Warum sich Linke und Grüne für die afghanischen Ortskräfte einsetzen

Die Reaktion der etablierten Parteien auf den Fall des imperialistischen Marionettenregimes in Kabul unterstreicht einmal mehr, dass es bei der Bundestagswahl vom 26. September – mit Ausnahme der Sozialistischen Gleichheitspartei – keine politische Alternative gibt.

Bundeswehr im Afghanistan-Einsatz (Bild: ISAF Public Affairs)

Das politische und militärische Debakel in Afghanistan hat zwar zu heftigen Schuldzuweisungen unter den Parteien geführt. Vor allem Außenminister Heiko Maas (SPD), der noch wenige Tage vor dem Fall Kabuls jeden Gedanken an eine derartige Entwicklung von sich gewiesen hatte, dient nun als Sündenbock.

Doch die Antwort auf das Debakel ist bei allen Parteien dieselbe. Von der Linken bis zur AfD sehen sie keine dringendere Aufgabe, als die sogenannten Ortskräfte – Afghanen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben – aus dem Land zu holen.

Die beiden Spitzenkandidaten der Linken, Janine Wissler und Dietmar Bartsch, widmeten diesem Thema am 16. August eine ganze Pressekonferenz.

Die Linke habe diesen Einsatz immer abgelehnt, sagte Wissler. „Aber jetzt geht es vor allem darum, so viele Menschen wie möglich in Sicherheit zu bringen.“ Die Bundesregierung habe die Menschen einfach im Stich gelassen und sei „verantwortlich für die Gefährdung von Menschenleben in Afghanistan“.

Die Linke habe bereits am 23. Juni im Bundestag beantragt, dass „afghanische Ortskräfte, die im Dienst der Bundeswehr und der deutschen Polizei standen, schnell und unbürokratisch in Deutschland aufgenommen werden können“, betonte Bartsch. Sie habe dann einen ähnlichen Antrag der Grünen unterstützt, der aber von der Regierungsmehrheit abgelehnt worden sei. Nun sei es „absolut entscheidend, so viele wie möglich herauszuholen“.

Die Grünen vertreten dieselbe Linie. „Wir müssen die Menschen jetzt da rausholen! Dabei ist es egal, für welche deutsche Behörde jemand gearbeitet hat und wann,“ heißt es in einem Aufruf, mit dem sie in Dutzenden Städten zu Demonstrationen aufrufen. Es gehe „für die internationale Gemeinschaft erst einmal darum, die Kontrolle über den Flughafen zu halten und den Betrieb zu sichern. Zu diesem Zweck müssen die EU und die Bundesregierung ihr außenpolitisches Gewicht in die Waagschale werfen.“

Die Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour, Jamila Schäfer und Agnieszka Brugger fordern in einem ergänzenden Papier: „Die USA … dürfen ihr militärisches Kontingent erst abziehen, wenn die Evakuierungen aller NATO-Partner abgeschlossen sind. … Die Bundesregierung muss den USA Unterstützung bei der Sicherung des Flughafens anbieten und dem Bundestag zügig ein Mandat für den Rettungseinsatz vorlegen, das den Erfordernissen vor Ort gerecht wird.“

Die Bundesregierung ist dieser Forderung längt nachgekommen. Anfang dieser Woche setzte sie 600 Soldaten in Marsch, die das mehrtausendköpfige US-Kontingent in Kabul ergänzen sollen. Der Bundestag wird am kommenden Mittwoch nachträglich über diesen „Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan“ abstimmen.

Die Zustimmung der Grünen gilt dabei als sicher. Ob auch die Linken-Fraktion, die Kampfeinsätze der Bundeswehr bisher stets mehrheitlich abgelehnt hat, einwilligen wird, bleibt abzuwarten. Doch selbst wenn sie sich für Enthaltung oder ein Nein entscheiden sollte, um ihr pseudopazifistisches Gesicht zu wahren, zeigt der Auftritt von Wissler und Bartsch, dass auch sie diesen gefährlichen Einsatz unterstützt, obwohl er den Krieg in dem zerstörten Land neu zu entzünden und zu eskalieren droht.

