Berliner Justiz verfolgt antifaschistische Künstler

Die Berliner Staatsanwaltschaft geht mit Hausdurchsuchungen und massiven Anklagen gegen das Künstlerkollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) vor, weil es eine Kunstaktion gegen die rechtsextreme AfD durchgeführt hat. Die Verantwortung für die Staatsanwaltschaft trägt die Linkspartei-Politikerin Lena Kreck, die im Dezember den Grünen Dirk Behrendt als Berliner Justizsenatorin ablöste.

Das ZPS hatte mit der fingierten Firma „Flyerservice Hahn“ bei der AfD darum geworben, ihre Wahlkampfflyer im Bundestagswahlkampf zu verteilen. „Eine GmbH ohne Adresse, Handelsregistereintrag oder Steuernummer“, berichteten die Künstler, habe allen AfD-Verbänden in der Republik ein Angebot gemacht, das sie nicht hätten ablehnen können.

Anti-AfD-Aktion des "Zentrum für politische Schönheit" (Bild: ZPS / Patryk Witt)

Die AfD ging darauf ein. Die Aktionskünstler sammelten das Material ein, lagerten es und vernichteten es schließlich – insgesamt fünf Millionen Flyer, 72 Tonnen. Man habe „Weltmarktführer im Nichtverteilen von Nazi-Flyern“ werden wollen, begründeten sie später die Aktion.

Zwei Tage nach der Bundestagswahl vom 26. September 2021 bekannte sich das ZPS zu der Aktion. Schon damals betonte es, der AfD kein Wahlkampfmaterial gestohlen zu haben. Man habe der Partei lediglich das Angebot gemacht, die Verteilung zu übernehmen. Rechnungen habe „Flyerservice Hahn“ ebenfalls nicht gestellt und der AfD sogar angeboten, die Flyer kurz vor der Bundestagswahl zurückzugeben.

Die AfD stellte sofort Strafanzeige gegen das ZPS. Dieser ist die Staatsanwaltschaft Berlin nun nachgekommen. Zehn Beamte des für politisch motivierte Straftaten zuständigen Staatsschutzes beim Landeskriminalamt (LKA) durchsuchten nach Informationen des Tagesspiegel am 13. Januar morgens ab 7 Uhr eine Wohnung und ein Atelier. Die Razzia dauerte bis 9 Uhr, die Ermittler stellten nach Angaben eines Polizeisprechers Datenträger sicher.

Das ZPS soll im E-Mail-Verkehr „den wahrheitswidrigen Eindruck der Existenz eines Unternehmens vorgespiegelt haben, das es nie gegeben hat – mit dem Ziel, die Flyer abzugreifen“, sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin dem Spiegel.

Zur Begründung ihres rabiaten Vorgehens bemühte die Staatsanwaltschaft einen Straftatbestand, von der bislang wahrscheinlich kaum jemand etwas gehört hat: Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 StGB. Dieser lautet: „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr beweiserhebliche Daten so speichert oder verändert, dass bei ihrer Wahrnehmung eine unechte oder verfälschte Urkunde vorliegen würde, oder derart gespeicherte oder veränderte Daten gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Diese Strafnorm wurde erst 1986 zur Bekämpfung von Computerkriminalität eingeführt, offiziell um Strafbarkeitslücken im Bereich der Urkundenfälschung zu schließen. Aber selbst im betrügerischen Online-Handel ist es umstritten, ob etwa das bloße Anlegen von Fake-Accounts unter falschen Personalien bei Ebay und der anschließende Verkauf von Waren unter diesem Account den Tatbestand des § 269 StGB erfüllt. Das Oberlandesgericht Hamm hatte dies verneint, das Kammergericht Berlin später bejaht.

