71. Berlinale eröffnet Publikumsfest mit Guantanamo-Film „Der Mauretanier“

Am Mittwoch wurden die 71. Berliner Filmfestspiele als Open-Air-Event für Publikum eröffnet. Sie begannen mit einem Paukenschlag.

Zur Eröffnung wurde der Film „Der Mauretanier“ von Kevin McDonald über den Fall des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi gezeigt, der über vierzehn Jahre lang im berüchtigten amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo unschuldig inhaftiert war und schwerster Folter unterzogen wurde.

Die Menschenrechtsanwältin Nancy Hollander, die schließlich seine Freilassung erkämpfte, war persönlich zur Eröffnungszeremonie der Berlinale gekommen, um den Film vorzustellen. Auch wurden Grußbotschaften von Judie Foster, die Nancy Hollander im Film spielt, von Benedict Cumberbatch, dem Darsteller des Staatsanwalts, sowie von Regisseur Kevin MacDonald eingespielt. Mohamedou Ould Slah selbst konnte nicht teilnehmen. Die Ausländerbehörden haben seinen Antrag auf ein Einreisevisum und auf Familienzusammenführung mit seiner in Berlin lebenden Familie verweigert.

In einer bewegenden Rede schilderte Nancy Hollander den Leidensweg von Mohamedou Ould Slahi, der sich auch unter der Obama-Regierung fortgesetzt hatte. Sie forderte die deutschen Behörden dringend auf, ihm die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen und nicht die „unmenschliche Behandlung" fortzusetzen.

Das weltweit größte Publikumsfestival Berlinale findet in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie in zwei Etappen statt. Anfang März wurden die meisten Filme online für die Filmindustrie und ausgewählte Medienvertreter präsentiert sowie die Hauptpreise, die Goldenen und Silbernen Bären, bestimmt. Vom 9. bis 20. Juni können nun die Besucher unter Hygiene-Auflagen einen großen Teil der über 160 Filme in Parks und auf Plätzen der Stadt sehen. Zudem wurde ein zusätzlicher Publikumspreis für den Wettbewerb geschaffen.

„Der Mauretanier“

Der amerikanisch-britische Film des Regisseurs Kevin Macdonald „Der Mauretanier“, der jetzt auch in deutschen Kinos gezeigt wird, stützt sich auf das Guantanamo-Tagebuch von Mohamedou Ould Slahi, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Mauretanien festgenommen und 2002 ohne formelle Anklage ins Internierungslager der Guantanamo Bay Naval Base verschleppt wurde.

Wie die WSWS am 8. März schrieb, entlarvt der Film die Realität von Amerikas „Krieg gegen den Terror“, die Angriffe auf die demokratischen Rechte und die illegalen Praktiken, einschließlich Folter und Mord, die die amerikanischen Regierungen seit Bush und Obama, die CIA und das US-Militär seit 9/11 betrieben haben.

Mohamedou Ould Slah, der 1970 in der ehemaligen französischen Kolonie Mauretanien in Nordwest-Afrika geboren wurde, hatte 1988 ein Stipendium für ein Ingenieurstudium in Duisburg erhalten. 1991 war er kurzzeitig nach Afghanistan gereist und hatte Sympathien für Al Qaida geäußert, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch amerikanische Unterstützung genoss. Er kehrte nach dem Sturz der afghanischen Zentralregierung 1992 nach Deutschland zurück und hatte seitdem nichts mehr mit Al Qaida zu tun. Später lebte er als Elektroingenieur einige Zeit in Kanada.

Der Film setzt an dem Punkt ein, als Mohamedou in Mauretanien zwei Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgefordert wird, sich auf einer Polizeistation zum Verhör zu melden. Von da an beginnt sein vierzehnjähriges Martyrium. Man beschuldigt ihn, in Kontakt mit Osama Bin-Laden zu stehen, sperrt ihn in Jordanien und dann in Afghanistan ein und transportiert ihn schließlich angekettet und mit einem Sack über den Kopf nach Guantanamo.

