Lehren aus der Spaltung des IKVI

Internationale Strategie und nationale Taktik. Wie das IKVI seine Haltung zu den nationalen Befreiungsbewegungen änderte

Diesen Vortrag hielt Deepal Jayasekera am 25. Juli 2019 auf der Sommerschulung der Socialist Equality Party (USA). Jayasekera ist stellvertretender Vorsitzender der Socialist Equality Party in Sri Lanka, deren Vorläufer die Revolutionary Communist League (RCL) war.

Ich möchte einige der Fragen, die sich nach der Spaltung 1985–1986 von den Renegaten der Workers Revolutionary Party (WRP) stellten, näher untersuchen. Diese Spaltung eröffnete der Revolutionary Communist League (RCL) eine neue Periode: Nach Jahren der fast vollständigen Isolation und zahlreicher politischer Angriffe der WRP war die RCL nun in der Lage, in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) ihre politische Linie zu schärfen und stärker in der Arbeiterklasse einzugreifen.

Dies war insbesondere der Fall nach dem viel zu frühen Tod von Genossen Keerthi Balasuriya im Jahr 1987, der einen schweren Schlag für die RCL und für das ganze IKVI darstellte. Ich glaube, dass die damals erzielte politische Entwicklung auch für die Arbeiterklasse in den anderen Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung, sei es in Asien oder anderswo, große Bedeutung haben wird. Ich werde mich in erster Linie auf unsere Haltung zu den verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen konzentrieren.

Michael Banda

Die Abkehr der Socialist Labour League (SLL)/WRP von der Theorie der Permanenten Revolution sowie ihre politisch kompromittierte Haltung gegenüber den nationalen Befreiungsbewegungen und dem Maoismus (wie auch ihr späterer Kniefall vor ihnen) hatten auf die politische Arbeit der RCL großen Einfluss.

Die Kapitulation der SLL vor der nationalen Bourgeoisie in rückständigen Ländern führte zu scharfen Differenzen mit der RCL. Als Michael Banda im Namen des IKVI eine Stellungnahme veröffentlichte, die den Einmarsch der indischen Armee in Ostpakistan unter dem Vorwand, der Befreiungsbewegung Bangladeschs im indisch-pakistanischen Krieg von 1971 beizustehen, „kritisch unterstützte“, bereitete die RCL unter Führung von Genossen Keerthi eine Stellungnahme vor, die Bandas Haltung widersprach. Darin heißt es:

„[D]ie Aufgabe des Proletariats [ist] nicht die Unterstützung der einen oder anderen Seite der kriegführenden Bourgeoisien […], sondern das Ausnutzen jedes Konflikts im Lager des Klassenfeinds mit dem Ziel, unter der Perspektive einer föderativen sozialistischen Republik die Macht zu ergreifen. Nur dadurch ist es möglich, die sozialen und nationalen Ziele der abermillionen Werktätigen des Subkontinents zu befriedigen.“ [1]

Als Keerthi die Stellungnahme des IKVI gelesen hatte, schrieb er sofort an Cliff Slaughter, den Sekretär des IKVI, um ihn darüber zu informieren, dass die RCL diese entschieden ablehnte. Er schrieb:

„Es ist nicht möglich, den nationalen Befreiungskampf des bengalischen Volkes und die freiwillige Vereinigung Indiens auf sozialistischer Grundlage zu unterstützen, ohne sich gegen den indisch-pakistanischen Krieg zu wenden. Ohne Opposition gegen den Krieg aus dem Innern Indiens und Pakistans ist es völlig absurd, über ein vereintes, sozialistisches Indien zu sprechen, welches allein in der Lage ist, das Selbstbestimmungsrecht der zahlreichen Nationen des indischen Subkontinents zu sichern.“ [2]

Keerthi hielt indessen die RCL-Stellungnahme zurück und handelte als prinzipieller Internationalist, indem er um eine Diskussion innerhalb der Internationalen über die Meinungsverschiedenheiten der RCL mit der Haltung des IKVI bat. Er schrieb:

