Flutkatastrophe im Ahrtal: Umweltministerin Spiegel sorgte sich um ihr Image statt um Flutschäden

Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) sorgte sich während der schweren Flutkatastrophe im Ahrtal nicht um die Not der Bevölkerung, sondern um ihr Image. Dies belegen E-Mails und Chat-Protokolle, die dem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags vorliegen. Spiegel ist inzwischen Bundesfamilienministerin in der Ampelkoalition von Olaf Scholz (SPD).

Aufräumarbeiten im Ahrtal (Foto WSWS)

Die Flutkatastrophe, die vom 14. auf den 15. Juli 2021 über Teile von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, der Niederlande und Belgiens hereinbrach, hatte weit über 200 Menschenleben gefordert. Allein im rheinland-pfälzischen Ahrtal waren 134 Todesopfer sowie über 700 Verletzte zu beklagen. Die Zerstörungen an Häusern, Wohnungen, Unternehmen, Straßen, Brücken und zentraler Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung waren und sind nach wie vor verheerend.

Die WSWS schrieb dazu am 4. August 2021: „Dass die Flut so viele Menschen getötet und solch verheerende Schäden angerichtet hat, ist eine direkte Folge der kriminellen Untätigkeit der Regierungen auf Bundes- und Landesebene. Als die Menschen von den tödlichen Wassermassen überrascht wurden, waren Regierungen und Behörden längst gewarnt. Doch sie blieben untätig und weigerten sich, Evakuierungen und Schutzmaßnahmen einzuleiten. Sie informierten die Bevölkerung nicht einmal über die heraufziehende Gefahr.“

Diese Einschätzung wird durch einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 9. März bestätigt. Der Zeitung liegen nichtöffentliche Akten aus dem Untersuchungsausschuss vor, der in Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal eingerichtet worden ist. Dabei handelt es sich um E-Mails und Chatprotokolle von Anne Spiegel, die zur Zeit der Flut Klima- und Umweltministerin in der rheinland-pfälzischen Regierung war.

Während am Morgen des 15. Juli das Ausmaß der Zerstörungen durch die Flut nur zu erahnen war – Häuser waren zerstört; Autos hingen in Bäumen; unzählige ausgerissene Bäume und zerstörte Autos verstopften die Straßen, soweit diese nicht selbst zerstört waren; Menschen wurden vermisst, die teils während des Schlafs in ihren Häusern von dem Hochwasser überrascht und ertrunken oder weggeschwemmt worden waren; manche harrten noch auf den Dächern ihrer Häuser aus, wohin sie sich während der Nacht gerettet hatten – sorgten sich die Pressestelle des Umweltministeriums und Anne Spiegel selbst vor allem um ihr Image.

In einer SMS, die von einer Mitarbeiterin der Pressestelle des Umweltministeriums an Spiegel und fast gleichlautend an ihren damaligen Pressesprecher Dietmar Brück ging, hieß es, die Lage sei „sehr ernst“, in mehreren Landkreisen sei der Katastrophenfall ausgerufen worden, Menschen würden vermisst.

Die Reaktion darauf war nicht, alles in Bewegung zu setzen, um den notleidenden Menschen zu Hilfe zu eilen, ihnen bei der Suche nach Vermissten und Verletzten, der Organisation von Notunterkünften, der medizinischen Versorgung sowie den Aufräumarbeiten zu helfen. Diese Aufgaben wurden in den nächsten Wochen von Tausenden Freiwilligen übernommen.

Stattdessen schrieb Pressesprecher Brück an Spiegel und die Mitarbeiterin, das Starkregenereignis werde „das beherrschende Thema“ sein. „Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“, es dürfe aber „nicht nach politischer Instrumentalisierung aussehen“.

Es folgen weitere entlarvende Aussagen zur Arbeitsteilung der Regierungskoalition. So heißt es in dem Schreiben von Brück: Die „Anteilnahme macht MP“ (Ministerpräsidentin Malu Dreyer, SPD), aber vom Umweltministerium könnten Informationen zur Hochwasserlage und zu Warnungen kommen. Es gelte aufzupassen, „dass MP und Roger (gemeint sind Dreyer und der SPD-Innenminister Roger Lewentz) jetzt nicht Fünf-Punkte-Plan gegen Starkregen entwickeln“.

Darauf antwortete Spiegel: „Das deckt sich mit meinen Überlegungen. … Das Blame Game könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne Präventions- und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“ Und: „Ich traue Roger zu, dass er sagt, dass die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm geworden, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten.“

Das waren also die „Sorgen“ und Überlegungen von Anne Spiegel und ihren Mitarbeitern, als das Ausmaß der Katastrophe deutlich wurde und die Zahl der Todesopfer im Ahrtal stündlich in die Höhe stieg.

