Unabhängiges WHO-Gremium deckt massive globale Ungleichheit bei Reaktion auf Covid-19 auf

Der Tag der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden schien eine unausgesprochene Aufforderung für die Welt zu sein, endlich erleichtert aufatmen zu können. Jedoch starben allein am besagten 20. Januar weltweit 17.350 Menschen an Covid-19 – so viele wie nie zuvor innerhalb von 24 Stunden. In den USA forderte das Virus an diesem Tag weitere 4.385 Menschenleben und die Gesamtzahl der landesweiten Todesopfer wird vermutlich in weniger als einem Monat die Marke von einer halben Million überschreiten.

Der Vorstand der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befasste sich diese Woche bei seiner 148. Sitzung mit dem zweiten Bericht über die Fortschritte bei der Pandemiebekämpfung. Dieser wurde am 6. Januar von seinem unabhängigen Gremium, dem Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response, verfasst. Der Bericht bildet die Grundlage für das einwöchige Treffen und dient dazu, Lehren aus der globalen Reaktion auf die Pandemie zu ziehen. Zudem sollen Resolutionen formuliert werden, um die Defizite zu beheben, die durch die Pandemie sichtbar wurden.

Das Logo der Weltgesundheitsorganisation

Der Bericht ist eine umfassende Anklage gegen die weltweite Reaktion auf eine Pandemie, die vorhersehbar war und auch vorhergesagt wurde. Doch trotz zahlreicher Warnungen haben die reichen Länder und ihre führenden Politiker den Schutz ihrer nationalen Finanzinstitute und Interessen über das Wohlergehen der Bevölkerung und des Planeten gestellt. Was dem Bericht jedoch fehlt, ist die dringend nötige marxistische Analyse zur wissenschaftlichen Erklärung für die Unzulänglichkeiten, die fast 100 Millionen Infektionen und mehr als zwei Millionen Todesopfer gefordert haben.

In einem der ersten wichtigen Punkte des Berichts heißt es, dass weiterhin ein Mangel an umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besteht. Dazu zählen die frühe Erkennung von Infektionen, eine umfassende Kontaktverfolgung, Isolationsmaßnahmen, physische Distanzierung, Hygiene sowie die Einschränkungen der Reise- und Versammlungsfreiheit. Diese Schritte sind unumgänglich, um das anhaltende und untragbar hohe Ausmaß von Ansteckungen, Erkrankungen und Todesfällen einzudämmen, die trotz bereits erfolgter erster Impfungen weiterhin einen schrecklichen Tribut fordern.

Die Pandemie hat die Ungleichheiten zwischen und in den Staaten offenbart und verschärft. Das Gremium kam zu dem Schluss, dass „gefährdete und am Existenzminimum lebende Menschen“ in mehreren Ländern keinen Zugang zu medizinischen Grundleistungen und entsprechender Versorgung haben. Beim Zugang zu Diagnostik, Therapeutika wie Sauerstoff und notwendigen Versorgungsgütern werden einkommensstarke Länder bevorzugt. Als weitere Auswirkung der Pandemie wurde der Impfstoffnationalismus genannt.

In dem Bericht heißt es dazu: „Wir dürfen nicht zulassen, dass einkommensstarke Länder 100 Prozent der Bevölkerung impfen können, während ärmere Länder nur 20 Prozent versorgen können. ... Covid-19 ging nicht von den ärmsten Ländern aus, aber sie leiden am meisten unter den Kollateralschäden und brauchen verstärkte Solidarität und Unterstützung von der internationalen Staatengemeinschaft.“