„Wir brauchen nicht zu betonen, dass es schwierig ist, die IK-Erklärung zu verteidigen. Trotzdem ist Klarheit in der Internationale wichtiger als alles andere, weil es für uns unmöglich ist, eine nationale Sektion aufzubauen, ohne für den Aufbau der Internationale zu kämpfen.“ [3]

Die SLL-Führung verhinderte eine solche Diskussion vorsätzlich und verheimlichte den Brief der RCL vor den anderen Sektionen.

Gleichermaßen kam auch der prinzipielle Standpunkt der RCL zur nationalen Frage, welcher sich von Anfang an auf die Theorie der Permanenten Revolution stützte, unter gewaltigen Druck vonseiten der SLL/WRP. Die RCL blickte auf eine beträchtliche Bilanz des konsequenten Kampfs gegen antitamilische Diskriminierung zurück, welche aufeinanderfolgende Regierungen in Colombo praktiziert hatten, ebenso gegen alle Formen von Nationalismus und Rassismus. Im Zentrum ihres Kampfs stand die Vereinigung der singhalesischen, tamilischen und muslimischen Arbeiter Sri Lankas auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Keerthi Balasuriya

Anfang der 1970er Jahre forderte die RCL einen Rückzug der Truppen aus dem Norden und Osten der Insel. Im Juni 1972 veröffentlichte sie eine Stellungnahme, in welcher sie zwar „das Selbstbestimmungsrecht der tamilischen Nation“ anerkannte, doch betonte, „dass dieses Recht nur durch die Mobilisierung der singhalesischen und tamilischen Arbeiter für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung erreicht werden kann, die sozialistische Politik durchführt und diese Rechte anerkennt.“ [4] Damit befürwortete die RCL nicht etwa einen unabhängigen tamilischen Staat, sondern verteidigte das Recht der Tamilen auf solch einen Staat.

In einem Treffen des IKVI im Jahr 1972 widersetzte sich jedoch die SLL-Führung (besonders Banda) vehement dem Standpunkt der RCL und brandmarkte die Unterstützung für das Recht der Tamilen auf Selbstbestimmung als Beihilfe zu imperialistischen Plänen, die Insel aufzuteilen. Wie auch im Falle der Unterstützung der indischen Militärintervention in Ostpakistan im Jahr 1971 basierte Bandas Position auf der Verteidigung der sogenannten „unabhängigen“ Nationalstaaten, welche der Imperialismus in den Jahren 1947–1948 in Südasien errichtet hatte.

Widerstrebend zog die RCL ihre Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Tamilen zurück und fügte sich der Erfahrung und der politischen Autorität der SLL-Führung. Während die RCL weiterhin die demokratischen Rechte der tamilischen Bevölkerung verteidigte und für die Einheit der singhalesischen und tamilischen Arbeiter auf der Basis sozialistischer Politik kämpfte, wurde ihr prinzipieller Kampf in den 1970er Jahren sehr oft durch Schritte der SSL-Führung behindert, die ihr die wichtige taktische Waffe der Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung vorenthielt.

Doch im Jahr 1979, als der nationale Befreiungskampf der Tamilen internationale Bedeutung erlangte, vollzog die WRP eine Kehrtwende um 180 Grand und beeilte sich, die kleinbürgerlichen tamilischen nationalistischen Gruppen kritiklos in die Arme zu schließen. Auf einer Linie mit ihrer prinzipienlosen Beziehungen mit der arabischen Bourgeoisie knüpfte die WRP auch Beziehungen zu den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), versah sie sogar mit „sozialistischen“ Farbtupfern und versuchte, der RCL eine Politik der Unterstützung des tamilischen Nationalismus‘ und der LTTE aufzunötigen.

