Historische und internationale Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Hier der vierte Teil der Historischen und Internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien). Das Dokument wurde auf dem Gründungskongress der Socialist Equality Party (SEP) in Manchester vom 22. bis 25. Oktober 2010 einstimmig verabschiedet. Es untersucht die wichtigsten politischen Erfahrungen der britischen Arbeiterklasse und konzentriert sich insbesondere auf die Nachkriegsgeschichte der trotzkistischen Bewegung.

 

Es wird in elf Teilen auf der WSWS veröffentlicht.

Teil 4
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Tony Cliff und der Ursprung der International Socialists

81. Der Fraktionskampf innerhalb der RCP führte dazu, dass Tony Cliff, ein Anhänger von Shachtmans Staatskapitalismus-Theorie, in das politische Leben Großbritanniens eintrat. Cliff sollte seine eigene Bewegung aufbauen, indem er unzufriedene RCP-Mitglieder rekrutierte. Der Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 wurde zum Testfall für die Anhänger des Staatskapitalismus. Der Konflikt wurde vom US-Kapitalismus provoziert, der auf die chinesische Revolution vom Vorjahr reagierte, und kündigte eine enorme Verschärfung des Kalten Krieges einschließlich der Remilitarisierung Europas an. In nur drei Jahren wurden drei Millionen Koreaner getötet. Der britische Imperialismus nahm aktiv am Konflikt teil. Die Labour-Regierung mobilisierte 70.000 Soldaten, wobei sie den Wehrdienst auf zwei Jahre verlängerte. Um den Einsatz zu finanzieren, wurden die Kosten für die Verschreibung von Medikamenten erhöht.

82. Cliff passte sich der offiziellen anti-kommunistischen Hysterie an und lehnte die Verteidigung Nordkoreas ab. Er behauptete, dies sei ein Krieg zwischen zwei rivalisierenden imperialistischen Mächten, der UdSSR und den USA, und trat für Neutralität ein. Dieser Position entsprang der Aufruf der International Socialists: „Weder Washington, noch Moskau, sondern internationaler Sozialismus!“ Zu einer Zeit, als die Trotzkisten innerhalb der Labour Party und in den Gewerkschaften arbeiteten und versuchten, Widerstand gegen den Koreakrieg zu mobilisieren, durchkreuzte Cliff ihre Bemühungen. Er arbeitete mit einer geheimen Fraktion ehemaliger Haston-Anhänger innerhalb der RCP in Birmingham zusammen, die ihm halfen, die trotzkistische Bewegung zu spalten. Sie wählten als Anlass eine Versammlung des Trades Council (Gewerkschaftsrates), um die Politik der Vierten Internationale zu Korea öffentlich zurückzuweisen. Mitglieder dieser Gruppe gaben später zu, dass sie beabsichtigt hatten, Healy „eine Falle zu stellen“. Sie wussten genau, dass ein solcher offener Bruch der Parteidisziplin ihm keine Alternative lassen würde, als sie auszuschließen, wodurch sie sich als „Märtyrer“ gebärden und darauf hoffen konnten, einen internationalen Fraktionskampf auszulösen.21

83. Cliff argumentierte, die stalinistische Diktatur sei ein Ausdruck des jüngsten Stadiums in der Entwicklung des Weltkapitalismus, das sich auch in den Verstaatlichungen von Labour nach dem Krieg und jenen der neuerdings unabhängigen Kolonialregime darstelle. Ihm zufolge dienten die Intelligenz und die stalinistische Bürokratie als Hebamme für eine neue Art Staatskapitalismus. In der chinesischen Revolution habe die industrielle Arbeiterklasse „keine wie auch immer geartete Rolle“ gespielt, und in Kuba hätten „Intellektuelle aus den Mittelschichten die gesamte Kampfarena dominiert“. Hiervon ausgehend erklärte Cliff, dass Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution aus folgendem Grund falsch sei: „Das konservative, feige Wesen einer sich spät entwickelnden Bourgeoisie (Trotzkis erster Punkt) ist ein absolutes Gesetz. Der revolutionäre Charakter der jungen Arbeiterklasse (Punkt 2) ist weder absolut, noch unvermeidlich. (…) Wenn das beständig revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse, zentraler Pfeiler von Trotzkis Theorie, einmal suspekt wird, dann zerfällt die gesamte Struktur in ihre Einzelteile.“22

