Impfdebakel: Profit geht vor Gesundheit und Leben

Über 58.000 Menschen sind bisher in Deutschland an Covid-19 gestorben, und jeden Tag kommen nahezu tausend hinzu. Mehr als 2,2 Millionen Menschen haben sich bisher mit dem Coronavirus infiziert; weltweit sind es weit über hundert Millionen. Dennoch setzen die Regierungen von Bund und Ländern ihre gefährliche Durchseuchungsstrategie fort.

Nun, da es Impfstoffe gibt, ist es umso dringender, die Übertragung des Virus so lange durch strenge Pandemiemaßnahmen zu verhindern, bis die erforderliche Mindestanzahl von Menschen geimpft ist. Dies schlagen Wissenschaftler seit langem vor. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) kämpft als einzige politische Partei dafür. Am Montagabend erläuterten ihre Vertreter in einer Online-Veranstaltung der IYSSE, warum dies ein sozialistisches Programm erfordert.

Corona-Impfstoff

Die Politiker, die in Bund und Ländern an der Regierung sind, haben die Versorgung mit Impfstoff ausschließlich privaten Konzernen der Pharmaindustrie überlassen. Wie bei den Schutzmaßnahmen, wo sie sich strikt weigern, nicht lebenswichtige Betriebe, Schulen und Kitas vollständig stillzulegen, stellen sie auch hier den privaten Profit über die Gesundheit und das Leben der Menschen.

Die Pharmakonzerne machen mit der Corona-Krise gewaltige Gewinne. So rechnet die deutsche Firma Biontech, die den ersten im Westen zugelassenen Impfstoff auf den Markt gebracht hat, in diesem Jahr mit einem Vorsteuergewinn von 4,4 Milliarden bei einem Umsatz von 6,5 Milliarden Euro – eine Umsatzrendite von 68 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen bei einem Umsatz von 500 Millionen noch 270 Millionen Verlust gemacht. Der Börsenwert hat sich entsprechend auf 27 Milliarden Dollar verdreifacht.

Auch das US-Unternehmen Pfizer, das den Impfstoff gemeinsam mit Biontech vertreibt, rechnet mit einem Geldregen. Es hat sein Umsatzziel für 2021 auf 60 Milliarden Dollar erhöht, 18 Milliarden mehr als im Vorjahr. Ein Viertel des Gesamtumsatzes soll der Corona-Impfstoff bringen.

Das 2010 gegründete US-Unternehmen Moderna, dessen Impfstoff ebenfalls zugelassen wurde, hatte 2019 noch einen Umsatz von 60 Millionen Dollar erzielt. Nun rechnet es mit einem Umsatz von 13,2 Milliarden und ist an der Börse 62 Milliarden Dollar wert.

Die Pharmakonzerne haben im vergangenen Jahr mit der US-Regierung, der Europäischen Union und anderen Regierungen lukrative Lieferverträge abgeschlossen und gleichzeitig hohe Fördergelder erhalten, um den Impfstoff zu entwickeln und die nötigen Produktionskapazitäten aufzubauen. So erhielt Pfizer Fördergelder in Höhe von 1,95 Milliarden und Moderna von 955 Millionen Dollar. Die deutschen Firmen Biontech, CureVac und IDT Biologika kassierten insgesamt 750 Millionen Euro Fördergelder.

Doch obwohl die Lieferverträge vor über einem Jahr abgeschlossen wurden, unterließen sie es offenbar, die erforderlichen Produktionskapazitäten aufzubauen. Als Folge treffen die vereinbarten Mengen an Impfdosen nicht ein. In Deutschland stehen deshalb seit Mitte Dezember über 500 Impfzentren nahezu leer.

Der Impfgipfel der Bundes- und Länderregierungen vom Montag, den 1. Februar, hat an dieser Situation nichts geändert. Die Regierungen und die EU weigern sich strikt, die Profitinteressen der Pharmakonzerne anzutasten, indem sie z.B. den Patentschutz aufheben, so dass mehr produziert werden kann. Eine Aufhebung des Patentschutzes käme nicht in Frage. „Zwangslizenzen machen wenig Sinn“, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

So droht der Wettlauf zwischen der Immunisierung der Bevölkerung und der Ausbreitung aggressiverer Virus-Mutanten verloren zu gehen – mit verheerenden Folgen.

„Wunder werden nicht geschehen“, kommentierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der Pressekonferenz am Montagabend lapidar. Gesundheitsminister Spahn kündigte „harte Wochen der Knappheit“ an, die „ein anderes Erwartungs-Management“ erforderlich machten; soll heißen: „Lasst alle Hoffnung fahren.“ Anstatt die Pharmakonzerne zu kritisieren, müsse man ihnen eher „Dankeschön“ sagen, denn: „Sie wollen tatsächlich einen Unterschied für uns machen“, so Spahn in den Tagesthemen am Montagabend.

Merkel wiederholte ihr Versprechen: „Bis zum Ende des Sommers wird jedem Bundesbürger ein Impfangebot gemacht.“ Als Termin nannte sie den 21. September, fünf Tage vor der Bundestagswahl. Gleichzeitig musste sie auf Nachfrage einräumen, dass bis Anfang April keine zehn Millionen Menschen geimpft werden können. Die Bundesrepublik hat mehr als 83 Millionen Einwohner.