Das globale Pandemie-Alarmsystem ist in seiner derzeitigen Form unbrauchbar und schädlich. Das Gremium fordert daher, ein „System mit verteilten Informationen“ zu schaffen. Auf diese Weise sollen Krankenhäuser und Labore mit Echtzeit-Daten und Entscheidungstools ausgestattet werden, die es ihnen ermöglichen, Informationen über Krankheitserreger mit Pandemie-Risiko umgehend zu erfassen, damit innerhalb von Tagen, und nicht erst nach Wochen Gegenmaßnahmen erfolgen können. Dies erfordert jedoch eine politische Initiative der Staaten, „sich zu verpflichten, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, sobald ein Alarm ausgelöst wird“.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Erfahrungen früherer Pandemien und die daraus gewonnenen Handlungsempfehlungen nicht vollständig umgesetzt wurden: „Die existenziellen Risiken einer Pandemie für die Menschheit und ihr Platz in der Zukunft des Planeten wurden von keiner Stelle ernst genommen.“ Außerdem weisen sie darauf hin, dass die WHO „nicht genug Mittel hatte, um ihren Auftrag zu erfüllen“. Unterfinanzierung und fehlende materielle Unterstützung hat die Fähigkeit der WHO beeinträchtigt, entsprechendes Personal und Material zur Eindämmung in einzelnen Gebieten einzusetzen. Die zunehmenden geopolitischen Spannungen schmälern den sozialen Zusammenhalt und untergraben eine koordinierte und kooperative Reaktion sowie „das Pandemie-Alarmsystem und die Maßnahmen zur Eindämmung von Ausbrüchen“.

Doch statt auf die umfassende Kritik des Berichts einzugehen, konzentrierte sich die bürgerliche Presse in den USA auf zweitrangige Inhalte der 34-seitigen Erklärung; darunter Verzögerungen bei der anfänglichen Reaktion auf den Ausbruch in Wuhan durch die chinesische Regierung und die WHO. Die Mainstream-Medien folgen damit nationalistisch motivierten Bestrebungen, die Verantwortung für die Folgen der Pandemie auf andere Staaten abzuwälzen.

Ein Beitrag des Nachrichtensenders CNN über den Bericht beginnt mit den Worten: „China und die WHO hätten schneller und entschlossener reagieren können, um den Beginn der Covid-Pandemie einzudämmen.“ Die New York Times ging zwar auf einige wichtige Punkte des Berichts ein, erklärte jedoch die WHO, China und die Trump-Regierung zu den Sündenböcken und ignorierte ihre eigene Komplizenschaft bei der Umsetzung der Herdenimmunitäts- und Schulöffnungs-Politik.

Der Bericht macht das grundlegende Versagen der einkommensstarken Länder und ihrer Regierungen für Mängel in der Reaktion der WHO verantwortlich. So heißt es, das fehlende Vertrauen einiger „Mitgliedsstaaten“ in die WHO gehe auf tiefe Spaltungen in den internationalen Beziehungen zurück, die in den letzten Jahren zutage getreten sind.

Das Prinzip des Internationalismus, das von sozialen Bedürfnissen statt individuellem Profitstreben ausgeht, könnte einer globalen Institution wie der WHO die notwendige politische Stabilität verleihen, um einen weltweiten Notstand ausrufen und eine angemessene internationale Reaktion umsetzen zu können. Die Pandemie hat im Negativen gezeigt, welche Gefahren der Welt drohen, wenn sie nicht nach internationalen sozialistischen Prinzipien organisiert wird.

Doch die WHO ist nun einmal eine bürgerliche Institution und kann nur eine beratende Rolle spielen. Als sie vor einem Jahr einen internationalen Gesundheitsnotstand ausrief, beachteten nur wenige Staaten die Warnung und ergriffen öffentliche Gesundheitsmaßnahmen, die der Gefahr angemessenen waren.