Selbst die rechtsextreme AfD, die sonst bei jedem in Deutschland aufgenommenen Flüchtling den Untergang des Abendlandes beschwört, unterstützt die Aufnahme der afghanischen Ortskräfte. Deutschland sei dazu verpflichtet, sagte Fraktionschef Alexander Gauland dem Deutschlandfunk. „Wir müssen ganz deutlich machen, dass wir eine Verantwortung für die haben, die wirklich gefährdet sind, weil sie für uns gearbeitet haben.“

Die plötzliche Sorge um das Leben der Ortskräfte ist an Unaufrichtigkeit nicht zu überbieten. Den zahlreichen Opfern amerikanischer Bombenabwürfe und Drohnenangriffe, der brutalen War Lords und Drogenbarone, mit denen die Westmächte zusammengearbeitet haben, und der „Antiterror“-Operationen der Bundeswehr und der afghanischen Armee weinten die Bundestagsparteien keine Träne nach. Stattdessen sorgten sie mit allen Mitteln dafür, dass kein afghanischer Flüchtling deutschen Boden betreten und einen Asylantrag stellen kann – und dass er, wenn es trotzdem gelang, so schnell wie möglich zurückgeschickt wird.

Linke und Grüne machen jetzt zwar viel Aufhebens davon, dass die Bundesregierung die Abschiebungen nach Afghanistan erst letzte Woche offiziell gestoppt hat. Doch in jedem Flugzeug, das Flüchtlinge zurück nach Afghanistan brachte, saßen auch solche aus Ländern, in denen Linke und Grüne mitregieren oder – wie in Thüringen und Baden-Württemberg – den Ministerpräsidenten stellen.

Auch das Schicksal der Ortskräfte ist Linken und Grünen in Wirklichkeit herzlich egal. Sie machen sich lediglich Sorgen, dass Deutschland in künftigen Kriegen keine örtlichen Kollaborateure mehr finden wird, wenn es diese in Afghanistan derart rücksichtslos fallen lässt. Das meinte Bartsch, als er auf der Pressekonferenz das Desaster in Afghanistan als „verheerende außenpolitische Niederlage der Bundesregierung“ bezeichnete.

Der Afghanistankrieg war, wie wir in einem früheren Artikel dargelegt haben, „von Anfang an ein schmutziger Kolonialkrieg mit allem, was dazu gehört: Massaker, Folter, Kriminalität und Korruption“. Es ging nie um Menschenrechte und Demokratie, sondern um Einfluss in einer Region von außerordentlicher geostrategischer und energiepolitischer Bedeutung.

Die Grünen zählen zu den Hauptverantwortlichen für diesen verbrecherischen Krieg. Sie stellten mit Joschka Fischer den Außenminister, als die SPD-geführte Bundesregierung die Teilnahme am Afghanistankrieg beschloss. Fischer und die Grünen verteidigen dies bis heute und greifen die deutsche und die amerikanische Regierung von rechts an.

Er stehe nach wie vor hinter der damaligen Entscheidung, sagte Fischer kürzlich bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Annalena Baerbock in Frankfurt an der Oder und begründete dies in einem Radiointerview mit den imperialistischen Interessen Deutschlands. Es sei um Solidarität gegenüber dem wichtigsten transatlantischen Partner der Deutschen, den Amerikanern, gegangen, sagte er dem MDR. Außerdem spiele Afghanistan geopolitisch eine große Rolle in der Region. China sei direkter Anrainer und Russland sei ganz in der Nähe.

Strategische Fehler seien keine gemacht worden, behauptete Fischer. Der große Fehler sei der überraschende Abzug der Truppen aus Afghanistan gewesen: „Für mich war immer klar, dass man nicht so einfach abziehen kann.“

Die Linke hat zwar im Bundestag immer gegen den Afghanistaneinsatz gestimmt – weil es auf ihre Stimmen nicht ankam und sie die Opposition dagegen auffangen wollte. Aber sie hat keinen Finger gerührt, um Widerstand dagegen zu mobilisieren. Nachdem 2003 weltweit zig Millionen gegen den Irakkrieg protestiert hatten, tat sie alles, um die Anti-Kriegsbewegung abzuwürgen.