Im Jahr 1983, als die Colombo-Regierung infolge ihrer Rückkehr zu marktfreundlicher Politik von einer schweren Krise erschüttert wurde, verschärfte sie ihre antitamilischen Provokationen auf dramatische Weise zu einem inselweiten Pogrom, dem Hunderte zum Opfer fielen. Die RCL war die einzige Organisation, die sich dieser Gewaltorgie entgegenstellte und zur Einheit der singhalesischen und tamilischen Arbeiter aufrief. Die WRP hielt es nicht einmal für nötig, sich nach dem Schicksal von RCL-Mitgliedern zu erkundigen, geschweige denn die RCL zu verteidigen. Dagegen spekulierte sie in ihrer Presse darüber, ob die RCL wohl schon untergegangen sei. Dies war der Beginn des langwierigen Bürgerkrieges in Sri Lanka, der erst im Jahr 2009 enden sollte.

Keerthi Balasuriya spricht auf einer RCL-Versammlung

Die RCL setzte ihren mutigen politischen Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte der Tamilen und zur Vereinigung der Arbeiterklasse auf der Insel fort. Sie trat dafür ein, die kommunalen Unterschiede zwischen Singhalesen, Tamilen und Muslimen auf der Basis von sozialistischem Programm und Perspektive zu überwinden. Doch die kritiklose Unterstützung der WRP für die LTTE hinderte die RCL daran, die Politik der tamilischen Separatistengruppen, einschließlich der LTTE, gewissenhaft zu untersuchen.

Erst nach der Spaltung von 1985–1986 waren die RCL und das IKVI in der Lage, eine ernsthafte Analyse der nationalen Frage vorzunehmen, und die politische Perspektive der sri-lankischen Sektion diesbezüglich zu bestimmen. Im März 1987 wurden in der Zeitschrift Vierte Internationale die Dokumente veröffentlicht, die die RCL zur indischen Militärintervention im damaligen Ostpakistan angefertigt hatte.

Im Juli 1987 unterzeichnete der damalige Staatspräsident von Sri Lanka J.R. Jayewardene, der sich in einer durch den Krieg ausgelösten tiefen Krise befand, zusammen mit dem indischen Premierminister Rajiv Gandhi das „Indisch-sri-lankische Abkommen“. Gemäß diesem Abkommen wurden indische Truppen in den Nord- und Ostprovinzen der Insel stationiert, um die bewaffneten tamilischen Gruppen zu entwaffnen und jeden Widerstand gegen das Abkommen zu unterdrücken. Das sri-lankische Militär, das im Norden und Osten abgelöst worden war, wurde nun im Süden eingesetzt, um gegen die wachsende soziale Opposition der Arbeiterklasse und besonders die ländliche Jugend vorzugehen.

Nur die RCL widersetzte sich dem indisch-sri-lankischen Abkommen auf der Grundlage des Internationalismus der Arbeiterklasse. Sie stand in Opposition zur Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und zur Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), welche das Abkommen vom Standpunkt singhalesischen Chauvinismus‘ ablehnten; ebenso zur Lanka Sama Samaja Party (LSSP), zur stalinistischen Kommunistischen Partei (KP) und zur pablistischen Nava Sama Samaja Party (NSSP), die sich alle auf der Linie von Jayewardene bewegten und behaupteten, dessen Manöver würden der Insel Frieden bringen und die nationale Frage lösen. Die RCL kämpfte für die Vereinigung der Arbeiterklasse Sri Lankas und Indiens gegen das Abkommen und die indische Militärintervention.

Die politische Linie der RCL zur nationalen Frage entwickelte sich aus diesen ausgedehnten Diskussionen mit dem IKVI, das zu Recht der internationalen Strategie den Vorrang vor jeder nationalen Taktik einräumte.

