Vor 15 Jahren, am 4. Oktober 2006, wurde WikiLeaks von dem australischen Verleger Julian Assange gegründet. Seither ist das kleine Medienunternehmen, das mit bescheidenen Mitteln seine Arbeit aufnahm, zum Synonym für die mutige Aufdeckung der Verbrechen von Staaten und Unternehmen sowie der immer brutaleren Versuche staatlicher Stellen und der herrschenden Eliten geworden, das Internet zu zensieren und unabhängigen Journalismus zu unterdrücken.
Genau wie alle jüngsten Jahrestage im Zusammenhang mit WikiLeaks und seinem Gründer kann Assange auch diesen Meilenstein nicht mit seinen Kollegen, Freunden und seiner Familie feiern. Stattdessen sitzt er seit mehr als zwei Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das als Großbritanniens Guantanamo Bay gilt – einen Großteil dieser Zeit ohne wegen irgendwelcher Vergehen schuldig gesprochen zu sein.
Der Grund für Assanges Inhaftierung, ein Auslieferungsantrag der Trump-Regierung, ist auch unter dessen Nachfolger Joe Biden weiterhin in Kraft. Sowohl Demokraten als auch Republikaner sind entschlossen, Assange wegen WikiLeaks' Veröffentlichungen, darunter der Enthüllung von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und weltweiten diplomatischen Intrigen, anhand des drakonischen Espionage Act anzuklagen.
Die britische Justiz hat zwar im Januar Assanges Auslieferung an die USA verhindert, weil er in amerikanischem Gewahrsam vermutlich sterben würde, aber eine Berufung erlaubt. Diese soll Ende des Monats während der Anhörungen vor dem High Court verhandelt werden.
Die Anklage der USA war schon immer ein leicht durchschaubarer Versuch, Assange und WikiLeaks zu zerstören und die Pressefreiheit zu unterdrücken. Die Berufungsverhandlung wird jedoch unter Bedingungen stattfinden, in denen das Vorhaben der USA vollends als kriminelles Unterfangen entlarvt wurde, bei dem in eklatantester Weise gegen das Völkerrecht und die amerikanische Verfassung verstoßen wurde.
Yahoo News veröffentlichte letzten Monat einen detaillierten Bericht, laut dem die Trump-Regierung und ihr damaliger CIA-Direktor Mike Pompeo seit Anfang 2017 die Entführung und sogar Ermordung von Assange planten, als dieser als politischer Flüchtling in der ecuadorianischen Botschaft in London lebte. Ehemalige Regierungsvertreter erklärten gegenüber der Nachrichtenseite, dass sowohl Trump als auch Pompeo an Treffen teilgenommen haben, bei denen Assanges Ermordung diskutiert wurde. Daneben wurde auch die Möglichkeit diskutiert, andere Mitarbeiter von WikiLeaks in Europa zu ermorden.
Die Pläne für eine außerordentliche Überstellung oder einen CIA-Mord sowie die späteren pseudolegalen Versuche, Assange auszuliefern und anzuklagen, wurden ausdrücklich als Reaktion auf die Veröffentlichung von wahrheitsgemäßen und berichtenswerten Informationen entwickelt.
Der unmittelbare Auslöser für beides war, dass WikiLeaks im Jahr 2017 CIA-Dokumente veröffentlicht hatte, die die CIA als weltweit größten Verbreiter von Schadsoftware entlarvten. Das Material aus „Vault 7“, wie es genannt wurde, hat einige der bestgehüteten schmutzigen Tricks der CIA enthüllt, darunter Techniken, durch die ausländischen Mächten wie Russland die Verantwortung für die eigenen Hackeraktivitäten zugeschrieben werden kann; darüber hinaus Massenüberwachung durch Smartphones und Smart-TV-Geräte und Versuche, auch in die Computersysteme von Autos einzudringen.
Als Reaktion auf die Enthüllungen bezeichnete Pompeo WikiLeaks als „feindlichen nichtstaatlichen Geheimdienst“. Diese Definition sollte es dem amerikanischen Staat erlauben, seinen gesamten Unterdrückungsapparat gegen Assange einzusetzen. Die amerikanischen Behörden wussten, dass ihre eigene Behauptung, WikiLeaks habe mit dem russischen Geheimdienst zusammengearbeitet, eine haltlose Unterstellung waren. Stattdessen konzentrierten sie sich nun auf die neue Kategorie, derzufolge ein Medienunternehmen, das mit der US-Regierung in Konflikt gerät, mit Terroristen gleichgesetzt wird.