Heute verliert sie kein Wort über den verbrecherischen Charakter des Afghanistankriegs. Stattdessen bezeichnet sie ihn als „historisches Fiasko“ und bedauert sein Scheitern. „Mehr Scheitern nach 20 Jahren bewaffneten Großeinsatz der Bundeswehr ist schwer vorstellbar,“ heißt es in einem Aufruf der Linkspartei.

Nun bereitet Die Linke – wie die Grünen vor 23 Jahren – ihren offenen Übergang ins Lager des Militarismus vor. Bereits vor acht Jahren hatte sich der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich an der Arbeitsgruppe beteiligt, die unter dem Titel „Neue Macht. Neue Verantwortung“ eine Großmachtstrategie für den deutschen Imperialismus im 21. Jahrhundert entwarf. Seither hat die Linkspartei immer wieder ihre Bereitschaft signalisiert, zukünftige Kriegseinsätze der Bundeswehr zu unterstützen, falls sie von SPD und Grünen als Koalitionspartner in einer Bundesregierung akzeptiert wird.

Das ist der Hintergrund ihrer Kampagne für die afghanischen Ortskräfte. Grüne und Linkspartei demonstrieren damit der herrschenden Klasse und den derzeitigen Regierungsparteien ihre Bereitschaft, Verantwortung für den deutschen Militarismus zu übernehmen.

In führenden außenpolitischen und militärischen Kreisen werden längst entsprechende Lehren aus dem Afghanistandebakel gezogen. Deutschland, so der Tenor, müsse seine imperialistischen Interessen selbständiger, energischer und unabhängig von den Amerikanern verfolgen und die Aufrüstung, die bereits in den letzten Jahren enorme Ausmaße annahm, weiter beschleunigen.

Eines stehe für ihn fest, sagte Außenminister Heiko Maas dem Spiegel: „Das Ergebnis dieses Prozesses darf nicht sein, dass wir international keine Verantwortung mehr übernehmen. Die Frage ist, wie wir es tun wollen.“ Zuweilen würden „die Entscheidungen der Nato faktisch in Washington getroffen, und die Nato in Brüssel hat kaum die Möglichkeit mitzusprechen“. Deshalb gelte es, „den europäischen Pfeiler in der Nato zu stärken“.

In der Financial Times forderte Bastian Giegerich vom International Institute for Strategic Studies, der seit 2012 auch als Referent im Verteidigungsministerium tätig ist, Deutschland müsse in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine „strategische Denkweise“ entwickeln. „Das ist notwendig und dringend, denn der Aufstieg wiedererstarkender, revisionistischer und repressiver Mächte – China und Russland – bedroht die internationale Ordnung, auf der Deutschlands Sicherheit und Wohlstand in der Nachkriegszeit beruhten.“

Deutschlands strategisches Ziel „sollte es sein, zur Verteidigung der westlichen internationalen Ordnung gegen durchsetzungsfähige, expansionistische und autoritäre Regime beizutragen, und zwar in einer Weise, die seiner politischen und wirtschaftlichen Stellung angemessen ist.“ Diplomatie und geoökonomische Staatskunst würden zu dieser Verteidigung beitragen, „aber die deutsche Militärmacht wird ein unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Selbstverteidigung sein“. Deutschland könne es sich „nicht leisten, dass seine politische Klasse diese Realität ignoriert“.

Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt dem deutschen Militarismus als einzige Partei kompromisslos entgegen und kämpft als deutsche Sektion der Vierten Internationale für die internationale Einheit der Arbeiterklasse gegen soziale Ungleichheit, Unterdrückung, Krieg und ihre Ursache: den Kapitalismus. Wer diese Ziele unterstützt, sollte den Wahlkampf der SGP unterstützen, am 26. September für sie stimmen und Mitglied werden.

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