84. Für Cliff artikulierte die Arbeiteraristokratie die sozialen Interessen der gesamten Arbeiterklasse. Er schrieb: „Aus Lenins Analyse des Reformismus folgt unvermeidlich, dass eine schmale konservative Schicht den revolutionären Antrieb der Arbeitermassen überlagert“, wobei nicht nur im Vereinigten Königreich die Geschichte des Reformismus „seine Festigkeit und seine Verbreitung in der gesamten Arbeiterklasse“ bewies. „Dies frustrierte sämtliche revolutionären Minderheiten und isolierte sie weitgehend.“ Der Reformismus gründete sich also nicht nur auf die Arbeiteraristokratie, sondern war der Arbeiterklasse eingeimpft, die, wie Cliff argumentierte, in ihrer Gesamtheit vom Kapitalismus profitiere. „Wir gehören alle dazu“, verkündete er. „Es betrifft nicht nur eine verschwindend kleine Minderheit, sondern die Arbeiterklasse als Ganzes.“23

85. Er schloss mit den Worten: „Die Labour Party tickt in hohem Maß so, was das britische Volk tickt.“ Deshalb dürfen Marxisten sich nicht als eine eigene Partei oder als Embryo einer Partei verstehen. Sie sollten sich daran erinnern, dass die Arbeiterklasse die Labour Party als ihre politische Klassenorganisation ansieht (und wann immer eine neue Welle politischer Aktivität die Arbeiter erfasst, dass Millionen neuer Wähler zu ihrer Fahne strömen und Hunderttausende ihr aktiv beitreten werden).“24

86. Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Ausdrucksweise gestanden sowohl Grant als auch Cliff der stalinistischen Bürokratie eine rechtmäßige Stellung innerhalb der sowjetischen Gesellschaft zu und prophezeiten stalinistisch geprägten Staaten eine historische Lebensfähigkeit. In den folgenden Jahren erwiesen sie sich im Kampf gegen die Healy-Gruppe immer wieder als Verbündete.

Das Aufkommen des Pablismus

87. Wie sich zeigte, waren die theoretischen Revisionen Grants und Cliffs nur ein Vorgeschmack auf jene des Pablismus, der bösartigsten und gefährlichsten Tendenz, die unter dem politischen Druck der Nachkriegsära aus der Vierten Internationale hervorging.

88. Die SWP und das Internationale Exekutivkomitee, das sich unter der Führung von Michel Pablo und Ernest Mandel in Europa befand, hatten gegen die Morrow-Goldman-Bewegung und ihre Anhänger in Großbritannien Stellung bezogen. Aber nach 1949 begann Pablo auf die Konsolidierung der US-Vorherrschaft im Westen und die Bildung stalinistischer Regimes in Osteuropa und China zu reagieren und seine Haltung zu verändern. Er schrieb nun, der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus werde sich über „Jahrhunderte von degenerierten Arbeiterstaaten“ hinziehen. Er beteuerte, der Konflikt zwischen der UdSSR und den USA werde einen globalen Bürgerkrieg auslösen, in dem die Sowjetbürokratie gezwungen sein würde, die sozialistische Revolution durchzuführen. „Für unsere Bewegung“, erklärte Pablo, „besteht die objektive gesellschaftliche Realität im Wesentlichen aus dem kapitalistischen Regime und der stalinistischen Welt“.