Während die Diskussionen über Assanges Ermordung im Geheimen stattfanden, wurden die Pläne für außerordentliche Maßnahmen gegen WikiLeaks ganz offen umgesetzt. Tatsächlich hat der Kongress und der Senat der USA die neue Definition der Organisation als „feindlicher nichtstaatlicher Geheimdienst“ im Intelligence Authorization Act für das Haushaltsjahr 2018 übernommen – mit überwältigender Zustimmung der demokratischen und republikanischen Abgeordneten.
In den Wochen seit Erscheinen des Berichts von Yahoo News wurde sein Wahrheitsgehalt von denjenigen praktisch bestätigt, die an den beschriebenen Verbrechen beteiligt waren. Pompeo erklärte öffentlich: „Teile davon sind wahr.“ Er forderte gleichzeitig ein Verfahren gegen die 30 ehemaligen Beamten, auf die sich der Bericht stützt, weil „sie über vertrauliche Aktivitäten innerhalb der CIA gesprochen haben“.
Bidens Pressesprecherin Jen Psaki verweigerte letzte Woche jede Antwort auf Fragen nach den Enthüllungen und verwies die Journalisten darauf, stattdessen bei der CIA nachzufragen. Die britischen Behörden, die an dem Mordkomplott beteiligt waren, hüllen sich in Schweigen. Auch australische Politiker schweigen sich entweder gänzlich darüber aus oder berufen sich auf ein höchst fragwürdiges Nicht-Wissen.
Die Mainstream-Medien spielen die Angelegenheit entweder herunter oder drängen sie völlig an den Rand, obwohl es um die Pressefreiheit und elementare Rechte der Medien geht. Zwar sind die Enthüllungen sensationeller als diejenigen, die zu Richard Nixons Rücktritt führten, aber sie werden dennoch als völlig zweitrangige Nachricht behandelt. Beispielhaft für den allgemeinen Trend ist die staatliche BBC, die nur auf ihrer somalisch-sprachigen Seite einen Beitrag über den Bericht von Yahoo News veröffentlichte.
Diese Reaktion zeigt einmal mehr, dass die offizielle Presse bei der Verfolgung Assanges eine zentrale Rolle spielt. Nachdem sie den WikiLeaks-Gründer jahrelang verleumdet und zu den Bedingungen für seine rechtswidrige Verhaftung 2019 beigetragen hat, hat sie das Thema fallen gelassen, vor allem seit sich der kriminelle Charakter der US-Kampagne gezeigt hat. Das Verhalten der Mainstream-Medien gegenüber Assange ist keineswegs das Ergebnis persönlicher Abneigung, sondern ein Zeichen ihrer Verwandlung in einen Arm des Staats und einen bereitwilligen Komplizen beim eskalierenden Kriegskurs und den damit einhergehenden Angriffen auf demokratische Rechte.
WikiLeaks wurde als Gegenpol zu den von Staat und Wirtschaft kontrollierten Medien und ihrer regelmäßigen Zensur von Informationen gegründet, der in Widerspruch zu den Interessen der herrschenden Mächte steht.
Kurz nach der Gründung von WikiLeaks veröffentlichte Assange im Jahr 2007 eine Erklärung, in der er deren Mission zusammenfasste: „Autoritäre Regimes schaffen Kräfte, die sich ihnen entgegenstellen, indem sie sich dem Willen der Bevölkerung nach Wahrheit, Liebe und Selbstverwirklichung widersetzen. Pläne, die der autoritären Herrschaft dienen, lösen weiteren Widerstand aus, wenn sie erst einmal entdeckt sind. Deshalb werden solche Pläne von erfolgreichen autoritären Kräften so lange versteckt, bis Widerstand zwecklos ist oder durch die Effizienz nackter Stärke ausgeglichen wird.“
Assanges hat die gleiche Mission populärer ausgedrückt, als er 2011 die Goldmedaille der Sydney Peace Foundation entgegen nahm:
„Ich vergesse nie, was die große Poetin und Autorin May Sarton einmal gesagt hat: Man muss wie ein Held denken, wenn man nur wie ein anständiger Mensch handeln will...
Wir sind objektiv, aber wir sind nicht neutral. Wir sind auf der Seite der Gerechtigkeit. Objektivität ist nicht das Gleiche wie Neutralität. Wir sind objektiv bei den Fakten, wenn es darum geht, über sie zu berichten, statt sie zu verzerren. Aber wir sind nicht neutral in der Frage, was für eine Welt wir wollen. Wir wollen eine gerechtere Welt.
