Die Rede von Donald Trump, die am Mittwochnachmittag auf seiner persönlichen Facebook-Seite veröffentlicht wurde, kommt einer Kriegserklärung an die amerikanische Demokratie gleich. Die Rede war ein kaum verhüllter Aufruf zu einem rechten Aufstand, um das Wahlergebnis zu kippen und einen Präsidenten im Weißen Haus zu halten, der von der amerikanischen Bevölkerung zurückgewiesen worden ist.
Trump bezeichnete die 46-minütige Hetzrede als „die wichtigste Rede, die ich je gehalten habe“. In ihr kamen alle betrügerischen Behauptungen über Wahlbetrug, die Manipulation von Stimmzetteln und den Einsatz von Computersoftware zum „Vertauschen“ von Stimmen vor, die von den Trump-Anwälten Rudy Giuliani, Jenna Ellis und Sidney Powell in den letzten drei Wochen erhoben wurden. Diese Anschuldigungen wurden von republikanischen und demokratischen Richtern in einem Bundesstaat verworfen, da sie ihnen angesichts der völligen Abwesenheit irgendeines Beweises vollkommen lächerlich erschienen.
Trump erklärte die Wahl im November für „gefälscht“ und verlangte, dass der Oberste Gerichtshof der USA eingreifen müsse. Der Supreme Court solle die Ergebnisse in allen umkämpften Bundesstaaten kippen, ihn zum Sieger erklären, ihm die Stimmen der Wahlmännern aus diesen Staaten zusprechen und ihm damit eine zweite Amtszeit als Präsident gewähren.
Der Hauptzweck der Rede, in der Trump die Demokratische Partei und die meisten Wahlleiter der Bundesstaaten als Kriminelle brandmarkt, bestand jedoch darin, Trumps ergebenste Anhänger zu gewalttätigen Angriffen gegen jeden aufzustacheln, den der Möchtegern-Führer im Weißen Haus im Visier hat. Trump prangerte diejenigen an, die „dem Präsidenten der Vereinigten Staaten schaden wollen“, und forderte, dass „etwas geschehen sollte“. Er fügte hinzu: „Diese unbeugsamen Interessen stehen unserer Bewegung entgegen, weil wir Amerika an die erste Stelle setzen.“
Die Sprache, in der die Rede gehalten ist, und ihre pauschale und antidemokratische Argumentationslinie lassen vermuten, dass sie von Stephen Miller geschrieben wurde, der bei Trumps Krieg gegen Immigranten die Speerspitze bildete – möglicherweise mit Unterstützung von Steve Bannon, Trumps ehemaligem politischen Spitzenberater. Miller und Bannon waren die führenden Verfechter einer Transformation der Republikanischen Partei in eine offen faschistische Bewegung, die Trump vorantreiben sollte. Er selbst sollte dabei, entweder innerhalb oder außerhalb des Weißen Hauses, als Anführer fungieren.
Repräsentanten des Weißen Hauses erklärten, dass Trump die Rede letzte Woche aufgezeichnet habe. Kurz darauf hatte Generalstaatsanwalt William Barr, einer von Trumps gehorsamsten politischen Dienern, am Dienstag in einem Interview eingeräumt: „Bis heute haben wir noch keinen Betrug in einem Ausmaß feststellen können, der in der Folge ein anderes Wahlergebnis hätte bewirken können“. Allein dieses Eingeständnis zeigt, dass Trump seine Rede auf den Grundsätzen von Hitler und Goebbels aufgebaut hat: je größer die Lüge, desto besser.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rede ist von Bedeutung. Sie kam kaum 24 Stunden nach einer Pressekonferenz, auf der ein hochrangiger Wahlleiter aus dem US-Bundesstaat Georgia, der seit langer Zeit als loyaler Republikaner bekannt ist, Trump persönlich für die zunehmenden Gewaltdrohungen verantwortlich machte – eine außergewöhnliche öffentliche Verurteilung des Präsidenten. Gabriel Sterling verwies auf einen Strick, der im Haus eines Wahlmitarbeiters für IT hinterlassen wurde, sowie auf Tausende Morddrohungen gegen Staatssekretär Brad Raffensperger, dessen Frau, Sterling selbst und viele andere, die an der Auszählung und Tabellierung der Stimmen im Staat beteiligt waren.
