„Kein Land kann die Pandemie allein bekämpfen“

SGP im Gespräch mit Leipziger Gorillas-Kurieren und Arbeitern von Amazon

Der Wahlkampf der Sozialistischen Gleichheitspartei trifft auf wachsende Resonanz. In Leipzig sprachen Teams der SGP und der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) mit Arbeitern und Jugendlichen über die Ausbeutung und soziale Ungleichheit unter Bedingungen der Pandemie.

In den Gesprächen mit Gorillas-Kurieren und Beschäftigten von Amazon zeigt sich die Wut und immer größere Sorge über die Ausbreitung der Delta-Variante, während jeder konsequente Schutz der Bevölkerung fehlt. Offensichtlich ist es – wie die SGP seit langem sagt – notwendig, in der Arbeiterklasse eine internationale Bewegung aufzubauen.

SGP-Wahlkampf in Leipzig

Viele Leipziger Gorillas-Fahrer hatten schon von dem Arbeitskampf gehört, den ihre Kollegen in Berlin seit drei Monaten gegen den Lieferdienst führen. Anlass war Mitte Juni die fristlose Kündigung eines „Riders“ namens Santiago kurz vor Ende seiner Probezeit. Die Leipziger Kuriere solidarisierten sich im Gespräch mit diesem Kampf.

Franco sagte: „Ich bin auch aus Argentinien wie Santiago“, dessen fristlose Entlassung er als „sehr drastisch“ bezeichnete. Man hätte Santiago nicht auf der Stelle feuern dürfen, ohne jede Vorwarnung, fuhr Franco fort. „Was passiert ist, ist wirklich schlimm. Deshalb bin mit ihrem Streik einverstanden. Sie streiken offenbar für einen guten Zweck, und ich unterstütze sie.“

Carlos, ein weiterer Auslieferungsfahrer, berichtete über die Arbeitsbedingungen bei Gorillas in Leipzig. (Um seine Anstellung nicht zu gefährden, haben wir seinen Namen geändert.)

„Auch hier sind die Bedingungen wirklich schlimm. Ständig passieren Unfälle. Die Straßen sind in Ordnung aber die Alleen sind gepflastert und dort rutschen die Fahrräder gerne mal aus, ohne dass wir was dagegen tun können. Der Gorillas-Slogan lautet: ‚Lieferung in zehn Minuten‘ – aber weil sie nicht genug Rider haben, werden wir jetzt gezwungen, zwei oder drei Ladungen auf einmal zu nehmen. Das bedeutet natürlich, dass die letzte Person, die bestellt hat, länger warten muss. Aber so machen sie ihr Geld.“

Carlos fuhr fort: „Wir tragen schwere Lasten und sind den Elementen und dem Verkehr ständig ausgesetzt. Wir müssen ganz nah an den Straßenbahnen – und immer so schnell wie möglich fahren. Das setzt einen psychologisch unter Druck. Auch haben wir keine Regenausrüstung, und viele Riders fahren mit nassen Schuhen. Niemand arbeitet uns ein. Sie fragen uns einfach, ob wir Fahrrad fahren können, und das war’s. Sie setzen wirklich unser Leben aufs Spiel. Einmal bin ich eine Straße entlang gefahren und jemand war hinter mir. Es hat geregnet, er ist ausgerutscht und hat sein Knie blutig aufgeschlagen. Wenn Unfälle passieren, wird uns einfach gesagt, wir sollten vorsichtig fahren und uns nicht so beeilen.

Obwohl wir es sind, die am meisten arbeiten, werden wir sehr gering bezahlt“, fuhr Carlos fort, und er erklärte: „An eurem Flyer hat mir gefallen, dass ihr zu Gorillas recherchiert habt. Ihr sprecht auch ihre Gewinne an. Deren Ausrede für den Niedriglohn ist ja, dass wir Trinkgeld bekommen würden. Aber das ist, abhängig von der jeweiligen Person, sehr unterschiedlich. Wir können schließlich niemanden zwingen, Trinkgeld zu geben. Gorillas gibt sogar auf der eignen Webseite zu, dass die Arbeit schwer ist: Sie streiten es nicht ab, aber wir werden nicht entsprechend honoriert. Ich würde das Management gerne auffordern, unsere Arbeit einmal selbst zu machen. Sie verlangen Unmögliches von uns.“

Carlos sprach auch über die Perspektive der SGP, dass Arbeiter Aktionskomitees aufbauen, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften agieren, Forderungen aufstellen und Streiks dafür organisieren werden. Dazu sagte Carlos:

„Ich halte das für gut. Allerdings beschweren sich viele Riders nicht, weil sie wissen, dass sie sowieso bald wieder aufhören. Denn die meisten arbeiten mit einem befristeten Arbeitsvisum, und sie können nicht lang bei einem Arbeitgeber bleiben. Viele, die ich kenne, müssen schon innerhalb des nächsten Monats gehen. Auch ist es unter Kollegen sehr schwierig, sich über solche Dinge auszutauschen. Wir werden ständig überwacht. Wenn ich dir ein Interview direkt vor dem Eingang zur Zentrale geben würde, würde man mich feuern.“

In der Tat sind unsere Reporter bereits einmal von einer Managerin unterbrochen worden. Sie schüchterte die Riders ein und behauptete, sie dürften keine Informationen preisgeben.

