Die taz hat ihre Wochenendausgabe einem Frontalangriff auf die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) gewidmet. In einem Artikel, der auf der Titelseite großflächig angekündigt wird und sich über drei volle Seiten erstreckt, wirft die langjährige taz-Redakteurin Sabine Seifert der trotzkistischen Jugendorganisation vor, ihre Kritik an dem rechtsextremen Historiker Jörg Baberowski stelle eine Gefahr für die „offene Debatte“ und die „Meinungsfreiheit“ an den Universitäten dar.
Schon die Überschrift des taz-Artikels, „Dieser Mann soll schweigen“, ist absurd. Baberowski, der an der Berliner Humboldt-Universität osteuropäische Geschichte lehrt, stehen sämtliche Medien offen. Kaum ein anderer Professor tritt derart häufig öffentlich auf. Er publiziert eine regelmäßige Kolumne in der Basler Zeitung, schreibt häufig für die F.A.Z. und die Neue Zürcher Zeitung, hält Vorträge im Deutschlandfunk und anderen Medien und beteiligt sich an zahlreichen Podiumsdiskussionen. Studentische Kritiker beschimpft er unflätig, lässt sie des Raumes verweisen, fordert ihren Rauschmiss aus der Universität oder verfolgt sie mit gerichtlichen Klagen.
Doch die taz sieht die Meinungsfreiheit nicht durch Baberowski, sondern durch die IYSSE gefährdet, die seine rechten Standpunkte öffentlich kritisiert und dafür Unterstützung von Studentengremien in zahlreichen Städten und Universitäten erhalten hat – was die taz verschweigt. Folgt man Seiferts Argumentation, dann ist Baberowski über jede Kritik erhaben. Sie stellt ihm und anderen rechten Ideologen einen Freibrief aus.
Baberowski ist notorisch bekannt für seine Hetze gegen Flüchtlinge, seine Rechtfertigung von Gewalt, seine Verharmlosung des Nationalsozialismus und seine antikommunistische Verfälschung der russischen Oktoberrevolution. Die taz selbst hat darüber wiederholt kritisch berichtet.
Doch nun entdeckt das Hausorgan der Alt-68er und der wohlhabenden städtischen Mittelschicht sein Herz für den rechtsextremen Professor. Baberowski wird von Seifert geradezu glorifiziert. Sie beschreibt ihn als sensiblen und selbstkritischen Mann, der sich oft missverstanden fühlt, unter Kritik leidet und sich darüber beschwert, „dass es keine Diskussionen, keinen Streit mehr an der Uni“ gibt.
Begeistert schildert sie seine Vorlesung über Hermeneutik und Geschichte, die der „schlanke Mann mit der dunklen Metallbrille“ an „einem sonnigen Oktobermorgen“ in einem alten, von „humboldtschem Geist“ geprägten Hörsaal hält, „der die schlummernden Ideale einer zweckfreien Bildung wachruft“. „Jörg Baberowskis Sätze sind klar, verständlich, schön, es sind Sätze zum Mitschreiben, Sätze, die etwas auslösen“, schwärmt die taz-Autorin.
Mit dem wirklichen Baberowski hat dies nicht das Geringste zu tun. Seine rechten Standpunkte sind gut dokumentiert. Am 14. September 2015 erregte er bundesweit Aufsehen, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gegen das „Gerede von der Willkommenskultur“ geiferte. Er rechtfertigte dies mit der rassistischen Begründung, die Integration von mehreren Millionen Menschen unterbreche „den Überlieferungszusammenhang, in dem wir stehen und der einer Gesellschaft Halt gibt und Konsistenz verleiht“. Das war nur eine von zahlreichen öffentlichen Äußerungen, mit denen er die ausländerfeindlichen Kampagnen der AfD befeuerte.
Selbst Seifert muss zugeben, dass Baberowski regelmäßig in der Basler Zeitung des Rechtspopulisten Christoph Blocher schreibt und auf Twitter „häufig Tweets von Leuten wie dem Publizisten Roland Tichy“ verbreitet, „die sich ‚liberal-konservativ‘ nennen, andere würden sagen: stramm rechts“. Doch das schmälert ihre Bewunderung für den rechten Professor nicht.
Auch dass Gerichte in Köln und Hamburg, wo Baberowski den Bremer Asta und die Sozialistische Gleichheitspartei verklagt hatte, diesen das Recht zugestanden, ihn einen „Rechtsextremen“ und „Geschichtsfälscher“ zu nennen, ficht Seifert nicht an. „Damit muss er seither leben“, schreibt sie lakonisch. Und dies, obwohl einer der Gründer der taz, der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, den Bremer Asta und die SGP gegen Baberowski verteidigt und in der taz über den Ausgang des Prozesses berichtet hat.