Die für das erste Quartal zugesagten Mengen an Impfdosen setzen sich zusammen aus knapp 11 Millionen von Biontech/Pfizer, 1,8 Millionen von Moderna und 5,6 Millionen von AstraZeneca. In der Summe sind das, wenn sie denn wirklich eintreffen, nur 18,4 Millionen Dosen Impfstoff. Und weil pro Person zwei Dosen notwendig sind, reichen sie gerade einmal für gut neun Millionen Menschen.

Dazu der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Im ersten Quartal gibt es nicht mehr an Impfstoff, das steht fest.“ Der Gipfel habe „Klarheit und Ernüchterung“ gebracht, kommentierte Söder am Dienstagmorgen. „Damit muss man jetzt leben.“

Im November hatten die Landkreise mit der Einrichtung der Impfzentren in großen Messe- und Sporthallen begonnen, und zahlreiche Ärzte, Pfleger und Schwestern als freiwillige Impfhelfer verpflichtet. Am 27. Dezember sollte die Impfkampagne beginnen. Fünf Wochen später stehen die Zentren auch Anfang Februar noch immer leer. Viele Tausende Senioren warten weiter und versuchen verzweifelt, telefonisch oder digital einen Impftermin zu erhalten.

Der Unmut darüber hat die sozialen Spannungen weiter verschärft. Es gebe „zu viele Gräben“, warnte die Süddeutsche Zeitung. „Und womöglich kommt noch ein besonders gefährlicher dazu.“ Die Krise könnte „den gefährlichsten Graben“ aufreißen, nämlich den Graben „zwischen Regierenden und Regierten“.

Darauf antworten Medien und Politik mit einer nationalistischen Kampagne, die Wasser auf die Mühlen der rechten Corona-Verweigerer ist und der AfD Auftrieb verschafft. Sie kombinieren die riskante Forderung nach Öffnung von Wirtschaft und Schulen mit dem Ruf: „Deutschland first“. Sie werfen der Bundesregierung vor, dass sie den Impfstoff über die EU – und nicht im nationalen Alleingang – geordert habe.

So sagte CDU-Landrat Stephan Pusch aus Heinsberg: „Zu glauben, beim Impfstoff werde die Staatengemeinschaft schiedlich, friedlich teilen, war naiv.“ In der Frankfurter Rundschau schreibt Damir Fras in einem Kommentar über „Europas Krankheit“: „Es stellt sich nun heraus, dass die Entscheidung falsch war, die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten über die individuellen Spielräume für die einzelnen Regierungen zu stellen.“ Vor allem der Streit um ausgebliebene Lieferungen von AstraZeneca hat zu erbitterten Konflikten zwischen der EU und der britischen Regierung geführt.

Wenn die Bundesregierung in die Belange der Wirtschaft eingreift, dann höchstens, um dafür zu sorgen, dass weitere Konzerne am Corona-Goldrausch teilnehmen können. So fädelte sie eine Zusammenarbeit zwischen dem Chemie- und Pharmariesen Bayer und dem biopharmazeutischen Unternehmen CureVac ein, das einen eigenen Impfstoff entwickelt hat, um die deutschen Produktions- und Entwicklungskapazitäten zu steigern. Das wird laut Gesundheitsminister Spahn allerdings erst Anfang 2022 – also in einem Jahr! – der Fall sein. „Wir werden Impfstoffe benötigen, auch über den Sommer hinaus“, sagte er dazu.

Während sich die Impfungen verzögern, werden die Stimmen immer lauter, die eine sofortige Öffnung von Schulen, Kitas und Betrieben fordern. Am Wochenende forderte zum Beispiel Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), Kitas nur noch dann zu schließen, wenn in einem Landkreis die Sieben-Tages-Inzidenz über 200 liege.

Dabei zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die neuen, noch ansteckenderen Virus-Mutanten aus Großbritannien, Südafrika oder Brasilien sich bereits fast ungehindert ausbreiten. Wie am Montag berichtet wurde, sind schon 21 Kliniken und Krankenhäuser geschlossen, weil sich dort Ausbrüche mit solchen hochansteckenden Viren ereignet haben.

In den benachbarten Niederlanden wurde bis zum 26. Januar schon die Hälfte aller Corona-Neuinfektionen auf die in Großbritannien entdeckte Mutante B.1.1.7 zurückgeführt. In Japan wird gerade der Ausnahmezustand verlängert, und Australien hat am Sonntagabend auf einen einzigen neuen Coronafall der Variante B.1.1.7 reagiert, indem die Millionenstadt Perth und umliegende Regionen für fünf Tage völlig abgeriegelt wurden.

Immer öfter ergreifen Schüler, Lehrer, Erzieher und Arbeiter inzwischen selbst die Initiative und nehmen den Pandemieschutz in die eigene Hand. In Nürnberg verweigern seit dieser Woche die Abiturienten an sieben Schulen den Präsenzunterricht. In einer Petition auf Change.org schreiben sie im Namen von 50.000 Schülern der bayerischen Fach- und Berufsoberschulen, die in diesem Jahr das Abitur schreiben, dass sie sich „vergessen, außer Acht gelassen und vor allem wahnsinnig benachteiligt“ vorkommen. Die Petition hat in den ersten zwei Tagen schon 7500 Unterschriften erreicht.

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