nicht zu dem Vorfall geäußert.
Ein weiterer, im Stern-Artikel genannter Beschäftigter war in der Gießerei tätig. Dort verbrannte er sich Anfang des Jahres sein linkes Bein und seinen Fuß. Er wollte eine blockierte Klappe auf einem Schmelzofen, in dem 660 Grad heißes Aluminium war, mit dem Fuß schließen. Nach Aussage mehrerer Zeugen sei es gängige Praxis, dass sich Vorarbeiter nicht an die Arbeitsvorschriften hielten und von Arbeitern verlangten, beispielsweise auf die Öfen zu klettern, um dort zu reinigen.
Diese krasse Missachtung der Arbeitsbedingungen ist nur möglich, weil der Konzern weiß, dass Politik und Behörden dies mindestens tolerieren.
Das Gesundheitsministerium von Brandenburg äußerte sich in einer E-Mail vom 11. September 2023 mit den Worten zu den Vorfällen: „Nach hiesigen Erkenntnissen erfüllt Tesla die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsschutzrechts wie auch die Anforderungen des Gefahrstoffrechts.“
Auch gebe es regelmäßige Qualitätskontrollen in der Fabrik, die von Mitarbeitenden des Landesamts für Arbeitsschutz durchgeführt würden. Diese sind aber immer angekündigt, so dass Tesla sich gut auf die Kontrollen vorbereiten kann. So würden beispielsweise im Vorfeld einer Kontrolle die Maschinen gedrosselt, um die Luftwerte innerhalb der Fabrikhalle zu verbessern.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) musste gestehen, dass ihm „nicht unbekannt“ sei, dass bei Tesla ungewöhnlich viele Unfälle geschähen. Er sei aber nicht der Pressesprecher des Konzerns, erklärte er zynisch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ignorierte bisher die E-Mails des Nachrichtenmagazins.
Vor und während des Baus des Werks, aber auch nach Inbetriebnahme arbeiten die Landesbehörden eng mit dem Unternehmen zusammen. Tesla hat mehrere Sondergenehmigungen erhalten, die Teile der Wasserschutzverordnung für den Bau der Gigafactory ignorierten bzw. lockerten. Während der Bauarbeiten konnten beispielsweise ohne Genehmigung Stahlbetonpfähle metertief in den Boden gerammt werden. Dabei können Schadstoffe ins Grundwasser gelangen und die Trinkwasserversorgung für 170.000 Menschen gefährden. Trotzdem erteilte die zuständige Behörde Tesla im Nachhinein die Genehmigung.
André Bähler, der Chef des Wasserverbands Strausberg-Erkner, sorgte sich um die Qualität des Trinkwassers seit Tesla mit dem Bau des Werks begann. Denn ein Großteil des Grundwassers verläuft unter dem Werk. Die Gigafactory liegt in einem Trinkwasserschutzgebiet, was sehr problematisch ist, da es mehrfach zum Versickern von Gefahrstoffen gekommen ist. Vor allem giftige Öle und Diesel können so in den Boden und somit in das Grundwasser gelangen, was auch längerfristig gesundheitliche Konsequenzen für die Bevölkerung haben kann. Ein weiteres Problem in Ostbrandenburg ist die fehlende Tonschicht, dadurch können Schadstoffe nicht gefiltert und gereinigt werden.
Nachdem Bähler öffentlich Kritik an der Gigafactory geäußert hatte, wollten ihn einige Bürgermeister der Region Ostbrandenburg als Manager der Wasserversorgung los werden. Der Abwahlantrag Ende September scheiterte aber mit 10 Nein-Stimmen, 4 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen.
Seit dem November 2022 hat Bähler jedoch nicht mehr die Aufsicht über das Grundwasser, das unter dem Tesla-Werk läuft, sondern Tesla selbst führt hier die Kontrolle durch. Mit dem Segen der Behörden wurde der Bock zum Gärtner gemacht.
Welchen Stellenwert der Umweltschutz für Tesla besitzt ist offenkundig. Seit Eröffnung des Werks im März 2022 kam es zu sage und schreibe 26 bekannten Umwelthavarien.
Die miserablen Arbeitsbedingungen und die krassen Verletzungen der allgemeinsten Umweltschutzvorschriften sind bei Tesla besonders ausgeprägt, aber nicht einzigartig. Gerade die Umstellung der Autoindustrie auf Elektromobilität geht mit massiven Angriffen auf Löhne und Arbeitsbedingungen bei sämtlichen Autobauern einher.
Von den Gewerkschaften haben die Beschäftigten nichts zu erwarten. Diese Co-Manager der Unternehmen sind eng mit den politischen Parteien verbunden und setzen mit aller Härte die Interessen der Unternehmer durch, auch wenn das Arbeitsplatzabbau, schlechtere Arbeitsbedingungen und Reallohnsenkungen bedeutet. Alleine die Tatsache, dass die Zustände in Grünheide durch ein Nachrichtenmagazin aufgedeckt und von den Gewerkschaften bisher offensichtlich nicht thematisiert wurden, spricht Bände.
Adäquate Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung können daher nur durch die Beschäftigten selbst erkämpft werden. Dazu müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die sich weltweit vernetzen und einen gemeinsamen Kampf führen.