Perspektive

Die Krise in der Ukraine

Der von den USA und Deutschland inszenierte rechte Putsch und die russische Intervention auf der Krim haben die gefährlichste internationale Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. Wie zuletzt in den 1930er Jahren werden plötzlich Ultimaten gestellt und die Streitkräfte in Europa in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Alle Behauptungen, die Auflösung der Sowjetunion hätte das Zeitalter der Kriege und Revolutionen im zwanzigsten Jahrhundert beendet, werden von den Ereignissen der letzten Tage widerlegt. Das zwanzigste Jahrhundert ist ein „unvollendetes Jahrhundert“ und seine ungelösten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Widersprüche bilden in Wahrheit den Hintergrund der explosiven Spannungen des gegenwärtigen Jahrhunderts. Einhundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Menschheit wieder von Weltkrieg und Faschismus bedroht.

Die Hauptverantwortung für die Eskalation der Krise in der Ukraine tragen die USA und Deutschland. Die beiden Staaten und ihre Verbündeten in der Europäischen Union haben systematisch eingegriffen, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem korrupten Regime von Präsident Wiktor Janukowitsch in die Kanäle rechtsradikaler, nationalistischer und faschistischer Kräfte zu lenken. Ihr Ziel war es von Anfang an, die gewählte Regierung zu stürzen und ein Regime an die Macht zu bringen, das auf der Seite des westlichen Imperialismus steht und bereit ist, sich an dessen weit fortgeschrittenen Plänen zu beteiligen, Russland geopolitisch zu isolieren und zu zerstückeln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich mit Führern der rechten Opposition getroffen. Ihre Partei, die CDU, hat die Partei UDAR des ehemaligen Boxers Vitali Klitschko finanziell unterstützt. Hohe Funktionäre der EU marschierten zusammen mit den Faschisten der Swoboda-Partei und den bewaffneten Banden des Rechten Sektors auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz.

Die amerikanische Außenpolitikerin Victoria Nuland ist mindestens viermal nach Kiew gereist und hat sich mit neofaschistischen „Demonstranten“ und den Oppositionsführern Klitschko, Arseni Jazenjuk und dem berüchtigten antisemitischen Swoboda-Führer Oleg Tjagnibok getroffen. Im Dezember gab sie zu, dass die USA seit den 1990ern fünf Milliarden Dollar dafür aufgewendet haben, um in der Ukraine amerikanische Stellvertreterkräfte aufzubauen.

In dem publik gewordenen Telefonat zwischen Nuland und dem amerikanischen Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, in dem sie die Regierungsübernahme von Jazenjuk nach Janukowitschs Sturz diskutierten, wurde deutlich, in welchem Ausmaß Washington die Ereignisse in der Ukraine manipuliert hat.

Zweifellos steht Russland vor einer existenziellen Bedrohung. Mit der Ausweitung der Allianz gegen Moskau durch die Einbindung der Ukraine ist Russland verwundbarer für imperialistische Interventionen und Destabilisierungskampagnen. Zukünftige Operationen würden nicht an der Peripherie Russlands haltmachen, sondern innerhalb der eigenen Grenzen stattfinden. Für die USA und die europäischen imperialistischen Mächte wäre es ein Leichtes, neue "humanitäre" Vorwände zu finden, um mit Finanzmitteln und Waffen einzugreifen.

Die Gefahren für Russland, die auf eine Aufspaltung des Landes und die Degradierung zu einer Halbkolonie hinauslaufen, können jedoch nicht durch militärische Gewalt seitens des Putin-Regimes gebannt werden. Man kann Putins Vorgehen nicht unterstützen; seine Reaktion auf das aggressive Vorgehen des amerikanischen und deutschen Imperialismus hat nichts Fortschrittliches.

Putin repräsentiert Oligarchen, die sich nach der Auflösung der UdSSR durch die Plünderung staatlicher Industrien bereichert haben. Sein Regime ist unfähig, an die ukrainische Arbeiterklasse oder an progressive Stimmungen im Land zu appellieren. Stattdessen schürt er in Russland und im Osten der Ukraine Chauvinismus und trägt damit zur Gefahr von Bürgerkrieg und separatistischen Auseinandersetzungen bei, die von den ukrainischen Faschisten und ihren amerikanischen und deutschen Geldgebern angeheizt werden.

