Der Bundeshaushalt 2017, der gestern mit den Stimmen der Großen Koalition im Bundestag verabschiedet wurde, markiert einen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fast drei Jahre nachdem der scheidende Präsident Gauck und die Bundesregierung offiziell das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet haben, steht eine massive Aufrüstung nach innen und außen im Zentrum der Haushaltsplanung.
So wird allein der Verteidigungshaushalt im nächsten Jahr um fast 2,5 Milliarden auf nunmehr 36,61 Milliarden Euro aufgestockt. Die Gelder für militärische Beschaffungen steigen um etwa eine Milliarde von 10,16 auf 11,1 Milliarden Euro. Das Auswärtige Amt von SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll 2017 5,23 Milliarden erhalten und damit rund 420 Millionen mehr als in diesem Jahr. Die Gelder für das CDU-geführte Bundesministerium des Inneren werden auf 8,98 Milliarden Euro erhöht. Das sind über eine Milliarde mehr als in diesem Jahr und weit mehr als im ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehen (8,34 Milliarden).
Die zusätzlichen Milliarden für die Sicherheitskräfte und das Militär sind dabei nur der Anfang einer massiven Aufrüstungskampagne. Das Handelsblatt titelte am Donnerstag: „Merkel verspricht höhere Militärausgaben: Kanzlerin will die Nato-Verpflichtung von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erfüllen“. In seinem Bericht rechnet das Sprachrohr der deutschen Industrie und Banken vor: „23 Milliarden Euro mehr müsste Deutschland für Verteidigung ausgeben, um die Nato-Vorgabe von zwei Prozent des BIPs zu erfüllen.“
Was bislang als nahezu ausgeschlossen galt, ist nun die offizielle Regierungspolitik. In ihrer Regierungserklärung am Mittwoch verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass „wir uns dem nähern, was wir alle miteinander übrigens – nicht nur Christdemokraten, auch Sozialdemokraten – als Beitrag zur Nato versprochen haben, und das auch durchsetzen, meine Damen und Herren.“
Unmittelbar nutzt die Bundesregierung den Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen als Vorwand, um ihre Pläne für eine unabhängigere Außen- und Militärpolitik voranzutreiben. Merkel nannte Trump in ihrer Regierungserklärung am Mittwoch zwar nicht einmal beim Namen, doch ihre Rede wurde auch von bürgerlichen Kommentatoren als Reaktion auf die Ankündigung Trumps gewertet, sich aus Freihandelsabkommen wie der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurückzuziehen.
„Offenheit wird uns mehr Sicherheit bringen als Abschottung“, erklärte Merkel und stellte eine größere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik in Aussicht. Die Bundesrepublik könne zwar „selbstverständlich nicht alle Probleme lösen“, aber es stelle sich die Frage: „Sind wir dazu bereit, mit unserer Erfahrungsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft, einer gesellschaftlichen Ordnung, von der ich nach wie vor glaube, dass sie ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Stärke und sozialer Gerechtigkeit mit sich bringt, in diesem Sinne für eine Schärfung, für eine Gestaltung der Globalisierung einzutreten? Oder sind wir dazu nicht bereit und ziehen uns auf uns selbst zurück?“
Wen will Merkel mit ihrer Propaganda für dumm verkaufen? Bei den weltweiten diplomatischen Offensiven des Auswärtigen Amts und den Militäreinsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und Mali oder in Syrien und Irak geht es nicht um den Kampf für die „soziale Marktwirtschaft“ oder „Gerechtigkeit“, sondern um die Verteidigung der geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus mit äußerst brutalen Mitteln.
Im offiziellen „Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020“ heißt es dann auch explizit, dass „die im Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr identifizierten sicherheitspolitischen Werte, Interessen und Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland [...] den strategischen Rahmen für Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr als Instrument deutscher Sicherheitspolitik [bilden]“.
Deutschland müsse „einen aktiven Beitrag zu politischen Konfliktlösungen“ leisten, „der dem politischen Gestaltungsanspruch und dem Gewicht Deutschlands in der Welt angemessen ist“. Und weiter: „Um [...] Risiken und Bedrohungen für Europa und Deutschland angemessen und möglichst gezielt begegnen zu können, muss eine Vielzahl sicherheits- und verteidigungspolitischer Handlungsoptionen bestehen, welche die Nutzung militärischer Instrumente mit einschließen.“
Was dann folgt, liest sich wie ein Rezept für die Vorbereitung von militärischen Interventionen, wie sie die USA seit langem durchführen. So müssten die „Streitkräfte im 21. Jahrhundert über ein breites Fähigkeitsspektrum sowie ein hohes Maß an Einsatzbefähigung verfügen“. Zudem seien „flexible und professionelle Strukturen, hochqualifiziertes Personal sowie eine entsprechende Ausrüstung […] unverzichtbar, um Stabilisierungsoperationen bis hin zu hochintensiven Kampfeinsätzen […] erbringen zu können.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ein Kernziel des Finanzplans ist dabei das Streben nach einer stärkeren außenpolitischen Unabhängigkeit und Fexibilität. „In Ausbildung, Übung und möglichen zukünftigen Einsätzen können bestehende oder neue Formen von Kooperationen – besonders im Rahmen der Weiterentwicklung bilateraler Beziehungen – von großer Bedeutung sein“, heißt es im Abschnitt „Militärische Verteidigung“.
Die Regierung ist sich bewusst darüber, dass die große Mehrheit der Bevölkerung die Rückkehr zu Militarismus und Krieg vor allem auch auf Grund der schrecklichen Verbrechen in zwei Weltkriegen ablehnt. Deshalb die massive innere Aufrüstung. Die herrschende Klasse ist alarmiert über die Zunahme von politischer Opposition und bereitet sich gleichzeitig auf heftige soziale Auseinandersetzungen vor.
Sie sei „sehr froh, dass im Bereich der inneren Sicherheit erhebliche Anstrengungen gemacht wurden“, erklärte Merkel. „Bei den Behörden der inneren Sicherheit“ entstünden „tausende von neuen Stellen“. Provokativ fügt sie hinzu, sie könne „nur hoffen, dass die Angebote so attraktiv sind, dass sich auch genügend Menschen dafür entscheiden, sie wahrzunehmen; denn das ist für uns natürlich von allergrößter Wichtigkeit.“
Linkspartei und Grüne votierten als nominelle Oppositionsparteien im Bundestag zwar gegen den Haushalt, stimmen mit seiner Stoßrichtung aber überein. Vertreter beider Parteien griffen die Regierung in mehreren Reden im Wesentlichen von rechts an. So warf der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, Merkel vor, als „Kanzlerin des mächtigsten Landes innerhalb der Europäischen Union“ nicht genug „gegen das Auseinanderfallen der Europäischen Union“ getan zu haben. Außerdem würde er sich „von dem ein oder anderen hier im Haus eine klare Aussage“ gegen die russischen „Kriegsverbrechen“ in Aleppo wünschen.
Michael Leutert von der Linkspartei jubelte, dass der Haushalt in Teilen die Handschrift seiner Partei trage. Während der Verhandlungen seien auf Druck der Linken mehr Gelder für das Auswärtige Amt und für humanitäre Hilfe bereitgestellt worden. Dennoch sei die deutsche Außenpolitik „im Kern […] derzeit nicht handlungsfähig“. Er habe „zumindest noch nicht gehört, dass die Bürgerkriege in Syrien und im Irak beendet wurden, dass sich die Situation in der Ukraine oder in Afghanistan beruhigt hat oder dass die Fluchtursachen in Afrika verschwunden sind“.