Klaus Barbie, der „Schlächter von Lyon“ war Agent des BND

Der Nazi-Verbrecher Klaus Barbie, berüchtigt als der „Schlächter von Lyon“, war in den 1960er Jahren auch Agent des deutschen Auslandsgeheimdienstes, des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das berichtet unter anderem das Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

Unter dem Decknamen „Adler“ mit der Registriernummer V-43118 lieferte Barbie, der sich damals Klaus Altmann nannte, im Jahr 1966 mindestens 35 politische Berichte an den BND. Die Honorare dafür – jeweils bis zu 500 DM – wurden ihm über eine Filiale der Chartered Bank of London in San Francisco überwiesen. Die BND-Akten lobten die „kerndeutsche Gesinnung“ des „entschiedenen Kommunistengegners“. Um die Jahreswende 1966/67 schaltete der BND seine Quelle Barbie alias Altmann ab. Als endgültige Abfindung erhielt er 1.000 DM in bar.

Letzteres berichtet der Geschichtsstudent der Universität Mainz Peter Hammerschmidt (Jahrgang 1986). Er arbeitet gerade an seiner Examensarbeit mit dem Titel: „’Der Schlächter von Lyon’ im Sold der USA – Über die Beziehungen zwischen Klaus Barbie und dem amerikanischen Geheimdienst.“ Hammerschmidt hatte schon im September im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit die BND-Akte Barbies einsehen können und Anfang des Jahres über seine Erkenntnisse zu dessen BND-Vergangenheit berichtet.

SS-Hauptsturmführer Klaus Barbie folterte und mordete von 1940 bis 1942 in den von Hitler-Deutschland besetzten Niederlanden und Belgien. In dieser Zeit war er „Judenreferent des Reichssicherheitshauptamts“ in Den Haag.

Ab November 1942 war er Chef der Gestapo in Lyon im Süden Frankreichs, das vom profaschistischen Vichy-Regime des General Petain kontrolliert wurde. Seine dort begangenen widerlichen und grausamen Verbrechen brachten ihm den Titel „Schlächter von Lyon“ ein. Seine Opfer waren Arbeiter, Bauern, Mitglieder der Résistance – darunter Jean Moulin, dem während der täglichen Verhöre beide Arme und Beine sowie mehrere Rippen gebrochen wurden. Frauen wurden bewusstlos geschlagen, vergewaltigt und zur Sodomie gezwungen. Tausende Männer und Frauen wurden von Barbie gefoltert, in Vernichtungslager geschickt oder getötet, darunter auch die 41 jüdischen Kinder von Izieu im Alter zwischen drei und dreizehn Jahren, die Barbie am 6. April 1944 deportieren ließ. Sie starben noch in den Gaskammern von Auschwitz.

Kurz vor Kriegsende, Ende 1944, tauchte Barbie in Deutschland unter. Wegen seiner Verbrechen wurde er 1947 in Frankreich in Abwesenheit zum ersten Mal zum Tode verurteilt, 1952 und 1954 erneut wegen weiterer Verbrechen.

Doch der gesuchte Kriegsverbrecher wurde sowohl vom Geheimdienst der U.S.-Armee, des Army Counter Intelligence Corps (CIC) als auch von den deutschen Behörden geschützt. War Barbies Name bereits ab Frühjahr 1946 auf Alliierten Fahndungslisten zu finden, erschien er ab April 1947 auf den Gehaltslisten des CIC, berichtet Hammerschmidt. Dies bewahrte ihn auch vor einer Ausweisung nach Frankreich. Er konnte so unbehelligt in Deutschland leben.

Im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes CIA rekrutierte Barbie ab 1950 Mitglieder für den später verbotenen rechtsextremen Bund Deutscher Jugend (BDJ). Der BDJ war die deutsche Vorläufer-Organisation der berüchtigten Gladio-Truppen der NATO in Europa. Diese paramilitärische Organisation mit engen Verbindungen zu rechtsextremen Terroristen sollten im Falle eines Überfalls der Sowjetunion hinter den feindlichen Linien, Sabotageakte und Morde ausführen. Mit amerikanischer Hilfe emigrierte Barbie 1951 auf der sogenannten Rattenlinie unter dem Namen Klaus Altmann nach Bolivien.

Anders als viele andere flüchtige Kriegsverbrecher in Südamerika tauchte Barbie nicht einfach unter, sondern stieg unter Boliviens rechten Militärdiktaturen als offizieller Berater auf. Im Hauptquartier der Armee gab er Mitgliedern des militärischen Geheimdienstes sein in Lyon erworbenes Wissen für deren Kampf gegen die politische Opposition weiter: „Verhörtechniken“, „Folter“ und „Anti-Guerilla-Maßnahmen“. Unter der Militärjunta von René Barrientos Ortuño war Barbie 1964/65 zum Militärberater für Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) aufgestiegen. 1966 erhielt er einen Diplomatenpass.