89. Hinter seiner apokalyptischen Vision einer “Kriegsrevolution” festigte Pablo die impressionistischen Positionen, die sich innerhalb der Weltbewegung zu einer liquidatorischen Tendenz verdichtet hatten. Sie schrieben die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft ab und reduzierten die Rolle der Vierten Internationale auf die einer Gruppe, die auf Stalinisten, Sozialdemokraten und bürgerlich-nationalistische Bewegungen nur Druck ausüben konnte. Auf dem Dritten Weltkongress der Vierten Internationale 1951 erklärte Pablo:

„Was uns noch mehr von der Vergangenheit unterscheidet, und was die Qualität unserer Bewegung heute und die sicherste Garantie für unsere zukünftigen Siege darstellt, ist unsere wachsende Fähigkeit, die Massenbewegung so zu verstehen, so zu nehmen, wie sie ist – häufig verwirrt, häufig unter verräterischer, opportunistischer, zentristischer, bürokratischer oder sogar bürgerlicher und kleinbürgerlicher Führung – und unsere Bestrebungen, unsern Platz in dieser Bewegung einzunehmen, um sie von ihrer jetzigen auf höhere Ebenen zu erheben. (…) Diese Bewegungen von vornherein abzulehnen, sie als reaktionär, faschistisch oder für uns bedeutungslos zu bezeichnen, wäre ein Ausdruck der alten, „trotzkistischen“ Unreife und der dogmatischen, abstrakten und im negativen Sinne intellektuellen Beurteilung der Massenbewegung.“25

90. Auf dieser Grundlage formulierte Pablo seine Definition eines Entrismus sui generis (von besonderer Art). War die entristische Taktik der Trotzkisten zuvor dem Aufbau unabhängiger Organisationen untergeordnet gewesen, wurde dieses Konzept nun über Bord geworfen. Stattdessen ging es nur noch darum, die alten Parteien nach links zu drücken.

„Es gibt heute keine einzige trotzkistische Organisation, in der nicht alle oder zumindest ein Teil ernsthaft, tiefgreifend und konkret verstehen, dass es notwendig ist, alle organisatorischen Erwägungen betreffs der formalen Eigenständigkeit oder sonst etwas der wirklichen Integration in die Massenbewegung, wie sie sich in jedem Land ausdrückt, unterzuordnen, bzw. der Integration in eine wichtige Strömung in dieser Massenbewegung, die man beeinflussen kann.“26

Healy schließt sich dem Kampf gegen Pablo an

91. Weder Cannon noch Healy schätzten das Ausmaß von Pablos theoretischen Revisionen von Anfang an richtig ein. Aber die vollen Auswirkungen seiner Linie wurden klar, als er die Sektionen der Vierten Internationale dazu zwingen wollte, sich in den jeweils dominierenden Tendenzen der Arbeiterklasse aufzulösen. In Großbritannien versuchten Pablos Anhänger, geführt vom Socialist-Outlook-Herausgeber John Lawrence, Healy eine Art stalinistischen „Maulkorb“ umzuhängen, um ihn daran zu hindern, sich ihnen in den Weg zu stellen. Als Antwort auf diese Zensurversuche schrieb Cannon an Healy:

“Du stehst jetzt in deinem Leben als Revolutionär an einem Wendepunkt. Alle Früchte deiner früheren Arbeit und deines Kampfes zur Festigung eines prinzipientreuen Kaders werden durch diesen illoyalen Versuch bedroht, mit dem man dich einschüchtern will und dir die Pistole einer Fraktionsopposition an den Kopf hält. (…)

Die Mitglieder deiner Bewegung, die neuen Rekruten wie jene, die seit langem dabei sind, müssen unbedingt erkennen, dass die Organisation, in der sie arbeiten, nicht vom Himmel gefallen ist. Die Bedingungen für all ihre konstruktive Arbeit in letzter Zeit wurden durch einen langen Kampf geschaffen, einen Kräfte zehrenden und zuweilen entmutigenden Kampf gegen die Hastons und all jene, die nicht besser waren als die Hastons. Jetzt stehst du wieder vor einem Kampf. Und du wirst weder Frieden im Innern, noch die Möglichkeit einer weiteren langen Schaffensperiode, ungehindert von Fraktionskämpfen, bekommen, solange du nicht mit dieser neuen Fraktion fertig wirst, die sich gegen dich erhoben hat.“ 27

