Parteitag der Demokraten beginnt

Obamas Wahlkampf in der Krise

Die ersten beiden Tage des Demokratischen Parteitags, der Democratic National Convention, waren von einem gewissen unguten Gefühl und Unbehagen bestimmt. Man macht sich Sorgen, weil Obamas Umfragewerte zurückgehen; zudem sind die Gegensätze, die in den Vorwahlen zwischen Obama und Senatorin Hillary Clinton aufgebrochen waren, nicht überbrückt worden, sondern eher noch neu aufgeflammt.

Obamas Kampagne hat politisch merklich an Schwung verloren. Das konnten auch gigantische Medieninszenierungen nicht verhindern, weder die Reise des Kandidaten in den Nahen Osten und nach Europa, noch die Präsentation des Vizepräsidentschaftskandidaten. Die Umfragen zeigen, dass Obama und sein Republikanischer Rivale, Senator John McCain, Kopf an Kopf liegen, obwohl die Bush-Regierung und die Republikanische Partei in der Bevölkerung immer noch tief verhasst sind.

Über die wirkliche Ursache von Obamas Niedergang wurde weder in den Medien noch in der Demokratischen Partei bisher ein Wort verloren. Es hat nichts mit fiesen Werbespots der Gegenseite, noch mit der angeblichen Kraft der Republikanischen "Angriffsmaschine" zu tun. Der Rückgang der Unterstützung für Obama in der Bevölkerung ist dort am stärksten, wo er in den Vorwahlen besonders begeisterte Anhänger hatte: Unter den Jungen, den bekennenden Liberalen und den stärksten Gegnern des Irakkriegs und der Bush-Regierung.

Obamas Führung in den Umfragen schwand in dem Maße, in dem er nach seinem Sieg bei den Vorwahlen über Hillary Clinton scharf nach rechts ging. Seine Kampagne ist nicht deshalb baden gegangen, weil die Republikaner einen Medienblitz entfesselt hätten. Obama gibt immer noch weit mehr Geld aus als McCain. Der wirkliche Grund ist der, dass der Demokratische Kandidat alles tut, um jeden Verdacht von sich zu weisen, sein Wahlkampf und seine eventuelle Präsidentschaft hätten etwas mit fortschrittlicher Veränderung zu tun.

Der Demokratische Präsidentschaftskandidat stimmte im Senat für verstärkte Überwachungsvollmachten für das FBI und die NSA, spielte seine frühere Kritik am Irakkrieg herunter, gab sich selbst als entschiedener Verfechter einer militärischen Eskalation in Afghanistan zu erkennen und eiferte dem Säbelrasseln der Bush-Regierung im russisch-georgischen Konflikt nach. Zur Verschärfung der Wirtschaftskrise in den USA hatte er kaum ein Wort zu sagen. Dafür bekräftigte er seine Entschlossenheit, Haushaltsdisziplin zu halten, was nennenswerte Sozialreformen praktisch unmöglich macht, und kroch bei einem gemeinsamen Auftritt mit McCain in einer fundamentalistischen Kirche vor der religiösen Rechten zu Kreuze.

Keine dieser Positionen wird seine wichtigsten Helfer überrascht haben, weder die Milliardäre Warren Buffet und die Pritzker-Familie von der Hotelkette Hyatt, noch andere Angehörige der Finanzaristokratie und des Demokratischen Parteiestablishments. Obama hat sich als durch und durch konventioneller und konservativer bürgerlicher Politiker zu erkennen gegeben. Besonders seit er den 35-jährigen Washingtoner Veteranen Senator Joseph Biden zu seinem Vize-Kandidaten wählte, ist aus der Unterstützung für seinen Wahlkampf - wie verwirrt sie auch immer gewesen sein mag - die Luft raus.

Dabei war Obama niemals der Kandidat einer wirklichen Oppositionsbewegung gegen das politische Establishment. Seine Kandidatur war im Gegenteil von einem Teil des Establishments sorgfältig geplant worden. Das sind die Kräfte, die die Außenpolitik der Bush-Regierung und besonders ihre Irakpolitik scharf ablehnen, aber auch die Unterstützung, die sie von Kongressführern wie Clinton und Biden erhalten hat.

