Die Verfolgung von Julian Assange ist ein beschämender und erniedrigender Schauprozess, der einen unschuldigen Mann für die Aufdeckung der Verbrechen des US-Imperialismus seiner Freiheit und seines Lebens berauben soll. Falls dafür überhaupt ein weiterer Beweis nötig gewesen wäre, wurde dieser in der Anhörung am vergangenen Freitag erbracht.
Im Verlauf des stümperhaften Verfahrens wurde Assange zunächst nicht in den Videoraum gebracht, um ihm eine Beteiligung am Prozess zu ermöglichen. Darüber hinaus erschienen die US-Staatsanwälte nicht rechtzeitig zur Anhörung, weil sie die Uhrzeit falsch verstanden hatten. Nur fünf Beobachter wurden in den Gerichtssaal gelassen und alle Journalisten und Rechtsbeobachter, die die Anhörung aus der Ferne verfolgen wollten, wurden ausgeschlossen.
Assange, der berühmteste politische Gefangene der Welt, wird seit März ein Treffen mit seinen Anwälten verwehrt und er hat seitdem weder seine Familie noch seine kleinen Kinder gesehen.
Nur zwei Tage vor der Anhörung veröffentlichte das US-Justizministerium, geleitet von dem rechten autoritären Ideologen William Barr, eine vollkommen neue Anklageschrift gegen Assange, die dieser vor dem Prozess noch nicht einmal lesen konnte – ein ungeheuerlicher Vorfall.
„Die US-Regierung scheint die Anklageschrift jedes Mal ändern zu wollen, wenn das Gericht zusammentritt, ohne dass die Verteidigung oder Julian selbst die relevanten Dokumente zu Gesicht bekommen“, sagte WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson.
Weniger als 24 Stunden vor Beginn der letzten Anhörung und weniger als vier Wochen vor der Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens, unterzeichnete Barr einen neuen 33-seitigen Antrag, um Assange vom Vereinigten Königreich aus in die USA zu überstellen.
Das Urteil, auf das sich das neue Auslieferungsersuchen stützt, war bereits am 24. Juni verkündet worden. Doch die US-Staatsanwälte weigerten sich über den gesamten Zeitraum zwischen den Anhörungen vom 30. Juni und dem 28. Juli anzugeben, wann es in das britische Gerichtsverfahren eingebracht werden würde.
Das Auslieferungsersuchen wurde eingebracht, nachdem Assanges Juristenteam sämtliches Beweismaterial vorgelegt hatte. Die Verteidigung erklärte, dass eine Fortsetzung des Prozesses auf Grundlage der neuen Anklage die Prinzipien eines ordnungsgemäßen Verfahrens („due process“) verletze. Richterin Baraitser lehnte den Antrag der Verteidigung ab und gestattete ihr lediglich, einen Antrag auf Vertagung der Anhörung zu stellen.
Assanges Anwälte stehen nun vor der Wahl, entweder die fortgesetzte Sabotage des Falls ihres Mandanten hinzunehmen oder die Lebensgefahr, der er im Gefängnis ausgesetzt ist, um Monate zu verlängern.
Obwohl in britischen Strafanstalten das Coronavirus wütet, ist Assange weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert. Medizinische Experten, die ihn untersucht haben, berichten, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert und er im Gefängnis sterben könnte.
Die neue Anklageschrift weitet das Spektrum journalistischer Tätigkeiten, die als kriminell gebrandmarkt werden, massiv aus. Anfangs bestand die Anklage wegen „unbefugter Enthüllung von Verteidigungsinformationen“ in der „Veröffentlichung [von US-Protokollen des Afghanistan- und des Irak-Krieges sowie von Depeschen des Außenministeriums] im Internet“. Dies wurde nun um die „Weitergabe“ der Dokumente, beispielsweise an andere Medienunternehmen, erweitert.
Assanges Partner Sarah Harrison, Jacob Applebaum und der ehemalige WikiLeaks-Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg werden nun ebenfalls als „Mitverschwörer“ ins Visier genommen. Die Bemühungen, einem verfolgten Informanten (Edward Snowden) bei der Suche nach Asyl zu helfen oder seine Taten auch nur zu verteidigen, sollen ebenso kriminalisiert werden wie jedes noch so allgemeine Statement für die Transparenz von Regierungshandlungen.