92. Im Kampf der SWP gegen Pablo und Mandel spielte Healy eine unschätzbare Rolle, und trotz ständiger Provokationen durch ihre Anhänger in Großbritannien hielt er geduldig und zäh daran fest. Ein wichtiger Kampfgefährte Healys war Michael Van Der Poorten (Mike Banda), ein 20-jähriges Mitglied der Bolschewistisch-Leninistischen Partei Indiens, der 1950 aus Ceylon in Großbritannien eingetroffen war. Die Lehren, die Healy aus seinen früheren Kämpfen gezogen hatte, zahlten sich im Kampf gegen die Pablo-Fraktion aus. Seine Korrespondenz mit Cannon zeugt von großer Sensibilität, was die komplexe Aufgabe der Rekrutierung und Erziehung eines revolutionären Kaders angeht; er weist darin Pablos Linie klar zurück und sorgt sich um ihren verheerenden Einfluss auf die Vierte Internationale. In einem Brief an Cannon vom 21. Juli 1953 schreibt Healy:

“Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass der Aufbau eines Kaders Zeit und viel Erfahrung braucht. Trotz der gefährlichen internationalen Situation gibt keine Abkürzung, um den Aufbau eines Kaders zu umgehen. In der Tat stehen die beiden Dinge in einer dialektischen Wechselbeziehung. Je explosiver die Situation, umso erfahrener muss ein Kader sein, um mit ihr fertig zu werden. Dann erst zahlt sich die lange Zeit aus, die es gekostet hat, den Kader aufzubauen. Was vorher wie ein langer schwieriger Prozess erscheint, verkehrt sich nun ins Gegenteil.“

In einem anderen Brief an Cannon vom 7. September 1953 beschreibt Healy, wie ein Treffen mit Pablo ihn überzeugte:

“Wir sind mitten im schwersten Kampf in der Geschichte unserer Bewegung, um unsere grundlegenden Prinzipien zu verteidigen. Mit großer Erbitterung hat Pablo eure Vorstellung von unserer Internationale attackiert. Dieser Mann arbeitet mit all den alten Komintern-Sünden. Seine Methoden sind so unerträglich, dass sie mich fast körperlich krank gemacht haben. Viele Dinge sind mir während unseres Gesprächs eingefallen. Sie hassen den alten Kader unserer Bewegung. Sie wollen eine Internationale aus rückgratlosen Kreaturen, die den Revisionismus so weit akzeptieren, dass sie zur linken Deckung für den Stalinismus werden. Dies sind harte Worte, aber wenn du erlebt hättest, was ich hinter mir habe, würdest du mir zustimmen.“ 28

93. Am 19. September stimmte das Nationalkomitee der britischen Sektion mit elf zu sechs Stimmen gegen Pablos Linie. Healy gab ein internationales Dokument mit dem Titel „Der Kampf gegen den Revisionismus“ heraus, in dem er erklärte:

„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als das Schicksal des Trotzkismus, das heißt, des Marxismus, des revolutionären Sozialismus unserer Zeit. (…) Hat sich die Theorie, die unsere Bewegung ein Vierteljahrhundert lang angeleitet hat, überlebt, ist sie veraltet und überholt? Haben die neuen Tatsachen, die ‚neuen Realitäten’ unserer Zeit, unsere Konzepte der Sowjetbürokratie, des Stalinismus’ und seiner Beziehungen zu den großen kämpfenden Klassen verändert? Und wenn ja, – müssen wir dann nicht auch unsere eigene Funktion, unsere Rolle verändern, wie wir sie bisher verstanden haben: als Vierte Internationale, als Kern einer unverzichtbaren revolutionären Partei, die aufgebaut werden muss, um der proletarischen Revolution zu ihrem endgültigen Sieg über den Kapitalismus zu verhelfen? (…) Die einzig logische Konsequenz, die aus diesem Revisionismus folgen kann, ist die Liquidierung der Vierten Internationale in der Form, wie wir sie bisher verstanden haben.“ 29

