Arbeitskampf bei WISAG: Wie die EU die Bodendienste deregulierte

Seit fast drei Monaten kämpft eine Gruppe von Bodenarbeitern am Frankfurter Flughafen gegen ihre Entlassung durch den Dienstleister WISAG. Einen achttägigen Hungerstreik Ende Februar, Anfang März haben die Medien praktisch totgeschwiegen. Erst am 5. März, nach Ende des Hungerstreiks, tauchten erste Berichte darüber in der Frankfurter Rundschau oder der Frankfurter Neuen Presse auf.

WISAG-Arbeiter im Hungerstreik (Foto: WSWS)

Darin kommt auch Michael Dietrich, Geschäftsführer der WISAG Ground Service Frankfurt, zu Wort. Laut ihm sei der Hungerstreik „maßlos und verantwortungslos“, die Kündigung der Arbeiter dagegen „rechtmäßig“ und „notwendig“, auch wenn diese schon zehnmal so lange am Frankfurter Flughafen tätig sind wie WISAG selbst. Ihr Hungerstreik sei laut Dietrich „völlig unverhältnismäßig“ und „kein geeignetes Mittel“, um „ein Unternehmen von einem grundsätzlich rechtmäßigen Handeln“ abzuhalten.

Ein „grundsätzlich rechtmäßiges Handeln“? Das erscheint absurd. Der Konzern schmeißt die 230 erfahrensten Bodenarbeiter vor die Tür, um Lohnkosten planmäßig zu senken. In seiner „unternehmerischen Weichenstellung und Strategie“ vom 11. August 2020 gibt das Management bekannt, dass es am Flughafen künftig nur noch 60 Prozent der Arbeitskräfte dauerhaft einstellen will. Zum Ausgleich will es auch nach Ende der Pandemie in seinen zwei Bodendienst-Unternehmen, WISAG Ground Services (WGS) und WISAG Passage Services (WPaS), auf Leiharbeiter setzen. Genau diese Strategie wird jetzt gnadenlos durchgesetzt.

Tatsächlich hat die Millionärsfamilie Wisser dabei die Regierungsparteien und die Europäische Union hinter sich. Letztere hat seit den 1980er Jahren systematisch die Deregulierung des Luftverkehrs und seit Mitte der 1990er Jahre auch der Bodendienste vorangetrieben. Sie hat Richtlinien erlassen, die es den Luftfahrtgesellschaften und ihren Dienstleistern erlauben, die Arbeiter im Namen des „freien Wettbewerbs“ rücksichtslos auszubeuten.

Das Ganze begann im August 1981 in den USA. 14.000 Fluglotsen streikten dort gegen niedrige Löhne und unerträgliche Arbeitsbedingungen. Der reaktionäre Präsident Ronald Reagan beschloss, ein Exempel zu statuieren. Er entließ sämtliche Fluglotsen und zerschlug ihre Gewerkschaft Patco. Reagan konnte sich durchsetzen, weil die großen Gewerkschaften die Fluglotsen isolierten und ihren Streik sabotierten.

Danach kannten die Angriffe kein Halten mehr. Der gesamte Flugverkehr wurde dereguliert. Hatten bisher einige große, in Europa meist staatliche Airlines den Flugverkehr dominiert, die relativ gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze boten, schlug nun die Stunde der Billiganbieter. Deren Phantasie kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, die Löhne zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.

Die Europäische Union folgte nach. Mit der Annahme der „Einheitlichen Europäischen Akte“ begann 1986 ein Prozess, der die alte Struktur aufbrach und schrittweise einen „wettbewerbsfähigen europäischen Luftverkehrsbinnenmarkt“ hervorbrachte. Die Stunde der O’Leary‘s (Ryanair) hatte geschlagen. Der Wettbewerb wurde auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Aus dem einstigen Traumjob des Piloten und des Kabinenpersonals wurde ein Alptraum.

Die staatlichen Airlines taten dasselbe. Viele konnten dem Wettbewerbsdruck nicht standhalten und wurden zerschlagen. Andere, wie Lufthansa, gründeten ihre eigenen Billigfluglinien.

1996 waren dann auch die Bodendienste an der Reihe. Diese waren bisher in Europa von den Flughafengesellschaften selbst betrieben worden, was zur Folge hatte, dass es einheitliche Verträge mit anständiger Bezahlung und sozialer Absicherung gab.

