Perspektive

Die Wahlen in Spanien und der Verrat von Podemos

Die spanischen Parlamentswahlen am 10. November 2019 verliefen nach dem gefährlichen Muster, das sich in Europa immer wieder gezeigt hat: Rechtsextreme Parteien profitieren vom Zerfall der sozialdemokratischen Parteien, die jede Glaubwürdigkeit verloren haben. Das gilt nicht für die faschistische Vox in Spanien, sondern auch für das Rassemblement National (vormals Front National) in Frankreich, die Freiheitliche Partei Österreichs, die Partei für Recht und Gerechtigkeit in Polen sowie die Alternative für Deutschland.

15 Prozent der Stimmberechtigten in Spanien votierten für die Vox-Partei, die letztes Jahr noch weniger als 1 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Stellte sie damals noch keinen einzigen Parlamentarier, hat sich die Zahl der Vox-Abgeordneten seit den letzten Wahlen im April auf nunmehr 52 verdoppelt. Führende Vertreter der Vox bekennen sich offen zu dem Staatsstreich Francos von 1936, der einen blutigen Bürgerkrieg auslöste und 1939 in ein mörderisches Regime mündete, das erst 1978 abgeschafft wurde. Wie lässt es sich erklären, dass der Franquismus trotz der breiten Ablehnung, der ihm in der Arbeiterklasse entgegenschlägt, heute einen Aufschwung erlebt?

Der Hauptfaktor für das Wachstum der Rechtsextremen in Europa (und auch in den USA) ist die unerträgliche Vertiefung der sozialen Ungleichheit. In Spanien stieg die Arbeitslosigkeit nach dem Wall-Street-Crash von 2008 auf 25 Prozent der Erwerbsfähigen; bei den Jugendlichen waren es bis zu 50 %. Unterdessen häuften die 26 spanischen Milliardäre riesige Vermögen an. Die Empörung über die wachsende soziale Ungleichheit befeuert derzeit Massenproteste in dutzenden Ländern und ist auch eine wesentliche Triebkraft hinter den Protesten gegen die polizeistaatliche Unterdrückung des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien. Massen von Arbeitern und Jugendlichen suchen nach einer sozialistischen Alternative zum Kapitalismus.

Doch obwohl die Ablehnung des Kapitalismus und der Wunsch nach Sozialismus zunimmt, setzen die Parteien, die sich als „links“ ausgeben, dem Kapitalismus keinerlei Widerstand entgegen. Mit ihren hohlen und demagogischen Versprechungen erreichen sie nichts anderes, als die Enttäuschung und Wut unter den Arbeitern zu verstärken. Die Reaktion der spanischen „linkspopulistischen“ Partei Podemos („Wir können“) auf das Ergebnis der jüngsten Wahlen macht dies besonders deutlich.

Keine 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale schloss Podemos eine „Vorvereinbarung“ mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) ab, um eine Koalitionsregierung zu bilden. Podemos und PSOE suchen derzeit noch nach weiteren Koalitionspartnern aus den Reihen katalanisch- oder baskisch-nationalistischer Parteien, um der Regierung im Parlament eine Mehrheit zu sichern. Die Medien sprechen von der Bildung einer „progressiven“ oder gar „linken“ Regierung. In Wirklichkeit bedeutet die „Vorvereinbarung“ von Podemos und PSOE, dass die drastischen Sparmaßnahmen nach Maßgabe der Europäischen Union (EU) fortgeführt werden. Gleiches gilt für die von der PSOE bereits erhöhten Militärausgaben und das brutale Durchgreifen der Polizei, um in Katalonien für „sozialen Frieden“ zu sorgen.

Am 14. November 2019 veröffentlichte Pablo Iglesias, Generalsekretär von Podemos, einen offenen Brief, der sich vordergründing an die Mitglieder seiner Partei richtete. Darin kündigte er schlicht an, dass Podemos künftig eine rechte Politik umsetzen wird: „Die Rechtsparteien und die Medien als Handlanger der Wirtschaft werden auf Schritt und Tritt auf uns einprügeln. Wir werden in einer Minderheit innerhalb einer mit der PSOE geteilten Exekutive regieren, in der wir auf viele Grenzen und Widersprüche stoßen und gezwungenermaßen bei vielen Dingen nachgeben werden.“

Indem sich Podemos zugleich als einzige Opposition gegen die arbeiterfeindliche Politik des politischen Establishments darstellt, bereitet sie den Nährboden für die Neofaschisten der Vox-Partei.

Die Politik von Podemos basiert, genau wie die ihrer griechischen Schwesterpartei Syriza („Koalition der Radikalen Linken“), auf der verlogenen Theorie des „linken Populismus“. Dieser lehnt die Arbeiterklasse, den Klassenkampf, den Sozialismus und eine revolutionäre Politik ab. Explizit dargelegt werden diese Thesen von Chantal Mouffe, einer im postmodernen Denken angesiedelten Akademikerin und engen Vertrauten führender Vertreter von Parteien wie Syriza und Podemos.