Im November 1987 veröffentlichte das IKVI eine umfassende Stellungnahme unter dem Titel „Die Situation in Sri Lanka und die politischen Aufgaben der Revolutionary Communist League“. Diese Erklärung, die fest auf dem Boden von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution stand, stellte fest, dass die demokratischen Rechte der Tamilen auf der Insel nur im vereinten Kampf der Arbeiterklasse zu erreichen waren, und dass dieser Kampf die kommunalen Grenzen zwischen Singhalesen und Tamilen überwinden und für den Sozialismus eintreten müsse. Die Erklärung rief erstmals zur Gründung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Sri Lanka und Tamil Eelam auf.

In der Stellungnahme wurde betont, dass das indisch-sri-lankische Abkommen die heimtückische Natur der nationalen Bourgeoise enthüllt hatte. Dort heißt es:

„Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die zahllosen tragischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts den niederträchtigen und reaktionären Charakter der nationalen Bourgeoisie in den zurückgebliebenen Ländern noch immer nicht hinreichend bewiesen haben, ist die Unterzeichnung des indo-sri-lankischen Abkommens und die indische Invasion in den Nord- und Ostprovinzen Sri Lankas eine zusätzliche Lehre für die unterdrückten und ausgebeuteten Massen… Die Politik Gandhis und Jayewardenes hat dem Mythos, die nationale Bourgeoisie Indiens und Sri Lankas könne in der Zukunft beider Länder noch eine progressive Rolle spielen, den Todesstoß versetzt.“ [5]

Das IKVI, das die notwendigen historischen Lehren daraus zog, erklärte beharrlich:

„Die vom Imperialismus zugestandene ‚Unabhängigkeit‘ bedeutete ausnahmslos die künstliche Errichtung von Staatsgebilden, in denen demokratische Prinzipien von vorneherein nicht vorgesehen waren und mit Füßen getreten wurden. Die nationale Bourgeoisie trat dabei nicht als Befreierin der unterdrückten Massen auf, sondern als Teilhaberin an der imperialistischen Ausplünderung. Der Staatstypus, der auf diesem Wege geschaffen wurde, ist nichts weiter als ein Gefängnislager des verrotteten Kapitalismus, in dem keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte möglich war.“ [6]

Das Dokument erläuterte zudem, wie die Kapitulation der LTTE gegenüber der indischen Bourgeoisie den Bankrott des kleinbürgerlichen Nationalismus enthüllt hatte:

„In Zeiten einer historischen Krise, wenn das Schicksal ganzer Völker auf dem Spiel steht, ist Sentimentalität fehl am Platze. Sympathie für die LTTE und Sorge um das Schicksal ihrer Kämpfer dürfen uns nicht hindern, auszusprechen, was ausgesprochen werden muss: Die Politik der LTTE ist der Hauptgrund für die schweren Rückschläge des nationalen Kampfes seit dem 29. Juli 1987.“ [7]

Weiter heißt es in der Erklärung:

„Das Proletariat ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung verwirklichen kann, aber nicht als Anhängsel der nationalen Bourgeoisie, sondern als ihr unversöhnlicher Gegner. Es führt den Kampf um Selbstbestimmung mit seinen eigenen Waffen und auf der Grundlage seines eigenen Programms und wird so zum Führer der unterdrückten Massen in den Dörfern und auf dem Land. Die Selbstbestimmung ist ein Nebenprodukt der sozialistischen Revolution unter der Führung des Proletariats, das nach der Errichtung seiner Diktatur allen unterdrückten Völkern ihre legitimen demokratischen Rechte garantiert […] Da ist der Wesenskern des Programms der Revolutionary Communist League für die Vereinten Sozialistischen Staaten von Tamil Eelam und Sri Lanka.“ [8]

Die einzige andere Opposition zum indisch-sri-lankischen Abkommen war der singhalesisch-chauvinistische Standpunkt der JVP. Diese warf der Regierung vor, das Land zu spalten, und ultimativ, mit der Pistole auf sie gerichtet, forderte sie die Arbeiter auf, sich ihren Streiks und Proteste anzuschließen. Ende 1988 führten die Schergen der JVP Mordanschläge gegen die ganze Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften und besonders gegen die Führer und Mitglieder der LSSP, KP und NSSP. JVP-Auftragsmörder töteten drei RCL-Mitglieder. Die faschistischen Mordattacken der JVP gegen die Arbeiterklasse standen im Einklang mit der Mobilisierung von Polizei und Militär gegen die Arbeiterklasse durch die UNP-Regierung.

