Französische Präsidentschaftswahl: Umfragewerte der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen steigen

Im Verlauf der letzten Woche sind die Umfragewerte für die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen stark gestiegen, während die Zustimmung für Amtsinhaber Emmanuel Macron rapide zurückging. Die Wählerstimmen für Le Pen sind, abhängig vom Umfrageinstitut, um zwei bis vier Punkte auf 21 Prozent gestiegen, Macrons um vier Punkte auf 27 Prozent gefallen.

Obwohl der Kandidat von La France Insoumise (LF), Jean-Luc Mélenchon, in den Umfragen ebenfalls von 11 auf 15,5 Prozent zugelegt hat, ist die Wahl einer neofaschistischen Präsidentin eine realistische Möglichkeit. Laut der jüngsten Umfrage von Elabe würde Le Pen in einer Stichwahl gegen Macron mit 47,5 Prozent der Stimmen gewinnen. In früheren Umfragen ist sie in der Stichwahl gegen Macron nur auf 45 Prozent gekommen.

Die rechtsextreme Parteichefin Marine Le Pen bei einer Pressekonferenz im südfranzösischen Toulon am 17. Juni 2021 (AP Photo/Daniel Cole)

Diese Umfrageergebnisse haben zu besorgten Spekulationen in den herrschenden Kreisen und in erster Linie bei Macron selbst geführt. Der Staatschef behauptete absurderweise, er sei nicht für den Aufstieg der extremen Rechten in Frankreich verantwortlich.

Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Fouras erklärte er: „Ich habe den Front National nie verharmlost.“ Er benutzte bewusst den früheren Namen von Marine Le Pens Rassemblement National (RN). Auf die Frage nach einem möglichen Wahlsieg der Neofaschisten erklärte er, er werde sich nicht zu etwas äußern, „was nicht existiert“.

Macrons eigener ehemaliger Premierminister, Edouard Philippe, widersprach ihm in einem Interview mit Le Parisien: „Natürlich kann Marine Le Pen gewinnen. Ich befürchte eine hohe Wahlenthaltung, was nie ein Zeichen für eine gesunde Demokratie ist.“

Philippe fügte hinzu, der Wahlkampf des rechtsextremen Polemikers Éric Zemmour, der diese Woche durch seine Forderung nach der „Ausrottung des Abschaums“ in Frankreich einen Skandal verursacht hatte, werde Marine Le Pen helfen: „Ich weise auch darauf hin, dass der sehr aggressive Charakter von Éric Zemmour, seine oftmals skandalösen Äußerungen, sie vergleichsweise harmlos erscheinen lassen. ... Sollte sie gewinnen, dann hätten wir eine völlig andere Situation in diesem Land, glauben Sie mir.“

Wirtschaftsführer haben bereits deutlich gemacht, dass sie Macrons Kandidatur für viel schwächer halten, als es den Anschein hat. Sie fürchten außerdem die Folgen eines möglichen Siegs von Le Pen.

Der Präsident des französischen Unternehmerverbands MEDEF, Geoffroy Roux de Bézieux, hat bereits klargestellt, dass MEDEF einen Wahlsieg Mélenchons akzeptieren könnte. Der Präsident des Arbeitgeberverbands unterstützte Mélenchon und erklärte über ihn, er sei „bereit zu regieren“. De Bézieux fügte hinzu: „Ja, wir haben tiefgehende Meinungsverschiedenheiten. Aber selbst unsere Gegner erkennen an, dass der Favorit der Linken in der Präsidentschaftswahl bereit zum Regieren ist und ein solides und kohärentes Programm hat.“

Die Finanzaristokratie und die Pariser Börse haben die Politik von Podemos, der spanischen Schwesterpartei von LFI, die an der Regierung beteiligt ist, aufmerksam verfolgt. Podemos hat die Sozialausgaben gekürzt, um den Militäretat zu erhöhen, angesichts der Corona-Pandemie eine Durchseuchungspolitik verfolgt und Neonazi-Milizen in der Ukraine gegen Russland bewaffnet. Der MEDEF ist zuversichtlich, dass Mélenchon nach seinem Sieg ebenfalls diesen rechten Kurs verfolgen würde, und gibt ihm deshalb grünes Licht.

Die LFI-Führung wiederum hat angedeutet, dass sie sich trotz der verbesserten Umfragewerte ihres Kandidaten auf die Rolle als Unterstützer eines möglichen Siegs von Macron beschränken wird. Mélenchons Stellvertreter in der LFI-Führung, Adrien Quatennens, betonte, im Falle einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen werde die LFI in kaum verhohlener Weise zur Wahl Macrons aufrufen: „Wir werden den Standpunkt vertreten, dass keine Stimme an die extreme Rechte gehen sollte.“

Quatennens fügte hinzu, die LFI-Führung würde ihre Parteimitglieder und Anhänger „konsultieren“, offenbar in der Hoffnung, herauszufinden, wie man einen Aufruf zur Wahl Macrons am besten verpacken kann. Weiter erklärte er, LFI sei besorgt, dass es seine Wähler möglicherweise nicht beeinflussen kann: „Die Leute werden tun, was sie wollen. Und deshalb werden wir die Basis konsultieren. Um herauszufinden, was sie tun wollen. Aber uns sollte klar sein, dass es keine Option sein wird, für den RN [die Partei von Le Pen] zu stimmen.“

Unter Arbeitern und Jugendlichen existiert nach wie vor eine mächtige Opposition gegen Macron und Le Pen. Doch dieser Widerstand kann keinen Ausdruck finden, wenn er nicht aus der politischen Zwangsjacke ausbricht, die ihm reaktionäre pseudolinke Parteien wie LFI anlegen.

