Janine Wissler (Marx 21): Die neue stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei

Mit Janine Wissler (33) wurde auf dem Berliner Parteitag der Linkspartei ein Mitglied der pseudolinken Strömung Marx 21 zur neuen stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Wissler fuhr mit 83 Prozent der Delegiertenstimmen das mit Abstand beste Ergebnis der vier Stellvertreter ein. Sie tritt das Erbe von Sahra Wagenknecht an, die nicht mehr für den Posten kandidierte.

Wie die verschiedenen Strömungen innerhalb der Linkspartei begrüßten auch die bürgerlichen Medien die Wahl Wisslers mit Begeisterung. Spiegel Online pries sie als „neuen kleinen Star in der Partei“, sie sei „telegen, eine gute Rednerin“. Thomas Kreutzmann, der Leiter des Landesstudios des hessischen Rundfunks, prophezeite, „Frau Wissler, jung und von angenehmen Äußeren“, werde nun oft in den Talkshows gefragt sein.

Die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) überschlug sich in einem Portrait unter dem Titel „Klassenkämpferin im Parlament“ förmlich mit Lob. Wissler bediene sich „ziemlich virtuos aller Instrumente, die der Parlamentarismus so zu bieten hat. Ihre Reden gehören zu den pointiertesten im ganzen Plenum.“ Sie gelte „als verlässlich und untussig. Sie ist überdurchschnittlich charmant, ohne für den Charme anderer anfällig zu sein (es sei denn für den des griechischen Linken Alexis Tsipras). Außerdem ist sie vergleichsweise konstruktiv.“

Wer ist Janine Wissler, und warum ruft sie solche Begeisterung hervor?

Ihre Partei, Die Linke, hat sich auf dem Berliner Parteitag als staatstragende Partei konsolidiert und bereitet sich darauf vor, auch auf Bundesebene Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Linkspartei positionierte sich nicht nur klar auf der Seite der verhassten Europäischen Union und der deutschen Wirtschaft, auch in allen grundlegenden Fragen der Außenpolitik stimmt sie mit der Bundesregierung überein.

Anfang April haben Abgeordnete der Linkspartei erstmals für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr gestimmt. Bei der imperialistischen Offensive gegen Russland spielt die Linkspartei eine zentrale Rolle. Wie alle anderen Bundestagsparteien bezeichnet sie das Vorgehen Russlands als völkerrechtswidrig, ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi stellte sich auf dem Parteitag explizit hinter die Nato und das Prinzip der kollektiven Vergeltung. Das bringt sie in offenen Konflikt mit der Masse der Bevölkerung, die den Militarismus eindeutig ablehnt.

In dieser Situation ist der Aufstieg von Janine Wissler in die Parteiführung kein Zufall. Sie soll dem Rechtskurs ein „linkes Gesicht“ verschaffen und ihn gleichzeitig aggressiv vorantreiben.

Mit Marx 21 gehört sie einer politischen Tendenz an, die wie kaum eine andere Strömung innerhalb der Linkspartei für den staatstragenden Kurs steht, der auf dem Parteitag festgezurrt wurde. Daneben hat Wissler Zugang zu allen Bereichen des sogenannten Protest- und Gewerkschaftsmilieus. Wie ein Fisch im Wasser bewegt sie sich unter den Anhängern von Blockupy, Attac, Verdi oder der Frankfurter Montagsdemos gegen Fluglärm. Genau diese kleinbürgerlichen Schichten soll sie für die Rechtswende der Linken mobilisieren.

Der herrschenden Klasse hat Wissler ihre Verlässlichkeit längst unter Beweis gestellt. Im Jahr 2008 zog sie an der Spitze der Linken in den Hessischen Landtag ein, also just im Jahr der globalen Finanzkrise, als die Großbanken mit Unterstützung der Linkspartei Hilfsgelder in Milliardenhöhe kassierten. Um die Kürzungen wieder bei der Bevölkerung einzutreiben, war die hessische Linke bereit, eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Andrea Ypsilanti zu tolerieren. Diese scheiterte schließlich an der Sabotage aus den Reihen der eigenen SPD, nicht aber an der fehlenden Unterstützung der Linksfraktion.