In seinem Kommentar machte Sterling Trump ausdrücklich dafür verantwortlich. „Mr. President, Sie haben weder diese Sprache noch diese Handlungen verurteilt“, sagte er. „Das muss aufhören.“ Außerdem prangerte er die beiden republikanischen Senatoren aus Georgia an, die Raffenspergers Rücktritt forderten und Trumps Angriff auf die Durchführung der Wahlen in Georgia unterstützten.
„Senatoren, Sie haben weder diese Sprache noch diese Handlungen verurteilt“, sagte er. „Hören Sie auf, Menschen zu möglichen Gewalttaten anzustiften.“ Sterling sagte, Trump habe die 16 Wahlmännerstimmen aus Georgia ganz offensichtlich verloren. Er liegt um etwa 13.000 Stimmen hinter Biden zurück, was zwei erneute Auszählungen der Stimmen bestätigt haben. Unterdessen erhielten beide republikanischen Senatoren keine Mehrheiten und werden nun in einer Stichwahl am 5. Januar auf ihre demokratischen Herausforderer treffen.
Sterling verurteilte zudem die Äußerungen von Joe diGenova, einem Anwalt der Trump-Wahlkampagne. Dieser hatte gefordert, der ehemalige Chef der US-Cybersicherheitsagentur, Christopher Krebs, solle „bei Sonnenaufgang erschossen“ werden, weil Krebs erklärt hatte, dass es bei der Abstimmung zu keinerlei erfolgreichen Hacker-Angriffen gekommen sei. „Jemand wird verletzt werden“, schloss Sterling. „Jemand wird erschossen werden. Jemand wird getötet werden.“
Vor dem Hintergrund dieser Kritik, die die Berichterstattung in den US-Medien im Nachgang der Wahl einen Tag lang dominierte, hat Trumps Facebook-Rede eine klare Bedeutung: Er schürt gezielt jene Gewalt, vor der Sterling und andere Politiker und Staatsbeamte gewarnt haben.
Unterdessen läuft ein Dialog zwischen dem Verbrecher im Weißen Haus und seinen gewalttätigsten und reaktionärsten Anhängern im Land. Am Dienstag veröffentlichte die ultrarechte Washington Times eine ganzseitige Anzeige, die von einer faschistischen Gruppe aus Ohio, der „We The People Convention“, gekauft wurde. Sie fordern Trump darin auf, das Kriegsrecht auszurufen und Neuwahlen unter Aufsicht des US-Militärs anzuordnen.
Die Anzeige geifert gegen eine „Bedrohung unserer Vereinigten Staaten durch die internationale und einheimische sozialistische/kommunistische Linke“, warnt vor der Existenz „gut finanzierter, bewaffneter und ausgebildeter Marxisten in ANTIFA und BLM, die strategisch in unseren Großstädten positioniert sind“, und prangert die Wahl als „korrupt und nachweislich von Betrug geprägt“ an.
Nicht nur willigte die Zeitung ein, diese wahnsinnige Tirade zu veröffentlichen – auch zwei Personen, die eng mit Trump identifiziert werden, gaben sofort per Twitter ihre Unterstützung für diesen Aufruf zur Verhängung des Kriegsrechts bekannt: der pensionierte General Michael Flynn, Trumps erster nationaler Sicherheitsberater, der erst letzte Woche von Trump begnadigt wurde, nachdem er sich des Meineids schuldig bekannt hatte; und Lin Wood, ein Anwalt, der die Trump-Wahlkampagnen in mehreren Bundesstaaten geleitet hat. Wood vertritt zudem Kyle Rittenhouse, der als Mitglied einer Pro-Trump-Bürgerwehr in Kenosha, Wisconsin, zwei Menschen erschossen hat, die gegen Polizeigewalt protestierten.
Sowohl Flynn als auch Wood erklärten, dass Amerika „auf einen Bürgerkrieg zusteuert“ und behaupteten, die Demokratische Partei stehe mit dem „kommunistischen China“ im Bunde, um die Trump-Regierung zu stürzen. Wood behauptete zudem, dass Brian Kemp, der republikanische Gouverneur von Georgia, „ein Verräter und ein Krimineller“ sei, der von China Schmiergelder erhalten habe, damit er Biden zum Wahlsieger erklärt.