Es besteht kein Zweifel, dass die US-Regierung während der gesamten Zeit, in der Julian Assange im Gefängnis isoliert und nicht in der Lage war, sich mit seinen Anwälten zu treffen, die Vorbereitung der Auslieferung vorangetrieben hat. Gleichzeitig dehnte sie den Wirkungsbereich ihrer Vendetta auf all jene aus, die WikiLeaks dabei geholfen haben, vor den Augen der Welt die Wahrheit zu enthüllen.
Julian Assange, dem 175 Jahre Haft drohen, hat US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt, die Zehntausende Menschenleben gefordert haben. Seine Verfolgung ist Teil der internationalen Bestrebungen der herrschenden Elite, Whistleblower, Journalisten und politische Dissidenten zu kriminalisieren.
Die staatliche Verschwörung gegen Julian Assange ist die Speerspitze einer anhaltenden Offensive gegen demokratische Rechte, die sich gegen die Arbeiterklasse richtet. In den Augen seiner Verfolger besteht Assanges Verbrechen darin, imperialistische Kriegsverbrechen und diplomatische Intrigen aufgedeckt und damit massenhafte Opposition auf der ganzen Welt ausgelöst zu haben.
Barr, der die neue Anklageschrift verfasst hatte, war sechs Tage zuvor bei Fox News aufgetreten, um unzählige von Trumps politischen Gegnern als „Revolutionäre“ und „Bolschewiken“ anzuprangern, deren Ziel es sei, „das System niederzureißen“. Mit diesen Worten bringt Barr die wahre Tragweite von Trumps Plänen zur Errichtung einer Präsidialdiktatur zum Ausdruck.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Diese Entwicklungen stellen für all die politischen Kräfte, die entweder geschwiegen oder die Verfolgung von Assange unterstützt haben, eine vernichtende Anklage dar. Dazu gehört auch die Demokratische Partei in den Vereinigten Staaten, die als Teil ihrer Anti-Russland-Kampagne im McCarthy-Stil den Angriff auf WikiLeaks angeführt hat. Die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten für die diesjährigen Wahlen, Joe Biden und Kamala Harris, sind beide seit langem an dieser reaktionären und antidemokratischen Vendetta beteiligt.
Die liberalen Medien, allen voran der Guardian und die New York Times, haben Assange den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Es ist bezeichnend, dass sich keine einzige große Nachrichtenorganisation in den USA die Mühe gemacht hat, über die gestrige Anhörung zu berichten. Auch keine der pseudolinken Publikationen wie The Nation oder die Zeitschrift Jacobin berichtete über den in London stattfindenden Angriff auf die Grundrechte.
Wie zu erwarten, haben die selbsternannten Sozialisten Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Alexandria Ocasio-Cortez und Rashida Tlaib über diese juristische Farce kein einziges Wort verloren.
Die gesamte pseudolinke Zunft trägt die politische Verantwortung dafür, dass die Trump-Regierung in den USA und die Johnson-Regierung im Vereinigten Königreich ihre gemeinsamen Bemühungen, Assange zum Schweigen zu bringen, fortsetzen konnten. Sie haben sich gegen Assange in Stellung gebracht und verbreiten die Lügen und Verleumdungen des Außenministeriums, des Pentagons und der CIA – darunter die inszenierten Vorwürfe aus Schweden, angebliche „redaktionelle Versäumnisse“ und andere Lügen.
Alle, die an der offiziellen Kampagne um Wikileaks beteiligt sind und die Verteidigung Assanges hinter Appellen an die Labor-„Linken“, Gewerkschaftsbürokraten und die Demokratische Partei in den Vereinigten Staaten – Assanges Hauptverfolger – zu kanalisieren versuchen, begehen einen politischen Betrug, der eine echte Bewegung für Assanges Freiheit verhindert.
Die World Socialist Web Site ruft die internationale Arbeiterklasse erneut dazu auf, Julian Assange zu verteidigen. Die Arbeiterklasse muss den grundlegenden Zusammenhang zwischen Assanges Verfolgung, der Verteidigung demokratischer Rechte und dem Kampf gegen den Abstieg des gesamten kapitalistischen Systems in Krieg und Barbarei deutlich machen.
Der Kampf für die Befreiung Assanges ist untrennbar mit der Mobilisierung einer politischen Massenbewegung verbunden, die den Kampf für Sozialismus und gegen imperialistischen Krieg, soziale Ungleichheit und diktatorische Herrschaftsformen aufnimmt.