Die herrschende Klasse der USA reagiert mit Furcht und Unterdrückung auf die wachsende Streikwelle

Die Führungskräfte in den Vorstandsetagen in ganz Amerika reagieren auf die derzeitige Streikwelle, die sich zur größten seit Jahrzehnten entwickelt, mit zunehmender Furcht und Feindseligkeit. Die seit Langem etablierte Politik, den Klassenkampf von der Gewerkschaftsbürokratie unterdrücken zu lassen, kann den Ausbruch von Streiks nicht mehr eindämmen. Das wirtschaftliche und politische Establishment setzt daher zunehmend auf Streikbrecher, einstweilige Verfügungen und Drohungen mit staatlicher Unterdrückung.

In breiten Teilen der Arbeiterklasse beginnt die Wut überzukochen, nachdem sie vom Gewerkschaftsbund AFL-CIO vier Jahrzehnte lang unterdrückt wurde. Die Beschäftigten in der Pflege, der Produktion, dem Verkehrswesen, der Logistik und den Vertriebszentren sowie weiteren Branchen, die von den PR-Abteilungen der Konzerne als „Helden“ und als „systemrelevant“ bezeichnet wurden, haben die Hauptlast der Corona-Pandemie getragen. Sie arbeiten länger als je zuvor für niedrige Löhne und mit unzureichendem Schutz gegen das Virus. Gleichzeitig haben die Arbeiter erlebt, wie die Unternehmensprofite und die Vermögen der Superreichen seit 2020 in die Höhe geschossen sind. Laut dem jüngsten Bericht von Forbes ist das Gesamtvermögen der Milliardäre in den USA um 70 Prozent auf ganze 2,1 Billionen Dollar gestiegen.

Angesichts der steigenden Mieten und Verbraucherpreise und des anhaltenden Arbeitskräftemangels bei den Unternehmen legen immer mehr Beschäftigte in den USA und im Rest der Welt die Arbeit nieder oder drängen auf einen Streik, um beträchtliche Erhöhungen ihrer Löhne und Zusatzleistungen durchzusetzen.

Eine Streik-Statistik der School of Industrial and Labor Relations (ILR) der Cornell University hat für dieses Jahr bereits 180 Streiks verzeichnet – alleine im Oktober 39 –, an denen etwa 24.000 Arbeiter teilnahmen.

Die Direktorin für Arbeitsforschung und Chefdozentin der ILR, Kate Bronfenbrenner, erklärte gegenüber Yahoo Finance zu den zunehmenden Sorgen der herrschenden Kreise wegen einer möglichen Ausbreitung der Streiks: „Was passieren wird ist, dass immer mehr Arbeiter in den Streik treten. Es gibt jedes Mal einen Welleneffekt. Wenn der Streik bei John Deere nicht beigelegt wird, dann wird eine andere große Gruppe die Arbeit niederlegen. Wenn sich die Unternehmen nicht bewegen, wird sich das von einer Gruppe auf die andere ausbreiten. Streiks sind ansteckend.“

Investoren und Finanzanalysten an der Wall Street äußern zunehmend ähnliche Sorgen. Laut der kanadischen Financial Post hat ein Stratege der RBC (Royal Bank of Canada) vor Kurzem geschrieben, die Streiks seien bei 23 S&P-500-Unternehmen, die in den ersten zwei Oktoberwochen ihre Einnahmen veröffentlicht haben, die größte Sorge hinsichtlich der Lieferketten. Diese Zahl war doppelt so hoch wie diejenigen, die Engpässe und logistische Probleme meldeten. Der Chief Financial Officer von JPMorgan, Jeremy Barnum, erklärte vor Kurzem: „Die Lohninflation ist definitiv ein Thema, auf das wir achten.“

In Hawaii haben diese Woche etwa 2.000 Beschäftigte des Gesundheitskonzerns Kaiser Permanente mit einer überwältigenden Mehrheit von 93 Prozent für einen Streik gestimmt. Dazu kommen 35.000 Kaiser-Beschäftigte in Kalifornien, Oregon und Washington, die bereits zuvor für einen Streik gestimmt hatten, und 700 Kaiser-Krankenhaustechniker aus der Bay Area, die bereits seit über einem Monat streiken. Tausende weitere Kaiser-Beschäftigte von den schätzungsweise 52.000, deren Tarifverträge am 30. September ausgelaufen sind, werden sich in den kommenden Wochen ebenfalls an Urabstimmungen beteiligen.

