Ex-CIA-Direktor Leon Panetta hat die Katze aus dem Sack gelassen. In einem Interview sagte er ausdrücklich, dass die USA den WikiLeaks-Verleger Julian Assange aus einem einzigen Grund strafrechtlich verfolgen möchten: um alle Whistleblowers und unbotmäßigen Verleger einzuschüchtern.
Panetta war CIA-Direktor von 2009 bis 2011, danach war er als Verteidigungsminister der Obama-Regierung tätig. Sein aufschlussreicher Kommentar wird in dem Dokumentarfilm "WikiLeaks - Die USA gegen Julian Assange" zitiert, die auf der ARD-Mediathek abgerufen werden kann.
Die Sendung stellt die zehnjährige US-Verfolgung von Assange überzeugend und objektiv dar. Sie beinhaltete eindringliche Interviews mit seinem Vater John Shipton, seiner Partnerin Stella Moris, den Anwälten von WikiLeaks, dem UN-Sonderbeauftragten für Folter Nils Melzer und dem berühmten Whistleblower Edward Snowden, der das Ausmaß der Überwachung durch die NSA aufgedeckt hatte.
Panettas Bemerkungen sind wohl das wichtigtse von allem. Sie bestätigen aus erster Hand den mafiösen Charakter der US-Verfolgung von Assange, die politisch motiviert ist und international gültige Gesetze missachtet. Panettas Kommentare sind nicht nur von politischer, sondern auch von juristischer Bedeutung. Sie widerlegen die Lügen des US-Justizministeriums, das den Auslieferungsversuch als einen rechtmäßigen, auf juristisch einwandfreien Normen beruhenden Vorgang darstellen möchte
Panettas Bemerkungen haben Beweiskraft, denn er war von Anfang an eng in die US-Kampagne, Assange zum Schweigen zu bringen, eingebunden. Panetta war jahrzehntelang hochrangiger Berater der Demokratischen Partei und ab 2010 Chef der CIA. Das war die Zeit, als die US-Regierung auf die Enthüllungen von WikiLeaks über ihre Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan reagierte, indem sie eine beispiellose Operation gegen Assange entfesselte und ihn als "Spion" oder "Hightech-Terroristen" denunzierte.
Zweifellos war Panetta an der Einrichtung eines "WikiLeaks-Kriegsraums" der Obama-Regierung beteiligt, der bis heute Hunderte von Militär- und Geheimdienstmitarbeitern beschäftigt und dessen einziger Zweck darin besteht, Assange zu "neutralisieren".
Man kann nur vermuten, an wievielen Plänen Panetta im Zusammenhang mit Intrigen und schmutzigen Tricks gegen den WikiLeaks-Gründer beteiligt war. Dazu gehört Hillary Clintons Welttournee 2010, um die Auswirkungen der Publikationen von Hunderttausenden US-Diplomatendepeschen zu neutralisieren und Regierungen weltweit gegen Assange einzunehmen, wie auch die vertraulichen Absprachen, die zur Bildung einer geheimen Großen Jury führten, mit dem einzigen Zweck, Assange vor Gericht zu stellen und zu verurteilen.
Mit anderen Worten: Panetta ist kein unbeteiligter Beobachter, sondern er ist direkt in das Geschehen involviert. Obwohl er die CIA Mitte 2011 verließ und zwei Jahre später auch das Amt des Verteidigungsministers niederlegte, so weiß man doch, dass niemand die Agentur je ganz verlässt. Die Macht der CIA beruht nicht nur auf einer riesigen Bürokratie und einem weltweiten Agentennetz, sondern auch auf einflussreichen Verbindungen, die über "pensionierte" Beamte und private Sicherheitsfirmen laufen. Panetta bleibt auch als Leiter des "Panetta Institute for Public Policy" eine prominente politische Figur.