94. Die Pablisten, so fuhr er fort, behaupteten:

“Wegen einiger wirklicher oder angeblich neuer Fakten zum Stalinismus sollen wir die Vergangenheit vergessen, die Evolution dieses sozialen Phänomens ignorieren – als wäre der ganze Stalinismus nichts weiter als eine zufällige Verirrung von Individuen, die sich jetzt wieder selbst reformieren! Es hat in der marxistischen Bewegung schon viele Versuche gegeben, das Wesen des Kapitalismus und der kapitalistischen Klasse zu reformieren, von [dem deutschen Sozialdemokraten Eduard] Bernstein bis hin zu [Labour-Politiker John] Strachey. Tatsächlich besteht die offizielle Ideologie der Labour Party in diesem Land darin, dass die kapitalistische Klasse sich mehr oder weniger reformiert habe und die Notwendigkeit eines Sozialstaates anerkenne, so wie die Labour-Führer die Notwendigkeit einer ‚gemischten‘ Wirtschaft mit einem Anteil Kapitalismus eingesehen haben.“30

Der offene Brief

95. Die SWP erkannte, dass die physische Existenz der Vierten Internationale als unabhängige Organisation gefährdet war, und gab am 11. November 1953 einen Offenen Brief als internationalen Aufruf an alle orthodoxen Trotzkisten heraus. Die ersten sechs Punkte wiederholten die wesentlichen Grundlagen der Bewegung:

„Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen, wie den Faschismus, zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.

Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.

Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machteroberung beschreiten können.

Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Zieles zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; d.h. eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen – Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse; mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird, Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.

Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Russland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen, und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen in den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereien hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.

Viele Sektionen der Vierten Internationale, sowie Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher umso dringender, dass sie wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z.B. nationalistische Organisationen oder Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.“31

96. Cannon erklärte, wie das geht:

“Anstatt am Hauptkurs festzuhalten und mit allen taktischen Mitteln unabhängige, revolutionäre sozialistische Parteien aufzubauen, blickt er [Pablo] auf die stalinistische Bürokratie oder auf einen entscheidenden Teil dieser Bürokratie, ob sie sich nicht unter dem Druck der Massen dazu bringen lässt, sich zu verändern und die ‚Ideen’ und das ‚Programm’ des Trotzkismus anzunehmen.“ (…)

“Wir fassen zusammen: Der Graben zwischen Pablos Revisionismus und dem orthodoxen Trotzkismus ist so tief, dass weder ein politischer, noch ein organisatorischer Kompromiss möglich ist. Die Pablo-Fraktion hat bewiesen, dass sie das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen, die wirklich die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, nicht zulassen wird. Sie verlangt die vollständige Unterordnung unter ihre verbrecherische Politik. Sie ist entschlossen, alle orthodoxen Trotzkisten aus der Vierten Internationale zu vertreiben oder ihnen einen Maulkorb umzuhängen und Handschellen anzulegen. (…) Es ist Zeit, dass die orthodox-trotzkistische Mehrheit der Vierten Internationale ihren Willen gegen Pablos Machtanmaßung durchsetzt.“ 32

Der Kampf gegen die Lawrence-Gruppe

97. Der offene Brief wurde zur Grundsatzerklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Das pablistische Internationale Sekretariat reagierte darauf, indem es sämtliche Befürworter ausschloss. Cannon erklärte die Bedeutung der Spaltung:

“Das erste Anliegen der Trotzkisten ist immer die Verteidigung unserer Lehre. Das muss es auch jetzt sein. Soweit das erste Prinzip. Das zweite, das dem ersten zum Leben verhilft, ist der Schutz der historisch geschaffenen Kader gegen jeden Versuch, sie zu zerstören oder auseinander zu treiben. Die offizielle Einheit steht ihrer Bedeutung nach bestenfalls an dritter Stelle. Die Kader der ‚alten Trotzkisten’ repräsentieren das akkumulierte Kapital des langen Kampfes. Sie sind die Träger der Lehre, die einzigen menschlichen Instrumente, die unsere Lehre – das Element des sozialistischen Bewusstseins – in die Massenbewegung tragen können. Die pablistischen Hofschranzen haben absichtlich versucht, diese Kader zu zerstören, einen nach dem anderen, in einem Land nach dem anderen. Und wir setzen uns – leider mit großer Verzögerung – dafür ein, die Kader gegen diesen perfiden Angriff zu verteidigen. Unsere Verantwortung für die internationale Bewegung lässt uns keine andre Wahl. Revolutionäre Kader sind nicht unzerstörbar. Das hat uns die tragische Erfahrung der Komintern gelehrt.“ 33