R.A. Pitawela, ein RCL-Mitglied, das 1988 von JVP-Schergen getötet wurde

Ende 1988 entwickelten die RCL und das IKVI eine sehr wichtige taktische Initiative. Sie sah eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse vor, indem sie zu einer gemeinsamen Front aller Parteien und Organisationen der Arbeiterklasse gegen die faschistischen Angriffe der JVP und die militärisch-polizeiliche Unterdrückung der UNP-Regierung aufrief. Die RCL kämpfte für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse als vereinigte Bewegung gegen die bürgerliche Herrschaft im Kampf zum Sturz des Kapitalismus und zur Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung, die sozialistische Politik durchführen würde.

Eine lebhafte Diskussion entspann sich über die Haltung der RCL gegenüber der sozialen Basis der JVP: der Bauernschaft und der arbeitslosen singhalesischen Jugend im Süden der Insel. Die Diskussion war sehr wichtig, um die Haltung der revolutionären Arbeiterpartei gegenüber der Bauernschaft zu klären. Das IKVI erkannte korrekterweise eine Tendenz in den Schriften der RCL, sich angesichts der Massenmorde der Colombo-Regierung an JVP-Unterstützern gleichgültig zu verhalten. In dieser umfassenden Terrorkampagne gegen die Bauernschaft wurden etwa 60.000 Jugendliche niedergemetzelt.

Im Verlauf dieser Diskussionen erklärte David North:

„Während die proletarische Diktatur eine stählerne Faust zur Überwindung der Bourgeoisie darstellt, streckt sie der unterdrückten Bauernschaft eine hilfsbereite Hand entgegen. Die Bolschewiki haben das Regime, das im Oktober 1917 geschaffen wurde, immer als proletarische Diktatur bezeichnet, die sich auf die Unterstützung der verarmten Bauernschaft stützte. Während das Proletariat die Bourgeoisie beherrschte und unterdrückte, war die proletarische Diktatur auf eine Allianz der städtischen Arbeiter mit den armen Bauern gegründet.“

Er vertiefte das Thema weiter:

„Wie eure Erklärung auf den darauf folgenden Seiten zeigt, anerkennt die RCL die Notwendigkeit, ein bäuerliches Programm vorzulegen, um die verarmten Bauern auf die Seite der Arbeiterklasse zu gewinnen. Diese Aufgabe wird jedoch unterhöhlt, wenn wir in nachlässiger Weise zulassen, dass die armen Bauern feindliche Schlüsse aus unserem Aufruf an die ‚historische Berechtigung‘ ziehen, ‚über alle anderen Klassen‘ zu herrschen, und dabei die notwendige Unterscheidung zwischen der Bedeutung der proletarischen Diktatur für die Bourgeoisie und ihre Bedeutung für die unterdrückte Bauernschaft nicht treffen können.“ [9]

North beanstandete eine RCL-Stellungnahme zum Mord an JVP-Führer Wijeweera, weil sie nicht davon berücksichtigt hatte, dass gegen die Basis der JVP (die Bauernschaft und die ländliche Jugend) umfassende Repressionen erfolgten.

