Gabriel im Iran

Kaum eine Auslandsreise eines führenden deutschen Politikers hat in der letzten Zeit mehr Aufsehen erregt, als die Iran-Reise des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel (SPD). Die Tinte des jüngst ausgehandelten Nuklear-Abkommens war kaum trocken, da saß Gabriel bereits zusammen mit einer hochrangig besetzten Wirtschaftsdelegation im Flieger nach Teheran.

Der Vorstoß Berlins in eines der strategisch wichtigsten und rohstoffreichsten Länder im Nahen und Mittleren Osten – der Iran verfügt über die viertgrößten Erdöl- und die zweitgrößten Erdgasvorkommen der Welt – ist Bestandteil der Rückkehr des deutschen Imperialismus auf die Weltbühne. Bezeichnenderweise fand die Reise in der gleichen Woche statt, in der die Bundesregierung Griechenland ein brutales Spardiktat aufzwang und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit einer Delegation in Kuba eintraf.

Das Auftreten Gabriels war so forsch und die damit verbundenen Ziele waren so offensichtlich, dass sich selbst einige Medien, die sonst regelmäßig für ein aggressiveres Auftreten Deutschlands in der Welt trommeln, bemüßigt sahen, die Reise kritisch zu kommentieren.

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete sie als „peinlich“ und warnte: „Jetzt entsteht der Eindruck, Deutschland habe sich vor allem um seine Geschäfte gekümmert. Zu spät kommen ist blöd; zu früh fliegen, ist manchmal viel blöder“.

Die Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezeichnete Gabriels Trip ebenfalls als „schnell, wenn nicht gar hastig“. Er möge vielleicht „der deutschen Industrie dabei helfen, nach langen Sanktionsjahren wieder auf diesem Markt Fuß zu fassen“. Für die Politik sei er „jedoch ein zwiespältiges Signal“.

Selbst in den eigenen Reihen gab es Kritik. „Ich störe mich an der Aussage, dass Iran einer unserer Freunde ist“, sagte der Obmann der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Roderich Kiesewetter (CDU). Der Iran könne erst „unser Freund und ein Stabilitätsfaktor in der Region“ sein, wenn er das „Existenzrecht Israels tatsächlich anerkennt“. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, erklärte, Gabriel erwecke den Eindruck, „dass es Deutschland in erster Linie um Wirtschaftsinteressen geht“.

Das arrogante Auftrumpfen des SPD-Vorsitzenden trug in der Tat dazu bei, diesen „Eindruck“ zu erhärten. Nur kurz nachdem er mit einer Maschine der Bundesregierung auf dem Mehrabad International Airport in Teheran gelandet war, erklärte er gegenüber deutschen Pressevertretern: „Es gibt traditionell gute Beziehungen und viele Unternehmen wollen an alte Kontakte anknüpfen. Und diese Möglichkeit besteht, wenn das Abkommen Anfang des nächsten Jahres in Kraft gesetzt wird. Es ist ein erster großer Schritt, aber es gibt sicherlich noch viele andere, die auch zu tun sind.“

Die Wirtschaftsvertreter in seinem Tross konnten sich ob der neuen Möglichkeiten für den export- und rohstoffhungrigen deutschen Imperialismus noch weniger zurückhalten. Der Präsident des Industrie und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, sagte: „Die deutsche Industrie hat einen sehr hohen Stellenwert im Iran.“ Und weiter: „Zu Schah-Zeiten war der Iran für Deutschland das zweitwichtigste Exportland außerhalb Europas. Daran wollen viele wieder anknüpfen.“

Der Außenhandels-Chef der DIHK, Volker Treier, frohlockte: „Die iranische Wirtschaft ist stärker auf Industrie ausgerichtet, als man gemeinhin annehmen würde. Mit 80 Millionen Einwohnern und einer starken industriellen Basis ist das Land geradezu prädestiniert als Exportmarkt für deutsche Unternehmen.“

Auch die deutsche Wirtschaftspresse ist aus dem Häuschen. Das Manager Magazin schwärmt davon, dass es im Iran neben „hochqualifizierten Arbeitnehmern“ auch „jede Menge Rohstoffe“ gibt. Das Land gelte „als ‚schlafender Riese’, der aufgrund der Sanktionen in den vergangenen Jahren wirtschaftliche großen Nachholbedarf hat“.

Der deutsche Imperialismus und das deutsche Kapital betrachten das Atomabkommen mit dem Iran, an dessen Zustandekommen der deutsche Außenminister Steinmeier maßgeblich beteiligt war, als Chance, um an ihre traditionell engen Beziehungen mit dem Iran anzuknüpfen und ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der gesamten Region zu vergrößern.