In ihrem Buch Für einen linken Populismus schreibt Mouffe: „Was wir dringend brauchen, ist eine linkspopulistische Strategie, die auf die Konstruktion eines ‚Volkes‘ abzielt und die Vielzahl demokratischer Widerstandsbewegungen gegen die Postdemokratie bündelt, um eine demokratischere hegemoniale Formation zu etablieren. (…) was dazu, wie ich behaupte, jedoch unnötig ist, ist ein ‚revolutionärer‘ Bruch mit dem liberal-demokratischen Regime.“ (Chantal Mouffe, „Für einen linken Populismus“, Berlin 2018, S.47)

Kaum war Mouffes Buch erschienen, wurde ihre politische Scharlatanerie auch schon durch die Politik von Syriza entlarvt. Die Partei versprach den Wählern zwar, die Sparmaßnahmen der EU zu beenden, lehnte es jedoch ab, zu revolutionären Maßnahmen zu greifen und die Arbeiter in ganz Europa zur Unterstützung des Kampfs gegen die EU aufzurufen. Die von Syriza propagierte „demokratischere hegemoniale Formation“ entpuppte sich 2015 als eine Regierungskoalition mit der rechtsextremen Partei ANEL ( „Unabhängige Griechen“). Endgültig verraten hat Syriza ihre Wahlversprechen, als, wie von der EU gefordert, mehrere Milliarden an Sozialausgaben eingespart und zehntausende Flüchtlinge in Internierungslager gesperrt wurden.

Nach dem von Syriza angerichteten Desaster ist es nun an Podemos, der PSOE bei der Errichtung einer „demokratischeren hegemonialen Formation“ zu helfen. Eine solche Koalition wird sich als genauso bösartiger Feind der Arbeiter erweisen wie Syriza in Griechenland. Seit die PSOE 1978 mit dem faschistischen Franco-Regime den Übergang zum Parlamentarismus ausgehandelt hat, ist sie das wichtigste politische Instrument der Bourgeoisie. Sie setzte die drastischen EU-Sparmaßnahmen durch und führte imperialistische Kriege von Afghanistan bis Libyen. Podemos billigt nun ausdrücklich die von der PSOE betriebene reaktionäre Politik.

Es wäre vollkommen sinnlos, die gut betuchten Professoren, Staatsbeamten, Armeeoffiziere und Gewerkschaftsbürokraten, aus denen die Mitgliedschaft von Podemos besteht, zu einer weniger reaktionären Politik aufzufordern. Diese Partei stemmt sich gegen jede Initiative der Arbeiterklasse, die den Reichtum, das Eigentum und die materiellen Interessen ihrer wohlhabenden Basis in der Mittelschicht beeinträchtigen würde. Das alleinige Ziel von Mouffes „linkem Populismus“ besteht darin, dem reaktionären antisozialistischen und prokapitalistischen Programm von Parteien wie Podemos und Syriza theoretische Legitimität zu verleihen.

Der „Linkpopulismus“ nach Mouffe besteht aus theoretischer Scharlatanerie und politischem Zynismus. Er richtet sich, wie die Autorin selbst erklärt, insbesondere gegen diejenigen, „die Politik nach wie vor auf den Gegensatz von Kapital und Arbeiterschaft reduzieren und der als Vehikel für die sozialistische Revolution dargestellten Arbeiterklasse einen ontologischen Vorrang einräumen. Diese werden hierin natürlich eine Kapitulation vor der ‚bürgerlichen Ideologie‘ sehen. Eine Antwort auf derlei Kritik wäre sinnlos, entspringt sie doch ebenjener Auffassung von Politik, gegen die ich anschreibe.“ (ebd., S. 93)

Das Wiederaufleben des Faschismus entlarvt den Bankrott der Pseudolinken. Sie verteidigen den Kapitalismus und lehnen jede Politik ab, die das Recht auf kapitalistisches Eigentum und bürgerlichen Reichtum einschränken würde. Unter keinen Umständen werden sie an die Arbeiterklasse appellieren. Podemos wiederholt im Wesentlichen die verräterische Rolle der Stalinisten und Sozialdemokraten im Spanien der 1930er Jahre. Deren Bündnis mit einem Teil der spanischen Bourgeoisie innerhalb der sogenannten Volksfront schloss eine revolutionäre Politik im Kampf gegen die Franco-Faschisten aus. Das Ergebnis war die Niederschlagung der sozialistischen Revolution und der Sieg Francos.

Es ist notwendig, die Lehren aus den 1930er Jahren zu verstehen. Der Kampf gegen den Faschismus hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Arbeiterklasse zum Angriff auf das kapitalistische Eigentum übergeht und sich die Enteignung der Finanzaristokratie zum Ziel setzt.

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