Krieg in Afghanistan:

Deutsche Medien greifen Wikileaks an

Die auf der Internetplattform Wikileaks veröffentlichten 92.000 geheimen Dokumente haben der offiziellen Propaganda über den Afghanistankrieg einen schweren Schlag versetzt. Sie haben die Behauptungen, es ginge in Afghanistan darum, demokratische Strukturen zu entwickeln, Schulen zu bauen und Brunnen zu bohren, als Lügen entlarvt und aufgedeckt, wie brutal der Krieg gegen die afghanische Bevölkerung geführt wird und welche Rolle die Bundeswehr dabei spielt.

In den Dokumenten, die Wikileaks dem Spiegel, dem Guardian und der New York Times bereits im voraus zur Auswertung übergeben hatte, wird u. a. beschrieben, wie Besatzungssoldaten an den Straßensperren Afghanen auf Motorrädern, in Autos und Bussen töten. Es ist von unzähligen zivilen Opfern, z. B. bei ständig zunehmenden Angriffen mit unbemannten Drohnen, die Rede, von denen nie berichtet wurde. Des Weiteren geht aus den Dokumenten hervor, dass Sonderkommandos im Rahmen von „Capture-Kill“-Aufträgen vierstellige Todeslisten abarbeiten und gezielte Tötungen durchführen.

Auch die die Bundeswehr ist tief in diese Terrorkommandos verstrickt. So sind 300 Kräfte der Task-Force 373 im deutschen Lager Marmal in Masar-i-Sharif stationiert, von wo aus sie ihre tödlichen Missionen starten. Sie kooperieren dabei eng mit den Deutschen, die dabei helfen, die Jagdlisten zu erstellen.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Christian Dienst, hat als Reaktion auf die entlarvenden Dokumente mittlerweile eingeräumt, dass Verdächtige auch von deutschen Soldaten getötet worden sein könnten. Die gezielte Tötung stehe im „Einklang mit dem Völkerrecht“, behauptete er.

Obwohl die Dokumente das wahre Gesicht des schmutzigen Kolonialkriegs in Afghanistan zeigen und einige Berichte im Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung (SZ) die Fakten nannten, hat sich kaum ein Kommentar in den deutschen Medien kritisch mit dem Inhalt der Dokumente auseinandergesetzt. Stattdessen bemühten sich die Leitartikler, ihre Bedeutung herunterzuspielen, und griffen gleichzeitig die Internetplattform Wikileaks und ihren Gründer Julian Assange an. Nach wenigen Tagen verschwand das Thema wieder nahezu komplett aus den Medien.

In der Süddeutschen Zeitung (SZ) behauptete Stefan Kornelius, ein Befürworter des Afghanistankriegs, in einem Leitartikel, in den Dokumenten steckten „gar nicht so viele Sensationen“. Sie belegten lediglich, „was bereits bekannt war.“ Es sei deshalb falsch, „die Afghanistan-Papiere mit den Pentagon Papers zu vergleichen“. Diese 1971 von der New York Times veröffentlichten Papiere hätten damals nämlich belegt, dass die amerikanische Regierung „systematisch über den wahren Einsatz und ihre politischen Ziele im Vietnam-Krieg gelogen hatte“.

Genau das trifft jetzt auch wieder zu, und zwar sowohl für die amerikanische wie für die deutsche Regierung. Nur sind heute weder die Süddeutsche noch die New York Times bereit, der eigenen Regierung entgegenzutreten. Im gleichen Leitartikel wiederholt Kornelius die Propagandalüge, die mehr als 40 Nationen, die in Afghanistan Krieg führen, würden „vom aufrichtigen Interesse geleitet, Afghanistan Frieden und Entwicklung zu bringen“.

Die Dokumente, die das Gegenteil beweisen, betrachtet Kornelius als Bedrohung für den Kriegserfolg. Sie hätten „das Potential, die letzte Hoffnung für einen militärischen und politischen Erfolg in Afghanistan zu zerschlagen“, schreibt er. Genauso wie das Internet als Ganzes würden sie „zu einem gefährlichen Faktor für kriegsführende Nationen, da geheime Informationen kritisch sind für Erfolg und Misserfolg in einem Konflikt“.

Das ist eine kaum verdeckte Aufforderung zur Zensur. Die ehemals liberale Süddeutsche steht mittlerweile derart unkritisch hinter dem Afghanistankrieg, dass sie die Berichterstattung den Kriegszielen der eigenen Regierung unterordnet. Wer sich, wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange, nicht an diese Regeln hält und seiner eigentlichen Aufgabe als Journalist nachkommt, wird dagegen scharf angegriffen.

So streut die Süddeutsche in einem weiteren Kommentar die Verleumdung, die Veröffentlichung der Dokumente sei „Teil einer PR-Strategie“, die „darauf gerichtet ist, die Bekanntheit von Wikileaks zu steigern und die Finanzierung durch Spenden zu sichern“. Dann zitiert sie Steven Aftergood, ein Mitglied des Bunds Amerikanischer Wissenschaftler, der Wikileaks „Informationsvandalismus“ vorgeworfen und die Plattform zu einem „Feind der offenen Gesellschaft“ erklärt hat. Die Süddeutsche vermerkt zwar, dieses Urteil sei „zu hart“, dennoch vertritt sie einen ähnlichen Standpunkt.

