Nachdem das Landgericht Köln dem Bremer Asta erlaubt hat, Humboldt-Professor Jörg Baberowski als Rechtsradikalen zu bezeichnen, mobilisieren rechte Medien und braune Netzwerke zu seiner Verteidigung.
Den Auftakt machte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die bereits Ende März einen hysterischen Angriff auf die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die World Socialist Web Site veröffentlichte, die die rechten Positionen des Humboldt-Professors systematisch kritisiert hatten. Wir berichteten darüber. Am vergangenen Wochenende folgten dann die rechtsradikale National Zeitung, das Polit-Magazin Cicero und die Tageszeitung Die Welt.
Allen Artikeln ist gemeinsam, dass sie mit keiner Silbe auf die inhaltlichen Fragen eingehen, um die sich die Auseinandersetzung mit Baberowski dreht. Ein unwissender Leser würde niemals auf den Gedanken kommen, dass es hier um Aussagen geht, wie Hitler sei nicht grausam gewesen, Stalin habe der Wehrmacht den Vernichtungskrieg aufgezwungen und die Integration von Flüchtlingen unterbreche den Überlieferungszusammenhang, der einer Gesellschaft Halt gebe. Stattdessen verknüpfen sie Halbwahrheiten mit dreisten Lügen und haltlosen Verleumdungen der IYSSE.
Das Cicero-Magazin behauptet, die IYSSE (deren Namen es konsequent falsch als IYSSEE schreibt) seien eine kleine Gruppe, die an der HU „nur 0,1 Prozent“ der Studierenden vertrete. Tatsächlich haben die IYSSE bei der letzten Wahl des Studierendenparlaments aufgrund ihres Kampfs gegen Militarismus sieben Prozent der Stimmen erhalten – und damit mehr als die Grünen, die Linke und der RCDS. Ihre Veranstaltungen werden von hunderten Studierenden besucht.
Cicero beschuldigt die IYSSE, sie übten „Psychoterror an der Uni“ aus, schüchterten Professoren ein, glaubten an Verschwörungstheorien und verträten Gesinnungen, die für den Bau von „Gulags und Arbeitslager“ verantwortlich seien. Die National Zeitung wirft der trotzkistischen Jugendorganisation eine „Mobbingkampagne“ und „Hetzjagd“ vor.
Am wildesten treibt es Baberowski selbst. In einem Interview, das das Springer-Blatt Die Welt am Montag unter der Überschrift, „Linksextremisten wollen nichts verstehen, sondern denunzieren“, veröffentlichte, beschimpft er die IYSSE als „kleine stalinistische Sekte, die aus einigen alten Männern und drei oder vier Studenten besteht, die nicht wissen, was sie tun“.
Der Professor, der sich jahrelang mit dem Stalinismus befasste, kennt natürlich den Unterschied zwischen Stalinismus und Trotzkismus, seinem konsequentesten sozialistischen Gegner, sehr gut. Er weiß so gut wie Cicero-Autor Klaus-Rüdiger Mai, dass die Trotzkisten den Gulag nicht bauten, sondern seine ersten Opfer waren. Baberowski wurde der Hass auf Trotzkisten zudem schon als Schüler eingeimpft, als er als Mitglied des maoistischen KBW Stalin, Mao und Pol Pot verherrlichte.
Doch das hindert ihn nicht, hemmungslos zu lügen und zu verleumden. Dabei begibt er sich auf ein intellektuelles Niveau, das jeder Beschreibung spottet. So sagt er der Welt: „Diese Stalinisten [gemeint sind die IYSSE] sind böse, sie richten Schaden an, zerrütten das Leben anderer Menschen. Sie interessieren sich überhaupt nicht für das, was ihre Opfer sagen oder schreiben.“ Und: „Die Linksextremisten aber lesen keine Bücher, sie wollen auch nichts verstehen, sondern denunzieren und stigmatisieren. Man sollte sie ignorieren und sie mit ihrer Dummheit alleinlassen.“
Tatsächlich lesen Baberowskis Kritiker nicht nur Bücher, sie verfassen auch welche. Das Buch „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?“, das im August 2015 im Mehring Verlag erschien, dokumentiert minutiös die Auseinandersetzung mit Baberowski und seinem Kollegen Herfried Münkler an der Humboldt-Universität.