Das ZPS hat allerdings unstrittig weder Profit gemacht noch machen wollen, strafbarer Betrug stand bei der Hausdurchsuchung nicht im Raum. Trotzdem rechtfertigte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft die Durchsuchungen damit. Bei „klassischen Betrugshandlungen im Internet, die mit diesem Paragrafen (§269 StGB) einhergehen, sind Durchsuchungen nicht unüblich“, erklärte eine Sprecherin.

In der Rechtsprechung ist es bislang praktisch nur zu Verurteilungen wegen Verstoß gegen § 269 StGB gekommen, wenn irgendeine Form von Betrug im Spiel war, d.h. die Täter durch Täuschung an Geld oder Vermögen kommen wollten. Bei falschen Angaben ohne Bereicherungsabsicht fehlt es dagegen mangels rechtlicher Erheblichkeit schon an einer „Täuschung im Rechtsverkehr“. Der Schutz des Vertrauens einer rechtsradikalen Partei – ob jemand ihre Flugblätter auch tatsächlich verteilen wollte – wird kaum vom Schutzzweck des § 269 StGB umfasst, sondern könnte höchstens zivilrechtlich geklärt werden.

ZPS-Sprecher Pelzer äußerte gegenüber netzpolitik.org den Verdacht, dass die Ermittlungen auch ein Vorwand sein könnten: „Mit diesem Verfahren kann der Staatsschutz unsere Strukturen durchleuchten und gleichzeitig versuchen, uns einzuschüchtern.“

Das ZPS hat Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss erhoben und „die gesamte Zivilgesellschaft“ dazu aufgerufen, „diesen Angriff auf die Kunstfreiheit abzuwehren“. Ihr Aufruf ist vollauf berechtigt. Wenn die Auffassung der Staatsanwaltschaft Berlin sich durchsetzt, ist die Kunstfreiheit, sogar die Pressefreiheit massiv bedroht.

Die Arbeit mit Fake-Identitäten ist bei Künstlern, Komikern und Journalisten seit Jahrzehnten üblich.

Journalisten sind für Undercover-Recherchen oft darauf angewiesen, unter falscher Identität zum Schein für jemanden zu arbeiten, damit sie Missstände aufdecken können. In Deutschland gab sich Günter Wallraff zu diesem Zweck etwa fälschlich als Waffenhändler aus und arbeitete als „Hans Esser“ mehrere Monate als Redakteur für das Boulevard-Blatt Bild. Er tat dies nicht, um Artikel im Sinne der Zeitung zu schreiben, sondern um deren menschenverachtende Art des „Journalismus“ anzuprangern.

Auch sogenannte Telefonstreiche, bei denen für Radio und Fernsehehen unter falscher Identität und unter falschen Vorwänden Firmen, Behörden, Politiker und Prominente angerufen und veralbert werden, haben in Deutschland eine jahrzehntelange Tradition. Erich Kästner hatte dem Telefonstreich bereits 1932 das Gedicht „Das verhexte Telefon“ gewidmet.

Ob die neue Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) über den Vorgang informiert war, wollte sie nicht beantworten. Die Pressestelle antwortete auf die Nachfrage von netzpolitik.org mit der Erklärung, dass sich die Senatorin nicht einmische, und reagierte nicht mehr auf eine konkrete Rückfrage. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) wollte sich auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org nicht dazu äußern, was er von Hausdurchsuchungen bekannter Künstlergruppen halte.

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz unter Führung der Linken-Politikerin und Juraprofessorin Lena Kreck, die gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungs- und aufsichtsbefugt ist, wollte sich auf Anfrage von junge Welt zu dem Vorgang nicht äußern.

Dass der rot-rot-grüne Berliner Senat unter Franziska Giffey (SPD), der erst seit einem Monat im Amt ist, als eine seiner ersten Amtshandlungen massiv gegen eine Künstlergruppe vorgeht, die eine Kunstaktion gegen eine rechtsradikale Partei durchgeführt hat, zeigt, was auch in Zukunft von diesen Parteien zu erwarten ist: Sie geht nicht gegen Rechte vor, sondern gegen deren Gegner.

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