Die Demokratische Partei und der Teil der Medien, der auf ihrer Seite steht, haben auf Trumps offene Kommentare, dass er die Wahl gewonnen habe und im Amt bleiben werde, mit Schweigen reagiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hatte die Biden-Kampagne noch keine Erklärung abgegeben. Das gleiche gilt für führende Politiker der Demokraten im Kongress wie die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, oder die Senatoren Chuck Schumer, Bernie Sanders und Elizabeth Warren. In den abendlichen Nachrichtensendungen wurde kaum oder gar nicht darüber berichtet, dass der Präsident der Vereinigten Staaten erklärt hatte, dass die Wahl, bei der er geschlagen wurde, ein Betrug war. Die Betreiber der Fernsehsender erklärten, Trumps Rede sei lediglich eine Neufassung der diskreditierten Behauptungen, die der Präsident bereits früher erhoben habe, und ohne große Bedeutung.
Das stimmt mit der Position überein, die Biden und die Demokraten eingenommen haben, nachdem faschistische Trump-Anhänger in Michigan verhaftet wurden. Sie hatten Vorbereitungen dafür getroffen, die demokratische Gouverneurin des Bundesstaates, Gretchen Whitmer, zu entführen und zu ermorden. Whitmer war zur Zielscheibe zahlreicher Trump-Angriffe geworden. Dazu gehörte u. a. ein Tweet, in dem er seine Anhänger aufforderte, Michigan aus dem von der Gouverneurin verhängten – aber längst aufgehobenen – Corona-Lockdown zu „befreien“.
Es sind nicht Trumps Drohungen mit Gewalt und Diktatur, die die Demokraten fürchten. Vielmehr treibt sie die Angst vor Massenaufständen der Bevölkerung um, die bei einem tatsächlichen Versuch Trumps, seinen lange angedrohten Wahlputsch durchzuführen, ausgelöst werden würden. Die Demokraten wissen sehr gut, dass Amerika ein soziales Pulverfass ist, mit einem tiefen Graben zwischen der sagenhaft reichen Finanzaristokratie, der sowohl die Demokraten als auch die Republikaner dienen, und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die ums Überleben kämpft.
Während Trump seine jüngsten Drohungen ausspricht, gerät die Corona-Pandemie infolge der mörderischen Politik der herrschenden Klasse außer Kontrolle. Die Zahl der täglichen Todesfälle nähert sich dem bisherigen Höchststand vom vergangenen Frühjahr. Die Krankenhäuser im ganzen Land sind überfüllt. Der Direktor der US-Seuchenbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Robert Redfield, warnte am Mittwoch, dass die nächsten Monate zu den schwersten „in der Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens dieses Landes“ zählen werden.
Vor zwei Wochen, lange nachdem die Fernsehsender und andere Medien Bidens Wahlsieg „ausgerufen“ hatten und der Demokrat damit begann, sein Kabinett und seinen Stab für das Weiße Haus zusammenzustellen, warnte die Socialist Equality Party in den USA:
Trump bleibt für weitere 65 Tage Präsident, an der Spitze der Exekutive in den Vereinigten Staaten, und die politische Situation kann sich in verschiedene Richtungen bewegen. Und wenn er seines Amtes enthoben wird, erzeugt Trump das Narrativ eines „Dolchstoßes“, das besagen soll, die Wahl sei unrechtmäßig gewesen und er bleibe der rechtmäßige Präsident.
Diese Warnung hat sich mehr als bestätigt, nicht nur durch Trumps faschistische Facebook-Rede, sondern zudem durch seine Umbesetzung der Pentagon-Führung, um die US-Streitkräfte unter die Leitung seiner persönlichen Loyalisten zu stellen, und durch seine Bemühungen, eine internationale Krise – wie einen Krieg mit dem Iran – auszulösen, die als Vorwand für die Verhängung des Ausnahmezustands im eigenen Land und die Entfesselung von Massenrepressionen dienen könnte.
Die zentrale Aufgabe bleibt: Die Arbeiterklasse muss in diese Krise, die in der amerikanischen herrschenden Klasse tobt, als unabhängige politische Kraft eingreifen. Arbeiter und junge Menschen können sich nicht eine Sekunde lang auf die Opposition gegen Trump verlassen, die von einer Demokratischen Partei ausgeht, die ein durch und durch reaktionäres Instrument der Finanzoligarchie ist. Die Arbeiterklasse muss sich den Verschwörungen des Weißen Hauses unter Trump und dessen faschistischen Schlägertrupps mit den Methoden des Klassenkampfes und mit einem politischen Kampf für den Sozialismus entgegenstellen.