Das Obama-Lager hat keine grundlegenden oder prinzipiellen Bedenken gegen den Einsatz von Krieg zur Durchsetzung der Interessen des US-Imperialismus. Es kritisierte Bush, weil er einen zum Teil unnötigen Krieg auch noch schlecht führte, und weil die Regierung derart auf den Irak fixiert war, dass sie globale Interessen an anderer Stelle vernachlässigte. Genauso wichtig war, dass er sich von Clinton absetzen konnte, die der Kriegsresolution 2002 zugestimmte hatte. Das ermöglichte es Obama, die Anti-Kriegs-Stimmung für sich einzuspannen und die Massenopposition gegen Krieg wieder ins Fahrwasser der Demokratischen Partei zu lenken.

Die Unterschiede in der Irakfrage waren rein taktischer Natur. In den letzten Monaten hat sich ein parteiübergreifender Konsens entwickelt, der praktisch das ganze politische Establishment umfasst. Die Eskalation des Irakkriegs durch die Bush-Regierung wird als Erfolg gewertet, und die amerikanische Besatzung hat sich zumindest zeitweilig so weit stabilisiert, dass man die noch herrschende Gewalt als für Washington akzeptabel hält.

Woher kommen nun die scheinbar unlösbaren Konflikte in der Demokratischen Partei, wo sich doch die Positionen Obamas und Clintons in der Irakfrage denen Bushs und McCains weitgehend angenähert haben? Die WSWS erklärte schon im Vorwahlkampf, dass die Unterschiede in der Außenpolitik zwar den Anstoß dafür gegeben hatten, dass Obama die angebliche Favoritin herausforderte, dass die Bruchlinien in der Demokratischen Partei sich dann aber in der Rassen- und Geschlechterfrage auftaten.

Das hatte nicht nur damit zu tun, dass die beiden Finalisten der erste Afroamerikaner und die erste Frau waren, die klare Chancen hatten, die Präsidentschaftskandidatur einer der beiden großen bürgerlichen Parteien zu erringen. Wichtiger noch war die historische Transformation der Demokratischen Partei in den letzten vierzig Jahren. Jedwede soziale Orientierung wurde fallen gelassen, und die Identitätspolitik setzte sich als zentrales Prinzip durch.

In der letzten großen Krise des amerikanischen Kapitalismus, der Großen Depression der 1930er Jahre, zimmerte die Demokratische Partei unter Roosevelt eine Koalition, die ein breites gesellschaftliches Spektrum umfasste. Dazu gehörten die weitsichtigsten Teile der herrschenden Klasse, die Gewerkschaften (auch die neu entstandenen Industriegewerkschaften), selbstständige Mittelschichten, Kleinbauern und städtische Mittelschichten - vom Ladenbesitzer bis zum Intellektuellen.

Auch damals verteidigte der amerikanische Liberalismus fraglos das Profitsystem, aber er vertrat ein Reformprogramm zur Umstrukturierung des amerikanischen Kapitalismus, um die Macht der Wirtschaft einzuschränken, eine begrenzte Umverteilung des Reichtums zu ermöglichen und sich zumindest den Anschein größerer sozioökonomischer Gleichheit zu geben.

Dieses Programm erlitt in den 1960er Jahren Schiffbruch, als sich die Demokratische Partei zwischen Sozialreformen und dem Vietnamkrieg entscheiden musste. Sie entschied sich natürlich, wie es sich für eine kapitalistische Partei gehört, für die Verteidigung imperialistischer Interessen im Ausland auf Kosten der Arbeiterklasse.

Noch wichtiger war, dass der anhaltende Niedergang der Weltposition des amerikanischen Kapitalismus in den 1960er und 1970er Jahren das Kernversprechen der Demokraten unterhöhlte: immer weiter steigender Lebensstandard und bessere Sozialleistungen für alle. Die Partei versuchte sich stattdessen als Garant von Privilegien für die oberen Schichten rassischer und ethnischer Gruppen und von Frauen neu zu erfinden. Gleichzeitig stagnierte oder sank der Lebensstandard der breiten Masse afroamerikanischer, lateinamerikanischer und weißer Arbeiter, Frauen wie Männer.

Die Identitätspolitik bedeutete, über die grundlegenden Klassenfragen in der amerikanischen Gesellschaft hinwegzugehen. Kein Demokratischer Politiker könnte heute, wie Roosevelt damals, den schädlichen Einfluss der Finanzoligarchen anprangern, ohne dass er am nächsten Tag weg vom Fenster wäre.

Diese überspannte Konzentration auf zweitrangige Fragen wie Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung usw. ist auf dem ganzen Demokratischen Parteitag nicht zu übersehen. Ein Redner nach dem andern ging über die allgegenwärtige Tatsache der wachsenden sozialen Ungleichheit hinweg und ignorierte, dass in der amerikanischen Gesellschaft eine kleine Handvoll von Mulimillionären und Milliardären der großen Mehrheit gegenübersteht, die für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten muss.