So hat es Gewicht, wenn Panetta gegen Schluss des Videos erklärt: "Man kann nur hoffen, dass etwas gegen diese Leute getan wird, die so etwas veröffentlichen. Und dass man ein Exempel statuiert, damit andere nicht das gleiche tun."
Mit anderen Worten, die strafrechtliche Verfolgung von Assange ist ein politischer Akt, der Journalisten, die eine Veröffentlichung der Geheimnisse der amerikanischen Regierung in Erwägung ziehen, eine Warnung erteilen soll. Zu Beginn des Films bezeichnet Panetta die Veröffentlichung von "klassifiziertem" Material als "gewaltigen Verstoß gegen die Geheimhaltung von Staatsgeheimnissen". Er sagt: "Man veröffentlicht nicht einfach unverantwortliche Dinge, die unserer nationalen Sicherheit schaden."
Diese Aussagen zeigen, dass die US-Regierung die britischen Gerichte belügt. Nach dem bestehenden britisch-amerikanischen Auslieferungsvertrag kann eine Person nicht ausgeliefert werden, wenn es sich um eine politische Anklage handelt.
Seit der Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens in der vergangenen Woche haben britische Staatsanwälte, die das US-Justizministerium vertreten, abwechselnd behauptet, dass Assange wegen gewöhnlicher Straftaten im Zusammenhang mit Hacking und Spionage angeklagt sei, und dass die Anklage gegen ihn nichts mit der Pressefreiheit zu tun habe. Weiterhin haben sie die drohende Behauptung aufgestellt, dass die US-Regierung das Recht habe zu entscheiden, was Journalisten veröffentlichen dürfen und was nicht.
Panetta bezeichnet im Video Assange erneut als "Spion". Aber wie Edward Snowden bemerkt, war Assange ausschließlich damit beschäftigt, Dokumente entgegenzunehmen und zu veröffentlichen. Die Anklage ist ein Versuch, gängige journalistische Praktiken zu kriminalisieren, einschließlich der Kommunikation mit einer Quelle und dem Versuch, deren Identität zu schützen. Snowden fragt pointiert: "Wenn man sagt, Assange ist kein Journalist, er ist kein Herausgeber, WikiLeaks betreibt keinen Journalismus - dann muss man aber die Frage stellen, was ist Journalismus dann?"
Darüber hinaus zeigen Panettas abschließende Bemerkungen über die Absicht der Anklage deutlich, dass das Motiv für die Anklageerhebung darin besteht, gegen den Journalismus im weiteren Sinne vorzugehen.
Panettas Aussagen über Assange selbst unterstrichen den zutiefst rachsüchtigen Charakter der Anklage. Ohne auch nur zu versuchen, irgendwelche Beweise vorzulegen, sagte Panetta, Assange sei eine Person, die um Aufmerksamkeit zu erregen, sogar die eigene Großmutter verkaufen würde. Das ist nicht die Sprache der Justiz, sondern die Sprache einer Vendetta.
Die ARD-Sendung enthält auch ein Interview mit David Morales, einem ehemaligen spanischen Marineinfanteristen und Söldner. Als Leiter der Security Firma Undercover Global wird er beschuldigt, während seines Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft in London eine umfangreiche Spionageoperation gegen Assange geleitet zu haben.
Undercover Global war von den ecuadorianischen Behörden mit dem Sicherheitsmanagement in der Botschaft betraut. Ehemalige Mitarbeiter haben jedoch ausgesagt, dass Morales 2015 eine geheime Vereinbarung mit den US-Geheimdiensten getroffen hatte, in ihrem Auftrag jeden Aspekt von Assanges Leben zu observieren.
Die Operation, die sich bis März 2018 erstreckte, schloss offenbar die Installation von Kameras und Mikrofonen im gesamten Gebäude ein, nicht nur in den Konferenzräumen, sondern sogar auf der Damentoilette und anderswo. Das Material wurde dann Berichten zufolge auf einen Server hochgeladen, zu dem der US-Geheimdienst Zugang hatte.