Doch die EU befand, dies sei ein ungerechtfertigtes „Monopol“ für die Flughafenbetreiber und diese müssten private Wettbewerber zulassen. Am 15. Oktober 1996 erließ der Europäische Rat die Richtlinie 96/67/EG, die unabhängigen Drittabfertigern freien Marktzugang im Bereich der Bodenabfertigungsdienste garantierte. Sie wurde seither mehrfach verschärft. Im Zuge von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung wurden die Flughäfen verpflichtet, die jeweils billigsten Anbieter am Markt zu berücksichtigen.

Auf der Strecke blieben dabei die Interessen der Beschäftigten. Durch die Lockerung der Tarifgestaltung wurden ihre Rechte, Löhne, Errungenschaften und sicheren Schutzbestimmungen Schritt für Schritt liquidiert. An den Flughäfen hielten immer neue Tochterfirmen und Subunternehmen Einzug und setzten die Arbeiter unter Druck.

Die SPD-Grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer sorgte mit ihrer „Agenda 2010“ dafür, dass alle gesetzlichen Hindernisse beiseite geräumt wurden, die dem unbeschränkten Einsatz von Zeitarbeit, Leiharbeit und anderen Formen der Niedriglohnarbeit im Wege standen.

Und was taten die Gewerkschaften? Die Antwort ist einfach: Sie waren aktiv an der Zerstörung beteiligt. Sie verzichteten nicht nur auf jeglichen Widerstand, um Löhne und Rechte der Arbeiter zu schützen. DGB-Gewerkschaften wie Verdi beteiligten sich in Brüssel und Berlin aktiv daran, einen neuen Billiglohnmarkt zu schaffen.

So saß Isolde Kunkel-Weber vom Verdi-Vorstand in der Kommission, die unter Leitung des VW-Personalvorstands Peter Hartz die Reformen Hartz I bis Hartz IV ausarbeitete. Kunkel war von 2016 bis 2019 auch Präsidentin des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) in Brüssel, der acht Millionen Mitglieder in 49 Ländern vertritt. Der EGÖD war an der Ausarbeitung des liberalen europäischen Binnenmarkts aktiv beteiligt.

An den Flughäfen, wie in der gesamten Produktion, vereinbarten die Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag nach dem andern mit Subunternehmen, Arbeitsvermittlern und Zeitfirmen und zerstörten damit das Prinzip der Arbeiterbewegung: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.“ So haben die sieben größten DGB-Gewerkschaften besondere Tarifverträge mit dem Interessenverband Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) abgeschlossen.

Gut vernetzte Wirtschaftsoligarchen wie Wisser konnten von den Gesetzen profitieren, die ihre Parteikollegen in den politischen Gremien beschlossen. Nicht zufällig machte sich der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Die Grünen) 2018 ausdrücklich dafür stark, dass der WISAG-Konzern den Zuschlag für die Bodendienste am Frankfurter Flughafen erhalten sollte.

Claus Wisser Seniors SPD-Parteifreund, der kürzlich verstorbene Wolfgang Clement, war eine Schlüsselfigur der „Agenda 2010“. Er war ab 2002 Schröders „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen; mit ihm beschloss die rot-grüne Regierung massive Steuersenkungen für die Reichen und Konzerne, senkte die Renten und schuf den neuen Niedriglohnsektor. Gemeinsam mit Claus Wisser saß Wolfgang Clement jahrelang im Aufsichtsrat des berüchtigten Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen, der in Berlin mit Hilfe der rot-roten Regierung frühere Sozialwohnungen für einen Apfel und ein Ei aufkaufte, privatisierte und massiv verteuerte. Im Berliner Senat saß damals auch die Linkspartei.

So ist es kein Wunder, wenn der Frankfurter DGB-Vorsitzende alljährlich Claus Wisser auf dem DGB-Neujahrsempfang als Ehrengast und Vertreter der Frankfurter Unternehmen namentlich begrüßte.

Diese Umstände zeigen deutlich, vor welchem Hintergrund die WISAG-Arbeiter ihren Kampf aufgenommen haben. Es wird klar, warum die Sozialistische Gleichheitspartei darauf besteht, dass die Arbeiter Aktionskomitees aufbauen müssen, die völlig unabhängig von den etablierten Parteien und von den Gewerkschaften handeln können. Es wird klar, dass sie eine internationale Strategie brauchen und Kontakt zu Kollegen in anderen Ländern aufnehmen müssen.

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