Bei Amazon in Leipzig sprachen unsere Reporter mit Arbeitern über den Arbeitskampf bei DANA, einem Autozulieferbetrieb in den USA. Als Paul, ein Amazon-Arbeiter, von dem Kampf der amerikanischen Arbeiter gegen ihre völlig unhaltbaren Arbeitsbedingungen hörte, sagte er: „Ich möchte meine solidarischen Grüße senden und den Arbeitern sagen, dass ich ihren Streik unterstütze. Sie dürfen sich nicht länger ausbeuten lassen, sie müssen kämpfen, keine Frage. 84 Stunden die Woche? Das ist Sklaverei, das ist Wahnsinn!“

Unsere Reporter schnitten die Frage der Gewerkschaften in Deutschland an und fragten, was Paul von dem jüngsten Amazon-Streik in Bad Hersfeld halte. Er antwortete: „Die Strategie der Gewerkschaften macht überhaupt keinen Sinn. Warum trennt man die Streiks auf diese Weise voneinander, anstatt dass alle gleichzeitig streiken? Das hat uns auch keiner von ihnen [der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi] erklären können.“

Ein anderer Arbeiter warf dazwischen: „Das will uns auch gar keiner erklären.“

Zur Pandemie berichtete Paul, Amazon habe nur anfangs drei Monate lang einen Corona-Bonus von zwei Euro die Stunde bezahlt, was dann ohne Erklärung wieder abgeschafft worden sei. Auch sei der Mitarbeiterschlüssel für diejenigen, die eng zusammenarbeiten, wieder erhöht worden.

Mahabur, ehemaliger Amazon-Arbeiter

In der Innenstadt von Leipzig trafen unsere Reporter Mahabur, einen Architekten aus Bangladesh und früheren Amazon-Arbeiter.

„Ich habe meine Arbeit in der Pandemie verloren“, berichtete Mahabur. „Ich war zuletzt in der Denkmalpflege beschäftigt, aber dann schlossen alle Museen. Jetzt bin ich immer noch auf der Suche nach einem Job und denke über andere Optionen nach, um überleben zu können. Ich weiß, dass die Pandemie diesen Winter wieder schlimmer wird.“

Zu den Schulöffnungen, der Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens und der Rolle der Regierungen auf der ganzen Welt, die es versäumen, den Kampf gegen Covid zu führen, sagte Mahabur: „Kein Land kann die Pandemie allein bekämpfen, alle müssen als Team zusammenarbeiten. Ich stimme auch zu, wenn ihr sagt, dass die Unternehmer von der Pandemie unheimlich profitiert haben. Das ist eine Tatsache.

Die Formel für den Impfstoff müsste frei zugänglich sein“, fuhr er fort, „daraus darf man keinen Profit schlagen. Die Pandemie ist keineswegs vorbei. Das Risiko ist nicht geringer.

Als ich letztes Jahr bei Amazon und in andern Lagerhäusern arbeitete, gab es nicht genug Schutzmaßnahmen, nicht genug Desinfektionsmittel. Unser Coronabonus wurde nach drei Monaten wieder abgeschafft, und wer kurze Zeit später angefangen hatte, konnte ihn nicht einfordern. Ich bin wirklich in Sorge, weil Delta jetzt zur dominierenden Variante geworden ist.“

* * *

Unsere Reporter erklärten überall, dass nur die internationale Arbeiterklasse die notwendigen Maßnahmen durchsetzen könne, um die Pandemie auszurotten. Die Arbeiterklasse ist die größte gesellschaftliche Kraft, und gleichzeitig hat sie ein wirkliches Interesse darin, die Pandemie zu beenden. Dies würde die globale Anwendung eines vollständigen Lockdowns mit voller Entschädigung für Arbeiter bedeuten, kombiniert mit der Kontaktverfolgung und einem strengen Impfprogramm und einer systematischen Aufklärungskampagne. Dies ist nur durch eine Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt möglich, nach dem sozialistischen Grundsatz: Leben vor Profite!

Um die Pandemie zu stoppen und die Lebensverhältnisse von Arbeitern zu verbessern, ruft die SGP zur Gründung von Aktionskomitees auf. Diese Komitees werden aus demokratisch gewählten Arbeitern bestehen und unabhängig von Gewerkschaften, bürgerlichen Politikern und Regierungen agieren.

Nehmt Kontakt zu uns auf, um ein Aktionskomitee zu gründen oder über die Arbeitsverhältnisse bei Amazon, Gorillas und anderen Lieferdiensten zu berichten. Um die SGP-Kampagne zu unterstützen, könnt ihr dieses Formular ausfüllen.

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