Tatsächlich lehnten 2017 in der Stichwahl zwischen Macron und Le Pen zwei Drittel der LFI-Wähler beide Kandidaten ab. Die Parti de l’égalité socialiste hatte an diesen Widerstand appelliert und 2017 zum aktiven Boykott des zweiten Wahlgangs sowie zum Aufbau einer politisch unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Sieger aufgerufen, egal wer von beiden es werden sollte.

Doch Mélenchon und der Kandidat der Nouveau Parti anticapitaliste (NPA), Philippe Poutou, machten 2017 deutlich, dass sie Macron unterstützen. Ihre Rhetorik ähnelte damals derjenigen von Quatennens im Jahr 2022. Ihre Unterstützung für Macron war zwar etwas verschleiert, aber dennoch sehr real. Die NPA, LFI und die Gewerkschaftsbürokratien hatten beim ersten großen Ausbruch von sozialem Widerstand gegen Macron eine wichtige Rolle gespielt, indem sie nichts unternahmen, um die Arbeiter zur Unterstützung der „Gelbwesten“-Protestbewegung gegen soziale Ungleichheit zu mobilisieren, die von Macron brutal unterdrückt wurde.

Dieser Widerstand der Arbeiterklasse ist der Grund für das Unbehagen des MEDEF gegenüber Le Pen, nicht etwa eine Aversion gegen Neofaschismus. Die Bourgeoisie passte sich an die Einsetzung des Nazi-Kollaborateurs Philippe Pétain als Diktator an, als er am 10. Juli 1940, nach der Niederlage Frankreichs gegen die deutsche Wehrmacht, in der Nationalversammlung gewählt wurde. Sie könnte sich auch mit einer Präsidentin Le Pen arrangieren. Allerdings befürchtet sie die Schlussfolgerungen, die Millionen von Arbeitern und Jugendlichen aus dem Wahlsieg einer Präsidentin ziehen würden, deren politisches Erbe auf die Kollaboration mit den Nazis zurückgeht.

Tatsächlich verdeutlicht die wachsende Gefahr der Bildung einer neofaschistischen Regierung nur die Warnungen der PES von 2017: Die Hinwendung der herrschenden Eliten zu faschistischer Diktatur kann nicht im Rahmen der Institutionen des kapitalistischen Staates abgewehrt werden.

Das erfordert die internationale Mobilisierung der Arbeiter in einem Kampf gegen Kapitalismus und imperialistischen Krieg sowie gegen alle politischen Kräfte, die versuchen, sie an das bankrotte kapitalistische System zu binden.

Macrons Präsidentschaft fällt zusammen mit einer internationalen Eruption des Klassenkampfs. Die ersten großen Streiks in US-Autofabriken, Schulen und Bergwerken seit Jahrzehnten und Kämpfe wie diejenigen der „Gelbwesten“ in Frankreich sowie die Proteste in Algerien von 2019–21 (auch bekannt als Revolution des Lächelns oder Hirak-Bewegung) haben zu einer Welle von Streiks und Protesten geführt, die mittlerweile alle Kontinente erschüttern. LFI, die NPA und der Gewerkschaftsapparat der CGT sowie ihre Äquivalente im Rest der Welt haben als Reaktion auf den schlagartigen Eintritt der Massen in den politischen Kampf einen völlig entgegengesetzten Weg eingeschlagen.

Die herrschende Elite, einschließlich ihrer angeblich „linken“ Fraktionen, ist nach rechts gerückt, vor allem während der Corona-Pandemie. LFI und seine Verbündeten haben sich den von Neofaschisten dominierten Protesten gegen eine wissenschaftlich fundierte Bekämpfung des Virus angeschlossen. Jetzt unterstützen alle die Intervention Frankreichs und der Nato in der Ukraine, durch die rechtsextreme ukrainische nationalistische Milizen gegen Russland bewaffnet werden.

Der Kampf gegen imperialistischen Krieg, die offizielle Gleichgültigkeit gegenüber Covid-19, die rasant steigende Inflation, die die Arbeiter in die Armut treibt, und die Gefahr faschistischer Diktatur erfordern einen unversöhnlichen Bruch mit der Pseudolinken. Genau wie im 20. Jahrhundert erfordert dieser Kampf die internationale und revolutionäre Mobilisierung der Arbeiter und Jugendlichen auf einer sozialistischen Perspektive. Die trotzkistische Alternative zu den pseudolinken Parteien ist die Parti de l’égalité socialiste (Sozialistische Gleichheitspartei), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI).

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