98. Pablo und Mandel arbeiteten mit Lawrence zusammen und versuchten, die britische Sektion zu zerstören. Lawrence nahm an einem Fraktionstreffen in Paris teil, worauf er seine Minderheit zur offiziellen Sektion der Vierten Internationale erklärte und eine Konferenz organisierte, die Healy „ausschloss“. In der vierköpfigen Redaktion des Socialist Outlook, in der Healy eine Ein-Mann-Minderheit darstellte, versuchte Lawrence eine offene Unterstützung für den Stalinismus durchzusetzen. Seine Fraktion versuchte auch, die Arbeit in der Parteidruckerei zu sabotieren und sie in den Bankrott zu treiben. In einem Brief vom 21. April 1954 an Leslie Goonewardene von den ceylonesischen Trotzkisten erklärte Healy:

“Von Anfang an zeigte sich der Pablismus in Großbritannien in der Form der Sabotage, die objektiv dem Stalinismus zuarbeitete. Unser Zeitungsverkauf sank von 6000 auf 4500 pro Woche. Sie glaubten, den orthodoxen Trotzkismus vernichten zu können, indem sie mich zeitweilig in der Redaktion und in der Druckerei isolierten. Ihre ganze Strategie war Teil eines sorgfältig verborgenen Plans. Nachdem sie von der überwältigenden Mehrheit der Partei abgewiesen worden waren, versuchten sie, die Nervenzentren unserer Arbeit an den Punkten zu treffen, wo wir Bündnisse mit den Zentristen hatten, und ausgerechnet diese Bündnisse waren auch der Arbeit der Stalinisten im linken Labour-Flügel ein Dorn im Auge.“ 34

99. Wie erbittert der pablistische Angriff geführt wurde, beschreibt Healy so:

“Letzten Donnerstag, morgens um acht, erschien er [Lawrence] in der Druckerei mit einem seiner Anhänger, der für uns als Maschinenwärter arbeitete. Als ich darauf hinwies, dass er sich nicht an die Entscheidungen der Redaktion halte, schlug er mir ohne Warnung ins Gesicht, dass mir das Blut aus der Nase spritzte. Sein Handlanger mischte sich ein, aber da kam auch schon Mike [Banda] zu meiner Rettung und zückte ein Messer gegen Lawrence. Ich nahm es ihm sofort ab, und Lawrence wurde von den anderen Druckern aus dem Büro gedrängt.“ 35

100. Healy kommentierte die politische Bedeutung des Vorfalls wie folgt:

“Wie ihr wisst, sind wir in unserer Gruppe keine Feiglinge. Wir haben in der Vergangenheit manchen Fraktionskampf ausgefochten, aber nie mit Gewalt. Das kam nur vor, wenn wir es mit den Stalinisten zu tun hatten, sonst mit niemandem, und es ist kein Zufall, dass die Pablisten sich nun entsprechend verhalten.“ 36

101. Lawrence versorgte ein stalinistisches Wochenblatt mit Informationen über die Aktivitäten des „Clubs“ in der Labour Party, und dieses veröffentlichte einen Hetzartikel. Der wurde benutzt, um den Socialist Outlook zu verbieten und seine Anhänger mit Ausschluss zu bedrohen. Die Labour League of Youth, praktisch vom „Club“ kontrolliert, wurde aufgelöst. Der „Club“ organisierte Protesttreffen im ganzen Land. Eine Resolution für den Parteitag der Labour Party gegen das Vorgehen des nationalen Exekutivkomitees gewann 1.700.000 Stimmen, wurde aber von dem rechten Flügel mit Hilfe des Gewerkschaftsblocks abgeschmettert. Vom Rauswurf bedroht, war der „Club“ gezwungen, den Socialist Outlook einzustellen. Eine Verleumdungsklage der Imperial Tobacco Company wurde dann benutzt, um die Presse der Bewegung in den Bankrott zu treiben.