Dies kommt schon in der Struktur der Demokratischen Partei zum Ausdruck. Am Montag fanden zum Beispiel sechzehn Demokratische Fraktionstreffen verschiedener Identitätsgruppen statt: von Schwarzen, Frauen, Religiösen, Asiatisch-Amerikanern, Ureinwohnern, Spanisch-Stämmigen, Schwulen und Lesben, Alten, Jugendlichen, Landbewohnern. Sogar ein "ethnisch-koordinierter Ausschuss" war da. Es gibt auch einen "Labor"-Ausschuss, der aber aus hoch bezahlten Gewerkschaftsbürokraten besteht. Deren Interessen sind denen der Arbeiter diametral entgegengesetzt. Die Arbeiterklasse, die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist praktisch nicht repräsentiert und wird auch nicht erwähnt.

Ein typisches Beispiel war die Rede von Michelle Obama am Montagabend, die sich als Frau des Kandidaten einer entwürdigenden Prozedur unterzog: Jede kritische Äußerung gegenüber der amerikanischen Gesellschaft tilgte sie radikal aus ihrem Beitrag und präsentierte sich als glühende Patriotin. Den Aufstieg ihrer Familie im sozialen Status bezeichnete sie als die Personifizierung des "amerikanischen Traums".

Früher bedeutete der "amerikanische Traum", dass jede Arbeitergeneration davon ausging, dass es ihren Kindern einmal besser gehen müsse als ihnen selbst. Aber in Frau Obamas Beitrag bedeutet der "amerikanische Traum", dass Schwarze und Weiße, Männer und Frauen die Chance haben, wie sie selbst und Barack Obama in die privilegierte Elite aufzusteigen und der Arbeiterklasse zu entrinnen.

Besonders klar drückte sich diese Ablehnung jeder sozialen Perspektive darin aus, dass Obama den Gouverneur von Virginia, Mark Warner, mit dem zentralen Redebeitrag beauftragte. Es ist das erste Mal, dass die Grundsatzrede auf einem Parteitag der Demokraten von einem viel hundertfachen Millionär gehalten wird.

Warners Rede am Dienstag war so einschläfernd wie reaktionär. Zuerst feierte er seinen eigenen Erfolg als Mobilfunkkapitalist (sein Vermögen wird auf mehr als 250 Millionen Dollar geschätzt). Selbstverständlich ging er in keiner Weise auf die tatsächlichen Lebensbedingungen von Hunderten Millionen Arbeitern ein.

Warner befürwortete, wie viele andere Redner am Dienstag, Wirtschaftsnationalismus. Er warnte, die Politik der Bush-Regierung werde es den internationalen Konkurrenten, vor allem China, ermöglichen, die führende Position in der Weltwirtschaft zu übernehmen. Weiter erklärte er, er kritisiere die Bush-Regierung vor allem, weil sie der amerikanischen Bevölkerung nach den Terroranschlägen vom 11. September nicht genügend Opfer abverlangt habe. Dieses Argument lässt aufhorchen: Wird ein Demokrat im Weißen Haus die Sozialausgaben zusammenstreichen, um die Militärausgaben zu erhöhen, und die Wehrpflicht wieder einführen?

Hillary Clintons Rede am Dienstagabend schlug ähnliche Töne an. Sie konzentrierte ihre Rede auf die Aufforderung an ihre Anhänger, sich hinter Barack Obama zu stellen. Wie schon in den letzten Monaten ihrer erfolglosen Kampagne um die Nominierung, bemühte Clinton ein gewisses Maß an populistischer Demagogie. Aber sie stellte ihre Kritik an Bushs Wirtschaftspolitik in einen nationalistischen Rahmen und verurteilte den Export von Arbeitsplätzen in andere Länder, und nicht die Zerstörung von Arbeitsplätzen durch die großen Konzerne. Auch sie propagierte Identitätspolitik und präsentierte sich selbst, die Millionen schwere Frau eines Ex-Präsidenten, als Personifizierung des Kampfs seit Generationen gegen Frauenunterdrückung.

Siehe auch:
Obama Clinton und Identitätspolitik
(12. Juni 2008)
Die Vorwahlen in Pennsylvania und die Krise der Demokratischen Partei
(30. April 2008)
Loading