„Natürlich geht es bei einer Analyse der Ermordung Wijeweeras nicht darum, ein moralisches Urteil zu fällen, sondern darum, die soziale Basis dieser Bewegung zu verstehen. Wir haben nicht die geringste Sympathie für Wijeweera, und wir betrauern nicht seinen Abgang. Aber wir müssen verstehen, dass das Problem der JVP nur vom Standpunkt der komplexen gesellschaftlichen Beziehungen in Sri Lanka und den rückständigen Ländern überhaupt verstanden werden kann.“ [10]

North wies zu Recht darauf hin, dass es der Verrat der LSSP sowie ihr Desinteresse an der Bauernschaft gewesen waren, die die Grundlage für die JVP gelegt hatten. Die RCL dürfe nicht denselben Weg gehen.

Das Thema wurde auf einem Plenum weiter diskutiert, das eine Delegation des RCL-Zentralkomitees vom 6.–9. November 1990 mit David North abhielt. Dies führte zu einer internationalen Kampagne gegen das Massaker, das zu dieser Zeit im Süden Sri Lankas stattfand.

Gestützt auf die politische und theoretische Klärung, die in besagter Diskussion erzielt worden war, veröffentlichte die RCL eine Erklärung, in welchem sie die Arbeiterklasse zur Intervention als unabhängige politische Kraft aufrief, um sowohl das staatliche Massaker an der Landjugend im Süden als auch den wiederaufgenommenen Krieg gegen die tamilischen Massen im Norden zu stoppen. Die Erklärung zeigte zudem auf, dass die Verteidigung der Landbevölkerung gegen den staatlichen Terror unlösbar mit dem Kampf zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung verbunden war, welche die Form einer Vereinigten Sozialistischen Republik von Sri Lanka und Eelam annehmen werde.

Dies wurde zur Basis einer ausgedehnten Kampagne der RCL und aller Sektionen des IK.

Das IKVI nahm nun direkten Bezug auf die Perspektive der RCL für Sri Lanka und Südasien und begann eine kritische Überprüfung der nationalen Frage, mit besonderem Bezug zum Ausbruch separatistischer Bewegungen auf dem Balkan, in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion der frühen 1990er Jahre.

Auf dem 13. Plenum des IKVI, im Juni 1993, führte das IK ausgedehnte Diskussionen über sein Programm zur nationalen Frage und insbesondere zu seiner Haltung zur „Selbstbestimmung“.

David North bemerkte:

„Die historisch-materialistische Herangehensweise an die Frage der Selbstbestimmung im allgemeinen, die es ablehnt, irgend einen gesellschaftlichen Phänomen eine überhistorische oder zeitlose Eigenschaft zuzusprechen, wurde von Lenin vollständig in seiner spezifischen und historisch präzisen Definition zum Ausdruck gebracht, worauf er sich als die ‚drei Typen von Ländern in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen‘ bezieht.

Wenn er in seinen Schriften von 1913–1916 über die nationale Frage das ‚Recht der Nationen auf Selbstbestimmung‘ vertrat, wobei er sich auf ‚drei Typen von Ländern in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen‘ bezog, so tat Lenin dies als Bestandteil seines Kampfes zur Vereinigung der Arbeiterklasse, und er ging dabei über ethnische Grenzen hinweg und mobilisierte die unterdrückten Nationalitäten zur Unterstützung des Kampfs gegen Zarismus und Imperialismus. Seine Position war immer vom Niveau der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und dem Klassenkampf abhängig. Als er 1913 für das Selbstbestimmungsrecht im Russischen Reich, auf dem Balkan und in Osteuropa eintrat, waren diese Länder noch weitgehend agrarisch geprägt; die Entwicklung des Kapitalismus und der nationalen Bewegung befand sich erst in ihren Anfängen.“ [11]

Mehr als ein Jahrhundert später haben alle diese Regionen umfassende Veränderungen durchgemacht, ebenso die Welt insgesamt.