Baberowski und sein Kollege, der Politologe Herfried Münkler, spielten in den vergangenen Jahren eine zentrale ideologische Rolle bei der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik. Im Februar 2014 verkündeten führende Vertreter der Bundesregierung auf der Münchener Sicherheitskonferenz, die Zeit der militärischen Zurückhaltung sei vorbei, Deutschland müsse in Europa und in der Welt wieder eine Rolle spielen, die seiner Größe und seinem Einfluss tatsächlich entspreche.
Zehn Tage später veröffentlichte Der Spiegel einen Artikel von Dirk Kurbjuweit mit dem Titel „Der Wandel der Vergangenheit“, der die Frage „nach der deutschen Schuld“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg neu stellte. Seine Aufgabe bestand darin, „ein neues Narrativ des zwanzigsten Jahrhunderts, eine Verfälschung der Geschichte, die die Verbrechen des deutschen Imperialismus verniedlicht und rechtfertigt“, zu entwickeln, wie wir damals schrieben.
Als Kronzeugen für die Neubewertung der „deutschen Schuld“ führte Der Spiegel neben dem damals noch lebenden Nazi-Apologeten Ernst Nolte Baberowski und Münkler an. Deren Ruf als Professoren der Humboldt-Universität sollte das Umschreiben der Geschichte legitimieren. Münkler hatte ein Buch über den Ersten Weltkrieg geschrieben, das die deutsche Kriegsschuld beschönigt. Baberowski fiel die schwierigere Aufgabe zu, die Kriegsverbrechen der Nazis zu verharmlosen. Er verteidigte im Spiegel-Artikel Ernst Nolte, der 1986 mit der These, der Nationalsozialismus sei lediglich eine letztlich berechtigte Reaktion auf den Bolschewismus gewesen, den Historikerstreit ausgelöst hatte.
Diese These durchzieht auch Baberowskis eigenes Werk wie ein roter Faden. So erklärte er 2007 im Essay „Kriege in staatsfernen Räumen“, der sorgfältig geplante Vernichtungskrieg im Osten sei der Wehrmacht von der Sowjetunion aufgezwungen worden: „Stalin und seine Generäle zwangen der Wehrmacht einen Krieg neuen Typs auf, der die Zivilbevölkerung nicht mehr verschonte.“ In „Verbrannte Erde“ behauptet er: „Mit Hinweis auf ideologische Überzeugungen“ sei das grausame Vorgehen der Wehrmacht „überhaupt nicht erklärbar. Hitlers Soldaten führten keinen Weltanschauungskrieg, sie führten vielmehr einen Krieg, dessen Dynamik sie nicht mehr entkamen“.
Im Spiegel nahm Baberowski schließlich auch Hitler selbst in Schutz. „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird,“, sagte er. Die taz erwähnt dies zwar kurz, schränkt aber sofort ein, es handle sich um „eine nur im Kontext nachvollziehbare Äußerung Baberowskis“, um dann das Thema zu wechseln. Dabei ist der Kontext, in dem Baberowski Hitler verharmloste, unmissverständlich. Es ging darum, die Verbrechen der Nazis zu verharmlosen, um die Rückkehr des deutschen Militarismus zu rechtfertigen.
Diese empörenden Thesen, die man bisher nur aus neofaschistischen Kreisen kannte, blieben unwidersprochen. Nur die IYSSE und die SGP protestierten dagegen. Die herrschenden Kreise reagierten darauf äußerst empfindlich. Das Präsidium der Humboldt-Universität stellte sich in einer öffentlichen Stellungnahme hinter Baberowski, erklärte Kritik an ihm für „inakzeptabel“ und drohte Kritikern mit Strafverfolgung – ein wirklicher Angriff auf die Meinungsfreiheit!
Als die Kritik an Baberowski und Münkler im folgenden Jahr um sich griff, entfesselten die Medien eine wütende Kampagne. Die führende Rolle übernahmen dabei konservative Blätter wie Cicero und die F.A.Z., die die IYSSE als „trotzkistischen Mob“ beschimpfte. Aber auch die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit schlossen sich an. Lediglich in der taz, dem Tagesspiegel und der Frankfurter Rundschau erschienen vereinzelte kritische Beiträge.
Besonders hervorzuheben ist dabei der Beitrag „Die Selbstinszenierung eines Rechten“ von Andreas Fischer-Lescano, der am 11. Juni 2017 in der Frankfurter Rundschau erschien. Der renommierte Bremer Jurist bescheinigte Baberowski, bei ihm verschmölzen „wissenschaftliches Œuvre und tagespolitische Äußerungen zu einem Amalgam rechtsradikaler Kritik, das durchsetzt ist von geschichtsrevisionistischen und nationalistischen Motiven“.