Obwohl Kaiser im Jahr 2020 ein Betriebsergebnis von mehr als zwei Milliarden Dollar erzielt hat, fordert es eine Begrenzung der Lohnerhöhungen auf nur ein Prozent und die Einführung einer neuen Niedriglohnstufe für neu eingestellte Arbeiter. Diese Vorgabe findet Nachahmer bei Tarifverhandlungen im ganzen Land. Die Gewerkschaften haben jedoch kein Datum für einen Streik genannt und lassen die Beschäftigten seit Wochen ohne Tarifvertrag weiterarbeiten.

Auch in anderen Branchen gehen die Abstimmungen über Streiks weiter. Lehrer in Schulbezirken von Pennsylvania und Ohio bis nach Kalifornien haben in den letzten Wochen Streiks zugestimmt. Mehrere Hundert Flugbegleiter von Piedmont Airlines, einem regionalen Tochterunternehmen von American Airlines, sowie die Arbeiter des Verkehrsbetriebs SEPTA in Philadelphia stimmen diese Woche über einen Streik ab.

Bisher hat sich die herrschende Klasse der USA darauf verlassen, dass ihre treuen Helfer in den Gewerkschaftsbürokratien – die jahrzehntelang die Angriffe der Unternehmen auf Löhne und Arbeitsbedingungen durchgesetzt haben – auch diesmal die Streikbewegung eindämmen und unterdrücken können. Die Biden-Regierung hat die Unterstützung der Gewerkschaften zu einem zentralen Element ihrer Politik gemacht und betrachtet die Gewerkschaften als Brandmauern und Durchsetzer des „Betriebsfriedens“.

Die bisher größte drohende Arbeitsniederlegung von 60.000 Beschäftigten der Fernseh- und Filmproduktionsfirmen in Kalifornien wurde von der International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE) am Wochenende in letzter Minute abgebrochen. Die ersten Details, die die IATSE über ihr so genanntes „Hollywood-Ende“-Abkommen veröffentlicht hat, zeigen, dass sie auch weiterhin brutal lange Arbeitszeiten genehmigen werden. Arbeiter reagierten darauf erbost und verurteilten den Deal als Ausverkauf.

Die unternehmensfreundlichen Gewerkschaften haben das alte Prinzip „Kein Tarifvertrag, keine Arbeit“ zunehmend in „Kein Tarifvertrag, kein Streik“ verwandelt und versuchen verzweifelt, die Arbeiter so lange wie möglich zurückzuhalten. Beim Autozulieferer Dana Inc. haben die Gewerkschaften United Auto Workers und United Steelworkers 3.500 Arbeiter monatelang mit einem tagtäglich verlängerten Tarifvertrag weiterarbeiten lassen, obwohl die Arbeiter ein von der Gewerkschaft ausgehandeltes Abkommen mit 90 Prozent abgelehnt hatten. Die UAW und die USW versuchen derzeit bei Dana, ein nahezu identisches Abkommen durchzusetzen, das erneut die Forderungen der Arbeiter nach beträchtlichen Lohnerhöhungen und einem Ende der ausbeuterischen Arbeitszeitpläne unerfüllt lassen wird.

Die UAW hofft, bei Dana so schnell wie möglich einen Tarifvertrag aushandeln zu können, weil sie die wachsende Unterstützung für den Streik bei den 10.000 Arbeitern des multinationalen Land- und Baumaschinenherstellers John Deere fürchtet. Dana-Arbeiter, die Deere mit wichtigen Teilen versorgen, haben immer nachdrücklicher einen eigenen Streik gefordert.

Obwohl die Konzerne und ihre politischen Vertreter eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, um die Arbeiter zurückzuhalten, wo sie nur können, sind sie gleichzeitig besorgt über die wachsende Missachtung und Verachtung der Arbeiter gegenüber den Befehlen der Gewerkschaften. Ein Wirtschaftskolumnist der Los Angeles Times schrieb vor Kurzem: „Nach Jahrzehnten unterwürfiger Benommenheit scheinen sich die amerikanischen Arbeiter wieder zu regen, doch der Streik bei Deere ist vielleicht das bisher beste Beispiel dafür, wie satt die organisierten Arbeiter ihre Führung haben. Die UAW hat den drei großen Autobauern im Jahr 2007 die Einführung von zwei Lohnstufen erlaubt, und dieses feige Zugeständnis wurde sehr schnell auf andere UAW-Tarifverträge ausgedehnt, u.a. bei Deere.“

Wenn die Gewerkschaften also, wie bei Deere, die Arbeiter nicht vom Streik abbringen können, greifen die Unternehmen schnell auf die alten Methoden der Klassenkriegsführung und der staatlichen Unterdrückung zurück.

