Gewaltdrohungen gegen Hamburger Studierendenschaft

Der Asta der Universität Hamburg wird mit Hassmails und Gewaltandrohungen überschwemmt, weil Studierende gegen die Rückkehr des AfD-Gründers Bernd Lucke auf seinen Lehrstuhl protestiert haben.

Am 24. Oktober – einen Tag, nachdem Lucke seine zweite Vorlesung gehalten hatte – mussten sogar 500 Menschen aus dem Hauptgebäude der Universität Hamburg evakuiert werden, weil bei der Universitätsleitung ein Drohbrief eingegangen war, der einen Bombenanschlag auf Luckes Kritiker ankündigte. Das „links-grün versiffte Pack“ wolle man „ausräuchern“ und den „elitären Zecken-Pennern mit drei Bombensätzen beikommen“, hieß es darin. Der Absender lautete „SS-Obersturmbannführer Türkensau“. Unterzeichnet war das Schreiben mit „Heil Hitler“ und „NSU 2.0“.

Während die Medien die Kampagne gegen die Studierenden unterstützt und angeheizt haben, berichten sie kaum über den rechten Terror gegen die Studierenden. Die World Socialist Website sprach darüber mit Karim Kuropka, dem Vorsitzenden des AStA der Universität Hamburg.

„Die Bombendrohung war nur eine von insgesamt über 300 Hassbotschaften, die die Universität erhalten hat“, berichtet Kuropka. „Ihre Analysen ergaben, dass der größte Teil der Mails aus dem baden-württembergischen AfD-Umfeld kam – es scheint also eine koordinierte Aktion gewesen zu sein. Wir als AstA erhielten zusätzlich zwischen 70 und 160 Drohmails, viele davon gingen auch an mich persönlich.“

Die anonymen Hetzer drohten den Studierenden unter anderem, sie „auszupeitschen“ und ihre „Sozi-Kanackenfressen einzuschlagen“. Zugleich wurden Bilder von Asta-Referenten auf Nazi-Webseiten geteilt. „Mittlerweile gehen wir alle Mails systematisch durch und prüfen ihre Inhalte auf Strafbarkeit“, so Kuropka.

„Auch die Hakenkreuze, die in die Fenster der AStA-Räumlichkeiten geritzt wurden, sind sehr bedrohlich. Man macht sich schon Gedanken darum, ob man nachts auf dem Campus noch sicher ist. Wenn ich von den Drohungen höre, die den RefRat in Berlin erreichen, oder ich mitbekomme, dass der AstA der Universität Rostock auf einer Todesliste [der rechtsextremen Terrorgruppe Nordkreuz] steht, finde ich es unglaublich, dass darüber kaum eine mediale Debatte stattfindet.“

Die „Falschdarstellungen in den Medien“ hätten im Gegenteil dazu beigetragen, den Neonazi-Pöbel gegen die Studierenden aufzuhetzen. „Ich fand, dass die Medien wirklich Öl ins Feuer gegossen haben. Tatsachen wurden verdreht und Aussagen sind mir und anderen im Mund umgedreht worden.“

So sei seine Aussage, Lucke gehöre „nicht an eine Universität“, zu einer generellen Forderung nach Berufsverboten umgedeutet worden. „Rechte Medien wie die FAZ und die Neue Zürcher Zeitung haben versucht, auch gezielt mich als Person zu diskreditieren, indem sie etwa darauf eingingen, seit wann ich studiere oder ob ich als Germanist überhaupt Ahnung von Wirtschaft hätte.“

Auch die Darstellung der Proteste der Studierenden habe mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun gehabt. Wie Kuropka berichtet, hatte der AstA bei der Universität und der Polizei zunächst eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude mit verschiedenen Sprechern angemeldet. Die anschließenden Proteste im Hörsaal seien nicht vom AstA organisiert worden.