North wies auf den umfassenden Wandel in den Bedingungen der Länder in dieser dritten Kategorie (in Asien und Afrika) hin und stellte fest:

„Gibt es irgendwelche Länder oder Gruppen von Ländern, die heute der Situation entsprechen, wie sie existierte, als Lenin diese Kategorie definierte? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Ganz klar hat sich das Asien oder Afrika von 1913 oder 1914 enorm verändert. In diesen Regionen entstanden auf der Grundlage ethnischer, kommunaler und auch religiöser Tendenzen neue Bewegungen. Dies ist eine Folge des eklatanten Versagens der nationalistischen Bewegungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ‚Unabhängigkeit‘ erlangten und unfähig waren, auch nur eine der grundlegenden demokratischen Aufgaben zu lösen.“ [12]

North bezog sich auf Indien als Beispiel für diesen allgemeinen Prozess und erklärte:

„Aus der Auflösung des bürgerlich-nationalen Projekts in Indien, oder um es anders auszudrücken, gerade weil die indische Bourgeoisie unfähig war, weder wirkliche nationale Einheit zu erreichen, noch Indien von der imperialistischen Vorherrschaft zu befreien, sehen wir auf der Grundlage der Leiche dieses Staats das Wiederauftauchen von allen Arten von zerrissenen und separatistischen Bewegungen, die in keine Sinn irgendetwas der universellen Bestrebungen beinhalten, die die revolutionären nationalistischen Bestrebungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts charakterisierten.“ [13]

In der ehemaligen Sowjetunion, in Osteuropa und auf dem Balkan schürten kleine Cliquen ehemaliger Stalinisten und Kapitalisten die kommunalen und ethnischen Spaltungen, um im Zuge der kapitalistischen Restauration Territorien für sich selbst herauszureißen.

Keine dieser neuen nationalistischen Separatistenbewegungen wies einen antiimperialistischen oder historisch fortschrittlichen Charakter auf. Vielmehr suchten sie aktiv nach Patronage der Imperialisten und separaten Deals mit dem internationalen Kapital, dem sie sichere Häfen für multinationale Konzerne anboten.

North erklärte:

„Die Entwicklung der multi-nationalen Produktion gibt zahllosen Staaten oder zahllosen Gruppen Möglichkeiten, die sie nie vorher hatten. Der Prozess der ökonomischen Entwicklung, die Mobilität des Kapitals, gibt einigen nationalen Gruppierungen, ethnischen Gruppierungen dieser oder jener Sorte, die Möglichkeit, selbst innerhalb sehr kleiner Gebiete abhängig davon, wie sie sich mit dem internationalen Kapital verbinden, auf der Grundlage der Unabhängigkeit gewisse Errungenschaften zu erreichen. Dafür stehen Singapur, Formosa und Hongkong Modell.“ [14]

In der Diskussion sagte RCL-Generalsekretär Wije Dias:

„Die Frage der nationalen demokratischen Rechte muss von Revolutionären als Teil des Programms der sozialistischen Weltrevolution angegangen werden, für das die marxistische Bewegung – die trotzkistische Bewegung – kämpft. Wir haben immer betont, dass diese demokratischen Rechte nur als ein Nebenprodukt der sozialistischen Revolution verwirklicht werden können. Deswegen können die nationalen demokratischen Rechte nur als ein Nebenprodukt der sozialistischen Weltrevolution realisiert werden. Es gibt keinen nationalen Weg, um nationale demokratische Rechte zu erreichen. Es gibt keinen nationalen Weg zur nationalen Gleichberechtigung oder Befreiung.“ [15]

Angesichts der enormen Veränderung der Weltsituation trat David North für eine Veränderung der Haltung des IKVI zum Slogan der „Selbstbestimmung“ ein. Er erklärte:

„Kommunalistische, ethnische und chauvinistische Bewegungen verbergen sich hinter demokratischer Phraseologie – dem Slogan der Selbstbestimmung, der nationalen Befreiung – während sie eine Politik verfolgen, deren ökonomischer Inhalt die erneute Versklavung der breiten Massen durch den Imperialismus bedeutet. Sie streben nicht nach nationaler Befreiung in dem Sinne, wie dieser Begriff in einer früheren historischen Periode verstanden worden ist, sondern danach, selbst die begrenzten Errungenschaften auszulöschen, die die Massen früher erreicht haben.“ [16]