Am Mittwoch hat Deere eine einstweilige Verfügung gegen die streikenden Arbeiter in Davenport (Iowa) erwirkt, die in den letzten Tagen zahlreiche Streikposten errichtet hatten. Eine weitere Verfügung hat das Unternehmen gegen Arbeiter in seinem Werk nahe der Staatshauptstadt Des Moines beantragt. Die oberste Richterin des Bezirksgerichts von Scott Country, Marlita Greve, solidarisierte sich in ihrer Urteilsbegründung unverhohlen mit Deere und beklagte, das Unternehmen habe wegen der streikenden Arbeiter „beträchtliche und irreparable Schäden erlitten und wird das weiterhin tun“.

Die einstweilige Verfügung soll Deere den Einsatz von Streikbrechern erleichtern, indem es den Einsatz von Streikposten auf nur vier Personen pro Tor begrenzt und provokanter Weise das Benutzen von Brennholztonnen und Stühlen verbietet.

Wie erwartet, reagierte die UAW darauf, indem sie die Arbeiter ohne ein Wort des Protests anwies, sich an die einstweilige Verfügung zu halten. Dass sie nicht versuchte, Widerstand dagegen zu mobilisieren, verdeutlicht ihre faktische Unterstützung.

Die Rolle der UAW, die Arbeiter wehrlos gegenüber den Streikbruchtaktiken und Angriffen der Konzerne zu lassen, wurde in anderen aktuellen Kämpfen mehr oder weniger deutlich wiederholt. Bei dem Lebensmittelhersteller Kellogg's, wo 1.400 Arbeiter in mehreren Bundesstaaten streiken, hat die Bakery, Confectionery, Tobacco Workers and Grain Millers International Union (BCTGM) die Pläne des Building and Construction Trades Council verteidigt, ihre Mitglieder zu zwingen, die Streikposten in Omaha (Nebraska) zu ignorieren.

Im St. Vincent Hospital in Worcester (Massachusetts) hat die Massachusetts Nurses Union den siebenmonatigen Streik von 700 Pflegekräften isoliert und nichts unternommen, um den Arbeitgeber Tenet Healthcare ernsthaft daran zu hindern, festangestellte Ersatzkräfte einzusetzen oder einseitig seine Tarifforderungen durchzusetzen. Auch bei der Schnapsbrennerei Heaven Hill in Tennessee und bei Warrior Met Coal in Alabama wurden Streikbrecher eingesetzt, um die Arbeitskämpfe niederzuschlagen. Im letzteren Fall hat die United Mine Workers die Bergarbeiter der Gewalt der Streikbrecher und bewaffneten Schläger ausgesetzt; Berichten zufolge wurden Arbeiter sogar angefahren und angeschossen.

Solche Rückgriffe auf offene Unterdrückung und die brutalsten Unternehmenstaktiken des frühen 20. Jahrhunderts stellen ernsthafte Gefahren für die Arbeiter dar. Allerdings sind sie kein Ausdruck der Stärke der Kapitalistenklasse, sondern eher ihrer Schwäche und Verzweiflung. Sie schlägt um sich, um die wachsende Rebellion der Arbeiter zu unterdrücken, die sich in einem Ausmaß entwickelt, wie man es seit Generationen nicht mehr kannte.

Um diese Angriffe der Konzerne und ihrer Partner in den Gewerkschaften abzuwehren und zu besiegen, brauchen die Arbeiter eigene Organisationen und eine eigene Strategie. Wichtige Schritte in diese Richtung wurden bereits u.a. von den Autoarbeitern bei Volvo Trucks und Dana Inc., bei Deere, Amazon und den Lehrern unternommen: Sie haben Aktionskomitees gegründet, um ihre Kämpfe zu koordinieren, die unternehmensfreundlichen Manöver der Gewerkschaften abzuwehren und die Isolation der anhaltenden Streiks zu durchbrechen. Diese Komitees müssen auf alle Werke in den USA und der Welt ausgeweitet werden, um die Arbeiter in einer globalen Bewegung für die Rechte und Interessen der Arbeiterklasse zu verbinden. Für mehr Informationen über den Aufbau dieser Komitees sollten Arbeiter die WSWS kontaktieren.

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