Die Welt schreibt, dass „die Ausgangslage für deutsche Unternehmen im Iran hervorragend sein“ dürfte. Die Beziehungen zwischen Unternehmen aus beiden Ländern seien „über Jahrzehnte gewachsen“, und „teilweise engagieren sich deutsche Unternehmen seit mehr als 100 Jahren im Kernland des früheren Perserreichs“. Die Infrastruktur, die in dieser Zeit entstand, sei trotz der harten Sanktionen und ihrer Auswirkungen „bis heute intakt“.

Laut offiziellen Informationen sind gegenwärtig 80 deutsche Unternehmen direkt mit Niederlassungen im Iran und etwa 1000 weitere Unternehmen haben Vertretungen. Unter den größten deutschen Konzernen vor Ort sind Henkel, Siemens und Bayer. Nach einem starken Einbruch der Wirtschaftsbeziehungen in den letzten Jahren waren die deutschen Exporte bereits 2014 wieder um fast ein Drittel auf 2,4 Milliarden Euro angestiegen.

Nun rechnet der DIHK mit einer Verdopplung der deutschen Exporte innerhalb der kommenden zwei Jahre auf rund fünf Milliarden Euro. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht sogar davon aus, dass deutsche Unternehmen in naher Zukunft Waren für mehr als zehn Milliarden Euro in den Iran ausführen könnten.

Nach einem gemeinsamen Treffen mit dem iranischen Ölminister Bijan Namdar Zanganeh am Montag verkündete Gabriel, dass Deutschland und der Iran nach 14-jährigem Stillstand ab 2016 die gemeinsame Wirtschaftskommission wiederbeleben werden. Der iranische Präsident Hassan Rohani verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass Berlin eine „positive Rolle“ bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, aber auch zwischen Europa und dem gesamten Nahen Osten spielen werde, „so wie es eine positive Rolle bei den Atomverhandlungen gespielt hat“.

Was Rohani und das iranische Regime als „positiv“ bezeichnen, meint in Wirklichkeit die vollständige Öffnung des Landes zur Ausplünderung durch die imperialistischen Mächte 35 Jahre nach der Revolution.

Unter der Überschrift „Der große Wettlauf“ bemerkte die Süddeutsche Zeitung, dass Deutschland „nicht das einzige Land ist, das vorsichtig zur Normalität zurückkehren will“. Gabriel sei zwar der „erste hochrangige westliche Politiker im Iran“ seit dem Atomabkommen, zuvor wären jedoch bereits etliche andere EU-Außenminister in Teheran gewesen. „Die Franzosen“ hätten bereits „im Februar 2014 eine 130-köpfige Wirtschaftsdelegation“ in den Iran geschickt, in welcher der Ölriese Total, der Anlagenbauer Alstom, die Telekommunikationsgruppe Orange und französische Autohersteller vertreten waren.

Auch China gilt als direkter Konkurrent. Anton Börner, der Chef des Außenhandelsverbands BGA, prognostiziert, dass es für die deutsche Wirtschaft „schwierig werden“ dürfte, „wieder der größte Handelspartner des Iran zu werden“. Die chinesischen Unternehmen, die die vergangenen Jahre der Sanktionen genutzt hätten, „um sich im Iran zu etablieren“, würden „auch jetzt, wenn die Sanktionen wegfallen, um ihre Position kämpfen“.

Treier sagte über den gewachsenen Einfluss asiatischer Länder: „Chinesische und koreanische Unternehmen haben inzwischen im Iran unseren Platz an der Sonne besetzt.“ Die Chinesen hätten inzwischen „im Geschäft mit dem Iran ein Handelsvolumen von 50 Milliarden Dollar. An diese Größenordnung werden wir nicht herankommen.“

Wenn führende deutsche Wirtschaftsvertreter wieder einen „Platz an der Sonne“ reklamieren, hat das weitreichende historische Implikationen. Als der deutsche Imperialismus als angeblich „zu spät gekommene Nation“ das erste Mal einen „Platz an der Sonne“ (so der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow am 6. Dezember 1897 vor dem Deutschen Reichstag) anstrebte, war vor allem der Besitz von Kolonien in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten und die Entwicklung einer eigenständigen Weltpolitik gemeint, die im 20. Jahrhundert zweimal in die Katastrophe führte.

Wie in der Vergangenheit wird das erneute Auftrumpfen des deutschen Imperialismus auch die Spannungen mit den USA verschärfen. Auch wenn es niemand offen ausspricht, zielt das Vorpreschen der deutschen Wirtschaft auch darauf ab, der potentiellen amerikanischen Konkurrenz zuvorzukommen, die vor der Abstimmung im US-Kongress über das Atomabkommen noch nicht im Iran aktiv werden kann. Ein vom deutschen oder europäischen Imperialismus unter deutscher Führung dominierter Iran wäre darüber hinaus eine direkte geostrategische Herausforderung für den US-Imperialismus, der das Atomabkommen vor allem forciert hat, um seine eigene Vormachtstellung in der Region zu verteidigen.

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