Schaum vor dem Mund

Deutsche Medien zum Syrienkrieg

Mehrere deutsche Medien haben mit unverhohlener Wut und Enttäuschung auf die Verzögerung des Kriegs gegen Syrien reagiert, die US-Präsident Obama zu Beginn der Woche ankündigte. Einige Kommentare lesen sich, als fühlten sich die Verfasser um ein sehnsüchtig erwartetes Schauspiel betrogen, weil noch keine Bomben und Cruise Missiles auf dicht besiedelte syrische Städte niedergegangen sind.

Weil sich die politischen Parteien aus Angst vor Stimmenverlusten im Wahlkampf mit einer allzu offenen Kriegspropaganda zurückhalten, haben die Medien die Aufgabe übernommen, lautstark für einen unpopulären Militärschlag zu werben. Bezeichnenderweise beteiligen sich an dieser Kampagne nicht nur rechte konservative Blätter, sondern vor allem auch solche, die der SPD und den Grünen nahe stehen.

Am übelsten treibt es die taz, das inoffizielle Zentralorgan der Grünen. Der Leiter ihres Auslandsressorts, Dominic Johnson, holte am Dienstag zu einem Rundumschlag gegen alle aus, die die Kriegspropaganda der US-Regierung nicht Eins zu Eins übernehmen. Unter der Überschrift „Nichtstun? Oder lieber nichts tun?“ behauptet er wider besseres Wissen, alle im Bundestag vertretenen Parteien lehnten einen Militärschlag in Syrien ab.

Der Bundeskanzlerin wirft Johnson vor, sie halte „die Abwesenheit von Moral in der Politik für eine Tugend“, weil sie auf dem G-20 Gipfel in St. Petersburg eine von den USA vorgelegte Anti-Syrien-Resolution erst mit einem Tag Verzögerung unterschrieben hat. Den Regierungsparteien CDU/CSU und FDP unterstellt er „Abwarten“.

Der SPD hält Johnson vor, dass ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder den russischen Präsidenten Putin einmal als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hatte. Die Linkspartei beschuldigt er, sie werfe „sich schützend vor alle US-Feinde“ und verwechsle „Völkerrecht mit Vetorecht“.

Den Grünen wirft er vor, sie hätten „ihre Vordenker des humanitären Interventionismus in die Wüste geschickt und sich von ‚Nie wieder Auschwitz’ auf ‚Veggieday’“ zurückgezogen – eine Anspielung auf den grünen Außenminister Joschka Fischer, der die Teilnahme am Jugoslawienkrieg 1999 in unübertrefflichem Zynismus mit der deutschen Verantwortung für auf Auschwitz gerechtfertigt hatte, und auf die grüne Wahlkampfforderung nach einem fleischlosen Tag in der Woche.

Besonders erbost ist Johnson darüber, dass es Zweifel an der Verantwortung des Assad-Regimes für einen Giftgasangriff gibt. Dies sei „eine zutiefst zynische und bedenkliche Haltung in einem Land, das einst die industrielle Massenvergasung erfand und in dem danach das verordnete Betrachten von Fotos von KZ-Opfern zur Entnazifizierung gehörte“, schreibt er.

In der Süddeutschen Zeitung greift Nico Fried unter der Überschrift „Madame No spielt Friedenstabe“ Bundeskanzlerin Merkel an, weil sie in einem Interview eine militärische Beteiligung Deutschlands an einem Syrienkrieg ausgeschlossen hatte. „Als Friedenstaube verkleidet, überholt die Kanzlerin die politische Konkurrenz im Tempo eines Eurofighters. Innenpolitisch glaubt sie sich mit ihrem umfassenden ‚Ohne mich’ unangreifbar zu machen. Außenpolitisch ist die Festlegung der Kanzlerin einfach nicht zu begreifen“, schreibt er.