Die Stellungnahmen von Vertretern der US-Regierung wie Außenminister John Kerry zur ukrainischen Krise triefen von Heuchelei und Betrug. Am Wochenende verurteilte Kerry Russland für dessen "Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine" und bezeichnete dies als Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen und als "Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit der Ukraine und der ganzen Region."

Kerry, der im Jahr 2002 für den Einmarsch im Irak auf der Grundlage von Lügen über irakische Massenvernichtungswaffen gestimmt hatte, erklärte: "Im 21. Jahrhundert kann man sich nicht wie in der Welt des 19. Jahrhunderts verhalten und ein anderes Land unter einem völlig gefälschten Vorwand angreifen." Dass solche Aussagen auf keinerlei Kritik der offiziellen Medien stoßen, zeigt nur, wie sehr diese in den amerikanischen Geheimdienst- und Militärapparat integriert sind und nur noch staatliche Propaganda verbreiten.

Doch Washingtons bisherige Bilanz spricht für sich selbst. Alleine in den letzten 25 Jahren haben die USA in Panama, Grenada, Somalia, Haiti, dem Sudan, Serbien, Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Jemen und Libyen Krieg geführt oder Regierungen gestürzt. Sie haben Morde und Cyberangriffe im Iran verübt und intervenieren zurzeit aggressiv in Syrien, um dort die Regierung zu stürzen.

Die USA akzeptieren für kein einziges Land ein Recht auf Souveränität oder auf territoriale Integrität. Wenn ein Land den weltweiten räuberischen Interessen des US-Imperialismus in die Quere kommt, wird es zum Ziel von Angriffen und Umsturzplänen.

Hinzu kommt, dass die von Faschisten dominierte Protestbewegung in Kiew und der Westukraine nicht die geringsten demokratischen Ziele vertritt. Die extrem nationalistischen Kräfte, die diese Proteste dominieren, wurzeln in der ukrainischen faschistischen Bewegung, die im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Besatzern paktierten und die Ermordung von Millionen Ukrainern unterstützen. Die Vorgänger von Swoboda und dem Rechten Sektor beteiligten sich an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung des Landes. Seit die neue rechtsextreme Regierung an der Macht ist, mehren sich die Berichte über faschistische Anschläge auf Juden in Kiew.

Washington und Berlin benutzen diese Kräfte, um ein Marionettenregime einzusetzen und die Kontrolle über die Ukraine zu gewinnen. Sie entfachen ein explosives Feuer zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen, das sogar das Blutbad bei der Auflösung Jugoslawiens in den 1990ern in den Schatten zu stellen droht. Auch für dieses waren die USA und Deutschland verantwortlich.

Deutschland spielt eine besonders widerliche Rolle. Mit seinem erneuten Vorstoß in die Ukraine knüpft es an das Erbe des deutschen Imperialismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg an. In beiden Fällen waren deutsche Truppen in der Ukraine einmarschiert und hatten massive Gräueltaten verübt. Deutschlands erneute Intervention in der Ukraine geht einher mit öffentlichen Erklärungen deutscher Regierungsvertreter, die eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus fordern, und mit Rechtfertigungen Hitlers und der Nazis seitens führender Akademiker.

Der amerikanisch-deutsche Regimewechsel in der Ukraine ist Bestandteil der Pläne, nach dem Zerfall der Sowjetunion die früheren Sowjetrepubliken in die vom US-Imperialismus dominierten militärischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen wie die Nato zu integrieren. Dazu gehörten auch die "Farbrevolutionen" in Georgien und der Ukraine.

Der Putsch in der Ukraine stellt einen wichtigen Meilenstein in dieser Kampagne dar. Wenn die USA die effektive Kontrolle über die Ukraine haben, können sie eigene oder verbündete Truppen direkt an der russischen Westgrenze stationieren und die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim bedrohen, Moskaus einzige Wasserverbindung zum östlichen Mittelmeer, dem Balkan und dem Nahen Osten. Dies wäre der Ausgangspunkt, auch Georgien zum Eintritt in die Nato zu drängen und separatistische Bewegungen unter den zahlreichen ethnischen und religiösen Minderheiten in Russland weiter anzustacheln.