Ja, es wäre die Aufgabe des Umweltministeriums von Anne Spiegel gewesen, die Bevölkerung lautstark zu warnen und alle Anwohner der Ahr schnellstmöglich zu evakuieren. Aufgrund der Vorwarnungen von Meteorologen und der Prognose der Pegelstände, für die das Landesamt für Umwelt zuständig war, hätten dringende Warnungen herausgegeben werden können und müssen.

Am 14. Juli um 15.24 Uhr prognostizierte das Landesamt in Altenahr einen Pegelstand von über fünf Metern, weitaus höher als bei der „Jahrhundertflut“ 2016. Aber das Umweltministerium von Spiegel versandte noch um 16.43 Uhr eine E-Mail, in der es hieß, es drohe „kein Extremhochwasser“.

Für diese Pressemitteilung, die vor einem normalen Hochwasser warnte und sich auch an Campingplatzbetreiber richtete, gab Spiegel laut der Koblenzer Rhein-Zeitung vor der Freigabe noch die Anweisung: „Bitte noch gendern“, man solle „CampingplatzbetreiberInnen“ schreiben.

Mitarbeitern des Umweltministeriums fiel kurz nach dem Versand der E-Mail auf, dass diese Information veraltet war. Die Pressemitteilung sei „überholt“, soll Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) kurz nach 18 Uhr an die Pressestelle geschrieben haben, berichtet die FAZ, die sich auf Informationen aus dem Umfeld des Untersuchungsausschusses beruft. An der Ahr gebe es ein Extremereignis, ein Campingplatz sei evakuiert worden. Auf die Rückfrage, ob dann jetzt noch etwas zu tun sei, antwortete Manz aber dennoch mit „heute nicht“. So verstrich wertvolle Zeit, in der noch viele Menschenleben hätten gerettet werden können.

Anne Spiegel soll am heutigen Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen. Die Haltung, die in den veröffentlichten E-Mails und Chatprotokollen zum Ausdruck kommt, deutet nicht darauf hin, dass sie Verantwortung für die nicht erfolgte Warnung der Bevölkerung und die daraus folgende Katastrophe übernehmen wird.

Spiegel hatte bereits kurz nach der Flutkatastrophe im Juli vergangenen Jahres in einem Interview mit dem Handelsblatt arrogant erklärt, man könne sich nicht vor jedem Extrem-Wetterereignis schützen.

Gefragt nach der Hochwasservorsorge, behauptete Spiegel, die zu dieser Zeit auch stellvertretende Regierungschefin in Rheinland-Pfalz war: „Aber man muss auch ganz klar sagen: Bei dem Ereignis, das wir jetzt hatten, hilft auch kein Hochwasservorsorgekonzept mehr.“ Im weiteren Verlauf des Interviews spielte sie immer wieder auf die finanziellen Grenzen des Landeshaushalts an und forderte mehr Hilfe vom Bund.

In Wirklichkeit kamen in ihren Aussagen – wie auch in den jetzt bekannt gewordenen E-Mails und Chatprotokollen, die voller Verachtung für die Bedürfnisse der Bevölkerung sind – die wirklichen Prioritäten aller kapitalistischen Politiker zum Ausdruck. Es sind nicht die Interessen der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit der Bevölkerung, nach sicheren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wie in der Pandemie gilt für die kapitalistische Politik auch hier: Profit vor Leben.

Während Spiegel inzwischen als Familienministerin in die Bundesregierung aufgestiegen ist, warten Zehntausende im Ahrtal und andere von der Flutkatastrophe betroffene Menschen noch immer auf die zugesagte „großzügige“ staatliche Unterstützung. Die Anträge sind so umfangreich und kompliziert, dass viele Anspruchsberechtigte bisher keine abgeben konnten und mehr oder weniger auf sich allein gestellt sind. Andere warten auf wichtige Informationen und Genehmigungen, um ihre Häuser und Wohnungen reparieren und wieder aufbauen zu können. Auch der Wiederaufbau und die Reparatur öffentlicher Infrastruktur lässt weiter auf sich warten.

Zusätzlich zu den Auswirkungen der Flutkatastrophe, der Corona-Pandemie und den sozialen Sorgen, verschärft durch die steigende Inflation, droht jetzt auch noch die Gefahr eines neuen katastrophalen Weltkriegs. Auch hier spielen die Grünen die führende Rolle bei der Rückkehr des deutschen Militarismus. Sie stehen an der Spitze der Kriegshetze und Kriegshysterie gegen Russland, ohne jemals ein Wort über die Verantwortung von Nato, US- und deutscher Regierung für die Provozierung des Kriegs in der Ukraine zu verlieren.

Loading