Fried, der seit Jahren für die Süddeutsche aus dem innersten Berliner Machtzirkel berichtet und öfter an Bord des Kanzlerinnen-Jets durch die Welt reist, weiß sehr genau, dass Deutschland bis über den Hals in den Kriegsvorbereitungen gegen Syrien steckt. Es überwacht das Land mit einem Spionageschiff im östlichen Mittelmeer, unterstützt und organisiert seit langem die syrische Opposition, hat Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze stationiert und wäre im Kriegsfall automatisch zur Unterstützung des Nato-Partners Türkei verpflichtet. Das hindert Fried aber nicht daran, eine aggressivere deutsche Kriegsbeteiligung zu fordern.

Auch der Moderator des heute-journals des ZDF, Klaus Kleber, ließ seiner Enttäuschung über die Verzögerung eines Militärschlags gegen Syrien am Dienstagabend freien Lauf. Der syrische Präsident Assad müsse „jetzt nicht mehr machen, als auf Chemiewaffen verzichten, die er nie hätte einsetzen dürfen, und plötzlich ist ein Mann, der vermutlich fast eineinhalbtausend Menschen mit Giftgas umbringen ließ, Partner in einem Abrüstungsprozess und der amerikanische Militärschlag ist erst Mal abgewendet“, sagte er. „Für das Regime, für das Überleben Sieg bedeutet, ist das viel wert.“

Die gehässige Sprache des folgenden Beitrags erinnerte dann an das berüchtigte antikommunistische ZDF-Magazin Gerhard Löwenthals auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs. „Die Moderatorin der Abendnachrichten im russischen Staatsfernsehen platzt vor Stolz fast aus dem Jackett“, hieß es darin. „Genüsslich führt sie dem russischen Zuschauer vor, wie Obama in den amerikanischen Medien zugeben muss, dass der Plan einen Militärschlag möglicherweise überflüssig mache. … Eins zu Null für Moskau. Der Kreml hat einen Überraschungscoup gelandet und treibt das Weiße Haus nun vor sich her.“

In der SPD-nahen Zeit warb der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich schon am 5. September unter der Überschrift „Feldherr sucht Truppen“ für Obamas Kriegspläne. Finde Obama im Kongress keine Mehrheit, warnte Ulrich, „so kann nicht nur er selbst den Rest seiner Präsidentschaft vergessen, dann hat auch der Westen als Weltordnungsmacht vorerst abgedankt, und alle Diktatoren bekommen freies Schussfeld auf ihr Volk… Der Westen wäre politisch entwaffnet.“

Ulrich, der in den 1980er Jahren in der Friedensbewegung und bei den Grünen aktiv war, wo er das Büro der Bundestagsfraktion leitete, plädiert hier offen für die weltweite Vorherrschaft des „Westens“, d.h. der imperialistischen Großmächte. Er geißelt die deutschen Parteien, weil sie nicht aggressiv und offen genug für dieses Ziel einträten. Deutschland, klagt er, habe sich „wieder über alle Parteien hinweg in einem uneingestandenen Pazifismus eingerichtet“.

Robert Leicht, in den 1990er Jahren Chefredakteur der Zeit und später in führenden Gremien der Evangelischen Kirche tätig, präzisierte am 9. September in derselben Zeitung, dass ein Angriff auf Syrien auch ohne UN-Mandat erfolgen müsse. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens versuchte er mit dem Argument zu entkräften, „das opportunistische Veto eines ständigen Mitglieds im Sicherheitsrat“ (gemeint war Russland) setze „Moral und Rechtsdenken des Völkerrechts nicht schamlos außer Kraft“.

Tatsächlich setzt Leicht das Völkerrecht schamlos außer Kraft, wenn er für einen unprovozierten Angriff auf ein souveränes Land plädiert, den das Völkerrecht eindeutig verbietet. Dass er dabei Syrien ohne die Spur eines tragfähigen Beweises einen völkerrechtlichen Verstoß gegen das Chemiewaffenverbot vorwirft, zeigt den Zynismus seiner Argumentation. Für ihn ist das Völkerrecht schlicht das Recht des Stärkeren.