Gleichzeitig führte Barbie alias Altmann ein Sägewerk. Nicht zuletzt der Vietnam-Krieg ließ ihn reich werden. Barbie verkaufte Unmengen von Chinarinde – dem Rohstoff für das Schmerzmittel Chinin – an das deutsche Chemieunternehmen Böhringer Mannheim.

Gleichzeitig war er in Waffen- und Drogengeschäfte verwickelt. Der Schlächter von Lyon bereiste Mitte bis Ende der sechziger Jahre südamerikanische Staaten sowie Spanien und Portugal und belieferte die jeweiligen Diktaturen mit Waffen. Nach Oberst Hugo Banzers blutigem von der CIA unterstützten Putsch 1971 stieg Barbie zu einem bezahlten Berater des Innenministeriums und der Gegenspionage der bolivianischen Armee auf. Zusätzlich baute er seine eigene paramilitärische Truppe auf, mit der er 1980 den Militärputsch von General Luis García Meza unterstützte.

Rund zweieinhalb Jahre später, am 19. Januar 1983, inzwischen regierte Präsident Hernán Siles Zuazo, nahm die bolivianische Polizei Barbie fest. Im selben Jahr wurde er nach Frankreich ausgeliefert und in Lyon vor Gericht gestellt. Laut Hammerschmidt, der auch in den Akten des US-amerikanischen Nationalarchivs (NARA) in Washington recherchieren konnte, belegt ein CIA-Dokument vom Dezember 1983, dass sich die damalige französische Regierung unter Francois Mitterand – aus innenpolitischen Gründen – die sofortige Auslieferung mit Waffen erkaufte: Handfeuerwaffen, Maschinengewehre, Panzerabwehrwaffen und Munition.

Am 4. Juli 1987 wurde Barbie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Er starb 1991 in Haft.

Die gemeinsame Geschichte von BND und CIA

Die enge Zusammenarbeit zwischen Barbie und der CIA war bereits bekannt, nicht aber, dass der Nazi-Verbrecher auch auf der Gehaltsliste des BND stand. Doch verwundern kann das nicht. Denn der BND ist von amerikanischen Geheimdiensten aufgebaut worden.

Bereits in den letzten Kriegsjahren bereiteten sich deutsche Politiker sowie Generäle und Offiziere der Wehrmacht auf die deutsche Kriegsniederlage vor. Sie setzten auf die gemeinsame Feindschaft der USA, Frankreichs und Großbritanniens gegen die Sowjetunion. Der rechte bürgerliche Politiker, ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig und jahrelange Berater von Hitler, Carl Friedrich Goerdeler – einer der „Männer des 20. Juli“ – schrieb in einer Denkschrift an die Generalität vom 26. März 1943: „Die beiden angelsächsischen Weltreiche haben wie Deutschland ein Lebensinteresse daran, dass der Bolschewismus nicht weiter nach Westen vordringt. Nur Deutschland kann den Bolschewismus aufhalten. Wenn Deutschland durch Kriegsverlust und ungünstigen Frieden geschwächt wird, dann findet der Bolschewismus leichteren, vielleicht allzu leichten Weg nach dem Westen[...]”

Vor allem die USA stützten sich schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach auf das Wissen und die Erfahrungen der Nazis. Während des Kalten Krieges unterhielten sie mit ihnen ein weit verzweigtes Spionagenetz.

Besondere Bedeutung kam hierbei Reinhard Gehlen zu, Hitlers Chef des Militärgeheimdienstes an der Ostfront. Von 1942 bis 1945 leitete er im Generalstab des Heeres die Spionageabteilung "Fremde Heere Ost". Gehlen hatte seine Akten in der Überzeugung aufbewahrt, er könne sie nach dem Krieg an die USA weitergeben und somit zum Vorteil Deutschlands – und auch zu seinem eigenen Vorteil – den „Kampf gegen den Bolschewismus” weiterführen. „In einem Europa, das sich zur Verteidigung gegen den Kommunismus rüstete, konnte auch Deutschland wieder seinen Platz finden”, schreibt Gehlen in seinen Memoiren.

Unmittelbar nach dem Krieg wurden er und seine „Organisation Gehlen“ in den Dienst des amerikanischen Geheimdienstes (damals noch OSS, Office of Strategic Services, später dann die CIA) gestellt. Gehlen wurde damit beauftragt, einen deutschen Auslandsgeheimdienst aufzubauen, der sich vor allem gegen die Sowjetunion richten sollte. Die USA stützten sich dabei auf „jeden Schweinehund, sofern er nur Antikommunist war“, wie Harry Rositzke, Chef der CIA-Operationen in der Sowjetunion, es ausdrückte. In den BND wurden so teilweise ganze Leitstellen des SS-Sicherheitsdienstes (SD) übernommen.