Das Buch enthält einen 40-seitigen Essay, „Jörg Baberowskis Geschichtsfälschung“, verfasst vom nationalen Sprecher der IYSSE Christoph Vandreier. Er setzt sich detailliert und exakt belegt mit Baberowskis Werdegang, seiner von Michel Foucault, Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer beeinflussten irrationalistischen Geschichtstheorie, seiner Gewalttheorie, seiner Verfälschung der Oktoberrevolution, seiner Entkontextualisierung des Stalinismus und seiner Relativierung der Naziverbrechen auseinander.
Dieser Essay wurde geschrieben, bevor Baberowski in der Flüchtlingskrise als politischer Stichwortgeber der äußersten Rechten in Erscheinung trat. Vandreiers Einschätzung, dass Baberowski ein rechter Ideologe sei, wurde dadurch aber voll und ganz bestätigt.
Wer glaubt, dass es den Verteidigern Baberowskis um den Schutz eines zu Unrecht verleumdeten Professors oder – wie es das Präsidium der Humboldt-Universität in einer Stellungnahme erklärte – um den „freien und unabhängigen wissenschaftlichen Austausch“ gehe, sollte Baberowskis Welt-Interview lesen. Nicht bereit, inhaltlich auch nur auf einen Kritikpunkt einzugehen, reagiert der Professor mit einem unflätigen Schwall von Beschimpfungen und Verleumdungen.
Dabei stellt sich Baberowski, der auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von Talkshow zu Talkshow und von Interview zu Interview eilte, ganz im Stil der äußersten Rechten als Opfer einer Medienkampagne dar: „Im September 2015, auf dem Höhepunkt der staatlich inszenierten Willkommenseuphorie, aber wurde ich von den Tugendwächtern in der Politik und in den Medien als Störenfried wahrgenommen, der vom Gespräch ausgeschlossen werden musste.“
Nicht zufällig wurde Baberowskis Welt-Interview auf Twitter in kürzester Zeit von zahlreichen Rechtsradikalen begierig aufgegriffen. Die Vertriebenenaktivistin Erika Steinbach verbreitete den Artikel ebenso wie der Berliner Landesverband der AfD. Der flüchtlingsfeindliche Publizist Ramin Peymani erklärte: „Ich habe größte Hochachtung vor einer Persönlichkeit, die sich nicht vom linken Mob einschüchtern lässt und kann.“
Die F.A.Z., die Welt und Cicero, die jetzt offen für Baberowski mobilisieren, gehören dem rechtskonservativen politischen Spektrum an. Die F.A.Z. hatte Nolte schon im Historikerstreit eine Plattform geboten. Sie hat auch den Artikel Baberowskis veröffentlicht, der laut dem Urteil des Kölner Landgerichts einen „hinreichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkt“ für seine Bewertung als „rechtsradikal“ bietet.
Das Cicero-Magazin galt früher als konservativ und hat sich seit 2015 weiter nach rechts bewegt. Seither „nähern sich Texte des ‚Cicero‘ dem rechten Rand“, urteilt die taz. Der Spiegel bezeichnet die Herausgeber des Magazins als „Salonhetzer“, und Freitag-Herausgeber Jakob Augstein wirft dem Chefredakteur „völkische Propaganda“ vor.
Die Welt ist das Flaggschiff des Springer-Verlags, dessen Publikationen schon in den 1960er Jahren derart hasserfüllt gegen die Protestbewegung hetzten, dass viele sie für den Mordanschlag auf Rudi Dutschke verantwortlich machten. Sven Felix Kellerhoff, der das Interview mit Baberowski führte, hatte im Februar ganz im Sinne Noltes in der Welt geschrieben, der „Kommunismus“ sei „verheerender als Hitlers Rassenhass und seine Wahnidee vom ‚Lebensraum im Osten‘“ gewesen.