Wie Mohamedou Ould Slahi in seinem Tagebuch schreibt, begann die US-Regierung „eine geheime Operation, die darauf abzielte, Terrorverdächtige zu entführen, zu inhaftieren, zu foltern oder zu töten – eine Operation, die keine rechtliche Grundlage hat. Ich war das Opfer einer solchen Operation, obwohl ich nichts dergleichen getan hatte und nie an solchen Verbrechen beteiligt war.“

In einem Interview mit der WSWS schilderte er die Foltermethoden, denen er unterzogen wurde, darunter Schlafentzug für die ersten 70 Tage, Non-Stopp-Verhöre in Schichten, sexuelle Übergriffe, Schläge, bei denen seine Rippen gebrochen wurden. Der Film gebe diese Erfahrungen akkurat wieder, sagte er der WSWS.

Dass der Guantanamo-Film zu Beginn der Publikumsberlinale gezeigt wurde, ist bedeutsam: Die Vorstellung, Amerika sei der Hort von Demokratie und Freiheit, die nach dem Ende der Nazi-Diktatur verbreitet war, ist seit Langem verflogen. Seit den 90er Jahren erlebt die Weltbevölkerung einen verbrecherischen Krieg nach dem nächsten – auch der letzte von Israel verübte Massenmord im Gaza-Streifen war von der US-Regierung gesteuert und finanziert. Der rechtsextreme Putschversuch am 6. Januar in Washington zeigte auf erschreckende Weise, wie sehr sich die Rolle der USA verändert hat.

Doch nicht nur in den USA, sondern in jedem Land der Welt und auch in Deutschland haben sich in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie die sozialen Gegensätze und Angriffe auf demokratische Rechte verschärft.

Dies zeigt auch die Tatsache, dass Mohamedou sich seit 2019 vergeblich um die Einreise zu seiner Familie in Deutschland bemüht. Ende April haben die Menschenrechtsanwälte des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) deshalb eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht.

Das Vorgehen der deutschen Behörden, so Nancy Hollander am Ende ihrer Rede, sei „eine Fortsetzung der unmenschlichen Behandlungen, die Mohamedou seit über 20 Jahren erleiden musste. Ich bitte, nein, ich fordere hiermit von Deutschland, für die richtige Sache, für Menschenrechte einzustehen, sich nicht gegen, sondern für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen und ihm das Visum zu geben.“

Berlinale im politischen Umbruch

Bei der Oskar-Verleihung in Los Angeles am 25. April hatte „Der Mauretanier“ keine Nominierung erhalten. Die Entscheidung, ihn bei der Berlinale zu zeigen, war daher politisch bedeutsam. Einerseits kommt sie der antikapitalistischen und antimilitaristischen Stimmung in der Bevölkerung entgegen, andererseits spiegelt sie auch die wachsenden transatlantischen Spannungen wider und stellt einen Versuch dar, eine unabhängigere Position gegenüber Hollywood einzunehmen.

Umso auffälliger war es, dass der Auftritt von Nancy Hollander bei der Eröffnungsfeier regelrecht untergraben wurde.

Zur Überraschung der Teilnehmer der offiziellen Feier an der Berliner Museumsinsel und anders als im ursprünglichen Veranstaltungsprotokoll vorgesehen, konnte Nancy Hollander erst nach einer Pause und nach den Grußbotschaften, kurz vor Beginn des Films, auf die Bühne treten. Viele Journalisten hatten bereits wegen der späten Stunde die Feier verlassen, und das ZDF-Team von Berlinale live nahm sie beim Online-Streaming nicht auf. Ein vorheriges Pressegespräch mit ihr hatte es ebenfalls nicht gegeben.

Entsprechend wurde die Rede von Nancy Hollander in den Medien am Tag danach regelrecht zensiert. Die Agentur des Films, die sich um die persönliche Anwesenheit der berühmten Menschenrechtsanwältin bemüht hatte, zeigte sich gegenüber der WSWS enttäuscht.

Ob die Missachtung von Nancy Hollander das Ergebnis von politischer Einflussnahme im Hintergrund sein könnte, ist unbekannt. Der Film, der eine Anklage der Verbrechen des amerikanischen Imperialismus im letzten Vierteljahrhundert darstellt, ist auch für die deutsche herrschende Politik ein Ärgernis. Ist sie doch zutiefst verstrickt in die internationale Kriegstreiberei und versucht gerade in der jüngsten Zeit, ihre eigenen militaristischen Muskeln spielen zu lassen. Der Angriff auf demokratische Rechte nimmt auch hier zunehmend aggressive Formen an.

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