Dazu heißt es: „Das Gremium stellt mit tiefer Sorge fest, dass trotz der Warnungen notwendige Maßnahmen nicht umgesetzt wurden und die Welt damit einer großen Gefahr ausgesetzt wurde. Die Corona-Pandemie ist der offenkundige Beweis dafür. Das unabhängige Gremium will keinen weiteren Bericht veröffentlichen, der im Regal verstaubt und Historiker vor die Frage stellt, was passiert wäre, wenn seine Empfehlungen umgesetzt worden wären.“

Das Gremium lobt insbesondere Pflegekräfte und die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich in der Pandemie Herkulesaufgaben gestellt sowie ihre Existenzgrundlage und ihr Leben riskiert haben, um „Ideen zur Reorganisation von Krankenhäusern, Pflegediensten, der Betreuung von Covid-19-Patienten und dem Informationsaustausch einzubringen und zu organisieren. Dazu zählt zunehmend auch, ein System zur Impfstoffauslieferung aufzubauen und mit Personal auszustatten“. Diese Leistungen wurden erbracht, obwohl weltweit sechs Millionen Pflegekräfte fehlen.

Allerdings wurde in der Presse kaum über diese unverzichtbare Arbeit berichtet. Das Gremium weist darauf hin, dass seit Oktober mehr als 1.500 Pflegekräfte gestorben sind – die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher – und dass 70 Prozent der nationalen Berufsverbände von Pflegekräften „von einem hohen Grad an psychischer Belastung, körperlicher Erschöpfung, verbalen und physischen Angriffen und Diskriminierung“ berichten.

Den Tribut, den die Pandemie von anderen Gesundheitsbereichen gefordert hat, ist astronomisch. Von 105 Ländern, die in der Studie untersucht wurden, meldeten 90 Prozent Beeinträchtigungen im Gesundheitswesen. Den Großteil dieser Last tragen Länder mit niedrigem Einkommen und am unteren Ende des mittleren Einkommens. Laut der Weltbank ist das globale BIP um sieben Prozent bzw. sechs Billionen US-Dollar gesunken. Es überrascht nicht, dass die Länder, die strenge Gesundheitsmaßnahmen umgesetzt haben, wirtschaftlich besser dastehen und weniger Infizierte und Todesfälle melden.

Die Autoren des Berichts schreiben weiter: „Während sich das Gremium darüber bewusst ist, dass die Pandemie noch andauert und langfristige Trends hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen noch nicht endgültig absehbar sind, liegen dennoch bereits ausreichende Beweise vor, dass die Volkswirtschaften, die strenge Einschränkungen eingeführt haben, nicht schlechter abschneiden als jene, die diese Maßnahmen nicht umsetzen, und dass damit außerdem deutlich mehr Tote und Erkrankte vermieden werden können.“

Eine von Präsident Bidens ersten Amtshandlungen war die Unterzeichnung eines Dekrets, das den Austritt der USA aus der WHO rückgängig machte. Auch eine Maskenpflicht in Bundesgebäuden wurde angeordnet. Dr. Anthony Fauci hielt am Donnerstag eine Rede vor der Leitung der WHO. Er befürwortete die Gesundheitsmaßnahmen der Weltgesundheitsorganisation und erklärte: „Die USA sind bereit, partnerschaftlich und solidarisch mit der WHO zusammenzuarbeiten, um die internationale Reaktion auf Covid-19 zu unterstützen, seine Auswirkungen auf die Welt zu verringern, unsere Institutionen zu stärken, die Vorbereitung auf künftige Epidemien auszubauen und die Gesundheit und das Wohlergehen aller Menschen der Welt zu verbessern.“

Doch jenseits dieser Rhetorik sind die USA mit einer unkontrollierbaren Wirtschaftskrise konfrontiert, die nur durch die Bereitstellung von massiven Geldsummen durch die Federal Reserve und internationalen Banken vorübergehend verborgen bleibt. Die massive Anhäufung von Schulden wird zu härteren Sparmaßnahmen und autoritären Herrschaftsmethoden führen. Die Pandemie ist nicht zufällig auf der Weltbühne erschienen. Es war allgemein bekannt, dass es früher oder später zu einer solchen Pandemie kommen würde. Die Frage war nur, wann. Die Reaktion darauf war ein Nebenprodukt des veralteten Nationalstaatensystems, organisiert unter dem Kapitalismus. Der zweite Bericht des Gremiums der WHO verdeutlicht, dass eine sozialistische Umgestaltung der weltweiten Ressourcen dringend notwendig ist.

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