Seitdem steht Wissler wie kaum jemand anderes in der Linkspartei für rot-rot-grüne Austeritätspolitik. Nach den hessischen Landtagswahlen im vergangenen Herbst „kämpfte“ sie energisch für eine rot-rot-grüne Landesregierung. Sie betonte gebetsmühlenhaft, dass die „Abwahl von Schwarz-Gelb nicht an der Linken scheitern“ werde, und brachte in die Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen eigene Kürzungsvorschläge ein.

Als sich die Grünen auf Grund von bundespolitischen Erwägungen doch für eine Koalition mit der CDU entschieden, twitterte Wissler sichtlich erbost an Tarek al-Wazir, den Grünen-Vorsitzenden und designierten hessischen Wirtschaftsminister: „Mich würde mal interessieren, an welchen inhaltlichen Punkten du festmachst, dass die Linke angeblich nicht regieren kann und will.“ Deutlicher hätte sie nicht machen können, dass es in Wirklichkeit keine „inhaltlichen Punkte“ gibt, in denen sie sich prinzipiell von den andern bürgerlichen Parteien unterscheidet.

Den gesamten Wahlkampf nutzte Wissler, um enge Verbindungen zu Wirtschaftsvertretern in der Finanzmetropole Frankfurt zu knüpfen und den Eliten ihre Verlässlichkeit zu signalisieren. Auf einem Empfang der Industrie- und Handelskammer pries sie die Linkspartei als Interessenvertretung der Wirtschaft an. Sie erklärte: „Ja, natürlich geht es darum, Belastbarkeiten [für Unternehmer] abzuwägen. Ich rede auch viel mit Unternehmern […]. Unternehmer und Privatinitiative kommen durchaus auch in unserem Programm vor.“

In abstoßender Art und Weise biederte sich Wissler an den Anti-Kommunismus an. Auf die Frage des FAZ-Reporters, der die Veranstaltung moderierte, „War die DDR für Sie eine Diktatur?“, antwortete sie: „Ich würde es so sagen, Ja.“ Auf die Frage „Brauchen wir eine Revolution?“ versicherte sie der versammelten Wirtschaftselite: „Revolutionen waren schon immer Triebfedern der Geschichte. Für die nächsten Jahre sehe ich aber nicht, dass das ansteht.“

Wissler hatte nie etwas mit linker, revolutionärer oder gar trotzkistischer Politik zu tun. Ihre politische Karriere verlief von Anfang an im Milieu rechter bürgerlicher Politik. Mit siebzehn, noch als Schülerin, trat sie der Gruppe Linksruck bei, als diese sich als Fußtruppe für den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder engagierte. Sie war zunächst Mitglied der Jusos und dann der WASG. Seit Linksruck sich 2007 als Netzwerk Marx 21 in die Linkspartei aufgelöst hat, legt sie eine steile Karriere als bürgerliche Politikerin hin.

Erst jobbte Wissler im Wahlkampfbüro von Werner Dreibus, dem WASG- und späteren Linken-Bundestagsabgeordneten, der auch Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Offenbach und Aufsichtsratsmitglied bei manroland Offenbach war. Noch während ihres Politikstudiums zog Wissler 2008 mit der Linken in den hessischen Landtag ein. Für ihre Tätigkeit als Fraktionsvorsitzende kassiert sie eine monatliche steuerpflichtige Entschädigung von neuntausend Euro. Daneben sitzt sie in drei Landtagsausschüssen, ist Mitglied im Bundesvorstand der Partei und führt seit 2011 den Vorsitz des Linken-Kreisverbandes von Frankfurt am Main.