Für mich und meine Mitarbeiter wird WikiLeaks immer ein Geheimdienst der Bevölkerung sein. Und wir werden immer – solange Whistleblower bereit sind, als Helden zu handeln – als anständige Menschen handeln.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Um diese Ziele voranzubringen, hat WikiLeaks erstmals Innovationen eingeführt, die seither allgemein übernommen wurden, u.a. von den Mainstream-Medien, ohne dass diese auf deren Ursprünge hinweisen würden. Dazu gehörte die Entwicklung einer digitalen Dropbox zum Empfang von Leaks und ein Kollaborationsmodell unter Beteiligung zahlreicher Journalisten und Medienorganisationen weltweit, die Material von Whistleblowern untersuchen und es für die Veröffentlichung vorbereiten.
In den Jahren seit 2006 hat WikiLeaks seine erklärte Mission erfüllt und war für mehr brisante Enthüllungen verantwortlich als irgendeine andere Publikation. Das volle Ausmaß der Veröffentlichungen der Organisation umfasst Millionen von Dokumenten und Dutzende von Veröffentlichungen über das politische und wirtschaftliche Leben in allen Teilen der Welt.
Zu den bedeutendsten gehören diejenigen, für die Assange angeklagt wird, darunter die Kriegstagebücher aus dem Irak- und Afghanistan-Krieg. Sie haben Tausende von verheimlichten zivilen Todesopfern publik gemacht und die US-geführten Überfälle als die brutalsten neokolonialen Operationen seit den Verbrechen der Nazis entlarvt.
Hunderttausende von diplomatischen Depeschen der USA haben die Beteiligung des amerikanischen Imperialismus an Putschplanungen, politischer Korruption und undemokratischen Verschwörungen auf der ganzen Welt enthüllt.
Häftlingsakten aus dem US-Militärgefängnis in Guantanamo Bay haben eine globale Schleppnetzfahndung aufgedeckt, in deren Rahmen die US-Regierung wissentlich Unschuldige inhaftieren und foltern ließ.
Der Einfluss von WikiLeaks entsprach der Bedeutung seiner Veröffentlichungen und erklärt die entschlossenen Anstrengungen des amerikanischen Staats und seiner Verbündeten, die Organisation zu zerschlagen. Das Video „Collateral Murder“, das US-Soldaten in einem Apache-Kampfhubschrauber bei einem Massaker an Zivilisten und Journalisten zeigt, wurde zum Symbol für die Kriminalität des Irak-Kriegs. Die diplomatischen Depeschen lieferten ein beispielloses Bild der kapitalistischen Politik hinter verschlossenen Türen und trugen zu den Revolutionen in Ägypten und Tunesien 2011 bei.
Die zunehmende Verfolgung von WikiLeaks und ihrem Gründer entspricht der allgemeinen Hinwendung der Regierungen auf der ganzen Welt zu Autoritarismus und Diktatur und ist einer der schärfsten Ausdrücke davon. Wie Leo Trotzki einst erklärte: „Unter der überhöhten Spannung der Klassen- und internationalen Widersprüche brennen die Sicherheitsschalter der Demokratie durch oder explodieren. Es kommt zum Kurzschluss der Diktatur.“
Assanges Fall hat eindeutig demonstriert, dass es im politischen Establishment keinen Rückhalt für die Verteidigung demokratischer Rechte gibt. Alle offiziellen Parteien in den USA, Großbritannien und Australien unterstützen seine Verfolgung. Die Gewerkschaften und pseudolinken Organisationen, die einst Anteilnahme für ihn geheuchelt hatten, haben ihn längst fallen gelassen.
Dies verdeutlicht den Bankrott von Gruppen wie der offiziellen Kampagne Don't Extradite Assange, die diejenigen, die für Assanges Freiheit kämpfen, dazu aufrufen, sich auf höfliche moralische Appelle an Gestalten wie Trump und Biden zu beschränken.
Tatsächlich ist der Kampf für Assanges Freiheit untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen imperialistischen Krieg, Autoritarismus und das veraltete kapitalistische System, das die Grundlage für beides bildet. Die Arbeiterklasse muss im Kampf gegen die kriminelle Herdenimmunitätspolitik der herrschenden Klasse und den Angriff auf die sozialen Bedingungen erkennen, dass der Kampf für ihre eigenen demokratischen Rechte mit dem für Assanges Freiheit verbunden ist.