Ein Teil des Materials hat seinen Weg in die Hände von Assanges Verteidiger-Team gefunden und wird in der ARD-Sendung vorgestellt. Assange und Moris sind auf einem hochauflösenden Video gut zu erkennen, und auch der Ton wurde aufgenommenman; man kann die Gespräche verstehen. Am bedeutsamsten ist, dass der Lauschangriff offenbar auch Gespräche zwischen Assange und seinen Anwälten betraf, was eine eklatante Verletzung des Anwaltsgeheimnisses darstellt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Im Film weist ein beunruhigter Morales die Anschuldigungen kurzerhand zurück, ohne eine Erklärung für die umfangreichen, öffentlich bekannten Beweise, die sie untermauern, zu liefern. Irgendwann fragen die ARD-Interviewer, für wen er gearbeitet habe. Morales antwortet. "Der Vertrag war mit dem Geheimdienst, mit dem Sekretariat des Geheimdienstes." Nach einer Pause fügt er ohne große Überzeugungskraft hinzu: "Die Anweisungen kamen vom Geheimdienst von Ecuador."
Gegen David Morales wird in Spanien ermittelt; er wird glaubwürdig beschuldigt, einen politischen Flüchtling für Geld unter Verletzung des Völkerrechts ausspioniert zu haben. Morales beklagt sich im Film kläglich darüber, dass interne Dokumente von Undercover Global, die ein ungünstiges Licht auf seine Aktivitäten werfen, doch "vertraulich" seien und nicht das Licht der Welt erblicken dürften.
Die Dementis werden von Panetta noch übertroffen. In der Haltung eines hohen Staatsbeamten, der es gewohnt ist, zu tun, was ihm gefällt, erklärt Panetta lachend auf die Behauptung, der US-Geheimdienst habe Assange über Undercover Global ausspioniert: "Das überrascht mich nicht. Ich meine, so läuft das. Im Geheimdienst-Geschäft geht es nun mal darum, so viele Infos wie möglich zu sammeln, egal wie. Und ich bin mir sicher, so lief das hier auch."
Panetta weiß, wovon er spricht. Das in Frage stehende Ausspionieren ging wahrscheinlich von derselben Agentur aus, die er zuvor geleitet hatte: der CIA.
Zwei weitere Punkte sind beachtenswert. Panetta, der den Demokraten nahesteht, befürwortet klar den Versuch der Trump-Regierung, Assange strafrechtlich zu verfolgen. Das zeigt einmal mehr den parteiübergreifenden Charakter des US-Feldzugs gegen WikiLeaks und den Journalismus schlechthin. Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass der offizielle Wahlkampf zwischen Republikanern und Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen im November dieses Jahres für Arbeiter keine Alternative bietet.
Zweitens deuten Panettas Bemerkungen zwar klar darauf hin, dass die Anklage in erster Linie als Bedrohung für dissidente Journalisten gedacht ist. Aber gleichzeitig ist die Warnung viel weiter gefasst. Es ist ein Versuch, inmitten einer immensen globalen Krise des Kapitalismus die Bedingungen für Schikanen und Komplotte zu schaffen, angesichts der weit verbreiteten Antikriegsstimmung und dem Wiederaufleben des Klassenkampfs. Diese Wende zum Autoritarismus richtet sich in erster Linie gegen die Arbeiterklasse.
Die Sendung schließt mit dem Edward Snowdens eindringlichem Appell: "Wir schaffen hier gerade einen Präzedenzfall, mit dem wir dann einhundert Jahre leben müssen. Egal, was man über Assange denkt, die Methoden, mit denen WikiLeaks arbeitet, haben Schule gemacht und den Journalismus verändert. Und wenn wir das nicht erkennen - und ich denke, das ist das Traurigste an dieser Sache - dann verdienen wir das wohl nicht. Das Ergebnis ist, dass wir es verlieren werden, gerade dann, wenn wir es am meisten brauchen."