Der National Zeitung hat 2016 selbst der bayrische Verfassungsschutz attestiert, „fremdenfeindliche, nationalistische und revisionistische Argumentationsmuster“ zu verbreiten. Wolfgang Karbaum, der Autor des Artikels über Baberowski, ist ein erklärter Parteigänger Noltes und hatte im August letzten Jahres angesichts seines Todes ein Loblied auf den Nazi-Apologeten verfasst.
Aber auch weniger konservative Zeitungen und Akademiker haben sich bisher mit ganz wenigen Ausnahmen geweigert, Baberowski zu kritisieren. Viele hüllen sich in Schweigen. Eine Ausnahme bildet Die Zeit, die einen ganzseitigen Artikel über die Auseinandersetzung veröffentlichte, mit dem wir uns gesondert befassen werden.
Dabei gibt es keinen Zweifel, dass sich Baberowski in den letzten Jahren zu einer zentralen Figur der neuen Rechten entwickelt hat. In unzähligen Artikeln, Talkshows und Interviews hetzte er gegen Flüchtlinge und warb für einen starken Staat. Vor allem hat er es sich zur Aufgabe gemacht, den Nazi-Apologeten Ernst Nolte, der nach dem Historikerstreit weitgehend isoliert war, zu rehabilitieren.
„Nolte wurde Unrecht getan“, sagte Baberowski im Februar 2014 im Spiegel. „Er hatte historisch recht.“ Um seine These zu untermauern fügte er hinzu: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“
Die Verharmlosung des Nationalsozialismus zieht sich quer durch seine Schriften hindurch. Schon im Jahr 2009 hatte er erklärt, der Vergleich zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus falle aus moralischer Perspektive „nicht zugunsten der Bolschewiki aus“, wenn man ihre Vorkriegsgeschichte erzähle.
Den Vernichtungskrieg der Nazis im Osten erklärt Baberowski aus dem Gewaltraum heraus, der durch die Sowjetunion geschaffen worden sei. „Stalin und seine Generäle zwangen der Wehrmacht einen Krieg neuen Typs auf, der die Zivilbevölkerung nicht mehr verschonte“, schrieb er 2007. Dabei verneint er explizit, dass die faschistische Ideologie und der Antisemitismus eine nennenswerte Rolle gespielt hätten. „Hitlers Soldaten führten keinen Weltanschauungskrieg, sie führten vielmehr einen Krieg, dessen Dynamik sie nicht mehr entkamen“, schrieb er 2012 in „Verbrannte Erde“.
Die Unterstützung, die Baberowski erhält, und das Schweigen über seine Positionen zeigen, dass solche rechtsradikalen Auffassungen in den Medien und im akademischen Milieu wieder mehrheitsfähig geworden sind oder zumindest akzeptiert werden. Das kann nur mit grundlegenden politischen Veränderungen erklärt werden.
Ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung der Sowjetunion ist das intellektuelle und kulturelle Niveau so tief gesunken, dass Äußerungen, die damals noch Empörung ausgelöst hätten, unterstützt oder hingenommen und ihre Kritiker des „Mobbings“ und der „Hetzjagd“ bezichtigt werden.
Seit Jahren werben führend Politiker dafür, dass Deutschland seine militärische Zurückhaltung beendet und weltweit eine Rolle spielt, die seiner wirtschaftlichen Stärke entspricht. Eine solche Rückkehr zu Militarismus und Großmachtpolitik bedarf einer Revision der Geschichte. „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen“, hatte Baberowskis Kollege Herfried Münkler, der Deutschland gerne in der Rolle des europäischen „Hegemons“ und „Zuchtmeisters“ sähe, schon vor zwei Jahren geschrieben.
Im Kern geht es darum, den deutschen Imperialismus von seinen Verbrechen reinzuwaschen, um neue Verbrechen, neue Krieg vorzubereiten. Hier spielen Baberowski und seine Verteidiger eine wichtige Rolle.