Auch die konservativen Blätter reagierten erbost auf die Veröffentlichung der Dokumente durch Wikileaks. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) warf der Internet-Plattform vor, die Dokumente gäben den Taliban Auskunft über Taktik und Verfahren der Nato. In offensichtlichem Widerspruch dazu behauptete sie gleichzeitig, die Dokumente enthielten nichts Neues und würden von Regierungsgegnern „auf unseriöse Art und Weise“ ausgenutzt. Es sei „alles schon bekannt“ und noch dazu „in verwirrender Ausführlichkeit dargestellt“.

Positiv vermerkte die FAZ lediglich, dass Wikileaks im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen nun die Zusammenarbeit mit dem Spiegel, dem Guardian und der New York Times gesucht habe, die nicht alles „auf Teufel komm raus“ veröffentlichen würden.

Die vom Springer-Verlag herausgegebene Welt spekulierte darüber, inwieweit durch die Dokumente „ein falsches Bild“ vermittelt werden könnte, „indem man nur Nachrichten auswählt, die ein negatives Bild zeichnen“. Sollte diese der Fall sein, wäre das Pentagon gefordert „umgehend das Gesamtbild abzurunden und ‚die andere Seite’ darzustellen“. Wie man genehme Informationen an Medien „durchsticht“, wisse man im Verteidigungsministerium.

Wie die Medien verurteilten auch die Bundestagsparteien die Veröffentlichung der Dokumente. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), sprach von einem „Skandal mit möglicherweise weitreichenden Auswirkungen“. Die Veröffentlichung könne sich auf die Sicherheit der deutschen Truppen vor Ort auswirken, weil „die Taliban aus der Beschreibung zurückliegender Operationen auf das künftige Vorgehen der Alliierten schließen und sich darauf einstellen“ könnten, sagte Polenz dem Tagesspiegel.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Elke Hoff, äußerte sich besorgt darüber, dass die Informationen „ausgerechnet in dieser besonders schwierigen Lage in Afghanistan durchgestochen werden“. Sie warf Wikileaks vor, es habe die Dokumente „ohne Rücksicht auf die Soldaten im Einsatz“ veröffentlicht.

Die SPD, die den Kriegseinsatz 2001 zusammen mit den Grünen initiiert hatte, äußerte sich noch unverblümter. Ihr verteidigungspolitischer Sprecher Rainer Arnold erklärte in der Welt, die Veröffentlichung der Dokumente sei Wasser auf die Mühlen derjenigen, „die schon immer gewusst haben, dass dieser Einsatz falsch ist. Sie haben nun weitere Argumente.“ Im Tagesspiegel argumentierte er, dass die Veröffentlichungen „künftige Einsätze nicht leichter“ machen würden, weshalb er „alles andere als glücklich über den Vorgang“ sei.

Der Verteidigungsexperte der Grünen, Omid Nouripour kritisierte gegenüber Spiegel Online lediglich, dass es verstörend sei, „wie wenig die Bundesregierung das Parlament über die Aktivitäten von amerikanischen Spezialkräften im deutschen Gebiet unterrichtet hat“.

Ähnliche Kritik äußerte der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Wolfgang Gehrcke. Er sagte, das Bundestagsmandat für Afghanistan sei „auf einer falschen, zumindest unzureichenden Informationsgrundlage“ beschlossen worden, und mutmaßte, die Bundesregierung sei entweder „falsch informiert oder Teil der Täuschungspolitik der USA“.

In Wirklichkeit unterstützt die Linkspartei selbst die Täuschungspolitik der USA und der Bundesregierung. Während die Mehrheit der Bevölkerung den Krieg ablehnt und die Politik der gezielten Tötungen verabscheut, ist die Linkspartei trotz ihrer teilweise pazifistischen Verlautbarungen unleugbar in diese verstrickt.

Laut Informationen von Spiegel Online informierte die Regierung bereits am 18. Juni die Obleute aller Fraktionen im Verteidigungsausschuss über die Operationen der US-Spezialkräfte im deutschen Einflussgebiet. Wie beim Massaker von Kunduz vor gut einem Jahr, als auf Befehl des deutschen Oberst Klein 147 Afghanen ums Leben kamen, schweigen die Obleute der Linkspartei im Verteidigungsausschuss, darunter Christine Bucholz (Marx 21) und Paul Schäfer, zu diesen Ereignissen.

Anstatt die Bevölkerung über die Kriegsverbrechen zu informieren, halten sich die Vertreter der Linkspartei an das Gesetz des Schweigens. Dies ist nicht verwunderlich. Die Linkspartei versuchte zwar bisher in Wahlkämpfen als Gegnerin des Afghanistankriegs aufzutreten, sie ist aber immer bereit einzulenken, wenn es auf ihre Unterstützung tatsächlich ankommt.

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Besatzungstruppen in Afghanistan mit dem Rücken an der Wand stehen, ist die Linkspartei nicht bereit, die Rolle der deutschen Spezialeinheiten in Afghanistan offen zu legen und an die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung zu appellieren. Vielmehr ist sie bemüht, eine Debatte über den Krieg und das Entstehen einer breiten Bewegung gegen den Krieg zu verhindern. Auf der Website der Linkspartei erschien seit der Veröffentlichung der Wikileaks-Dokumente kein einziger Artikel zu diesem Thema. Kein führendes Mitglied drängte auf den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

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