Brasilien: Arbeiterpartei und Pseudolinke begrüßen Bidens Sieg, Bolsonaro schweigt

US-Präsident Donald Trump weigert sich noch immer, seine Wahlniederlage anzuerkennen, obwohl ihn am Samstag alle großen US-Medien zum Verlierer erklärt haben. Sein politischer Verbündeter in Brasilien, der faschistische Präsident Jair Bolsonaro, ist einer der wenigen führenden Politiker weltweit, die sich noch nicht zum Ergebnis der Wahl geäußert haben.

Am Samstag rief Bolsonaro seine Anhänger in einer unangekündigten Live-Übertragung in den sozialen Medien dazu auf, sich an den brasilianischen Kommunalwahlen zu beteiligen, die nächsten Sonntag beginnen. Ohne die USA direkt zu erwähnen, warnte er: „Sie sehen, wie es auf der Welt zugeht, wie es in der Weltpolitik zugeht.“ Als eindeutige Anspielung auf die Wahl von Luis Arce von der Movimiento al Socialismo (MAS) in Bolivien erklärte er: „Mehrere Länder [in Südamerika] färben sich wieder rot.“

Der brasilianische Vizepräsident, der General der Heeresreserve Hamilton Mourao, kommentierte am Montag Bolsonaros Schweigen zur US-Wahl. Er bekräftigte Trumps haltlose Vorwürfe über Wahlbetrug und erklärte: „Ich glaube, der Präsident [Bolsonaro] wartet noch auf das Ergebnis der Verwicklungen und Diskussionen darüber, ob es zu Wahlbetrug kam oder nicht, bevor er dazu Stellung bezieht… Und ich halte es für offensichtlich, dass der Präsident zu gegebener Zeit Grüße an den Wahlsieger übermitteln wird.“

Im Gegensatz zu Bolsonaro begrüßten andere führende Politiker wie Rodrigo Maia, der Präsident des Repräsentantenhauses und Angehöriger der rechten Demokraten, Bidens Sieg sofort. Maia erklärte im Namen des Repräsentantenhauses: „Joe Bidens Sieg bedeutet die Wiederherstellung der Werte einer wirklich liberalen Demokratie.“

Auch die führenden bürgerlichen Zeitungen des Landes feierten Bidens Sieg. Die konservative O Estado de S. Paulo erklärte in einem Leitartikel mit der Überschrift „Erleichterung“, es sei egal, ob Biden seine Versprechen hält. Laut Estado zählt nur, dass die meisten Amerikaner beschlossen haben, „einen traditionellen und erfahrenen Politiker mit der Aufgabe zu betrauen, das Land in dieser Stunde der schweren Krise zu führen“ und dass „diese wunderbare Botschaft überall auf der Welt gehört werden wird, vor allem in Ländern wie Brasilien, die von dem brutalen, von Trump inspirierten Populismus verwüstet wurden“.

Eine ähnliche Position nahm der ehemalige Präsident Fernando Henrique Cardoso (FHC) von der brasilianischen Sozialdemokratischen Partei (PSDB) ein, der ebenfalls ein zuverlässiges Sprachrohr für die Interessen der brasilianischen herrschenden Klasse ist: „In zweieinhalb Jahrhunderten hat noch kein amerikanischer Präsident versucht, dem Wahlprozess, einer der Grundlagen der Demokratie, die Legitimität zu entziehen. Der derzeitige Präsident hat es sogar systematisch und vorsätzlich getan. Seine Wiederwahl wäre daher ein großes Risiko für die Demokratie, und zwar nicht nur in den USA.“

Die Zeitung Folha de S. Paulo, das meistgelesene Blatt in Brasilien, schloss sich der reaktionären rassenbasierten Politik der Demokraten in den USA an und bezeichnete die Wahl von Kamala Harris zur Vizepräsidentin als „in vielerlei Hinsicht historisch“. Sie sei die „erste schwarze, indisch-amerikanische und asiatisch-amerikanische Frau... Absolventin einer afroamerikanischen Eliteuniversität... die ins Weiße Haus einzieht“. Weiter hieß es: „Kamalas Wahl zur Vizepräsidentin beweist, dass 2020 das Jahr der schwarzen Amerikanerinnen ist.“

Allerdings machte Folha in einem Leitartikel deutlich, worum es wirklich geht: Die Wahl von Biden und Harris, die als Repräsentanten von „Mäßigung, Dialog und vernünftiger Ausübung der Politik“ gelten, bedeute eine Weigerung der Demokratischen Partei, „den Rüpel auf der rechten Seite mit einer Radikalisierung nach links zu bekämpfen“ (womit Bernie Sanders gemeint war).