Infolge der politischen und theoretischen Klärung, die im Verlauf der Diskussion erreicht wurde, entschied das IKVI, dass es, um für die Vereinigung der Arbeiter kämpfen zu können, eine kritische, ja feindselige Haltung gegenüber den verschiedenen nationalistischen Separatistenbewegungen einnehmen müsse. Solche Bewegungen rechtfertigten mit dem „Selbstbestimmungsrecht“ ihre Gründung separater bürgerlicher Staaten – die meist Zwergstaaten waren. Das beste Beispiel war die LTTE.

Das IKVI erläuterte:

"Die zentrale Frage ist hier, wie reagiert die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse auf den Zerfall der alten bürgerlich nationalistischen Bewegungen? Sollen die Massen in diesen Ländern ihre Interessen durch neue separatistische Bewegungen geltend machen, die sich auf Absplitterungen von diesen durch die Entkolonialisierung entstandenen Staaten und auf religiöser Kleinstaaterei gründen?

Wir lehnen eine solche Perspektive kategorisch ab. Solche Kleinstaaten weisen der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen in Indien oder wo auch immer keinen Weg vorwärts. Bestenfalls schaffen sie Profite für eine dünne Schicht der privilegierten Klassen, wenn diese in der Lage sind, Freihandelszonen zu schaffen und ihre eigenen Abkommen mit dem transnationalen Kapital zu schließen. Den Massen bieten sie nur die Aussicht auf ethnische Blutbäder und verstärkte Ausbeutung.“ [17]

Die RCL setzte seither ihre prinzipielle und mutige Opposition gegen den antitamilischen, rassistischen Krieg fort, den mehrere aufeinanderfolgende Regierungen in Colombo führten, und ebenso ihre Verteidigung der demokratischen Rechte der unterdrückten tamilischen Massen. Sie widersetzte sich jedoch dem separatistischen Programm der LTTE. Unermüdlich kämpft die Partei für die Vereinigung der Arbeiterklasse, der singhalesischen, tamilischen und auch muslimischen Arbeiter, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen und die Vereinigte Sozialistische Republik von Sri Lanka und Eelam zu gründen.

Anmerkungen:

[1] „Erklärung der Revolutionary Communist League“, 8. Dezember 1971, Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, Frühjahr 1987, S. 47

[2] „Brief der RCL an Cliff Slaughter“, 16. Dezember 1971, Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, Frühjahr 1987, S. 51

[3] AaO., S. 52–53

[4] „Der Kampf der Tamilen und der Verrat von Healy, Banda und Slaughter“, Vierte Internationale, Jg. 14, Nr. 1, Frühjahr 1987, S. 62

[5] „Die Situation in Sri Lanka und die politischen Aufgaben der Revolutionary Communist League“, Vierte Internationale, Jg. 15, Nr. 1, Frühjahr 1988, S. 25

[6] AaO., S. 27–28

[7] AaO., S. 26

[8] AaO., S. 28

[9] „Brief von David North an Wije Dias“, 27. Dezember 1988, Politische Chronologie des Internationalen Komitees der Vierten Internationale 1982–1991, S. 53–54

[10] Politische Chronologie des Internationalen Komitees der Vierten Internationale 1982–1991, S. 77

[11] David North, „Perspektiven und Aufgaben des IKVI. Die Permanente Revolution heute“, 13. Plenum des IKVI. Diskussion über die nationale Frage, 1.–7. Juni 1993, S. 3

[12] AaO., S. 4

[13] AaO., S. 6

[14] AaO., S. 23

[15] AaO., S. 14

[16] AaO., S. 36

[17] Globalisierung und internationale Arbeiterklasse: Eine marxistische Einschätzung, 1998, S. 80 (hier als PDF abrufbar)

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