Die deutsche Regierung unter Konrad Adenauer (CDU) wurde zunächst nicht über die Zusammenarbeit der CIA mit Gehlen informiert. Den ersten Kontakt mit der neuen Bundesregierung als auch der SPD hatte Gehlen erst Ende 1950. Hans Globke, rechte Hand Adenauers nahm die erste offizielle Verbindung zu dem General auf, der mit seinen Agenten in Pullach bei München arbeitete. „Ich fand sofort einen guten Kontakt und gewann den Eindruck, dass er die Bedeutung meiner Organisation richtig einschätzte“, schrieb Gehlen später. Jurist Globke war Autor des 1936 erschienenen Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis (Stuckart/Globke: Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung. München und Berlin 1936).

Im Sommer 1949 stammten rund 400 Mitarbeiter des BND, die meisten von ihnen in leitenden Positionen, aus dem Sicherheitsapparat der Nazis. Anfang der 1960er Jahre wurden bei einer internen Untersuchung rund 200 BND-Mitarbeiter als frühere Angehörige von NS-Sicherheitsbehörden identifiziert, die zum Teil an Kriegsverbrechen beteiligt waren, und selbst Anfang der 70er Jahre waren noch schätzungsweise 25 bis 30 Prozent mit NS-Hintergrund beim BND beschäftigt. Gehlen selbst leitete den BND bis zu seiner Pensionierung im Mai 1968.

Gehlen, Globke und auch Barbie waren keine Einzelfälle. Die Namen der hochrangigen Beamten, Richter, Staatsanwälte, SS-Leute und Parteimitglieder aus dem Dritten Reich, die ihre Karriere in der Bundesrepublik mehr oder weniger bruchlos fortsetzten, füllen Bände. Als der erste deutsche Bundestag in Westdeutschland zusammentrat, war mehr als die Hälfte der neuen Abgeordneten vor 1945 Mitglied der NSDAP gewesen.

Die Verfolgung von Nazi-Verbrechern wie Adolf Eichmann und Barbie wurde verhindert und sabotiert. So soll laut Hammerschmidt schon im April 1961 eine Verwandte von Barbie der Polizei zu Protokoll gegeben haben, dass Klaus Barbie und seine Familie von Amerikanern ins Ausland verbracht worden sei. Sie nannte auch die Stadt La Paz in Bolivien als Fluchtziel und Barbies neuen Familiennamen Altmann. Doch Ermittlungen wurden verschleppt und das Verfahren am 20. März 1967 vorläufig, von der Staatsanwaltschaft München am 22. Juni 1971 aus Mangel an Beweisen endgültig eingestellt. Die USA handelten nicht anders. Das State Department erhielt Hammerschmidt zufolge 1971 eine Antwort des Pentagon, es sei „eine Pflicht der nationalen Sicherheit, die Akten Barbies auch weiterhin unter Verschluss zu halten“.

Inzwischen halten es führende Kreise in Deutschland für notwendig, sich mit der braunen Vergangenheit deutscher Großkonzerne und Behörden auseinanderzusetzen. Der BND selbst verhandelt laut Spiegel seit Wochen mit den Historikern Jost Dülffer (Köln), Klaus-Dietmar Henke (Dresden), Wolfgang Krieger (Marburg) und Rolf-Dieter Müller (Potsdam) über die Aufarbeitung der Geschichte des BND in seinen ersten Jahrzehnten. Sie sollen vollen Zugang zu allen BND-Akten bekommen, auch zu den „geheimen“ und „streng geheimen“.

Die Befürworter eines „offenen Umgangs“ mit der eigenen Geschichte verfolgen das Ziel, dass die deutsche Außenpolitik, die zunehmend eigene imperialistische Interessen vertritt, dadurch an Durchsetzungskraft gewinnt. Das ist auch der Grund für die Veröffentlichung des Kommissionsberichts über das Auswärtige Amt, den der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in Auftrag gab. Im Auswärtigen Amt waren 1952 zwei Drittel der höheren Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder, bei den Referatsleitern waren es sogar vier Fünftel. Das Amt unterstützte die Verbrechen des Nazi-Regimes weitgehend aus eigenem Antrieb.

Doch wie schon darüber, wird es auch über die Öffnung des BND heftige Auseinandersetzungen geben. Auch Hammerschmidt berichtet, dass seine Anfrage auf Akteneinsicht beim BND im Sommer 2010 zunächst abgewiesen wurde. Erst eine Beschwerde über das Kanzleramt verhalf ihm einige Monate später zur Einsicht in die Barbie-Akte des BND.

Die vier Wissenschaftler aus Köln, Dresden, Marburg und Potsdam, die gerade mit dem BND verhandeln, sollen zwar alle Akten einsehen, aber nicht alles publizieren dürfen. Der BND behält sich vor, aus Gründen des Geheimschutzes sein Veto einzulegen. Auseinandersetzungen sind damit vorprogrammiert. Der Spiegel berichtet, die Journalistin Gaby Weber musste erst kürzlich vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen, um Einblick in die BND-Akten des NS-Massenmörders Adolf Eichmann nehmen zu können. Der BND führte dagegen die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland ins Feld – fast 50 Jahre nach Eichmanns Hinrichtung in Israel.

siehe auch:

„Brauner Sumpf“ – Offene Fragen nach Freigabe von Stasi-Akten

Adenauer-Regierung und CIA deckten Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann

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