„Darüber wurde ja umfangreich, wenn auch eher unsachlich, in den Medien berichtet. Es gab zunächst Sprechchöre und rhythmisches Klatschen von den Studierenden. Mitglieder des AstA wurden von Studierenden gebeten, moderierend einzugreifen.“

Lucke habe sich daraufhin unter die Studierenden gesetzt, was viele als Provokation empfunden hätten. Gegen Ende habe er noch einmal nach dem Mikrofon gegriffen, das ihm aus der Hand gerissen wurde. „Wir hatten ihn mehrfach gebeten, einfach friedlich zu gehen, und nach diesem letzten Vorfall hat er dann auch den Hörsaal verlassen. Jemand vom AstA hat sich schützend vor ihn gestellt und ihn abziehen lassen.“

Zur Rolle der Polizei sagt Kuropka: „Die Polizei, die die ganze Zeit mit einer Hundertschaft vor der Tür stand, hat mehrmals festgestellt, dass keine Gefahr für Leib und Leben bestand – zu keinem Zeitpunkt. Als er aus dem Gebäude kam, eskortierten sie ihn. Das war völlig unnötig, niemand hatte vor, auf ihn loszugehen. So kamen die Bilder zustande, die in den Medien zu sehen waren.“

Vor diesem Hintergrund entwickelte eine vereinte Front aus AfD, Bundesregierung und Medien eine Hetzkampagne gegen die Hamburger Studierenden, an der sich in einem „Kontraste“-Interview auch Bundesbildungsminiserin Anja Karliczek (CDU) beteiligte. Gebetsmühlenartig wurde behauptet, die Proteste gegen Lucke gefährdeten die Meinungsfreiheit.

„Im Fall von Lucke wurde es besonders abstrus“, kommentiert Kuropka, „weil er sich in einer großen Tageszeitung mit bundesweiter Auflage darüber beschwerte, dass er seine Meinung nicht äußern dürfe. Dass er sich dann hinstellt und sich allen Ernstes mit den jüdischen Professoren aus der Zeit von 1928 bis 1939 vergleicht, ist eine absolute Frechheit.“ Die Verbrechen des Nationalsozialismus und des Holocaust würden auf diese Weise verharmlost.

„Ich glaube, man muss sich klarmachen, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, dass menschenfeindliche oder auf falschen Tatsachen beruhende Ansichten nicht kritisiert werden dürfen. Die Universität lebt von Kritik. Und Kritik muss geäußert werden können – an jedem. Das nimmt auch Professoren nicht aus. Wer eine These in den Raum wirft, muss sich darauf einstellen, dass dieser These widersprochen wird. Wer am Ende die besten Argumente hat, der gewinnt die Diskussion. So funktioniert Wissenschaft.“

In Wirklichkeit werde die Meinungsfreiheit von rechts angegriffen. Die Kampagne zur Verteidigung der „Meinungsfreiheit“ der Rechten sei letztendlich der Versuch, das Recht auf Widerspruch einzuschränken. Eigentlich könne erst das dazu führen, dass die Meinungsfreiheit abgeschafft wird. „Das ist die Frage, die thematisiert werden sollte. Die Rechten wollen, dass Intoleranz toleriert wird. Auf dieses Paradoxon sollte man aber nicht hereinfallen.“

Das Hamburger Hochschulgesetz bezeichne es als Aufgabe der Studierendenschaft, „insbesondere, die ‚politische Bildung‘ und ‚das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein‘ der Studierenden sowie ihre ‚Bereitschaft für den Einsatz für Grund- und Menschenrechte‘ zu fördern. Insofern ist es natürlich unsere Aufgabe, uns zu rechter Lehre zu äußern“, sagt Kuropka.

Dieser Passus sei auf Drängen der Alliierten in das Gesetz aufgenommen worden, weil man den Professoren angesichts der Vorgänge an den Universitäten zur Nazi-Zeit nicht zugetraut habe, sich kritisch über den Faschismus zu äußern und sich künftigen Rechtsentwicklungen entgegenzustellen. „Wenn man die Aussagen von Professor Bernhard Kempen hört, dann steht dieser Passus dort offenbar völlig zu recht. Allein der Ausdruck ‚Meinungsterroristen‘ ist ein Unwort, eine Absurdität. Gerade als Germanist sträuben sich mir da die Haare.“

Der Jurist Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Er hatte am 28. August in einem Interview mit dem 3sat-Magazin „Kulturzeit“ studentische Kritik an rechten Professoren als „Meinungs- und Gesinnungsterrorismus“ denunziert.

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