Die erklärten Ziele von Linksruck und Marx 21, „Einfluss nehmen“ und die bürgerlichen Parteien „nach links drücken“, waren immer schamlose Lügen, um die Arbeiterklasse einer rechten, arbeiterfeindlichen Politik unterzuordnen. Die von Linksruck unterstützte Schröder-Fischer-Regierung setzte mit der Agenda 2010 und Hartz IV die heftigsten sozialen Angriffe in der Nachkriegsperiode durch.

Nun gehört Marx 21 zu den Tendenzen innerhalb der Linkspartei, die eine aggressivere Außenpolitik des deutschen Imperialismus unterstützen, wie sie von Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres verkündet wurde.

Gleich im Anschluss an die Sicherheitskonferenz flog das führende Marx 21-Mitglied Christine Buchholz gemeinsam mit von der Leyen in einer Bundeswehrmaschine zur gemeinsamen Truppenschau nach Afrika. Bucholz sitzt seit 2009 für die Linkspartei im Verteidigungsausschuss des Bundestags und ist damit auf höchster Ebene in die Kriegspolitik eingebunden. Die Wende in der Außenpolitik wurde von der herrschenden Elite unter Beteiligung der Linkspartei in langen Diskussionen vorbereitet. Nun wird sie mit dem Vorgehen gegen Russland in der Ukraine in die Praxis umgesetzt.

Marx 21 spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie hat den rechten Putsch in der Ukraine als „demokratische Revolution“ gefeiert und verteidigt die Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften, mit deren Unterstützung der deutsche und der amerikanische Imperialismus ihre geostrategischen Interessen verfolgen und massive Angriffe auf die Arbeiterklasse vorbereiten.

Auf ihrer Website hat Marx 21 ein Interview mit Ilja Budraitskis, einem Mitglied der pseudolinken Russischen Sozialistischen Bewegung veröffentlicht, der die Faschisten als die „mutigsten und buchstäblich kämpferischsten Teile der Bewegung“ verherrlicht. Keiner gehe „so offensiv gegen die Polizei vor wie die Ultra-Rechten“. Auf die Frage, ob er mit „Nazis diskutieren“ wolle, antwortete Budraitskis: „Vielleicht mit manchen.“

Bei den Kriegsvorbereitungen gegen Russland übernimmt Marx 21 die Rolle des ideologischen Einpeitschers. Wie die Bundesregierung und die Nato beschuldigt sie Russland, die entscheidende Verantwortung für die Krise zu tragen. Sie bezeichnet das Putin-Regime als „imperialistisch“. Volkhard Mosler, einer der führenden Vertreter der Tendenz und Wisslers theoretischer Ziehvater, schrieb jüngst, die „Besetzung der Ukraine durch russische Truppen“ sei ein „dreister und zynischer Akt des russischen Imperialismus“.

Die rechte Politik von Marx 21 ergibt sich direkt aus der Geschichte der Tendenz. Marx 21 steht in der Tradition der von Tony Cliff gegründeten International Socialist Tendency (IST), die vor mehr als sechzig Jahren ihre Feindschaft gegen die Vierte Internationale und den Trotzkismus erklärte. Damals bezeichnete sie die Sowjetunion als „staatskapitalistisch“ und weigerte sich, sie im Falle eines Angriffs der imperialistischen Mächte zu verteidigen.

Seitdem sind die Staatskapitalisten und die wohlhabenden Mittelschichten, für die sie sprechen, immer weiter nach rechts gegangen. Heute spielen sie eine Schlüsselrolle bei den Angriffen auf die Arbeiterklasse und der Vorbereitung eines imperialistischen Kriegs gegen Russland.

Wisslers Wahl mit großer Mehrheit zur stellvertretenden Parteivorsitzenden muss für Arbeiter eine Warnung sein. Die Linkspartei unterstreicht damit, dass sie geschlossen hinter dem eingeschlagenen Kriegskurs steht und bereit ist, ihn gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen.

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