Das ändert jedoch nichts an dem politischen Bankrott von Russlands Intervention auf der Krim. Das Putin-Regime repräsentiert die kapitalistische Restauration, die Degeneration und die Zerstörung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des Arbeiterstaats, der durch die Oktoberrevolution 1917 geschaffen worden war. Es ist ein Kompradoren-Regime, das in Wirklichkeit vom Imperialismus abhängig ist.

Putin kann nicht an die ukrainische Arbeiterklasse appellieren, wenn er gleichzeitig den russischen Arbeitern brutale Sparmaßnahmen auferlegt, politischen Widerstand unterdrückt und russischen Chauvinismus schürt, der dazu dient, den sozialen Widerstand im eigenen Land abzulenken.

Mit den Ereignissen in der Ukraine erlebt die Welt die katastrophalen Folgen der Auflösung der UdSSR im Jahr 1991. Sie sind Ergebnis der nationalistischen Politik, die das stalinistische Regime verfolgt hat. Sie hatte der sowjetischen Arbeiterklasse die politische Macht entrissen und das Programm der sozialistischen Weltrevolution verworfen, auf dem die Oktoberrevolution beruhte.

Eine der Fragen, die die Revolution von 1917 beflügelte, war der Kampf gegen die imperialistische Vorherrschaft über Russland. Aber dieser Kampf erforderte die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms. Wenn der Nationalismus Russland nicht vor den imperialistischen Räubereien des Ersten Weltkriegs schützen konnte, so sind die Versuche, ihn heute wiederzubeleben, nur umso reaktionärer und machtloser.

Man sollte sich Trotzkis Warnungen ins Gedächtnis rufen, die Auflösung der Sowjetunion werde dazu führen, Russland auf den Status einer Halbkolonie herunterzudrücken. Trotzki hat sich in den 1930er Jahren, als das stalinistische Regime Terror gegen alle Sozialisten organisierte, für eine unabhängige sowjetische Ukraine ausgesprochen. Er hat betont, eine Unabhängigkeit auf bürgerlicher Grundlage würde zu reaktionären Folgen führen. Eine bürgerliche Ukraine wäre außerdem nichts anderes als ein Spielball der diversen imperialistischen Mächte. So war es damals, so ist es auch heute.

Das IKVI verurteilt alle liberalen und pseudolinken politischen Organisationen und Publikationen, die die Proteste in Kiew als echte demokratische und sogar revolutionäre Bewegung bezeichnen. Sie verschleiern absichtlich die Tatsache, dass es sich nicht um eine Bewegung der Arbeiterklasse handelt, und verheimlichen die Beziehungen der Führer dieser Bewegung mit Kräften, die im Zweiten Weltkrieg die Nazis und den Holocaust unterstützt haben.

Man kann auf die imperialistischen Pläne zur Zerstückelung Russlands und zur Kontrolle über große Territorien und Rohstoffe nicht mit russischem Nationalismus antworten. Genauso wenig kann man die Probleme der seit langem leidenden ukrainischen Massen durch ukrainischen Nationalismus lösen. Die Krise in der Ukraine zeigt eindringlich, dass die Arbeiterklasse ihre Interessen auf der Grundlage ihres eigenen unabhängigen Programms durchsetzen muss. Die Tatsache, dass keine revolutionäre Führung vorhanden ist, welche die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines solchen Programms mobilisiert, hat es faschistischen, vom amerikanischen und deutschen Imperialismus finanzierten Kräften ermöglicht, die Oberhand zu gewinnen.

Die Antwort auf diese Krise ist die Vereinigung der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms. Die Ukraine hat eine mächtige revolutionäre Geschichte. Im späten neunzehnten Jahrhundert lehnten ukrainische Marxisten das Programm des Nationalismus ab und kämpften stattdessen für das Programm des Internationalismus der Arbeiterklasse. Der größte von ihnen war Leo Trotzki.

Zu diesen großen Traditionen müssen die Arbeiter und Jugendlichen in der Ukraine und weltweit heute zurückkehren, indem sie die Weltpartei der sozialistischen Revolution aufbauen - das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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