In Wirklichkeit geht es in Syrien nicht um Chemiewaffen, sondern um geostrategische Machtinteressen. Die Welt ist da ehrlicher und spricht das offen aus. In dem Springer-Blatt plädierte der rechtslastige Historiker Michael Stürmer am 3. September in einem Kommentar zu Syrien ganz offen für die Anerkennung der USA als Weltpolizist.

„Der Machtfaktor, der bisher alle Ungleichgewichte der Region im Lot gehalten hat, mit Luftwaffe und Flottenverbänden, Stützpunkten, Geld und machtgestützter Diplomatie, ist einzig und allein Amerika“, schreibt Stürmer. „Die Amerikaner sind auch, in einer tragischen und zunehmend einsamen Rolle, die letzten, die in einer Welt, die aus den Fugen geht, für Weltordnung eintreten – nicht nur mit wohlfeilen Worten, wie viele, sondern auch mit Taten, wie sonst niemand.“

Den Europäern wirft Stürmer vor, sie wollten nicht „begreifen, dass die Hoffnung auf den Sicherheitsrat und dessen Weisheit angesichts der russisch-chinesischen Blockaden Illusion ist…. Ohne die Vereinigten Staaten gibt es keinen Hüter der Verträge, keinen Weltpolizisten, keine globale Ordnungsmacht. Wer an die ‚Weltgemeinschaft’ glaubt, präziser die Vereinten Nationen, muss Hoffnung gegen Erfahrung setzen und wird am Ende einen furchtbaren Preis bezahlen.“

Die Kriegspropaganda, die sich von der grünen taz über die sozialliberale Zeit und die Süddeutsche bis zur konservativen Welt erstreckt, ist Ausdruck eines Stimmungsumschwungs in den wohlhabenden Mittelschichten, aus denen sich die Redakteure dieser Blätter rekrutieren. Die Zeiten, in denen sie unter Hinweis auf die deutsche Geschichte noch zur militärischen Zurückhaltung mahnten, sind vorbei.

Hatten sie den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien noch mit einem angeblich drohenden Völkermord und anderen humanitären Lügen bemäntelt und eine deutsche Teilnahme am Irakkrieg abgelehnt, so rücken sie nun die wirklichen imperialistischen Ziele von Kriegseinsätzen immer offener in den Vordergrund.

Sie reagieren damit nicht nur auf wachsende internationale Spannungen, sondern auch auf die Zuspitzung sozialer Gegensätze im eigenen Land. Die Bundestagswahl findet inmitten der tiefsten internationalen Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren, wachsenden Konflikten in der Europäischen Union und einer tiefen sozialen Spaltung der Gesellschaft statt, ohne dass eine dieser Fragen im Wahlkampf zur Sprache käme. Umso heftiger werden sie sich nach der Wahl äußern.

Die herrschende Klasse und die wohlhabenden Mittelschichten reagieren auf die bevorstehenden Klassenkämpfe, indem sie enger zusammenrücken. Die Lage erinnert an die Periode vor dem Ersten Weltkrieg, als sich Bildungsbürger und der wohlhabende Mittelstand für den Imperialismus begeisterten. Der Deutsche Flottenverein, der für den Ausbau der kaiserlichen Marine warb, zählte auf seinem Höhepunkt über eine Million Mitglieder. Schließlich unterwarf sich auch die Spitze der SPD dem wachsenden imperialistischen Druck, verriet ihr eigenes Programm und hetzte Millionen junge Männer in den Krieg, wo sie auf dem Altar imperialistischer Interessen einen sinnlosen Tod starben.

Die wachsende Kriegsbegeisterung in den Medien ist deshalb eine Warnung: Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene unabhängige Partei, die Partei für Soziale Gleichheit, die imperialistische Kriege auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms kompromisslos ablehnt und bekämpft.

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