Im April letzten Jahres trafen sich führende Vertreter der deutschen Länderregierungen dann mit Ben Gomes, dem Chefingenieur für die Suchmaschinen bei Google, um über einen neuen Such- oder besser Zensur-Algorithmus zu diskutieren. Drei Wochen später meldete Google, es habe neue Maßnahmen gegen angebliche „Fake News“ ergriffen. Seither taucht die Kritik der World Socialist Web Site an Baberowski in Google-Suchergebnissen nicht mehr auf, sondern nur noch Beiträge, die ihn in Schutz nehmen.
Dass sich nun auch die taz der Front der Baberowski-Verteidiger anschließt, ist ein Alarmsignal. Sabine Seifert bedient sich dabei einer besonders unredlichen Methode. Sie vermeidet es, die zahlreichen rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Äußerungen Baberowskis und die Kritik der IYSSE wörtlich zu zitieren, und verlegt sich stattdessen auf allgemeine und völlig verlogene Erwägungen über „Meinungsfreiheit“.
Man kann die Entscheidung der taz-Redaktion, die Verteidigung Baberowskis zum zentralen Thema ihrer Wochenendausgabe zu machen, nur vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Veränderungen verstehen. Seiferts Artikel erschien am selben Wochenende, an dem die SPD-Mitgliedschaft mit Zweidrittelmehrheit einer Neuauflage der Großen Koalition zustimmte. Sie wird die rechteste deutsche Regierung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sein. Im Zentrum des Koalitionsvertrags stehen eine massive innere und äußere Aufrüstung, verbunden mit entsprechenden Sozialkürzungen.
Sowohl die Grünen wie die Linkspartei haben das Votum der SPD begrüßt. Es gibt keine Opposition von links mehr. Oppositionsführerin im Bundestag ist die rechtsextreme, unter vielen Jugendlichen, Arbeitern und auch Lesern der taz verhasste AfD. Die taz-Redaktion, die den Grünen nahe steht, ist empört darüber, dass wir dieser Opposition gegen die Große Koalition und die AfD einen politischen Ausdruck geben. Daher ihr Angriff auf die IYSSE.
Sabine Seifert spricht für jene Schichten der Mittelklasse, die angesichts der zunehmenden sozialen Polarisierung rasant nach rechts rücken. Die 68er Protestbewegung, aus der die taz und die Grünen hervorgegangen sind, war stark von der Empörung über die Verbrechen der Nazis geprägt, die in der Adenauer-Ära vertuscht und unter den Tisch gewischt worden waren. Noch im Historikerstreit der 1980er Jahre hatte sich Nolte mit seiner Nazi-Apologie völlig isoliert.
Das soll nun verändert werden. In Seiferts Artikel findet sich dazu ein bemerkenswerter Satz. Sie zitiert Baberowski, der behauptet, er habe schon lange nicht mehr gewählt. „Links, liberal oder konservativ, das sagt ihm nichts mehr“, schreibt sie und fragt dann: „Geht das nicht vielen Menschen so? Dass sich politische Gewissheiten, Zugehörigkeiten auflösen, gerade angesichts einer sich moralisch (sic!) festigenden Neuen oder Identitären Rechten?“
Was ist an der Neuen Rechten, die den ideologischen Schmutz der Vergangenheit wieder aufwühlt, moralisch? Offenbar spricht Seifert hier von sich und ihres gleichen, die angesichts des Aufstiegs der AfD ihre politischen Überzeugungen über Bord werfen und ihren „moralischen“ Kompass nach rechts ausrichten. Liest man den Artikel dieser feingeistigen Dame, die so nett über Hermeneutik, Baberowski und „klassizistische Skulpturen, friderizianische Architektur und humboldtschen Geist“ schreibt, bekommt man unwillkürlich eine Ahnung davon, weshalb vor und vor allem nach 1933 so viele deutsche Kleinbürger zu den Nazis überliefen.
Die IYSSE sind überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Jugend und der Arbeiterklasse und auch viele Leser der taz diese Anbiederung an die Rechten ablehnen. Protestiert bei der taz-Redaktion gegen die Verteidigung des rechtsextremen Professors Baberowski! Lest und unterstützt die World Socialist Web Site, die Online-Tageszeitung der Vierten Internationale! Werdet Mitglied der IYSSE und der SGP und baut eine sozialistische Opposition gegen die Große Koalition auf!