Die brasilianische herrschende Klasse äußert unverkennbar ihre Nervosität über die Destabilisierung des politischen Systems in den USA, dem Zentrum des Weltimperialismus, und dessen unweigerliche Folgen für die politische Krise in Brasilien. Es herrscht wachsende Furcht vor einer „Radikalisierung auf der Linken“, d.h. in der Arbeiterklasse, als Reaktion auf die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie und die Vertiefung der bereits zuvor unzumutbaren sozialen Ungleichheit, auf die staatliche Unterdrückung und die Angriffe auf demokratische Rechte.

Die angeblich „linke“ Opposition gegen die Bolsonaro-Regierung – die Arbeiterpartei (PT) und ihre pseudolinken kleinbürgerlichen Anhänger in der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) – teilen diese Positionen und haben Bidens Wahlsieg ebenfalls begeistert gefeiert.

Der ehemalige PT-Präsident Luís Inácio „Lula“ da Silva erklärte auf Twitter: „Die Welt seufzt vor Erleichterung, dass Biden gewonnen hat… Ich möchte die Hoffnung ausdrücken, dass er sich von den humanistischen Werten leiten lässt, die seinen Wahlkampf charakterisiert haben – nicht nur im Inneren, sondern auch bei seinen Beziehungen mit der Welt und Lateinamerika.“

Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff twitterte ebenfalls: „Bidens Sieg... stellt eine frische Brise dar für alle, die weltweit gegen die extreme Rechte, gegen Intoleranz und Hass kämpfen. Dass mit Kamala Harris erstmals eine Schwarze zur Vizepräsidentin der USA gewählt wurde, ist eine wichtige Tatsache.“

Biden hat in seinem Wahlkampf niemals „humanitäre Werte“ verteidigt. Vielmehr hat er die Unterdrückung der wachsenden Proteste im Inland befürwortet und ist international für eine aggressive imperialistische Politik eingetreten. Lula will vertuschen, dass Bidens politische Karriere von der Verfolgung der reaktionären Interessen des amerikanischen Imperialismus auf der Welt geprägt war, darunter auch in Lateinamerika. Als Vizepräsident unter Barack Obama war er mitverantwortlich für den Putsch gegen den gewählten honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya, sowie für die Einführung drakonischer Sanktionen gegen Venezuela.

Angesichts der US-Wahl begann die pseudolinke PSOL eine Kampagne mit dem Motto „Hoffnung wird gegen Autoritarismus siegen“, in der sie erklärt, Bidens Sieg sei der Anfang vom Ende Bolsonaros in Brasilien. Der Weg dorthin führe... über die Wahl ihrer Kandidaten zu Stadträten und Bürgermeistern! Diese opportunistische Position wird noch reaktionärer, wenn man berücksichtigt, dass die PSOL, genau wie die PT, Bolsonaro in der Kommunalwahl „bekämpfen“ will, indem sie mit Dutzenden von Kandidaten aus der Militärpolizei und den Streitkräften antritt.

Die „Resistance“, eine Tendenz innerhalb der PSOL, die vor Kurzem mit der morenistischen Vereinigten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSTU) gebrochen hat, veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Der König ist tot. Tod dem König!“ Darin verteidigte sie offen ein Bündnis mit einem Teil der amerikanischen imperialistischen Bourgeoisie: „Nach der Wahl, die glücklicherweise ohne Umschweife mit der Niederlage des Imperialismus endete, beginnt das nächste Stadium des Kampfs.“

Weiter heißt es in unverhohlenem kleinbürgerlichem Kretinismus: „Wenn bis heute die Feinde neben uns waren (!) – und ihr verführerischer Duft (!!!) und diskreter Charme ohne große Schwierigkeit wahrgenommen werden konnten – ab morgen muss eine sehr klare Linie – oder vielmehr eine schwarze, weibliche und vor allem klassenbezogene Linie – zwischen uns gezogen werden.“

Dass sowohl die PT als auch die PSOL den Einzug einer rechten US-Regierung unter Joe Biden feiern, die brutale Angriffe auf die Arbeiter in den USA und auf der ganzen Welt durchführen wird, entlarvt die wahren Klasseninteressen dieser Parteien, die sich als „linke“ oder sogar „sozialistische“ Alternativen inszenieren wollen.

Beträchtliche Teile der brasilianischen herrschenden Klasse sind zunehmend unzufrieden mit der Bolsonaro-Regierung – nicht wegen ihres brutalen Vorgehens gegen die Arbeiterklasse, das sie für absolut notwendig halten. Sie befürchten vielmehr, dass seine Provokationen unkontrollierbaren Massenwiderstand auslösen werden. Gleichzeitig versuchen die PT und die PSOL, sich als tragbare politische Alternativen darzustellen, um die kapitalistische Herrschaft in Brasilien zu verteidigen.

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