102. Pablos Sektion in Großbritannien hielt sich nicht länger als ein Jahr. Im Juni 1954 kam Lawrence zum Schluss, dass selbst eine so schwache Verbindung zum Trotzkismus ein Hindernis für seine Orientierung auf die stalinistischen Parteien darstellte. Seine Gruppe in der Labour Party unterstützte die stalinistische Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956, und er selbst trat im November 1958 in die KP ein, nicht ohne seine trotzkistische Vergangenheit zuvor öffentlich zu widerrufen.37 Grant und eine kleine Anzahl pablistischer Anhänger in Großbritannien ersetzten Lawrence als britische Sektion des Internationalen Sekretariats und bildeten 1957 die Revolutionary Socialist League. Der Zusammenschluss war Beweis dafür, dass Grants Ansichten sich denen von Pablo und Mandel angepasst hatten. Bereits im Juni 1950 hatte Jimmy Deane, Grants engster Mitarbeiter, geschrieben: „Pablo hat den Wandel geschafft! Erst führt er einen Kampf gegen uns, und am Ende übernimmt er mehr oder weniger unsere Position.“

Wird fortgesetzt

 

Anmerkungen:

21 Zitiert in The Methods of Gerry Healy, Ken Tarbuck, http://www.whatnextjournal.co.uk/Pages/Healy/Walters.html [aus dem Englischen]

22 Tony Cliff The Deflected Permanent Revolution, (1963) http://www.marxists.org/archive/cliff/works/1963/xx/permrev.htm [aus dem Englischen]

23 Tony Cliff Economic roots of reformism (Juni 1957) http://www.marxists.org/archive/cliff/works/1957/06/rootsref.htm [aus dem Englischen]

24 Tony Cliff The Labour Party in Perspective, (1962) http://www.marxists.org/archive/cliff/works/1962/xx/labour.htm [aus dem Englischen]

25 Zitiert in Das Erbe, das wir verteidigen: Ein Beitrag zur Geschichte der Vierten Internationale, David North, Essen, 1988, S.196

26 ibid, S. 195

27 Trotskyism versus Revisionism (1974), New Park Publications, Band 1, S. 259/260 [aus dem Englischen]

28 ibid. S. 267/268

29 Gerry Healy, zitiert in What Next? The Struggle Against Revisionism, http:///www.whatnextjournal.co.uk/Pages/healy/1953.html, [aus dem Englischen]

30 ibid.

31 Der Offene Brief, zitiert in Das Erbe, das wir verteidigen: Ein Beitrag zur Geschichte der Vierten Internationale, David North, Essen, 1988, S. 231-32

32 ibid. S. 240

33 Trotskyism Versus Revisionism (1974) New Park Publications, Band 2, S. 106 [aus dem Englischen]

34 ibid. S. 80

35 ibid.

36 ibid.

37 Die Art und Weise, wie die Lawrence-Fraktion in der Labour Party reagierte, stellt dem Pablismus ein vernichtendes Zeugnis aus. Sie arbeitete nicht nur mit der britischen KP zusammen, sondern ihr erklärtes Ziel bestand darin, sich gegen jede Kritik an der Niederschlagung die Revolution in Ungarn stark zu machen. So erklärte David Goldhill, ein Anhänger von Lawrence, in den Diskussionen in der KP seien in [den Londoner Stadtteilen] Holborn und St.Pancras viele Mitglieder „vollkommen verwirrt“ gewesen. „Und so weit ich mich erinnern kann, waren es die alten Trotzkisten, die strikt dagegen waren und sagten, man könne diese Revolution nicht unterstützen, das sei eine antikommunistische Revolution, man müsse trotz der schrecklichen öffentlichen Propaganda die Sowjetunion bei diesem Angriff unterstützen. Und ich glaube, wir spürten wirklich, dass es unsre Aufgabe war, die Kommunistische Partei zu stärken, die in dieser Lage Anzeichen vollkommener Desintegration zeigte.“ (zitiert in Red Flag over St Pancras, Bob Pitt, Revolutionary History [aus dem Englischen]).

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